Zweiter Betriebsausflug des Enma-Cho 1998 von Feyval (angesiedelt nach Band 8, weil ich weder Zeit noch Geld hatte ihn zu kaufen v.v) ================================================================================ Kapitel 8: TAG X, JAHR X, AUSSERHALB DER RAUMZEIT ------------------------------------------------- Watari ärgerte sich in der Tat. Aber nicht über seine Freunde und Kollegen, sondern über sich selber. Weil er keine Taschenlampe dabei hatte. Im allgemeinen stellt man sich eine Hölle ja recht gut beleuchtet vor, durch das viele Feuer und so. Fehlanzeige. Es war stockdunkel. Watari sah NICHTS. Der anfängliche Sturm hatte sie beide durchgeschüttelt und war dann allmählich in der Versenkung verschwunden. Ihre momentane Situation zeichnete sich durch einen akuten Mangel an dimensionalen Attributen aus. Auf gut deutsch: Es gab keinen Boden. Das wäre ja vielleicht noch zu verkraften gewesen. Vielmehr beunruhigte Watari, dass sie nicht einmal fielen. Zumindest gab es keine Zugluft, die darauf hindeutete, dass sie sich überhaupt fortbewegten. Sie hingen irgendwo zwischen den Dimensionen und warteten auf den Aufzug (Das könnte von Terry Pratchett sein, hm?^_^). Der einzige Anhaltspunkt in dieser grenzenlosen Leere war Murakis Mantel. „Lass los.“ Murakis Stimme hallte durch den Raum und verlor sich in der Ferne, da nichts da war, was ein Echo zurückwerfen konnte. „Da wär ich schön blöd“, gab Watari zurück. Auch seine Stimme klang so komisch leise. „Jetzt wo ich dich endlich hab.“ „Lass los!“ Muraki war genervt. „Glaubst du, ich lasse mich von dir bevormunden?“ „He, sachte sachte!“ Watari versuchte, sich weiter festzuhalten, während Muraki damit beschäftigt war, seine Finger aufzubiegen. „Hör auf, Muraki! Wenn wir uns trennen, grillen uns die Dämonen zum Frühstück!“ „Auf welchem Feuer?“ „Erkennst du keine Metapher, wenn du sie hörst? He! Lass meine Finger!!“ Eine Weile rangen sie schweigend miteinander. „Ich wusste gar nicht, dass du solche Berührungsängste hast“, meinte Watari schließlich. „Habe ich nicht.“ Eine Faust landete auf Wataris Brustkorb. „Uff!“ ächzte der Chemiker. Er fing sich gerade noch rechtzeitig. Fast wäre Muraki ihm entwischt. Geistesgegenwärtig zog er an der Faust, die ihn getroffen hatte und klammerte sich mit beiden Armen an Muraki fest. Der Doktor hielt inne. „Sieh an“, entgegnete er spöttisch, als Watari sich unwillkürlich entspannte. Das strähnige Haar des Doktors berührte sein Gesicht und sein Herz begann schneller zu schlagen. Er fühlte Murakis Hände auf seinen Schultern. Sein Verstand sinnierte in diesem Moment darüber nach, dass sein Blut wahrscheinlich zu 90% aus Adrenalin bestand. Seinen Körper hingegen durchlief eine wohlige Wärme, die sich mit nichts von dem vergleichen ließ, was Watari zuvor erlebt hatte. Seine Sinne waren geschärft, und doch schien alles in einem Nebel zu versinken. Energie strömte ihm bis in die Fingerspitzen, und gleichzeitig wurden ihm die Knie weich. Watari spürte den kühlen Stoff von Murakis Mantel in seinen Handflächen, spürte, wie dieser warm wurde, und dann bewegten sich seine Hände ganz von alleine... „Deshalb bist du hier.“ Murakis lächelnder Mund war ganz nah an Wataris Ohr. „Unter anderem“ Es fiel Watari sehr schwer, sich nicht von seinen Gefühlen einnehmen zu lassen und sich loszureißen. Zu gern hätte er Muraki jetzt geküsst und mit ihm ein paar offene Rechnungen bezüglich dieser Sache beglichen, aber so wurde das nichts. Er war hier, um Muraki von seiner Maske zu befreien, nicht von seinen Klamotten. Watari legte dem Doktor die Hände auf die schultern und brachte erst einmal etwas Abstand zwischen sie beide, damit er klarer denken konnte. „Puh!“ „Berührungsängste?“ „Nein“, diese Stimme! dachte Watari. Dann atmete er tief durch, um sich zu beruhigen. „Nein, gute Vorsätze.“ Muraki lachte und wickelte eine von Wataris Locken um seinen Finger. Dieser gab sich Mühe, es zu ignorieren. „Was hast du jetzt vor?“ fragte der Chemiker. „Ich warte.“ „Worauf? Dass die 2000 Jahre rumgehen?“ „Nein. Darauf, dass du deinen Mund für etwas Sinnvolleres einsetzt als Sprechen.“ „Mir fällt da spontan nur Pizza ein. (Hui, das hat gesessen! *anfeuer!*) Und wenn du brav bist, fällt mir GANZ VIELLEICHT noch mehr ein.“ Er zupfte an Murakis Mantel. „Aber jetzt mal im Ernst: Warum willst du... ah!“ Muraki ließ ihn los. Plötzlich knirschte und krachte es. Sie stolperten beide und landeten ziemlich unsanft auf felsigem Untergrund. Kies rieselte und knirschte und ein paar Gesteinsbrocken polterten in die Tiefe. Das Geräusch wurde leiser und endete schließlich in einem fernen Krachen. „Aua!“ Watari rieb sich die Ellenbogen. „Verd...!