Dunkle Dämmerung von Perro (Kampf um die Götterschwerter *abgeschlossen*) ================================================================================ Kapitel 8: Melissas Entscheidung -------------------------------- Kapitel VIII - Melissas Entscheidung Das Gebäude der Firma ,Caplin und Partner' war ein Paradebeispiel der neuzeitigen Glasklötze, die sich in den letzten Jahren über die ganze Welt verbreitet hatten, und ragte weit über die anderen Häuser von Chester hinaus. Unzählige, riesige Glasscheiben bildeten eine dichte Facette aus gläsernen Fensterfronten, vom Erdgeschoss ab rundherum um das Gebäude bis hinauf zu dem flachen Dach, auf dem das gewaltige Firmenlogo aus Stahl thronte. Wenn Licht im Inneren brennen würde, hätten Zeliarina und ihre Ordensgeschwister mit Leichtigkeit jegliches Detail der wertvollen Möbelausstattung sehen können. Doch es brannte keine einzige Lampe im Inneren. Obwohl es ein Wochentag war und die Sonne gerade erst unterging, wirkte das Firmengebäude vollkommen ausgestorben. Drei schwarze Kleinbusse, ebenfalls mit dem Logo von `Caplin und Partner', standen in einem weiten Halbkreis um die große Eingangstür aus Glas, die in die Vorhalle führte. Als der Mannschaftshelikopter der Lancelor in kurzer Entfernung auf einem großen, leeren Platz gelandet war, hatten ein paar Schaulustige interessiert innegehalten, um die Szene zu verfolgen. Sie konnten beobachten, wie ein paar stämmige Leute mit schwarzen Anzügen und Sonnenbrillen aus den schwarzen Autos stiegen, während aus dem Hubschrauber eine Gruppe gleich gekleideter Menschen zum Vorschein kam. Einige waren sogar noch halbe Kinder. Zeliarina fragte sich insgeheim was sie wohl für einen Eindruck auf diese ahnungslosen Zivilisten hatten. Immerhin waren sie nicht einmal volljährig und trugen schon Pistolen an ihren Gürteln. Pendrian und Dunkan störten sich nicht an den Blicken der Passanten, sondern steuerten geradewegs auf einen untersetzten Mann mit aschblonden Haaren und einer auffälligen Hakennase zu, der von den Sonnenbrillenträgern, offensichtlich Bodyguards, flankiert wurde. "Mister Caplin", begrüßte Dunkan förmlich, als er dem Mann kurz die Hand gab. "Wir haben bereits miteinander telefoniert, mein Name ist John Dunkan. Wir sind hier um uns ihrem Problem anzunehmen." "Ich hoffe doch, wir können das Ganze heute hinter uns lassen?", fragte Caplin mit einem hörbaren Nachdruck in der Stimme. Er schien sich mehr für die Passanten rings herum als für Dunkan zu interessieren. "Gehen sie möglichst diskret vor, ich möchte keinen Skandal oder irgendetwas Auffälliges, das mich in den Medien schlecht dastehen lässt. Ich verliere bereits mehr als genug Geld, nur weil ich die Firma seit gestern schließen musste." "Schuld eigene", murmelte Pendrian so leise, dass Caplin es nicht hören konnte. Zeliarina fühlte sich unwohl. Sie sah sich ihre neuen Gefährten an und bekam sofort ein aufmunterndes Grinsen von Kevin geschenkt, während Victoria das Gespräch ihrer Übergeordneten offensichtlich lustlos verfolgte. Melissa hörte gar nicht zu. Sie hatte die Augen geschlossen und die Arme verschränkt, so dass ihr Silberarm deutlich zu sehn war. Doch die Schaulustigen schienen das Gespräch von Dunkan und Caplin spannender zu finden, auch wenn sie von weitem gar nichts hörten. "Wenn es sich nur um einen Golem handelt, sollte die Angelegenheit in gut zwei bis drei Stunden erledigt sein. Trotzdem würde ich gerne mehr über das Beschwörungsritual erfahren, mit dem sie ihn erschaffen haben. Nur um sicher zu gehen, dass keine unerwarteten Komplikationen auftreten. Ich denke, dass liegt in unser beider Interesse..." "Natürlich...", stimmte Caplin zu. Er warf ein paar weitere nervöse Blicke zu den Schaulustigen. "Doch könnten wir das womöglich etwas unbeobachteter tun? Ich habe die Aufzeichnungen der Beschwörung in einem der Wagen, genau wie die Baupläne des Gebäudes, nach denen sie verlangt haben." Er deutete auf einen der schwarzen Kleinbusse. Dunkan nickte zustimmend, winkte die ganze Eskorte hinter sich her und folge Caplin zu dem Wagen. Die zwei Bodyguards öffneten die Hintertür des Autos, die seitlich aufschwang und die Sicht auf einen großen Laderaum, wie es sie bei Gefangenentransportern gab, freigab. Offensichtlich handelte es sich hierbei, ähnlich wie bei ihrem Helikopter, um einen Mannschaftstransporter. Der Hinterraum war so groß, dass die zwei Leibwächter, Caplin, Dunkan, Pendrian, Melissa, Kevin, Victoria und Zeliarina problemlos Platz fanden. Caplin schlug die Tür erleichtert hinter sich zu. "Verdammtes Pack. Wenn irgendetwas Schlechtes in der Zeitung erscheint, kann ich meinen Laden dicht machen. Die Konkurrenz sitzt mir schon im Nacken seit dem mehrfachen Verschwinden meiner Angestellten. So eine Chance für Gerüchte lassen die sich nicht entgehen..." "Keine Sorge", murmelte Melissa leise mit einem hämischen Lächeln. Sie lehnte mit verschränkten Armen an der Innenwand des Autos und starrte nach draußen. "Die Passanten gehen bereits wieder. Ihre Firma interessiert scheinbar niemanden..." Verwirrt wollte Caplin ebenfalls aus dem Fenster sehen, doch durch