Schutzengel wider Willen von Maginisha ================================================================================ Kapitel 6: Schuldgefühle ------------------------ Harry lag wie schon so oft in einem Bett auf der Krankenstation. Seit einer halben Stunde starrte er schon die steinerne Decke an und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Er wusste, dass Madame Pomfrey spätestens, wenn er sich aufsetzte, in der Tür stehen würde um Fragen zu stellen. Dann würde Dumbledore kommen und seine Freunde und dieselbe Geschichte wie jedes Mal, wenn er hier erwachte würde ablaufen. Dieselben Darsteller, dasselbe Drehbuch. Nur der Inhalt würde ein anderer sein. Ein weiterer Verletzter auf der Liste seiner Schuldigkeiten. Immer wieder rief er sich die Szene mit Draco auf dem Quidditch-Feld ins Gedächtnis. Er musste wirklich ein wenig masochistisch veranlagt sein, dachte er grimmig lächelnd, doch sein Gefühl der Schuld zwang ihn dazu, immer neue Einzelheiten zu der Erinnerung hinzuzufügen. Den entsetzten Ausdruck, als der Slytherin nicht rechtzeitig auf den zweiten Klatscher reagieren konnte, nur weil Harry ihn gerufen hatte. Vielleicht wäre sonst gar nicht so viel passiert. Vielleicht würde der blonde Junge jetzt nicht dort drüben im Bett liegen und mit dem Tode ringen. Das Gefühl des Regens auf seiner Haut, den Geschmack von Malfoys Blut auf seinen Lippen, das schmale, blasse Gesicht, das Gefühl versagt zu haben. Der Gryffindor hatte es gehört, als Professor Dumbledore gestern da gewesen war und sich mit der Krankenschwester über den schlechten Zustand seines Erzrivalen unterhalten hatte. Wahrscheinlich extra laut, damit Harry es auch bestimmt mitkriegte. "Nein!", dachte er dann. "Dumbledore macht dir bestimmt keinen Vorwurf. Es war ein Unfall." Doch so ganz konnte er sich damit nicht beruhigen. Schon zu oft, waren Menschen verletzt worden, während er immer noch relativ gut davon gekommen war. Zumindestens äußerlich. Innerlich wütete das Chaos in seine Gedanken und er blickte wieder zu dem anderen Bett hinüber. Kein Laute, keine Bewegung, kein Zeichen des Erwachens. Er versank in dem Anblick und wurde erst wieder daraus hervorgerufen, als sich jemand am Fußende des Bettes leise räusperte. Ertappt schrak er auf und blickte in die unergründlichen, blauen Augen von Albus Dumbledore. Warum konnte er nicht mal etwas übersehen, dachte Harry gequält. Doch der Schulleiter lächelte milde. "Schön, dass du wieder wach bist, Harry. Wie geht es dir?" "Besser als Malfoy, wie es scheint.", murmelte Harry und versuchte krampfhaft einfach unsichtbar zu werden. Konnten sie ihn nicht in Ruhe hier liegen lassen, bis alles vorbei war? Offensichtlich dachte der ältere Mann aber nicht daran und rückte sich einen Stuhl an das Bett. "Erzähl mir bitte, was da draußen passiert ist. Ich würde es gerne von dir hören, denn ich denke nicht, dass die Vermutung von Professor Snape, dass du dich einfach mal wider überschätzt hast und Draco mit Absicht etwas angetan hast, stimmt." Zögernd begann Harry zu erzählen Es würde ja doch herauskommen. " Ich habe mich von Malfoy provozieren lassen und ihn zu einem Quidditch-Duell herausgefordert. Nur wir beide, ein Schnatz und zwei Klatscher. Draco hatte sie aber wohl irgendwie manipuliert und sie sind ziemlich aggressiv auf uns losgegangen. Als er dann von einem der Bälle getroffen wurde, habe ich ihn abgelenkt, so dass ihn auch noch der zweite erwischt hat. Er ist abgestürzt und hat sich den Kopf angeschlagen. Danach hab ich nur noch bruchstückhafte Erinnerungen an das, was passiert ist. Ich muss ihn wohl zum Schloss gebracht haben, dann weiß ich gar nichts mehr." Er unterbrach sich und sah die Miene des