“ Er hielt inne. Vor sich im Dunkeln erkannte er schemenhaft seine Hände. Die linke Handkante blutete, doch die Wunde war bereits dabei, sich zu schließen und schimmerte dabei ganz schwach in einem violetten Licht. Watari sah auf. Ein paar matte Sterne glänzten zwischen den Wolken am Himmel. Himmel? – Moment! Watari stand auf und glaubte, Murakis weißen Mantel vor den schwarzen Steinen zu erkennen. Dann durchbrach der Mond die rauchigen Wolken und er konnte Muraki wieder ins Gesicht sehen. Wie ein gefallener Engel sah er aus. Ganz in weiß, und mit einem Blick so kalt wie ein Eiszapfen. Watari verließ wieder der Mut. Im Dunkeln, ohne diesen Blick, war alles irgendwie viel einfacher gewesen. Ihm war fast, als erwache er aus einem Traum. Sie befanden sich auf einer Art flachem Nebengipfel, der wie ein Dorn aus dem riesigen Hauptkegel herausragte. Auf drei Seiten ging es senkrecht nach unten. Watari fröstelte. Ein leichter Wind erhob sich und wehte ihm die Haare ins Gesicht. Murakis Schatten bewegte sich auf den Rand zu. Kies und Geröll knirschten. Watari folgte ihm und rieb sich mit klammen Fingern die Arme. Möchte wissen, wer das Feuer hat ausgehen lassen, dachte er mürrisch. Muraki stand an der Kante des Vorsprungs und blickte in den schwarzen Nebel tief unten. Watari betrachtete ihn und versuchte, in den Abgründen von Murakis Seele etwas zu erkennen. Das hier würde ganz und gar nicht einfach werden... „Du gibst wohl immer noch nicht auf, hm?“ Muraki lächelte selbstgefällig. „Ich gebe nie auf.“ „Das hat einen Nachteil.“ Der Doktor wandte sich um. „Du kannst nicht mehr zurück. Selbst wenn du bemerkst, dass alles ein Fehler war“ „Du glaubst, ich mache einen Fehler bei dir?“ Ihre Blicke fochten einen stummen Kampf. „Na gut, vielleicht hast du recht. Ich werde meine Frage anders stellen: Was erhoffst du idr davon, wenn du Rache nimmst?“ „Ich glaube nicht, dass du in der Position bist, Fragen zu stellen.“ „Ich bin Wissenschaftler, Muraki, ich stelle immer Fragen. Und damit wir uns nicht falsch verstehen: Jeder wäre an deiner Stelle wahrscheinlich wütend. Aber glaubst du wirklich, dass du dich besser fühlst, wenn du Saki durch die Mangel drehst?“ Muraki lächelte nachsichtig, so wie man über einen Fünfjährigen lächelt, der fragt: Du Papa, glaubst du jemand hat die Sterne an den Himmel gehängt? „Mein ganzes Leben lang habe ich darauf gewartet.“ In Murakis Augen flackerte es. „Ich werde erst meinen Frieden finden, wenn Saki bezahlt hat!“ Er ging auf Watari zu und packte ihn am Hals. „Kch!“ Der Chemiker wehrte sich energisch, doch Muraki drückte zu. „Du hast keine Ahnung!“ zischte er und genoss jedes Wort, als er Wataris schmerzverzerrtes Gesicht ganz dicht vor das seine brachte. „Du armseliger kleiner Wurm. Du glaubst, mich zu kennen?“ Er lachte leise. „Ich werde dir zeigen, was ich bin.“ Sein Schraubstockgriff löste sich und seine Finger um fassten Wataris Kinn. Dieser hustete und rieb sich den Hals. „Ich werde mir das zurückholen, was Saki mir genommen hat.“ „Th...!“ Aus Wataris Keuchen wurde ein Lachen. „Du weißt, wer du bist? Dass ich nicht... lache...“ Er hustete. „Saki hätte dir dein Leben nicht kaputt machen können, wenn du es nicht zugelassen hättest!“ Murakis Augen begannen in einem kalten Licht zu glühen. Ein scharfer Schmerz kam aus den Fingern des Doktors und fuhr Watari in die Knochen. Er schrie auf, stürzte und fand sich auf dem Kies wieder. Es fühlte sich an wie ein Stromschlag, der jeden Normalsterblichen sofort unter die Erde gebracht hätte. Du hättest es wissen müssen, dachte Watari bitter. Seine Zunge war taub und sein Kiefergelenk schmerzte. Vorsichtig begann er sich aufzurichten und festzustellen, dass noch alles ganz war, als Muraki ihn erneut packte und auf die Beine zerrte. Den rechten Oberarm im eisernen Griff des Arztes blieb Watari nichts anderes übrig, als zu folgen. Muraki zog ihn an den rückwärtigen Rand des Vorsprungs und stieß ihn die steile Schräge hinunter. Mit Befriedigung vernahm der Doktor das Poltern und Krachen und schließlich den dumpfen Aufprall, als Watari stöhnend auf dem kleinen Bergjoch zwischen Neben- und Hauptgipfel liegen blieb. Sollte er nur schreien, das änderte auch nichts daran. So endeten sie alle, auf die eine oder andere Weise. Alle, die glaubten, sie könnten sich ihm in den Weg stellen und ihn bevormunden. Alle, die sich einbildeten, sie hätten auch nur eine Ahnung von dem, was in ihm vorging. Diese letzte Rache war sein Ziel, sein unausweichliches Schicksal. Dann wäre er endlich frei... Mit einem verächtlichen Gesichtsausdruck stieg Muraki den Abhang hinunter. Als er auf dem Joch ankam, war Watari gerade dabei, sich mühsam aufzurichten. Erbärmlich, dachte Muraki, genauso schwach, erbärmlich und naiv wie alle anderen. Wenn sie wüssten, welche Abgründe in den Tiefen ihrer Seelen lauerten, hätte keiner von ihnen mehr das Selbstvertrauen, ihm entgegenzutreten. Er ging auf Watari zu, als dieser gerade das Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Bemerkenswert..., dachte Muraki, als ihre Blicke sich begegneten. Watari zeigte nicht eine Spur von Angst. Gewiss, man sah ihm die Schmerzen an. sicher hatte er sich ein paar Knochen gebrochen. Aber das war nicht das gleiche. Wataris Blick spiegelte direkt sein Innerstes wider, die Quintessenz seines Selbst, und er schien so sehr darauf zu vertrauen, dass er es gar nicht für nötig hielt, irgendeine Art von Barriere oder Schutz zu errichten. Die meisten Menschen brachen in solchen Augenblicken in Tränen aus, gerieten in Zorn oder einen Schreckzustand oder bettelten um Gnade. Watari tat nichts, und trotzdem fühlte Muraki sich irgendwie so, als sei er entwaffnet. Wie