die getönten Scheiben war es weder möglich rein, noch hinaus zu sehen. Der Firmenleiter warf Melissa einen fragwürdigen Blick zu, doch diese schien tatsächlich durch das Fenster hindurch nach draußen blicken zu können. Zum ersten Mal erspähte er das silberne Auge des Mädchens und erschauderte. Zeliarina beobachtete den äußerst gehetzt wirkenden Mann beinahe mitleidig. Er schien langsam zu begreifen, dass er sich mit Mächten eingelassen hatte, die weit über seine Vorstellungskraft hinausgingen. "Wie auch immer", grummelte Caplin und schüttelte seinen Kopf, als wolle er sich von einem bösen Gedanken befreien. "Hier sind die Beschwörungsformel, die ich benutzt habe, und die Architekturpläne." Er holte eine alte vergilbte Rolle und mehrere neuer aussehende hervor. Dunkan griff sofort nach dem verschlissenen Fetzen, während sich Pendrian die Baupläne geben ließ. "Hmm..." Dunkans junges Gesicht wurde nachdenklich. "Sieht tatsächlich nach einer gewöhnlichen Beschwörung aus...Dinge für den Beschwörungszirkel sind einfache Sandsteine, ein paar Pflanzendornen und Erde und... Menschenblut...?" Dunkan sah angeekelt zu Caplin auf, doch dieser schüttelte sofort und heftig den Kopf. "Ich...ich habe niemanden getötet oder dergleichen...Es war mein eigenes Blut..." Zur Unterstützung seiner Worte hob er die Hand, auf deren Innenfläche sich eine lange Wunde mit roten Rändern befand. Zeliarina fand, dass die Selbstsicherheit eines Firmenbosses mit jedem Wort mehr von ihm abfiel wie eine Maske. "Aha, das war schon mal der erste Fehler", erklärte Dunkan nicht gerade begeistert, "Ein Schnitt in der Hand ist viel zu wenig Blut für einen Beschwörungszirkel. Dadurch hat der Golem kein richtiges Bewusstsein, er kann nicht denken, nicht gehorchen und wird somit...vollkommen unberechenbar." "Das Gebäude ist auch nicht gerade der beste Kampfort. Vier Treppen, zwei Aufzüge, hunderte Räume und Lagerhallen...In dem scheiß Ding gibt es geradezu unendliche Möglichkeiten zum Fliehen oder Verschanzen..." "Tja, vielleicht wird das Ganze ja doch noch ganz interessant", lächelte Melissa. Kevin grinste begeistert und rieb sich in unerträglicher Vorfreude die Hände. Nachdem Pendrian die Nachwuchslancelor mit einem strengen Blick zur Ruhe gebracht hatte, starrte Caplin sie völlig sprachlos an. Er öffnete ein paar Mal den Mund, unfähig zu sprechen, und nahm schließlich stumm die Papiere von Dunkan und Pendrian zurück. Victoria begutachtete ihn mit diesem stechenden Blick ihrer eisblauen Augen, der Zeliarina sagte, dass sie wieder einmal ihre telepathischen Kräfte einsetzte. "Ich würde nicht sagen, dass wir vollkommen durchgeknallt sind, Mister Caplin... Es ist unser Job die dummen Entscheidungen von Menschen wie ihnen wieder geradezubiegen..." Caplins Entsetzen steigerte sich immer mehr, als ihm die Fähigkeit Victorias bewusst wurde. Mit zitternder Hand ließ er sich von einem seiner Leibwächter mehrere Funkgeräte geben und händigte sie abwesend aus, unfähig den Blick von Victoria zu nehmen. Das wunderschöne Mädchen nahm ihr Funkgerät mit einem kurzen Nicken entgegen, befestigte es elegant an ihrer Hose und zog ihr Lancelortuch aus der Hosentasche um es sich um ihr zierliches Handgelenk zu binden. "Ein guter Gedanke, uns mithilfe des Planes durch das Gebäude zu lotsen", meinte die Telepathin als Antwort auf einen weiteren Gedanken Caplins. "Victoria, es ist unhöflich die Gedanken unseres Auftraggebers zu lesen...", rügte Pendrian sie zu Recht, obwohl er sich ein amüsiertes Lächeln kaum verkneifen konnte. Auch er nahm sich eines der Funkgeräte, die Caplin ihnen angeboten hatte. "Dennoch ist es äußerst praktisch, falls ein Vorgesetzter einmal irgendetwas vor uns verbergen möchte", fügte er mit einem viel sagenden Blick hinzu. Caplin wich bleich im Gesicht zurück und schüttelte heftig den Kopf, ehe er die Lancelor erschöpft aus dem Wagen winkte. "Geht jetzt bitte und macht eure Arbeit, ihr erhaltet euren Sold, wenn die Angelegenheit zu meiner Zufriedenheit beendet wurde..." "Sold... Das klingt, als wären wir Söldner", grummelte Pendrian leise in seinen Bart hinein, ohne dass ihn jemand hörte. Er verließ den schwarzen Kleinbus als erster, steckte sich sein Funkgerät an die weiße Weste und wartete darauf, dass auch die anderen seinem Beispiel folgen würden. Als alle ihre Funkgeräte irgendwo befestigt hatten und vor dem großen Glaseingang des Firmengebäudes standen, fiel Zeliarinas Blick auf einen kleinen metallenen Gegenstand in Form eines Eishockeypucks, der an der Tür klebte. Die Donnerhexe kannte ihn aus ihrer Ausbildung zum Lancelor. Es war ein ,Fänger', verwendet um Dämonen an einem Ort festzuhalten oder sie zu schwächen. Der Grundstein der Dämonenmacht, ein unbekanntes Element namens Aramea, wird durch diese ,Fänger' aus dem Körper des Dämons gezogen, um ihn zu schwächen. Gelingt es einem Lancelor den ,Fänger' direkt an einen Dämon zu platzieren, verliert dieser durch den plötzlichen Entzug des Aramea meist sofort das Bewusstsein. Pappt man ihn dagegen an eine Tür, wagt es kein Dämon diese zu berühren, da ihm auch so der überlebenswichtige Grundstoff