Schulleiters, der ihn ernst musterte. Als der Blick zum Bett des anderen Schüler hinüberwanderte fügte er eilig hinzu: "Ich bin schuld, glauben Sie mir, Professor. Wenn ich nicht gerufen hätte, wäre nicht so viel passiert." Der weißhaarige Mann sah Harry direkt in die Augen und meinte ruhig: "Wie ich die Sache sehe, hattet ihr beide Schuld. Niemand hat den jungen Malfoy gezwungen deine Herausforderung anzunehmen, auch du nicht. Es war sein eigener Zauber, der ihn schließlich zu Fall gebracht hat, nicht wahr?" Harry sah den alten Zauberer verzweifelt an. Sah er denn nicht, was Harry schon die ganze Zeit beschäftigte? "Aber ich habe gewusst, dass er nicht ablehnen konnte, weil ich ihn vor allen seinen Freunden gefragt habe. Und ich hätte wissen müssen, dass es eine dumme Idee ist. Ich hätte schneller helfen sollen. Und..." er verstummte, weil seine Stimme anfing zu zittern und er einen riesigen Kloß im Hals spürte. Leise flüsterte er nach einer Weile: "Ich bringe immer nur Leid und Unglück. Auch wenn ich gerne behaupten würde, dass mir das in Malfoys Fall egal ist. Aber das ist es nicht Ich will nicht, das jemand meinetwegen leidet, auch wenn es nur ein widerlicher Slytherin ist." Er fühlte Tränen in seinen Augen aufsteigen und blinzelte heftig um sie zu verdrängen. "Aber er wird sterben, nicht wahr, Professor? Genau wie Cedric oder Sirius..." Seine Stimm erstarb nun endgültig, weil er einfach nicht anfangen wollte zu heulen. Der Schulleiter sah ihn immer noch an, aber ein kleines Lächeln umspielte seine Augen. "Er ist nur bewusstlos, Harry. Wir wissen nicht, warum er nicht aufwacht. Sein Genick war angebrochen, doch Madame Pomfrey hat das inzwischen wieder in den Griff gekriegt. Wenn er jetzt aufwachen würde, wäre er kerngesund. Du solltest aufhören dich selber zu quälen, denn dadurch wird es nicht ungeschehen. Merk es dir für das nächste Mal und geh solchen Wagnissen in Zukunft aus dem Weg. Er wird noch ein bisschen hier bleiben müssen, aber eigentlich gibt es keinen Grund, warum du dir Sorgen machen solltest." "Aber ich habe doch gehört...", murmelte Harry unverständig. "...wie wir uns gestern unterhalten haben, nicht wahr?", schmunzelte Dumbledore. "Ich dachte mir schon, dass du wach bist. Doch es ging lediglich darum, dass der Junge noch nicht wach ist, obwohl seine Verletzungen schon fast ausgeheilt sind. Aber wir nahmen an, dass er genau wie du einfach noch ein bisschen Ruhe vertragen könnte. Doch da du jetzt wieder wach bist, solltest du vielleicht mal mit deinem Besuch sprechen." "Ron und Hermine?", fragte Harry leise. "Ich will sie nicht sehen. Sie sollen weggehen. Ich werde auch sie noch mit in den Untergang reißen." Der Schulleiter stand auf. Er schien zwischen Sorge und Verärgerung zu schweben, doch dann glättete sich sein Gesicht wieder und er lächelte. "Das kannst du ihnen selber sagen, denn sonst muss Poppy eine neue Tür zum Krankenflügel bauen, nachdem deine Freunde sie eingerannt haben." Mit diesen Worten verließ er den Raum durch die Tür, die durch kurz darauf seine beiden Freunde stürzten. "Harry!", schrie Hermine und warf sich um seinen Hals. "Du bist wieder wach. Wir haben uns solche Sorgen gemacht. Was war denn nur los?", sprudelte sie hervor. Auch Ron schien ziemlich erleichtert, doch er versuchte sich ein wenig zurückzuhalten. "Hey, Harry! Hast du es Malfoy wenigstens gezeigt, bevor ihr beide umgefallen seid." Er verstummte, als er den Gesichtsausdruck seines schwarzhaarigen Freundes sah. Hermine funkelte Ron an. "Dass du aber auch nie mal überlegen kannst, bevor du den Mund aufmachst, Ronald Weasley. Du siehst doch, dass Malfoy immer noch krank ist. Ist es da nicht mal egal, wer wem was gezeigt