vorhin im Gerichtssaal, als Watari ihn angesehen hatte, mit diesem Blick. Das Eis wurde dünn. Muraki entschied sich gegen einen weiteren Schlag, denn im Augenblick hatte er weder Zeit noch Lust, diesen widerspenstigen Geist in Trümmer zu zerlegen. Das würde langwierig werden. Er sah an Watari hinunter, tastete mit seinem Blick die Risse und Schrammen ab, die der Sturz verursacht hatte und versenkte sich in die Betrachtung des wohlgestalten Körpers vor ihm. Als er wieder aufblickte, wartete eine weitere Überraschung auf Muraki: Watari lächelte breit. Er war nicht etwa beschämt, wütend oder verängstigt. Er hatte nicht einmal diesen typisch schwärmerischen Ausdruck, wie ihn manche Frauen, wenn sie mit seinem Blick konfrontiert wurden, gerne an den Tag legten. Im Gegenteil, er schien richtig Spaß zu haben! Muraki wandte sich abrupt ab, doch er fühlte noch die Nachwirkungen von Wataris direkten Augen und seinem ganzen Erscheinungsbild. Etwas an seiner Festung aus Eis bröckelte. Doch da er sie so umfassend und weitläufig errichtet hatte, konnte er nicht herausfinden, wo... Er eilte den steilen Berghang hinunter, ohne auszurutschen. Spalten und Vorsprünge, die ihn eigentlich hätten stolpern lassen müssen, glätteten sich von selbst, als sein Fuß sie berührte. Irgendwo hinter ihm polterten Steine. Murakis Lächeln flackerte kurz auf und erlosch gleich wieder. Diese Klette von Wissenschaftler war ihm lästig. Wenn der sich ihm weiter in den Weg stellte, würde er sich die Zeit nehmen müssen, ihn auszuschalten. Aber vielleicht war das gar nicht nötig, vielleicht erledigte das jemand anderes für ihn. Denn er, Muraki, strebte dem Ziel seines Schicksals entgegen. Sein ganzes Leben richtete sich auf diesen einen Moment hin aus, alle seine Wege endeten dort: bei Saki. Und unaufhaltsam kam ihm das Schicksal entgegen, räumte ihm die Stolpersteine aus dem Weg und beschleunigte seine Schritte. Watari hingegen fiel hin und rutschte in paar Meter den Abhang hinunter. Weiter unten sah er Muraki im schwarzen Nebel verschwinden. „Verdammt!“ Er biss die Zähne zusammen und presste die Hand auf einen großen Riss in seiner Hose direkt neben dem Knie. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor und glänzte im fahlen Mondschein, als es auf die rauen Steine tropfte. „Komm schon!“ Die Wunde schimmerte in mattem violetten Licht und heilte, aber viel zu langsam. Nach den vielen Stürzen fühlte Watari sich wie gerädert, aber das war es nicht allein. Furcht streckte ihre kalten Finger nach ihm aus und ließ ihn sich immer wieder hastig umdrehen, ließ ihn die Schatten zwischen den Felsen absuchen nach jenen „Dingen“, von denen er nicht einmal eine klare Vorstellung hatte. die Angst nagte an seiner Hoffnung und beschwor düstere Gedanken in ihm herauf, doch als sie den Grund für seine Zuversicht entdeckte, da biss sie sich erst einmal die Zähne aus. Etwas an Muraki hatte sich verändert. Es mochte minimal sein, und Watari mochte sich täuschen, doch er war im Glauben an Murakis menschliche Seite bestärkt. Sein Vertrauen war ungebrochen. Noch. Mühsam stand er auf und rutschte mehr als dass er ging auf den Nebel zu. An der Stelle, an der er gesessen hatte, überzogen sich die Steine langsam mit einem schwachen Flimmern, als sammle sich heiße Luft über dem Boden. Ein knisterndes Geräusch war zu hören, wie von zerplatzendem Seifenschaum, während das dunkle Blut in den sich öffnenden Poren versickerte... Watari tastete sich durch die Dunkelheit. Der schwarze Nebel verschluckte alles Licht, legte sich wie ein dicker Teppich über die Gegend und hinterließ einen feuchten Film auf den Steinen. Gegen seine Angst kämpfend rutschte und stolperte Watari in irgendeine Richtung. Das Echo der Steine verriet ihm grob, wo oben und unten war, aber das war auch schon alles. Die Wunde an seinem Knie brannte, doch er eilte weiter, rannte fast. Er musste Muraki erreichen, bevor dieser Saki fand. Bevor die Dämonen hier aufkreuzten, denn dann war das Ende nur noch eine Frage der Zeit... Allmählich lichtete sich der Nebel und wurde dünner und leichter. Muraki erkannte das Ufer eines großen Sees, der im fahlen Mondlicht wie ein schwarzer Spiegel zwischen den steilen Bergen glänzte. Eine leichte Brise kräuselte die glatte Oberfläche, setzte die zähen Nebelschwaden in Bewegung und tastet sich an Muraki vorbei den Weg in die Berge hinauf. Das matte Licht fing sich im silbernen Haar des Arztes und in seiner hellen Kleidung und umgab ihn mit einer Art Schimmer. Deutlich hob er sich von seiner dunklen Umgebung ab. Weiter oben, noch etliche hundert Meter über dem See, wurde jemand – oder etwas – der weißen Gestalt gewahr. Ein lautloses Signal wurde ausgesandt. Muraki hob den Kopf. Dann wandte er sich nach rechts und ging zielstrebig am Ufer entlang. „Ist das dein Weg?“ Er blieb stehen. Dann lächelte er und sah nach oben. Watari stand auf einer Klippe. Seine Haare flatterten in der leichten Brise, das blasse Licht jedoch verfehlte sie. Im Gegensatz zu Muraki blieben weder Licht noch Dunkelheit an ihm haften. „Seit wann bin ich dir Rechenschaft schuldig.“ Muraki ging weiter. „Hier geht’s nicht um mich, schon vergessen?