seines Körpers entzogen werden würde. "Scheinbar ist er doch kein völliger Narr, wenn er sich solche Mittel für den Notfall besorgt hat." "Belassen wir es dabei, Peter. Wir sollten den Auftrag schnell über die Bühne bringen und uns nicht mehr als nötig um Caplin kümmern", erwiderte Dunkan leichthin. Er nahm sein Funkgerät in die Hand und sprach einmal zum Test hinein. Als Antwort kam ein lautes Knacken, gefolgt von Caplins nervöser, gehetzter Stimme. "Gut, na dann los." Kevin entfernte den ,Fänger' von der Tür und ließ die anderen ins Innere das Gebäudes, bevor er ihn wieder an der Innenseite befestigte, um jegliche Flucht des Golem unmöglich zu machen. Mit einer auffälligen Sorglosigkeit zog er seine Waffe aus dem Halfter. Doch es war keine gewöhnliche Pistole, sondern eine etwa dreißig Zentimeter lange Schrotflinte mit abgesägten Läufen. Zeliarina sah die Waffe in seinen tätowierten Fingern skeptisch an. Kevin ließ sie ein paar Mal spielerisch in der Hand kreisen und grinste. "Wie Dunkan gesagt hat, besitze ich schon einige Erfahrung im Schießen. Deswegen wurde mir diese besondere Waffe anvertraut, die normalerweise nicht in die Hände von Neulingen gelegt wird...", erklärte er zufrieden. Danach verfiel die Gruppe eine Zeit lang in tiefes Schweigen, um irgendein verräterisches Geräusch in der Nähe zu erhaschen, das den Aufenthaltsort des Golems verraten würde. Pendrian und Dunkan mussten es als Mentoren von nun an den Neulingen überlassen den Auftrag zufrieden stellend zu Ende zu bringen. Victoria nahm gleichgültig ihr Funkgerät in die Hand und sprach: "Mister Caplin, wo haben sie die Beschwörung denn durchgeführt oder besser, wo hat der Golem gewütet? Das würde die Sache deutlich einfacher machen..." Ein plötzliches Geräusch ließ alle erschrocken herumfahren, doch es war nur Kevin, der sich ein paar Sonnenblumenkerne in den Mund gestopft hatte und die Tüte mit einem peinlichen "Sorry" schnell wieder in seiner Weste verstaute. Caplins Stimme war so stark von einem Rauschen unterlegt, dass nur Victoria selbst sie hören konnte. "Wir sollten es in der Lagerhalle der sechsten Etage versuchen", berichtete sie monoton. Zeliarina fiel wieder dieser kalte Blick ohne das geringste Anzeichen von Emotionen in ihren Augen auf, der eine heftige Welle von Mitleid in ihr aufsteigen ließ. Wie konnte ein Mensch so leben? Victoria wirkte wie eine leere Hülle, der bereits jegliche Menschlichkeit ausgesaugt worden war. Auch Kevin betrachtete sie eingehend, doch in seinen braunen Augen lag nicht die Verwirrung, die in Zeliarina tobte, sondern etwas anderes. "Der Strom ist abgeschaltet. Wir müssen wohl die Treppe nehmen", stellte Melissa ein wenig ungeduldig fest, ehe sie auch schon zu der nächstgelegenen Treppe ging und die ersten Stufen überbrückte. Sie wartete nicht auf ihre Ordensgeschwister, die jetzt alle ihre Waffen zogen und durchluden. Victoria hatte eine ähnliche Pistole wie Zeliarina. Beide Mädchen legten ihre Magazine inzwischen routiniert ein, während Kevin zwei dicke Patronen in die Läufe seiner abgesägten Schrotflinte einlegte. "Ein Schuss feuert vierzehn Kugeln in einem Streuradius von 5 Metern ab. Ein ungeübter Schütze kann damit leicht eigene Leute treffen", erklärte der junge Elementare leise, während sie hinter Melissa, aber vor Pendrian und Dunkan die Treppe bis zum sechsten Stockwerk hinaufstiegen. Zeliarina fiel jetzt deutlich auf, dass Kevins Aufmerksamkeit überwiegend Victoria galt, obwohl diese ihn keines Blickes würdigte. "Seid jetzt endlich ruhig!", zischte Melissa eisig. Sie hatte ihre Waffe immer noch nicht in der Hand, doch ihr Silberarm strahlte eine beruhigende, wenn auch unmenschliche Aura aus. Was auch immer jemals auf Melissa zukommen würde, sie könnte keine bessere Waffe besitzen als diesen Arm, dass wusste Zeliarina. Sie hatte Lancelor oft genug reden gehört, mit welchen überirdischen Kräften Melissa Dämonen besiegen konnte. "Ist die auf einmal unsere Anführerin, oder was?", murmelte Kevin ein wenig verwundert und mit mehreren Seitenblicken zu seinem Mentor oder Victoria. Melissa tat so als hätte sie die Worte überhört und trat aus dem Treppenhaus in die sechste Etage. Hier war es genauso still wie überall. Die Dunkelheit des Gebäudes wurde nur von ein wenig Mondlicht, das durch die riesigen Fenster schien, vertrieben. Mehrere kostbare Mahagonimöbel und einige Zierpflanzen säumten den Gang, den sie betreten hatten. Zu beiden Seiten führten unzählige Türen in kleine Büros, die mit dünnen Wänden voneinander getrennt waren. ,Caplin und Partner' war eine Anwaltskanzlei. Hier saßen die juristischen Verteidiger rund um die Uhr, um sich um ihre Fälle zu kümmern. Vorsichtig sicherten die jungen Lancelor jedes einzelne Büro. Ihre Schritte waren lautlos auf dem weichen Teppich, beinahe geisterhaft. Zeliarina schauderte, als ihr der Gedanke kam, dass der Golem sich vermutlich genauso lautlos bewegen konnte und vielleicht in diesem Augenblick genau hinter ihr stand. Sie unterdrückte das lächerliche Verlangen über ihre Schulter zurück zu blicken und sicherte ein weiteres Zimmer. Als sie auch dieses Büro unangetastet