Schutzengel wider Willen von Maginisha ================================================================================ Kapitel 16: Süchtig ------------------- Immer wieder glitten Harrys Hände mit kraftvollen Bewegungen über den entblößten Rücken, fuhren über blasse Haut und weiße Federn. Eine monotone, anstrengende aber auch befriedigende Arbeit. Er sah, dass der Malfoy diese Behandlung sichtbar genoss, auch wenn er immer wieder Kommentare abgab, um dies zu vertuschen. "Au, Potter. Nicht so fest." "Ich bin doch keine Weihnachtsgans, also hör auf mich zu rupfen." "Du hast Hände, wie ein Reibeisen. Hast du mal was von Handcreme gehört?" "Verflucht seien diese Dinger. Ich denke, ich schneide sie einfach ab." Bei dem letzten Satz keuchte Harry erschrocken auf. "Nein!" Er brach seine Tätigkeit ab und sah den Slytherin erschrocken an. "Das darfst du nicht." Der Blonde drehte sich nicht um, fragte aber scharf: "Und wieso nicht, Potter?" "Weil...", der Gryffindor stockte. Er konnte dem anderen ja schlecht sagen, dass er das Gefühl die Flügel zu berühren vermissen würde. Schließlich waren sie das Einzige, das ihm im Moment Trost versprach. Aber eigentlich waren das ja nur...Dinge? Naja, Körperteile vielleicht, aber doch nicht wirklich Lebewesen. "Du könntest dich verletzen", schloss er schließlich den Satz, "und verbluten. Ist ja nicht so, dass sie nicht festgewachsen sind." "Sankt Potter der strahlende Held. Ist ja rührend, wie du dir so Gedanken machst.", säuselte der blonde Junge und fuhr dann schärfer fort: "Aber du vergisst, Potter, dass ich gesehen habe, wie es um dich steht. Mir kannst du nichts vormachen. Hast du dein kleines Geständnis von eben schon vergessen? Ich nicht, denn die Hose ist immer noch nicht trocken. Du kommst nicht mal mit deinen eigenen Problemen klar. Vielleicht solltest du erstmal daran denke, und nicht an meine Probleme." "Ja", sagte Harry gedehnt und sah zu Boden. "Du hast Recht, Ich sollte mich mal zusammenreißen. Voldemort besiegt sich schließlich nicht von alleine." "Das meine ich nicht ausschließlich, Potter. Bist du eigentlich so doof oder tust du nur so? Ich bin zwar dein Schutzengel, wie es scheint, aber doch nicht die Kummerkastentante. Ich weiß genau, dass du nicht zum mir gekommen bist, denn schließlich hast du ja angenommen, ich würde schlafen, nicht wahr? Du bist süchtig nach den Flügeln, Potter. Schon mal überlegt, warum?" Harry senkte den Blick und nickte beschämt. Das war alles so töricht von ihm und doch konnte er sich nicht vorstellen, sein Leben jemals wieder ohne sie fortzusetzen. Dieser Abend war das zweite Mal, seit Wochen, dass er sich wirklich wohl und geborgen fühlte. Wenn er das jetzt aufgeben sollte, würde die Kälte wieder Einzug halten. Wütend biss sich der Gryffindor auf die Lippen. Er hatte also wieder eine Schwäche offenbart und Malfoy einen Ansatzpunkt geliefert, ihn noch weiter zu verletzen. Wie hatte er nur so dumm sein können. Immer fester gruben sich die Zähne in das weiche Fleisch und er schmeckte Blut. "Potter!", riss ihn eine Stimme wieder aus seinen Gedanken. "Was machst du denn für einen Scheiß? Du tropfst gleich den Fußboden voll." Harry war gar nicht bewusst gewesen, wie stark er wirklich zugebissen hatte. Ein wenig Blut lief schon an seinem Mundwinkel herunter. Dann spürte er den Schmerz und die Welle der aufgestauten Gefühle wich einer zurückweichenden