“ Der Arzt blieb wieder stehen. Vielleicht wurde das Spiel ja doch ganz amüsant. „Hast du dir mal überlegt“, fuhr Watari fort, „was einen Menschen definiert?“ „Seine Intelligenz.“ „Falsch. Das ist höchstens eine Voraussetzung. Auf der Grundlage von Intelligenz und Emotionen ist der Mensch in der Lage, Entscheidungen zu treffen. Er besitzt die Fähigkeit, seinen Weg zu wählen. Als Mensch, Muraki, hast du immer die Wahl. Das macht es aus.“ Muraki wollte weitergehen, aber Watari sprang von der Klippe und stellte sich ihm in den Weg. Sein Blick war jetzt nicht mehr nur direkt, er war angriffslustig. Von seinen Verletzungen war nichts mehr zu sehen, bis auf ein paar Risse in der Kleidung. „Aus dem Weg.“ „Du wollest mir zeigen, was du bist, Muraki. Also bitte. Wenn du dich für einen Menschen hältst, dann triff eine Entscheidung. Oder hat Saki es geschafft, dich zum Dämon werden zu lassen?“ „Ich habe meine Wahl getroffen. Dies ist der einzige Weg. Das ist so festgelegt, und daran wirst auch du nichts ändern.“ „Das Schicksal ist immer nur eine Möglichkeit. Du kannst dich dafür entscheiden und es dir leicht machen...“ Watari trat einen Schritt vor und streckte die Hand aus. „...oder du drehst dich um, und kommst mit mir zurück.“ Alle Härte war aus seinem Gesicht gewichen. Wataris Selbst formte nun keinen Widerstand mehr, sondern das genaue Gegenteil. Er war jetzt nicht mehr die Mauer zwischen Muraki und seinem heiß ersehnten Ziel, sondern ein zweiter Weg, eine Möglichkeit. Und Muraki sollte die Wahl treffen, zwischen seinem Schicksal und diesem merkwürdigen Watari. Dieser Verrückte war doch tatsächlich ernsthaft der Meinung, er stelle eine Alternative dar. Muraki lachte. Es klang hart und spröde, so wie er es beabsichtigt hatte, und mit Genugtuung sah er den Sprung der Enttäuschung in Wataris Blick. „Zurück?“ Er legte den Finger an die Lippen, um nicht noch einmal lachen zu müssen. „Warum sollte ich zurück wollen?“ Wieder strich sein Blick über Wataris Körper. „Doch wohl nicht wegen dir?“ „Um mich geht es hier nicht. um dich mach ich mir Sorgen. Wenn du Saki vernichtest, wirst du nie wieder zurückkehren können. Nie wieder, klar? Dann musst du hier bleiben, für immer.“ Murakis Augen funkelten. „Du auch.“ „Aber wenn du zurückgehst, erhältst du eine zweite Chance. Ein neues Leben, das Saki dir nicht mehr kaputt machen kann. Wäre Saki nicht gewesen, wärest du doch gar nicht hier, oder?“ Watari kam noch einen Schritt näher, so nah, dass er Muraki hätte berühren können. „Wenn du mitkommst, kannst du wieder ein Mensch sein. Aber wenn Saki durch deine Hand stirbt, dann stirbt auch das letzte Stück Mensch in dir.“ „Na und? Was kümmert dich das.“ „Natürlich kümmert mich das! Sonst wär ich doch nicht hier!“ Muraki lächelte verächtlich. „Du bist genauso erbärmlich und naiv wie alle anderen. Und ich hatte mal geglaubt, du wärest vernünftig.“ Watari lächelte herausfordernd. „Ich war nie vernünftig.“ Murakis Augen verengten sich zu Schlitzen. „Und wohin sollte ich mit dir zurückkommen? In diese Welt voller Schwächlinge? Oder in euer lächerliches Enma-Cho?“ Er ergriff Wataris noch immer vorgestreckte Hand von unten, drückte sie ihm gegen die Brust und schob ihn grob beiseite. „Warte Muraki...“ Watari griff nach dem Arm des Doktors, doch dieser befreite sich mühelos und ging weiter. „Jetzt warte gefälligst!“ Er packte Muraki am Mantel und riss ihn zurück. „Ich wird nicht zulassen, dass du dich unglücklich machst! Geht das nicht in deinen Schädel rein?!“ Muraki machte sich los. „Du hast nicht die leiseste Ahnung von Glück oder Unglück. Was für einen Grund sollte ich wohl haben, auf dich zu hören.“ „Als ob ich dir was befehlen würde! Glaubst du vielleicht, es hat mir Spaß gemacht, meine Freunde sitzen zu lassen!?“ Muraki blieb stehen. „Und warum hast du es dann getan? Wenn nicht aus Spaß... „ „Weil ich dich liebe, verdammt!!“ Watari schnaufte. „Ach?“ meinte Muraki verächtlich, „sieh an.“ Er kicherte. „Nun, da bist du nicht der erste.“ Gelangweilt wandte sich der Doktor ab. Wieder das gleiche Spiel, wie immer. „Man muss es dir ja ins Gesicht sagen, damit du’s kapierst!“ Murakis Lächeln verschwand und er drehte sich wieder um. „So dumm bin ich nicht. Allerdings fände ich es absolut uninteressant, mich mit jemandem abzugeben, der nicht auch ein bisschen Egoismus an den Tag legt. Auch das definiert die Menschen. Tsusuki ist ein Musterbeispiel dafür, auch wenn er darunter leidet. Gerade das macht ihn ja so anziehend. Jemanden wie dich kann ich nicht gebrauchen. Du würdest mich vermutlich nur langweilen.“ Watari zog die Brauen zusammen. Tsusuki war kein Egoist, aber sie kamen vom Thema ab. „Heißt das, du kommst nicht mit?“ „Richtig.“ Muraki lächelte anzüglich. „Nur für ein paar kleine Spiele lohnt sich das nicht.“ Watari seufzte schwer und ließ die Schultern hängen. Er fühlte sich nicht wirklich so fit, wie es den Anschein hatte. Muraki betrachtete ihn. „Ein Appell an mein Mitleid.“ Er strich sich eine silberne Strähne zurück, die der Wind gelöst hatte. „War das dein letzter Trumpf?“ „Du hast es ja geradezu darauf angelegt!“ „Ich?“ Muraki tat unschuldig. „Wenn ich nichts für dich empfinden würde, wäre ich nicht hier, das weißt du genau. Und Mitleid können wir gleich vergessen.