vorfand und wieder zurück in den Gang trat, bemerkte sie wie Melissa völlig furchtlos bis zum Ende des Ganges lief, ohne auch nur einmal zur Seite zu sehen. Im ersten Augenblick war Zeliarina ernsthaft beeindruckt, bis ihr plötzlich Melissas Silberauge einfiel. Kein Wunder, dass sie nicht in die Büros schauen musste. Wahrscheinlich hatte sie schon von Anfang an durch alle Wände hindurch in jedes Büro geblickt. "Warum sucht sie dann nicht einfach das ganze Gebäude mit ihrem Silberauge ab?", fragte Victoria verwundert. Wieder einmal waren alle verwundert, dass sie so sorglos die Gedanken von jemandem gelesen und darauf reagiert hatte. Zeliarina spürte, wie sie beschämt rot wurde, doch zum Glück schenkte man ihr keine Aufmerksamkeit. "Das stimmt!", rief Kevin erfreut, "Ich dachte mit diesem Silberauge kann man durch alles hindurch sehen!" Melissa hielt in ihrer Bewegung inne und wandte sich ihnen zu. Ein schmales Lächeln lag auf ihren Lippen. "Das wäre doch viel zu einfach. Ich muss mein Können nicht mehr beweisen, deswegen dachte ich, es wäre sinnvoll die Sache euch zu überlassen..." "Ganz schön selbstbewusst", bemerkte Kevin mit hochgezogener Augenbraue. Zeliarina schrak bei Dunkans und Pendrians leisem Lachen zusammen, denn sie hatte die beiden Lancelor hinter ihr beinahe vergessen. "Ich sage nur die Wahrheit...", antwortete Melissa spöttisch. Sie kehrte ihnen wieder den Rücken zu und ging mit gemächlichen Schritten bis zum Ende des Ganges. Eine große Metalltür versperrte den weiteren Weg in die große Lagerhalle der Etage. "Die ist abgeschlossen", knirschte Caplins Stimme aus den Funkgeräten, "An der Seite befindet sich ein Öffnungsmechanismus, der Code ist-" Der Firmenchef konnte den Satz niemals beenden, denn Melissa ballte ihre Silberhand unbeeindruckt zur Faust und zerschmetterte die schwere Metalltür mit einem einzigen gewaltigen Hieb. Kevin und Zeliarina sprangen schockiert zur Seite, selbst Dunkan und Pendrian duckten sich hastig unter den umher fliegenden Metallsplittern. Nur Victoria blieb ruhig, so als hätte sie bereits gewusst was kommen würde. Vermutlich hat sie das auch... Zitternd kam Zeliarina aus ihrer Deckung hervor, hinter die sie instinktiv gesprungen war. Trotzdem hatte ein kleiner, scharfer Splitter ihre blasse Wange aufgeritzt, so dass ein wenig Blut daran herab lief. "Du hättest uns ruhig vorwarnen können", keuchte die Donnerhexe fassungslos, während sie sich die kleine Wunde mit den Fingern befühlte. Kevin stand nur reglos neben ihr und glotzte. "Hey, ihr seid Lancelor, so was müsst ihr abkönnen..." Melissa schenkte ihnen ein weiteres, kaltes Lächeln, ehe sie ihren Arm zum Test ein paar Mal anspannte und wieder locker ließ. Dem silbernen Körperteil war nichts passiert, nur die große Schiebetür lag eingebeult und zersplittert zu ihren Füßen. Zufrieden wandte sich das Mädchen mit dem Silberauge dem Inneren der Lagerhalle zu... Die ganze Welt um sie herum schien plötzlich explodieren zu wollen. Etwas Riesiges brach mit ungeheurer Kraft aus der Halle hervor und sprengte dabei den leeren Türrahmen, so dass Putz und weitere Wandstücke durch die Luft wirbelten. Der Boden unter ihnen bebte, die Decke drohte einzustürzen und das gigantische Etwas stieß einen schrecklichen, dröhnenden Schrei von sich. Zeliarina sah nur noch eine Wolke aus Staub, die sie alle einhüllte und die Sicht versperrte. Vage nahm sie das wilde Fluchen von Pendrian hinter sich wahr und sah die Umrisse einer anderen Gestalt vor ihr. Der Staub war so dicht, dass Zeliarinas Augen tränten und sie halbblind durch den Gang taumelte, um irgendjemanden Vertrautes zu erreichen. Dunkan schrie ihren Namen, doch sie konnte ihn weder sehen, noch wusste sie aus welcher Richtung seine Stimme kam. Der einzige Anhaltspunkt in dieser Welt aus Staub und Geschrei war der undeutliche Schemen vor ihr. Sie musste bis auf zwei Meter herankommen, um zu erkennen, dass es Melissa war, die mit ihrem Silberauge einen bestimmten Punkt vor ihr genau fixierte. Gerade als Zeliarina die Lancelorin fragen wollte, was sie in dem ganzen Durcheinander entdeckt hatte, durchbrach plötzlich ein riesiger Arm die Wolke aus Putz und Staub und traf Melissa mit voller Härte. Das Mädchen riss zwar noch ihren Silberarm schützend von sich, doch die Wucht des Schlages ließ sie einmal quer durch den ganzen Gang fliegen. "Melissa!" Blankes Entsetzen durchflutete den ganzen Körper der Donnerhexe. Hilflos sah sie mit an, wie Melissas Körper von der undurchsichtigen Wand aus Staub verschluckt wurde, ehe sie hastig zurückwich, um sich selbst vor dem Etwas aus der Lagerhalle zu retten. Während sich der Nebel einfach nicht lichten wollte, warf sich Zeliarina verzweifelt in eines der Seitenbüros. Sie wagte es nicht bei einer minimalen Sicht um sich zu schießen und hatte gleichzeitig Angst, ein anderer von ihnen könnte es tun und sie dabei treffen. Hier konnte sie wieder klar sehen und die Geräusche vom Gang drangen nur noch gedämpft zu ihr. Mit klopfendem Herzen sah sich Zeliarina um. Ein Spiegel hing in diesem Büro an einer Seitenwand neben dem Schreibtisch. Als sie hinein sah, blickte ihr ein Mädchen mit zerzausten blonden Haaren und vom Staub geröteten, hellgrünen Augen entgegen. //Zeliarina, komm zu uns. Wir brauchen die Wächterin Thundenstars.