hat." Besorgt drehte sie sich wieder zu Harry um. Doch der Gryffindor winkte nur müde ab. Er wollte nicht, dass sich die beiden wegen ihm stritten. Mit dieser Sache wurde er auch alleine fertig. Er wollte nicht och jemanden verletzen. "Lass gut sein, Herm.", sagte er deshalb möglichst gleichgültig. "Ich werde es überleben und Malfoy auch. Unkraut vergeht nicht." Dann erzählte er die ganze Geschichte, wobei er die Sache mit seinen bösen Erinnerungen wohlgemerkt außen vor ließ. Als er geendet hatte schaute Hermine ihn mit einer steilen Falte auf der Stirn an. "Oh, Harry", sagte sie ernst. "Das war wirklich sehr leichtsinnig von dir noch dazu bei dem Unwetter. An dem Abend hat es noch ein ziemliches Gewitter gegeben und der Blitz hat sogar einige große Bäume im Verbotenen Wald gefällt. Das hätte wirklich böse ausgehen können." Doch Ron sprang zu seiner Verteidigung ein. "Was hätte er denn machen sollen? Zu Malfoy sagen, er hätte es sich anders überlegt? Das hätte ihn für den Rest des Schuljahres zum Gespött der Schule gemacht. Wahrscheinlich hätte dieser dreckige Slytherin noch einen großen Anschlag am Schwarzen Brett gemacht.", knurrte der Rothaarige und blickte finster zu dem blonden Haarschopf in dem Bett gegenüber. "Geschieht ihm ganz Recht, dass er mal seine eigene Medizin zu schlucken bekommt." Das Mädchen verdrehte die Augen. "Ihr habt sie doch nicht alle. Mit eurem falschen Stolz werdet ihr euch irgendwann noch alle ins Grab bringen. Sicher stehen wir auf verschiedenen Seiten, aber Malfoy ist nun wirklich nicht so wichtig, als das man sich seinetwegen den Hals brechen muss. Damit könnt ihr anfangen, wenn er wirklich in Voldemorts Diensten steht und das tut er nach Harrys Aussage ja nicht." Ron wollte noch etwas auf diese Strafpredigt erwidern, doch Harry hielt ihn zurück. "Lass es gut sein. Ich denke, sie hat Recht. Auch wenn es schwer zu akzeptieren ist. Malfoy ist nicht das Problem." In seinem Inneren fügte er hinzu. "Das bin ich ganz alleine." Doch das verschwieg er lieber er konnte sich schon vorstellen, wie die Reaktion darauf aussah. Sicherlich würden sie beide beteuern, dass es nicht so war. Sie waren seine Freunde, sie mussten es tun. Er würde an ihrer Stelle nicht anders handeln. Doch er war sich nicht sicher, ob er ihnen wirklich glauben sollte. Zu viele waren es inzwischen, die zu Schaden gekommen waren. Seufzend erhob er sich aus dem Bett. "Ich denke, ich werde mal wieder zurückkommen. Denn sonst kann ich meine Noten für dieses Jahr vollkommen vergessen. Ich hab noch Hausaufgaben. Welchen Tag haben wir eigentlich?" "Dienstag. Aber ich hab dir die Aufgaben aufgeschrieben, wir können gleich anfangen.", antwortete Hermine geschäftig. Rons Einwurf, dass er schließlich gerade erst aufgewacht war, ignorierte sie geflissentlich. Aber Harry war froh, an etwas anderes denken zu können und lachte. "Ok, aber lass mich erst was anziehen. Ich muss ja nicht gerade im Schlafanzug durch die Schule rennen." Dann verließen sie zu dritt die Krankenstation trotz Madame Pomfreys Angebot, sie würde ihn auch noch einen weiteren Tag entschuldigen, wenn er das wünschte. Als sie später an den Aufgaben saßen, wünschte sich der Gryffindor jedoch, er hätte es doch getan, denn der Berg, der ihn erwartete übertraf doch seine Befürchtungen. Aber er war ja ausgeschlafen und als sie gegen halb zwei ins Bett wankten, fühlte es sich gut an, etwas getan zu haben. Nur nicht mehr nachdenken müssen. Besonders nicht über Malfoy, der einfach nicht aufwachen wollte. Wenn Harry gewusst hätte, was zu dieser Zeit im Krankenflügel vor sich ging, hätte er sich vielleicht doch Gedanken gemacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)