“ „Ich brauche weder Mitleid noch Liebe, weder von dir noch von sonst irgendjemandem.“ „Du bist ein Mensch, das kauf ich dir nicht ab.“ „Hast du nicht selbst gesagt, ich wäre erst ein Mensch, wenn ich dir nachlaufe? Du widersprichst dir selbst.“ „Du BIST ein Mensch. Erst mit Saki stirbt das Menschliche in dir.“ „Woher willst du das wissen?“ Watari seufzte hörbar. Dann marschierte er auf Muraki zu und bohrte ihm den Zeigefinger in die Brust. „Zugegeben: Ich habe keine Ahnung was passiert, wenn du Kleingehacktes aus ihm machst. Aber ich WEISS, dass du das aus Rache tust. Aus Wut über ein zerstörtes Leben und aus Wut über das, was Saki aus dir gemacht hat. Mach dir das klar, mein Freund. Saki wartet doch nur darauf, dich endgültig vernichten zu können! Aber wenn du ihn hier weiter „leben“ lässt – wobei hier unten leben allein schon eine Strafe ist – dann hast du ihn wirklich besiegt. Wenn du TROTZ allem, was er dir angetan hat, leben kannst, dann ist sein Einfluss auf dich hinfällig.“ Watari ließ die Hand sinken. „Es stimmt, ich habe keine Ahnung, wie man sich in einer solchen Situation fühlt, aber, Muraki: Lass dir diese letzte Möglichkeit nicht auch noch nehmen. Du kannst dich dagegen entscheiden. Saki hat dein erstes Leben zerstört. Wenn du so weitermachst, lässt du dir dein zweites auch noch kaputt machen.“ Eine Weile herrschte Schweigen. „Ich habe diesen Weg gewählt.“ Wataris Herz krampfte sich zusammen. Er schluckte. „Nicht Saki oder irgendwer sonst. Ich bin ein Erbe der Dunkelheit. Ich trage das Vermächtnis der Finsternis, und niemand wird mich von meinem Ziel abhalten.“ „Du Idiot! Gar kein Vermächtnis trägst du!“ Aber Muraki drehte sich um und eilte davon. „Shit!“ Watari lief ihm nach. „So was von eingemauert hab ich ja noch nie erlebt!“ Muraki hörte das Selbstgespräch gar nicht. er vernahm ein neues Signal und wandte sich plötzlich nach rechts, wo sich zwischen den Klippen ein kleiner Durchstich auftat. Watari folgte dem Doktor in die schmale Schlucht und Wasser lief ihm in die Schuhe. „Mahlzeit!“ grummelte er. Das wurde ja immer besser! Heute klappte aber auch wirklich gar nichts. Die Taschenlampe lag zuhause im Schrank, seine Klamotten waren im Eimer, die Füße befanden sich in ungefähr 20 Zentimeter tiefem Schlammwasser mit einem unbekannten Ökosystem und Watari selbst war inzwischen reif für die Insel. Ach ja, und nicht zu vergessen: Seine große Liebe bestand darauf, sich von einem irren Toten den Schädel einschlagen zu lassen. Ich könne Hilfe gebrauche, dachte Watari geknickt. So ein richtiger deus ex machina wäre jetzt wirklich nicht schlecht. (Wörtlich: Gott aus der Kiste. Figurativ: positive Wendung einer Story durch plötzliches Einführen einer neuen Komponente (zB 003^^), weil dem Autor nix besseres einfällt. Schon die alten Griechen taten das.^_^) Muraki bog wieder nach rechts ab, diesmal in einen richtigen Tunnel. Watari musste sich beeilen, damit er den schwach leuchtenden Doktor nicht aus den Augen verlor. Es war wieder mal stockfinster. Also entweder, so dachte Watari, hatte Murakis Frühstück einen gigantischen Fluor-Gehalt oder es bestand komplett aus Radium. Nur das konnte dieses dauernde Leuchten erklären. Als Leselampe wäre er bestimmt auch ganz praktisch... Der Chemiker rätselte über Murakis unheimliches Schimmern, um sich von dem ganzen Dilemma seiner Situation abzulenken. Das Schimmern wurde stärker, je höher sie stiegen. Der Gang wurde steiler und wand sich schließlich in einer engen Spiraltreppe durch den schwarzen Fels. Die glitschigen krummen Stufen hinaufkeuchend sah Watari im schwachen Schein Murakis seltsame Muster an den Wänden. Aus gutem Grund vermied er es, genauer hinzusehen. Sich umzudrehen wagte er ebenfalls nicht, denn er war sich sicher: Er würde alles erblicken, nur nicht den Rückweg. Angst packte ihn von hinten und ließ ihn schaudern. Murakis Licht wurde immer stärker und offenbarte in erbarmungsloser Klarheit die Einzelheiten der schlüpfrigen Wand. Der Stein knisterte, als sich Bläschen über den winzigen Poren bildeten. Watari keuchte und würgte, als ihm der Geruch in die Nase stieg. Es roch nach dem Komposthaufen einer Metzgerei, versetzt mit Magensäure und ziemlich viel Ammoniak. „M...Muraki!“ ächzte er. Übelkeit stieg in ihm auf. ihm wurde schwindlig. Sein Magen verkrampfte sich. Er stolperte, fiel nach vorn und stürzte auf die Treppe. Das Licht war verschwunden. „Mura...!