\\ Die junge Donnerhexe zuckte zusammen und sah sich hastig in dem kleinen Büro um, doch die Stimme war nur in ihrem Kopf. Victorias Stimme. Auch wenn sie wie immer frei jeglicher Gefühle war, wusste Zeliarina irgendwie, dass darin Bitten lag. Ohne Nachzudenken verstärkte die Hexe den Griff um ihre Pistole und rannte wieder nach draußen. Der Staubnebel hatte sich inzwischen gelegt, nur eine dicke Schicht aus flockigem Putz bedeckte noch die Erde. Der Eingang zur Lagerhalle war vollständig zerstört, der Türrahmen von riesigen Schultern gesprengt und die Metalltür von gigantischen Füßen zertreten. Und zwischen all dem Chaos stand ein großer Krieger aus gelbem Sandstein mit breiten Schultern und dicken Armen, der ihr den Rücken zuwandte. Er sah beinahe menschlich aus, wenn man einmal davon absah, dass er dreifach so groß war wie ein gewöhnlicher Mann, so dass er nur gebeugt in den Gang passte. Ein Golem. "Nein!" Der Golem holte zu einem gewaltigen Schlag gegen Dunkan aus, der besorgt neben der offensichtlich reglosen Melissa kniete. Victoria schoss ihr ganzes Magazin auf den Feind, doch dieser blockte die Runenmunition mit seinem Arm ab. Der dicke Sandsteinkörper schien dabei kaum Schaden davonzutragen, aber es war für Kevin zu riskant ebenfalls seine Waffe einzusetzen. Ein Schuss mit der abgesägten Schrotflinte hatte eine zu große Streuung. "Zeliarina! Vorsichtig, geh zurück in Deckung! Es ist zu gefährlich! Das Ganze ist ein wenig außer Kontrolle geraten!", schrie Dunkan, als er seine Schülerin entdeckte. Pendrian spuckte zornig auf den Boden, riss seine Waffe aus dem Halfter und schoss wütend auf den Golem ein. Gegen die Feuerkraft von zwei Pistolen musste das Ungetüm langsam zurückweichen. Dicke Stücken splitterten aus seinem Steinkörper heraus, doch trotzdem schien das noch nicht zu genügen. Mit einem dröhnenden Schrei stürzte sich der Golem auf die Lancelor. "Haut ab!", schrie Zeliarina panisch. Pendrian und Victoria schossen unbeeindruckt weiter, während Dunkan verzweifelt versuchte das Klirren der auf den Boden aufschlagenden Patronenhülsen zu übertönen: "Wir können Melissa hier nicht liegen lassen! Und solange wir nicht wissen, ob sie sich nicht irgendetwas mit dem Genick getan hat, können wir sie auch nicht wegtragen!" Plötzlich verstummte das Trommeln der Pistolenkugeln. Den beiden Kämpfenden war gleichzeitig das Magazin leer gegangen. "Scheiße!" Verzweifelt stellte sich Dunkan schützend vor Melissa und die anderen und zog nun seinerseits seine Waffe, doch Kevin stieß seinen Mentor grob zur Seite. "Aus dem Weg! ALLE!" Energisch ließ sich der Elementare des Feuers auf ein Knie fallen und legte seine Flinte an. Zeliarina konnte gerade noch rechtzeitig zurück in das Büro hechten, bevor der gewaltige Knall des Schusses durch das ganze Gebäude hallte. Als die junge Hexe wieder in den Gang trat, fehlte dem Golem der halbe Arm und Kevin lag vom Rückstoss umgeworfen auf dem Rücken. Feiner Rauch kräuselte sich aus seiner Waffe. Einen Augenblick lang war es unheimlich still. Dann brüllte der riesige Steinkrieger ein weiteres Mal und ging auf seine Feinde los. Alle mussten nachladen. Dunkan schoss noch ein paar vereinzelte Kugeln ab, doch sie richteten nichts aus... Das konnte es doch nicht sein... Ein einziger rasender Golem konnte doch nicht ihr Ende sein... Plötzlich spürte Zeliarina ein Kribbeln in ihrem Körper, ein Kribbeln, das aus ihren Füßen und aus dem Kopf, den Armen und den Beinen kam und über den rechten Arm bis in ihre Fingerspitzen wanderte. Dort staute es sich immer und immer mehr, bis die ganze Luft um sie herum durch die elektrisierende Spannung knisterte. Die verschnörkelten Symbole auf ihrer Hand begannen in einem orangefarbenen Licht zu glühen, als würde man Eisen in brennendes Feuer halten. "Du wirst ihnen nichts tun!" Ein blendend heller, weißer Lichtstrahl brach aus ihrer Handfläche hervor und traf den Golem mit solch einer Wucht, dass dieser auf die Knie fiel und letztendlich völlig zu Boden stürzte. Die anderen Lancelor mussten vor dem Licht die Augen schließen, so dass im ersten Augenblick nur Zeliarina den schwarz verkohlten Rücken des Steinkriegers sah. //Ist er besiegt?