Brandung gleich aus seinen Gedanken. Er schloss die Augen, um es zu genießen. Das war fast so gut, wie die Berührungen der weißen Engelsflügel Nur fast aber... Mit einem Mal brauchte er das Gefühl aber nicht mehr zu ersetzen, denn die weißen Schwingen hüllten ihn vollständig ein und er spürte Malfoys Arme um seinen Körper geschlungen, als er ihn an sich zog. "Du darfst dich nicht so verletzen, hörst du." Die Stimme des Slytherin war eher ein gepresstes Keuchen denn eine wirkliche Anteilnahme. "Ich will nicht, dass du es tust. Hör auf, dir für alles die Schuld zu geben. Du bist ein solcher Arsch, dass du mich dazu bringst, dir so etwas zu sagen." Der Gryffindor ließ sich in die eher ruppige Umarmung fallen, während die samtenen Federn leicht sein Gesicht strichelten. Die Wunde and der Lippe schloss sich und auch seine inneren Wunden taten jetzt etwas weniger weh. Langsam verebbten die Schmerzen und eine neue Stärke legte sich wie Balsam über Körper und Geist; unendlich rein und tröstlich und so voller Zärtlichkeit. Der Slytherin machte sich mit plötzlich im los und sprang auf. Er flüchtete zum anderen Ende des Zimmer und fauchte: "Los Potter, hau ab! Und vergiss nicht, was ich dir gesagt habe: Lass den Mist mit dem Verletzen oder du wirst sie nie wieder sehen." Er raschelte bedeutungsvoll mit den Flügeln. "Nun hau schon ab! Geh! GEH ENDLICH!" Zum Schluss hatte er so laut geschrieen, dass Harry damit rechnete, dass sich jeden Moment die Tür öffnete und ganz Slytherin mit hoch erhobenem Zauberstab hineinstürmte. Aber nichts dergleichen geschah. "Gut, ich werde gehen. Aber...", er überlegte kurz, dann sprach er leise weiter. "Ich darf doch wiederkommen oder?" Der Slytherin antwortete nicht, doch Harry brauchte diese Antwort. Er ging zu dem Blonden und blieb hinter ihm stehen. Doch der andere sah stumm die Wand an und zitterte. Er wurde sich bewusste, dass Malfoy schon wieder nur mit dem Rücken zu ihm stand. "Warum siehst du mich nicht an, Malfoy?" "Keine Lust auf dein dummes Gesicht, Potter.", gab der Angesprochene arrogant zurück. Doch irgendwie schwang etwas in der Stimme mit, das Harry stutzen ließ. Ein kleiner Rest seines Kampfgeistes kehrte zurück. Er war also nicht der Einzige, der Geheimnisse hatte. "Das glaube ich nicht, Malfoy. Es stimmt, dass ich dachte du schläfst, als ich hier her kam. Und: Ja, ich bin nicht wirklich deinetwegen hier. Du benimmst dich aber auch nicht unbedingt normal. Was hat es eigentlich mit deinem plötzlichen Sinneswandel mir gegenüber auf sich?" "Das geht dich gar nicht an, Narbengesicht. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Nimm es hin oder lass es. Es ist deine Entscheidung.", zischte der andere böse. "Aber wenn du jemandem davon erzählst, bist du tot, Potter, Klar? Ich habe die kleinere Macke von uns." Harry schwankte kurz, zwischen dem Impuls zu gehen und dem auf einer Antwort zu bestehen. Doch als er die schneeweißen Federn vor sich sah und ihr Leuchten sich auf seinem Gesicht widerspiegelte, wusste er, was er zu tun hatte. Beherzt drehte er den Slytherin herum und zwang den anderen ihn anzusehen. Kurz sah er pures Entsetzen in den grauen Augen, doch es wich ebenso schnell, wie es gekommen war. "Sag mir, dass ich wiederkommen darf, Malfoy. Bitte!" Unendlich schienen sich die Augenblicke zu dehnen, bis der blonde Junge antwortete. Harry glaubte einen