“ Watari verschluckte sich und hustete. Stille folgte. Nicht einmal ein Echo antwortete ihm. Nur das Knistern der Wände war zu hören, das seine Stimme aufzusaugen schien wie ein Schwamm... Watari hielt die Luft an. Atemlos lauschte er auf das kaum vernehmbare Rascheln. Das Blut rauschte ihm in den Ohren, sodass es fast schmerzte und er wagte nicht, sich zu rühren, geschweige denn einen Ton von sich zu geben. Die Stufen, auf denen er lag, fühlten sich feucht und warm unter seinen Fingern an. Watari starrte mit weit aufgerissenen Augen in die pechschwarze Dunkelheit, und die bis zum Zerreißen gespannten Nerven seiner Fingerspitzen nahmen ein dumpfes Pochen wahr... Watari keuchte entsetzt, sprang auf und stolperte in Panik die Treppe hinauf. Das Etwas knisterte unter seinen Füßen. Das dumpfe Pochen wurde lauter. Wataris Verstand war schon so benebelt vor Angst, dass er nur noch blindlings vorwärts stürzte und dabei den schwachen Versuch unternahm, den Schrei zu unterdrücken, der ihm in der Kehle brannte. Stattdessen lief er noch schneller... Der Boden unter seinen Füßen und die Wände, gegen die er prallte, wurden immer weicher und glitschiger. Etwas Feuchtes blieb an seiner Hand zurück... Verflucht! dachte Watari, und damit gelang es einem Teil seines Verstandes endlich, wieder die Oberhand über seine wirren Emotionen zu gewinnen. So konnte es doch nicht enden! nach 45 Jahren Leben sollte DAS jetzt das Ende sein?! Watari hatte weiß Gott nicht vor, im oberen Verdauungstrakt einer Gebirgskette zu enden! Und noch weniger wollte er Muraki so einfach davonkommen lassen! Er schrie. Und rammte seine Faust mit aller Kraft in die nächste Wand, die ihm im Weg stand. „Hast du dir gedacht!“ brüllte er. Mit der darauffolgenden verfuhr er genauso. „Aus dem Weg! Ich bin Watari Yutaka! Macht euch dünne!!“ Der Gang wurde enger und plötzlich hörte die Treppe auf. Watari fiel der Länge nach auf den flachen Boden und rammte auch gleich seine Fäuste in den matschigen Untergrund. „Raah!!!“ brüllte er wütend. Er rappelte sich auf und erkannte vor sich in der Finsternis einen hellen Punkt... ein Stern. Hastig lief er weiter. Mehr Sterne kamen hinzu. Der Untergrund wurde zuerst zäh und dann wieder hart und schroff wie ganz gewöhnlicher Fels. „Ha!!“ Watari stampfte noch einmal auf den trügerisch festen Boden, zur Sicherheit. Dabei lächelte er, mehr erleichtert als triumphierend, aber er lächelte. Dann ging er auf die Sterne zu. Frische kalte Luft wehte ihm entgegen und eine etwas wohlgesonnenere Stille breitete sich aus. Das Pochen war verklungen. Eben wollte Watari sich schon der Erleichterung hingeben, da zuckte ein weißer Blitz vor den Sternen vorbei. Für einen kurzen Moment war alles in grelles Licht getaucht und er erkannte, dass er sich in einer riesigen Höhle befand. Der Eingang war von langen spitzen Monolithen gesäumt, die sich schwarz gegen den Sternenhimmel abhoben. „Au Backe...!“ murmelte Watari und rannte wieder los. Saki hob den Armstumpf, wo der Blitz ihm die Hand kurz überm Ellenbogen abgetrennt hatte. „Tja, Pech für dich“, sagte er völlig gelassen, während Knochen und Muskeln sich neu bildeten und mit heller Haut überzogen. „Du hattest es dein ganzes Leben lang einfach.“ Er grinste hämisch. „Dafür werde ich dir den Tod zur Hölle machen!“ Ein weiterer verästelter Blitz fuhr aus dem Boden und teilte Saki in zwei Hälften. Ein gurgelndes Lachen ertönte, während die beiden Teile sich aufrichteten und wieder zusammenwuchsen. Es war nicht einmal ein Tropfen Blut übrig. „Ist das alles, was du kannst?“ höhnte Saki. „Hätte ich mir denken können. Alles, was du jemals konntest, war zerstören!“ Ein dritter Blitz traf Saki an den Schläfen und durchdrang seinen Kopf. Er lachte laut, und während zwischen seinen Zähnen noch grelle Funken tanzten, kam er auf Muraki zu. Die starrenden Augen waren fast vollständig schwarz. „Muraki!“ Watari rannte an den spitzen Felsen vorbei und kletterte einen Steilhang hinunter. Der Arzt wankte unter der Wucht von Sakis Gegenangriff, hielt sich aber auf den Beinen. Watari eilte zu ihm und hielt ihn fest. (Hach! *schnülz* ^_^°) Muraki erwiderte die Geste nicht. Er fand sein Gleichgewicht wieder und löste sich wortlos aus Wataris stützendem Griff. Aber der Chemiker hielt ihn energisch fest. Außerdem war er krank vor Sorge. „Bitte, Muraki!“ sagte er eindringlich. „Komm weg da. Muraki!“ Der Arzt lachte tonlos. „Humbug.“ Er stieß Watari beiseite und erwehrte sich einer neuen Attacke. Die zuckende Magie prallte an ihm ab wie Licht von einem Spiegel. Watari duckte sich, um den umherspringenden Geschossen auszuweichen. Als Saki schließlich von Muraki abließ, wirkte Watari ziemlich angesengt. „Also langsam wird’s mir echt zu bunt!“ rief er, und beschwerte sich damit nicht nur bei der Welt im großen und ganzen. Da versuchte man, die Sache friedlich zu lösen, und was taten die Herren? Genau: Sie befanden sich inzwischen in der Mitte eines ausgemachten Gewitters und versuchten, sich gegenseitig mit ihren bösen Blicken zu übertreffen. „Holzköpfe!“ Wütend griff Watari nach einem Steinbrocken und schleuderte ihn in das Zentrum des Sturms. Er verglühte, bevor, er überhaupt die Mitte erreichte. Dabei betrug die Entfernung zu Muraki kaum fünf Schritte. „Mist!“ Er seufzte. „Was tut man nicht alles...?