\\ Diesmal erschrak die Hexe nicht, als sie wieder Victorias Stimme in ihren Gedanken hörte. Die Telepathin hielt die Pistole immer noch vor sich ausgestreckt und wartete wohl darauf, dass Zeliarina Entwarnung gab, bevor sie bereit war ihren Schutz zu vernachlässigen. "Ja, er scheint erledigt..." Sie sprach bewusst laut, damit auch die anderen sich entspannen konnten. Es dauerte noch einige Sekunden, ehe sie ihre geblendeten Augen wieder langsam öffneten. Kevin pfiff angesichts des heftigen Magieangriffs von Zeliarina anerkennend, ehe er seinem Mentor Dunkan verzeihend auf die Schulter klopfte. "Sorry, dass ich dich wegschubsen musste..." "Kein Problem", antwortete Dunkan mit einem Lächeln, "Besser, als wenn du schießt ohne mich aus der Bahn zu werfen..." Der Palas begutachtete den Gang, der sich durch ihren Kampf in ein gewaltiges Trümmerfeld verwandelt hatte. Kevins Schrotkugeln hatten große Löcher in die Wände geschlagen, die Decke war angerissen, der Boden mit Staub bedeckt, die Metalltür kaputt und Teile der Wand niedergerissen, so dass die dahinter liegenden Büros zu sehen waren. "Caplin wird sich freuen", lachte Kevin fröhlich, ehe er seine Tüte mit Sonnenblumenkernen aus der Westentasche zog und einige locker in seinen Mund warf. Er bot auch Victoria welche an, doch das Mädchen lehnte dankend ab. "Schön, dass ich schon vergessen wurde", brummte eine weitere Stimme sauer. Melissa hatte das Bewusstsein wiedererlangt und richtete sich auf, während ihr Silberarm ihren Hinterkopf befühlte. Als sie sich die Hand ansah, klebte ein wenig Blut an den glänzenden Fingern. "Mein Schädel...", stöhnte sie nur. Dunkan zog ein schmales Reagenzglas gefüllt mit einer dunkelroten Flüssigkeit aus seiner Tasche, entkorkte den Stöpsel und gab es dem Mädchen mit dem Silberauge. "Trink das... Damit werden deine Wunden schneller heilen..." "Was ist das?", fragte Melissa misstrauisch, ohne den Blick von dem Fläschchen lösen zu können, "Es sieht aus wie Blut..." Dunkan sagte nichts, sondern wartete geduldig, bis sich das Mädchen überwunden hatte es zu trinken. Obwohl Zeliarina neugierig war, fragte sie nicht, was das für ein Mittel war. Ihre grünen Augen trafen sich mit den eisblauen Victorias. //Es ist Blut... Ich lese es aus Dunkans Gedanken...\\ Auch die kühle Schönheit zog jetzt ein kleines Fläschchen mit ein paar dunkelblauen Kapseln hervor und schluckte zwei davon nach einem Blick auf die Uhr. "Und was ist das?", fragte Kevin interessiert, während er weitere Sonnenblumenkerne mampfte. Der ganze Boden zu seinen Füßen war bereits voll mit den hauchdünnen Schalenresten. "Ich muss sie seit meinem Unfall vor drei Jahren täglich aller fünf Stunden nehmen." Zeliarina spürte, dass Victoria ihnen nichts über ihren Unfall erzählen wollte, denn sie wandte sich schnell ab und schluckte die Kapseln. Kevin beobachtete sie noch eine ganze Weile lang. Zeliarinas Blick dagegen wanderte zu dem gefallenen Golem. Ihr Herz setzte fast aus, als sie dabei sah, dass einer seiner sandgelben Finger kurz zuckte. "Er bewegt sich! Er lebt noch!", stieß sie panisch hervor. Kevin, Victoria, Pendrian und Dunkan starrten sie kurz verständnislos an, dann sahen sie ebenfalls die Bewegungen der Steinhand, legten innerhalb von Sekunden neue Magazine oder Schrotpatronen in ihre Waffen und richteten sie blitzartig auf den sowieso schon zerstörten Rücken des Golem. "Bringen wir es zu Ende, ehe er sich wieder erholt", zischte Pendrian energisch. Er wollte gerade das Kommando zum Feuern geben, als sich Melissa hastig erhob und den Kopf schüttelte, dass ihr rotes Haar flog. "Nicht! Schießt auf keinen Fall!" Verwirrt ließ Zeliarina ihre Pistole sinken. "In seinem Inneren sind zwei Menschen. Einer von ihnen ist schon durch uns verletzt!", meinte Melissa schließlich bitter. Dabei sah sie Kevins Schrotflinte viel sagend an. "Wieso sollten Menschen in dem Golem sein? Du musst dich irren...", murmelte der Elementare schwach. Melissa sah ihn zornig an, ihre Augen funkelten bedrohlich. "Ich kann mich vielleicht mal irren, aber mein Silberauge irrt sich niemals, okay? In dem Golem sind Menschen!" Mit einem verächtlichen Schnauben beugte sie sich über das Steinwesen, fixierte es kurz mit ihrem Auge und stieß schließlich ihre Silberfaust mit Leichtigkeit durch die zentimeterdicke Außenhülle oberhalb des linken Schulterblattes. Ein schrecklicher Sterbelaut entfuhr dem Golem, doch Melissa riss nun unbeeindruckt an der dicken Sandschicht, bis sie Risse bekam und abbrach. Das abgerissene Stück warf das Mädchen ungeachtet zur Seite. Durch den Körper des Golems ging nur noch ein schwaches Beben. "Tatsächlich...", hauchte Kevin ehrfürchtig. Der Steinkrieger war im Inneren hohl. Melissa riss weiterhin mit ihrem Arm große Stücke aus dem gelben Rücken, bis sie eine bewegungslose menschliche Hand freigelegt hatte. Der Hand folgten ein Arm und ein Oberkörper und schließlich ein ganzer Mann, der scheinbar in einer ungemütlichen Position mit einem anderen Mann im Inneren des Golems eingesperrt war. Beide regten sich nicht mehr. Einer von ihnen blutete stark am Oberschenkel, dort wo eine von Kevins Kugeln den Golem durchschlagen und dadurch den Menschen getroffen hatte. "Es sind Angestellte der Firma, sie tragen die Krawattennadel von ,Caplin und Partner'... Was hat das zu bedeuten?", murmelte Dunkan grübelnd. Victoria starrte unbeeindruckt auf den zerstörten Steinkörper und die geborgenen Gefangenen. "Der Golem ist fast tot und die Gedanken von solchen Wesen sind auch so meist zu stupide um gelesen zu werden, aber diesmal kann ich daraus erkennen, dass er für den Däezander handelt. Er wurde von ihm umgepolt. Sein Auftrag war es Menschen zu sammeln, damit ihr Blut für die Beschwörungszirkel vergossen werden kann..." "Der Feind ist also nicht untätig. Er bereitet sich darauf vor eine Dämonenarmee für den Krieg um die Götterschwerter