erbitterten Kamp in seinem Blick erkenne zu können. Dann wisperte er fast unhörbar: "Ja, sicher darfst du wiederkommen. Ich brauche dich doch." Der Gryffindor taumelte einen Schritt zurück und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Was hatte Malfoy gerade gesagt? Doch er kam nicht dazu, es sich weiter zu überlegen, denn der andere packte ihn, drehte ihn um und schob ihn zur Tür hinaus. "Raus!", schnappte er noch, bevor sich die Tür hinter Harry schloss. Irritiert stand Harry in der Dunkelheit. Seine aufgewühlten Gefühle tobten durch seine Sinne, wie eine wildgewordene Achterbahn. Einen kurzen Moment lang, schloss er die Augen und versuchte dir durcheinander gewirbelten Teilchen zu sortieren, doch dann wurde ihm bewusst, dass er mitten im Slytherin-Kerker stand und dass das nicht unbedingt der Ort war, an dem Harry Potter sich aufhalten sollte. Also trabte er los, verließ den Kerker und machte sich auf den Weg in den Gryffindor-Turm. Eigentlich war ihm danach, eine Runde um die Schule zu laufen oder auf dem Besen zu fliegen, aber das ließ sich nur sehr schlecht mit der Uhrzeit vereinbaren. Als er im Turm ankam, war er trotzdem schon etwas ruhiger geworden, huschte leise durch den verlassenen Aufenthaltsraum und schlich sich zum Schlafsaal hinauf. Dort lauschte er auf die ruhigen, gleichmäßigen Atemzüge seiner Mitschüler. Aus Rons Bett kam Gemurmel, doch Harry achtete nicht darauf. Er schlüpfte in seinen Schlafanzug und kuschelte sich in die Decke. Dann überlegte er. Oder viel mehr, er ließ seine Gedanken sich einen Platz suchen und betrachtete dann das Gesamtbild. Zuerst die Sache mit den Engels-Flügeln. Es war klar, dass sie mehr waren, als einfache "fedrige Anhängsel", wie Malfoy sie gerne nannte. Harry hatte die kraftgebende, heilende Wirkung gespürt. Und er wollte mehr davon. War er wirklich "süchtig"? Vielleicht, aber er konnte sich schlimmeres vorstellen. Außerdem schien er nicht der Einzige zu sein, der von ihnen beeinflusst wurde. Die Sache mit den Schmerzen. Er verstand in seinem jetzigen Zustand nicht mehr, was ihn dazu getrieben hatte. Objektiv betrachtet war es Wahnsinn so etwas zu tun. Irgendwie hatte er im Moment entweder zu viele oder zu wenig Gefühle. Wenn er sich leer fühlte, wünschte er sich irgendetwas um diese Leere zu füllen, doch fand er etwas, übertrieb er es sofort und wurde von den auf ihn einstürzenden Empfindungen so mitgerissen, dass er nicht wusste, wie er es bremsen sollte. Ihm fehlte einfach die Kraft dazu. Doch jetzt fühlte er sich gut, ausgeruht und nur noch angenehm schläfrig. Nicht bleischwer erschöpft und doch zu unruhig um schlafen zu können, wie es in diesem Schuljahr schon so oft der Fall gewesen war. Als ihm die Augen zufielen, dachte er noch an die letzten Worte des Slytherins. "Ich brauche dich doch.", hallte es durch seinen Kopf. Genau das wollte Harry. Jemand der ihn brauchte, ohne damit zu meinen, dass er "nur" den Retter der Zauberwelt in ihm sah. Harry wollte wichtig für jemanden sein. Und er wollte geliebt werden, so wie er war, nicht wie sich der andere ein Bild von ihm gemacht hatte. Blieb nur die Frage herauszufinden, wer er denn wirklich war. Doch das würde sich nicht heute Nacht entscheiden. Und vielleicht würde Malfoy ihm helfen, es herauszufinden. "Blöder Slytherin!", murmelte er noch und schlief ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)