“ sagte er, und sein gequälter Gesichtsausdruck verriet, dass er jetzt viel lieber in sein Zimmer gelaufen und sich unter der Bettdecke versteckt hätte. Aber seine Sorge um Muraki war größer. Langsam und gegen den Sturm ankämpfend ging er auf den Doktor zu. Je näher er dem Zentrum kam, desto lauter und schriller wurden die unwirklichen Geräusche des magischen Kampfes und desto stärker schimmerte das violette Licht um ihn herum. Ein paar Funken tanzten auf seinen Armen, die er sich schützend vors Gesicht hielt. Der Widerstand wurde immer größer. Muraki und sein Bruder standen sich regungslos gegenüber. Wären sie nicht von einer pseudoklimatischen Katastrophe umgeben gewesen, hätte man sie fast mit träumenden Pendlern in der U-Bahn-Station verwechseln können. Als Watari Muraki erreichte, schien dieser ihn gar nicht wahrzunehmen. Sein ganzes hasserfülltes Wesen war auf seinen Bruder konzentriert. Er hob die hand und plötzlich sah Watari nur noch weiß. Er schlug sich die Hände vor die brennenden Augen und schrie vor Schmerz, vor Verzweiflung. Die lila Funken wurden davongeweht... Saki konnte das nicht überlebt haben. Es war zu spät. Er hatte versagt. Jetzt war alles vorbei... Der Sturm endete plötzlich und Watari taumelte nach vorne, an Muraki vorbei, der auf die traurigen Überreste von Saki zuging. Es war nichts geblieben als eine verkrümmte Leiche, durchsichtig, blass und reglos. Saki war vernichtet, seine Seele ausgelöscht. Watari ging in die Knie und kämpfte mit den Tränen. Auf Murakis Gesicht breitete sich langsam ein Lächeln aus. Oft, noch zu seinen Lebzeiten, hatte er sich vorgestellt, wie er Saki leiden lassen würde, wie er ihn demütigen würde für das, was er getan hatte. aber jetzt, als sie einander gegenüber gestanden hatten, hatte es ihm vollauf genügt, Sakis Existenz auszulöschen, den Mund, aus dem die höhnischen Worte kamen, und die Augen, deren Blick voller Verachtung war, für immer zu verschließen. Hätte er länger gekämpft, wären außerdem mit der Zeit Lücken in seiner Verteidigung aufgetreten, und bei dieser letzten Entscheidung wollte er absolut kein Risiko eingehen. Ein schwaches Geräusch weckte Muraki aus seinen Gedanken. Er drehte sich um und sah Watari, der dort am Boden kniete. Die braunen Augen waren direkt auf ihn gerichtet und glänzten schwach in der Dunkelheit. „Bist du jetzt zufrieden, ja?“ Es sprach kein Vorwurf aus diesem leisen Satz. Eigentlich war es eine nüchterne Feststellung: monoton, resigniert, und vielleicht ein bisschen ironisch. Muraki lächelte auf die am Boden hockende Gestalt hinunter. Er gab keine Antwort, und Watari schein auch gar keine erwartet zu haben. Langsam stand er auf, ging auf Muraki zu, schlang ihm die Arme um den Hals und legte seinen Kopf auf dessen Schulter. Mir leeren Augen starrte er in den kalten Sternenhimmel. „Bist du glücklich?“ fragte er. Seine Stimme kam wie aus weiter Ferne. Muraki spürte, wie der andere zitterte. Die Arme schlossen sich fester um seine Schultern, als Watari sich an ihn drückte. „Hm...“, Muraki lächelte und legte seine Hände auf die Schultern des Chemikers. Der Stoff hatte Risse und war klamm und feucht. Ein merkwürdiger Gedanke ging Muraki durch den Kopf. Er fragte sich, wann er zum letzten Mal umarmt worden war. Wann hatte ihn jemals jemand gefragt, ob er glücklich war...? Er konnte sich nicht erinnern. Was hätte er geantwortet? Er konnte es nicht sagen... Aber was für eine Frage! Saki war tot! Muraki verspürte ein Gefühl, aber war das Glück? Wenn er jetzt Tsusuki im Arm hätte, das wäre Glück. Andererseits... darauf würde sich dieser wunderschöne Shinigami nie einlassen. Er würde sich fügen, gewiss, irgendwann wäre sein Widerstand gebrochen. Aber so umarmen würde Tsusuki ihn nie... „Ich will, dass du glücklich bist, hörst du?“ sagte Watari, als Muraki keine Antwort gab. „Ich dachte, du würdest glücklich, wenn du niemanden mehr töten musst. Aber ich hätte dich eh nicht daran hindern können. Nicht wahr...? Ganz egal...“ Watari seufzte tief und streichelte Muraki sanft. Eine Weile herrschte Stille. „Vielleicht habe ich mich geirrt“, meinte Watari schließlich. „Dass du anders gar nicht glücklich werden kannst.“ Glück... ja, davon sprachen sie alle, die ganze Zeit. Und er, Muraki, hatte an nichts anderes denken können als an seine Rache. Jetzt war sie vollzogen, und da wo er früher... wo er bis jetzt ein Ziel vor Augen gehabt hatte, herrschte nun Leere... Auf einmal horchte Muraki auf. Aus der Ferne erklang ein seltsames Geräusch, eine Art Grollen und Zischen, das langsam lauter wurde. Er hob den Blick und sah, wie eine rote Glut den Himmel allmählich mit Helligkeit überzog. Die Sterne verblassten einer nach dem andern. Schatten nahmen undeutliche Konturen an. Ein weiteres Geräusch, das irgendwie an das Knarzen eines Sargdeckels erinnerte, ertönte plötzlich direkt neben ihm. Wie auf ein vereinbartes Zeichen hin ließen Watari und Muraki sich los und starrten auf Sakis Leiche hinunter. Die linke Hand des dunklen Etwas befand sich im glutroten Licht. Sie rauchte. Dann fing sie Feuer. Das Etwas zuckte. Dann knurrte es wütend, als es die beiden Männer erkannte. Watari fing sich als erster wieder. Er wich zurück und wollte Muraki mit sich ziehen, doch dieser blieb stehen, ein bedrohliches Funkeln in den Augen. Watari zögerte kurz, dann stellte er sich zwischen Muraki und das brennende Etwas. Der Arzt verspürte ganz kurz so etwas wie Rührung, aber für Romantik war jetzt keine Zeit. „Geh zur Seite.“ „Ich werde dich nicht noch mal alleine lassen.“ Eine kurze Stille folgte, während der das Zischen und Krachen aus der Ferne immer näher rückte. Die Schatten wurden klarer. „Geh zur Seite“, wiederholte der Doktor langsam und drohend. Watari rührte sich nicht von der Stelle. Sein Herz hämmerte, als er sah, wie er inzwischen lodernde Dämon sich wand und langsam aufrichtete. Leise erwiderte er: „Wenn du stirbst, dann sterbe ich auch.