aufzubauen", schnaubte Pendrian. Plötzlich klatschte jemand hinter ihnen. Erschrocken fuhren sie herum und starrten auf den jungen Mann, der locker an einem noch nicht zerstörten Teil der Wand lehnte und abfällig in die Hände klatschte. Sein rechter Arm bestand ab der Hälfte des Oberarmes aus Silber und seine Augen hatten die Farbe eines wunderschönen Rots. Auf seinem jungen Gesicht lag ein gehässiges Lächeln, während er jeden einzelnen Lancelor genau musterte. "Schön, schön... habt ihr also einen unserer Sammler ausgeschaltet. Macht nichts, es gibt davon noch genug andere auf der Welt..." "Ereos mit den Purpuraugen...", zischte Dunkan mit einem plötzlichen Abscheu in der Stimme, der Zeliarina verblüffte. Sie blickte den Hochdämon verwirrt an, doch dieser nahm seine roten Augen nicht von dem Palas und nagelte ihn mit einem stechenden Blick regelrecht fest. "John... lange nicht gesehen, nicht wahr? Scheinbar hast du nach all der Zeit endlich Ersatz für deine verlorene Liebe gefunden..." Ereos sah einen Herzschlag lang zu Zeliarina, so kurz, dass sie es fast gar nicht bemerkte. "Sie sieht ihr sehr ähnlich, oder?" "Halt's Maul!", schrie Dunkan außer sich vor Wut, während er seine Waffe auf den Dämon richtete. Ereos jedoch breitete unbeeindruckt seine Arme aus, als wolle er den Palas dazu einladen ihn niederzuschießen. "Tu es doch, John. Aber du hast genau wie alle anderen noch Runenmunition in deiner Pistole, also wird das kaum was bringen. Gott, alle Lancelor versuchen diesen Bluff immer wieder... Ihr seid alle... so kaputt..." Seine Augen wanderten von einem zum anderen und streiften schließlich Melissa. Aus dem hämischen Grinsen wurde ein ehrliches Lächeln, das das Mädchen vollkommen in seinen Bann zog. "Außer meiner Lieben hier. Ihre Seele ist wunderschön..." Melissa errötete. Als Ereos ihr einladend eine Hand anbot, nahm sie sie scheu an. "Bist du des Wahnsinns, Melissa? Er ist ein Dämon!" "Na und? In einem Augenblick gab er mir mehr, als der ganze Orden der Lancelor es je vermocht hatte. Er gab mir Verständnis und einen Arm und er gab mir mein Leben zurück." Ohne weiter auf die Worte ihrer Kameraden zu hören, ließ sich Melissa von Ereos auf die Füße helfen, ehe sie behutsam von seinen Armen umschlossen wurde. "Geh mit mir, Liebes. Entsage dich dem Orden der Menschen, der von unserem gemeinsamen Feind Dymeon unterwandert wurde, so dass wir mit aller Kraft gegen ihn kämpfen können." Seine Worte waren hauchzart, doch gleichzeitig so eindringlich, als hätte er sie angeschrieen. Sie spürte seinen warmen Atem sanft an ihrem Ohr und vergaß alles um sie herum, vergaß die Lancelor, vergaß den Orden. "Melissa, tu es nicht! Du hast dem Orden Treue geschworen!" Pendrians Brüllen schien in unerreichbarer Ferne zu liegen, unbedeutend, ungehört. Ja, sie hatte dem Orden geschworen, doch selbst dieser Schwur geriet bei Ereos' Berührung in Vergessenheit. Sie wollte nur noch bei ihm sein und an seiner Seite gegen Dymeon kämpfen, koste es was es wolle. "Melissa! Nein!", schrie jetzt sogar Zeliarina mit ängstlicher Stimme. Melissa konnte Tränen an ihren blassen Wangen herab laufen sehen, auch wenn sie nicht verstehen konnte warum. Keiner der Lancelor wusste, dass ihre Entscheidung die richtige war. Mit Ereos zu gehen und Dymeon zu richten war der einzige Weg. Doch die Lancelor klammerten sich in einer Zeit, in der die ganze Welt auseinander fiel, an einen sadistischen Mörder. Es waren Wesen wie Dymeon, die dem Begriff ,Dämon' seine schreckliche Bedeutung gaben, nicht solche wie Ereos. "Melissa, geh nicht mit ihm! Es ist alles nur ein Plan uns gegeneinander auszuspielen! Sie wollen Dymeon unschädlich machen und Zeliarina töten, um ihr Thundenstar abzunehmen. Der Däezander hat schon tausende Menschenleben ausgelöscht und wenn sie erst einmal alle Götterschwerter besitzen, werden sie mit der Dunklen Dämmerung die gesamte Menschheit auf diesem Planeten ausradieren! Das kannst du nicht wollen! Du selbst bist ein Mensch!" Dunkans Stimme überschlug sich mehrmals und er sah sich gehetzt um, als hoffe er auf irgendein Wunder, das Melissa umstimmen würde. Doch das Mädchen schmiegte sich entspannt an Ereos und als sie sprach, war ihre Stimme völlig ruhig. "Wenn Ereos Zeliarina tatsächlich töten will, warum hat er es dann noch nicht getan? Wir wären für ihn kein Hindernis..." Dunkan schüttelte fassungslos den Kopf. Alle waren in ein entsetztes Schweigen verfallen, denn es dämmerte ihnen langsam, dass Melissa tatsächlich freiwillig mit einem der gefährlichsten Dämonen der Welt mitgehen wollte. "Aber... Oh Melissa... Sei doch nicht so blind! Er kann unsere Gedanken lesen... Verstehst du nicht, dass er genau deswegen nicht angreift?! Er sieht in deinen Gedanken, dass du ihm dann nicht folgen würdest!" "Lüg nicht, John. Lügen ist eine schwere Sünde, deine Geliebte würde sich im Grabe umdrehen...", neckte Ereos mit einer schrecklichen Belustigung in der Stimme, dass in Zeliarina die heiße Wut aufstieg. Sie hatte gedacht, auch Dämonen folgten nur einem in ihren Augen richtigen Pfad, doch die Intrigen dieses Exemplars ekelten sie an. Sie sah genau die Siegesgewissheit in den roten Augen des Dämons. Er hatte es geschafft. Er hatte einen ersten Keil zwischen sie getrieben. "Die Lügen sind schon immer ein schweres Laster der Menschen gewesen", sinnierte Ereos ungestört weiter. Dunkan blieb nur mit größter Anstrengung beherrscht. "Ich...lüge...nicht! Du...bist...ein...Monster!" Der Palas betonte jedes einzelne Wort zwischen schweren, wütenden Atemzügen, denen er kaum noch Herr wurde. "Einst habe ich dich geachtet, John Dunkan", meinte Melissa plötzlich traurig. In ihren Worten lag eine Endgültigkeit, die schwerer zu ertragen war als alles andere zuvor. "Ich habe dich sogar in meiner naiven Art angeschmachtet. Doch jetzt sehe ich klar. Du und der Orden, ihr konntet mir nie genug Verständnis entgegenbringen, da jeder zu sehr mit sich selbst beschäftigt war und niemanden an sich ranlässt... Wie Ereos gesagt hat, wir alle sind kaputt... Auch du hast ein Geheimnis, dass dich innerlich von den anderen abschottet, nicht wahr? Wie sonst könntest du Dymeon bereits vor seiner Verbannung kennen, obwohl das schon fünfundzwanzig Jahre zurückliegt?" Dunkan schwieg unbehaglich. Zum ersten Mal erkannte Zeliarina die Unlogik, die darin steckte. Vor Dymeons Verbannung dürfte Dunkan noch gar nicht geboren gewesen sein. Auch Kevin starrte seinen Mentor fassungslos an, während Melissa langsam den Kopf sinken ließ. Ereos beugte sich zu ihr herab, küsste ihre Wange und strich durch ihr rotes Haar. "Du hast Recht, Liebste... Sie alle haben tief in ihrem Herzen ein geheimes Laster... Ich sehe es deutlich in ihren Seelen... Pendrians Hass auf Dymeon, Victorias Gefühllosigkeit, alles hat Gründe, von denen sie nicht erzählen. Selbst dieser Kevin trägt eine schreckliche Vergangenheit mit sich..." Der junge Elementare zuckte wie durch einen unsichtbaren Schlag getroffen zusammen. Beruhigend legte Victoria eine weißhäutige Hand auf seine Schulter. "Willst du uns mit ein wenig Gedankenlesen beeindrucken, Hochdämon? Auch ich bin eine Telepathin und könnte ohne weiteres von deinen schrecklichen Taten und Erlebnissen berichten..." "Vergleiche mich nicht mit dir, gefühlskaltes Kind! Du kannst vielleicht ein paar gerade ausgeführte Gedanken mithören, doch ich kann mit einem einzigen Blick in deine Seele sehen! Ich kann dir alles von dir erzählen, dein Leben, deine Ängste, deine Wünsche...und was in deinen blauen Kapseln ist..." Auch Victoria verstummte jetzt schlagartig. Ein siegreiches Lächeln zeichnete sich auf Ereos' dünnen Lippen ab. "Siehst du, Liebste?", säuselte er ihr ins Ohr, "Das ist der Unterschied zwischen den Lancelor und dem Däezander... Wir erzählen uns alles, wir teilen alles. Das macht uns stark. Ein Orden, in dem jeder seinen eigenen Weg geht, kann nicht die richtigen Entscheidungen treffen. Deshalb komm mit mir in eine Welt des Vertrauens und der Hilfe, in der du Unterstützung gegen Dymeon finden wirst. Es ist egal, dass du kein Dämon bist. Es kommt nicht darauf an, ob du deine Hände zu Klauen formen kannst oder ob Aramea durch dein Blut fließt. Komm mit mir..." "Nein, Melissa! NEIN!" Doch Dunkans Worte blieben unerwidert. Melissa schlang ihre Hände hinter Ereos' Hals zusammen und ließ sich von ihm auf die Arme nehmen. Noch ein letztes Mal starrte der Hochdämon Victoria merkwürdig durchdringend an, dann schritt er gelassen davon. Er war mit dem Mädchen mit dem Silberauge verschwunden, noch ehe Dunkans abgefeuerte Pistolenkugel ihn erreichte... Entsetztes Schweigen breitete sich über die Lancelor aus wie ein dunkler Vorhang... Gott, ich glaube ich hatte damals noch nie soviel geweint wie an diesem Tag. Die Tränen flossen und flossen, während mich irgendeine Hand sanft an der Schulter ergriff und aus dem Gebäude führte. Dann folgten Worte, gequälte Worte von gequälten Menschen, die an meinem Ohr vollkommen leer und sinnlos ankamen. Irgendwer, ich glaube Pendrian, übergab dem erleichterten Caplin seine zwei entführten Mitarbeiter, ließ beiläufig etwas über den etwas mitgenommenen Zustand der sechsten Etage fallen und nahm ihr Honorar für die Beseitigung des Golems entgegen. Als ich meine Umwelt wieder halbwegs durch tränenverschmierte Augen erkennen konnte, saß ich bereits mit Kevin, Victoria, Dunkan und Pendrian in dem Helikopter, der uns nach Chester gebracht hatte. Mit einem lauten Aufkreischen der Rotoren erhob er sich und flog schon bald durch dichte, endlose Schneeböen. "Er hat uns eine Warnung gesandt", murmelte Victoria plötzlich mit ihrer emotionslosen, in diesem Augenblick beinahe unerträglichen Stimme. Es waren die ersten Worte, die die Lancelor seit der Begegnung mit Ereos wieder miteinander wechselten, denn der Hochdämon hatte alte Seelenwunden gnadenlos in jedem von ihnen neu aufgerissen. "Er hat sich, kurz bevor er gegangen ist, von mir in den Kopf schauen lassen und gesagt: ,Seid froh, dass ich heute nicht gekommen bin um Thundenstars Wächterin zu töten, denn es wäre zweifellos in meiner Macht gewesen. Also bereitet euch vor. Bei unserer nächsten Begegnung werde ich sie, Dymeon und euch alle mit Freuden in Stücke reißen...'" 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