“ „Ich bin schon tot“, entgegnete Muraki kalt. „Geh jetzt.“ Er schob den Chemiker zur Seite, doch Watari leistete Widerstand. „Nein!“ rief er. „Das lasse ich nicht zu! Ich liebe... PASS AUF!!!“ In diesem Moment ging der Dämon in Flammen auf und schnellte in die Senkrechte. Watari sah den schwarzen Punkt kommen und warf sich gegen Muraki, als dieser einen der grellen weißen Blitze schleuderte... Der Blitz traf. Und Watari spürte einen heißen Schmerz unter seinem linken Ohr. Er schrie auf und presste die Hand darauf. Warmes Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor und tränkte seine Kleider. Flammen und bunte Flecke tanzten vor seinen Augen... weiß, alles war weiß... Er taumelte. Seine Beine gehorchten ihm nicht mehr. Wie aus weiter Ferne vernahm er seinen eigenen Schrei... Der Dämon verbrannte knisternd wie eine Fackel, erlosch dann und zerfiel zu einer Wolke aus Rauch und Asche, die sich im Morgenwind auflöste. Der Anblick brachte Muraki in die Gegenwart zurück. Mehr aus einem Reflex heraus fing er die Gestalt auf, die sich schwer gegen ihn lehnte und zur Seite kippte. Watari schrie heiser. Dann verstummte er und Muraki spürte, wie das Gewicht in seinen Armen zunahm. Die Kräfte verließen Watari und sein von Schmerz erfülltes Bewusstsein begann davon zu driften. Die Hand rutschte ihm vom Hals und muraki sah das Blut. Er roch es. Er spürte es zwischen seinen Fingern... Er hatte es so oft gesehen, und doch befiel ihn, als er Wataris Blut sah, eine unergründliche Furcht. Er begann nach der Verletzung zu suchen... Ein Fels am Rand des Berges explodierte und ließ einen rauchenden Krater zurück. Glut bildete sich im Zentrum der Lichtflecken am Boden und kleine Flämmchen begannen zu züngeln. Es wurde heiß. Muraki fand den Schnitt und presste seine Hand darauf. Warum er das tat, wusste er in dem Moment selber nicht. Die Wunde war tief und zog sich von der Hauptschlagader bis fast in den Nacken. Und sie machte keine Anstalten, sich zu schließen. Der Boden erbebte unter einem dumpfen Grollen. Die Höhlenöffnung, aus der Watari gekommen war, und die Felsmassen dahinter bewegten sich langsam. Ihre eine Seite war bereits mit Flammen überzogen. Ein unförmiges Wesen schob sich über den lodernden Rand der Bergspitze und gab einen hungrigen Laut von sich. Muraki versuchte sich zu konzentrieren. Saki hatte ihn fast seine gesamte Energie gekostet. Er wusste nicht, woher die Kraft kam, mit der er kämpfte und zerstörte, und noch weniger wusste er, wie er damit die Wunde schließen sollte. In jedem Fall war sie fast aufgebraucht. Ein unvorsichtiger Zug und er würde ebenfalls das Bewusstsein verlieren... Und das für diesen durchgedrehten Wissenschaftler, der sich für einen Philosophen hielt? Muraki hob den Blick und sah sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. das hungrige Wesen kam auf ihn zugekrochen. Mehrere andere undefinierbare Dinge bewegten sich über den Rand, Lava drang aus den Ritzen im Gestein und der Boden wankte bedrohlich. So gesehen sah seine Zukunft ziemlich schlecht aus. Zudem war sie vermutlich ziemlich kurz. Aber dam es darauf jetzt noch an? Worauf kam es überhaupt in diesem Leben an, wenn nicht mehr auf die Rache, die Gerechtigkeit... Bist du glücklich? fragte sich Muraki. Dann ließ der die Schranken fallen. Unsichtbar sickerte Magie in Wataris Wunde und Muraki merkte, wie die Welt um ihn herum schemenhaft wurde. Deshalb sah er nicht, wie das erste der Wesen versuchte, nach seinen Knöcheln zu greifen. Er sah auch nicht, wie es von einem unsichtbaren Widerstand zurückgehalten wurde, wie es wütend dagegen anrannte und wie es immer weiter zurückgedrängt wurde. Der Berg bebte und ein Spalt tat sich auf. Eine grellrote Sonne tauchte über dem Horizont auf und die Steine in ihrem Licht zersprangen in unzählige heiße Splitter, scharf wie Messerkanten. Muraki bemerkte es nicht. Alles zog wie im Nebel an ihm vorbei und drang nicht bis in sein Bewusstsein vor. Die Widrigkeiten des Chaos prallten an einem unsichtbaren Widerstand ab und die beiden Männer blieben unversehrt. Wataris Lider flatterten. Die Blutung stoppte und langsam schloss sich die Wunde. Mit seiner letzten Kraft und allein durch Willensstärke hielt Muraki sich an Watari fest, als die Bergspitze auseinanderbrach und eine kochende Mischung aus Dampf, Asche und Gestein sie in den Himmel katapultierte... __________ (Ein Schelm, wer da an „Herr der Ringe“ denkt XD. Aber mal ehrlich, mich hat’s daran erinnert. Man möge mir verzeihen. Wer Herr der Ringe kennt, freue sich, wer es nicht kennt -> alles in Ordnung^^, und wer es kennt und nicht mag -> Pech gehabt :D *g*. Ich bin stolz auf mein Showdown. Fast alles war so geplant. Freut euch mit mir, aber lest bitte auch die folgenden Seiten. Ich könnte hier Schluss machen, aber ich hab Geschichten so gern, dass ich immer nie ein Ende finde... mir fällt immer so viel ein^^°. Bis *hoffentlich* zum nächsten Mal *wink*^_^) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)