Und wieder ein Tag von abgemeldet (Fortsetzung zu "And you... I wish I didn't feel for you anymore...") ================================================================================ Kapitel 3: Eine verzweifelte Suche ---------------------------------- Und wieder ein Tag Eine verzweifelte Suche "Ich wüßte nicht, warum das von Bedeutung sein sollte, Harry." Entgegnete Severus gepreßt zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor. Seine Augen funkelten wütend und kalt, doch gleichzeitig brannte ein Feuer in ihnen, das Harry noch einmal mehr Gänsehaut über den Rücken jagte als es die verdammten Entzugserscheinungen bisher taten. Genau genommen mußten seine Worte eben auch ein Nebeneffekt dieser Entzugserscheinen gewesen sein. Er konnte im Leben nicht so verrückt sein und Severus Snape diese Frage allen Ernstes stellen, ohne gleichzeitig damit rechnen zu müssen, von dem Mann im nächsten Moment mit einem unverzeihlichen Fluch getroffen zu werden. Nicht, wenn er bei klarem Verstand war. Aber das war er nicht. Er war nicht einmal in der Nähe eines klaren Verstandes, das wurde mit jeder Minute deutlicher, die er hier in diesem Zimmer im Tropfenden Kessel verbrachte. Mit jeder Minute, in der das Zittern stärker, die Übelkeit heftiger, die Krämpfe schmerzhafter wurden. Und er wußte, es würde noch heftiger werden. Er würde seinem Verstand noch sehr viel weiter entrücken. Es war also vielleicht gar nicht so ein schlechter Zeitpunkt, um dumme Fragen zu stellen, die psychisch schmerzhaft enden konnten. - Bei seiner Psyche ohnehin ein geringer Verlust. "Weil ich es gerne wissen möchte. - Ich habe nicht versprochen, daß ich zu Dumbledore oder meinen Freunden zurückkomme oder, Severus?" "Würdest du mitkommen, wenn ich dir sage, daß ich das möchte?" Harrys Miene verfinsterte sich augenblicklich und Severus registrierte mit nicht gerade wenig Erstaunen, wie der Junge plötzlich trotzig die Arme vor seiner Brust verschränkte und den Kopf wegdrehte. Was war denn nun wieder?! "Nein, vergessen Sie es einfach, Professor Snape. Ich habe kein Interesse daran, daß Sie mir nach dem Mund reden, nur damit ich tue, was Sie von mir wollen." Severus widerstand dem Drang, sich genervt durch die Haare zu fahren nur knapp, aber im Prinzip verstand er auch, wie Harry sich jetzt fühlen mußte. Diese Frage war dumm und gefühllos gewesen, wo er doch genau wußte, was Harry eigentlich nur wollte. Ein wenig Bestätigung, ein paar freundliche Worte. Aber so war er nun einmal. Dumm und gefühllos und ganz sicher nicht der richtige, Harry etwas zu geben, was dieser ihm offensichtlich verweigert hatte. Severus kam sich unglaublich schäbig vor, weil er auch jetzt immer noch nicht vergessen konnte, daß Harrys Verschwinden ohne jede Nachricht ihn sehr verletzt hatte. Weil er auch jetzt noch nicht einfach verzeihen konnte, obwohl das so einfach sein sollte und so wichtig war. Er benahm sich kindisch und daß er sich dessen bewußt war, machte es eher noch zehnmal schlimmer als einmal besser. - Aber dennoch war es nicht zu ändern. Er brauchte Zeit. Aber bis dahin half er dem Jungen, egal um welchen Preis. Und wenn er ihn dazu zwingen mußte, sich helfen zu lassen. Er hatte Harry einmal verloren, noch einmal würde ihm das sicher nicht passieren. "Ich werde mitkommen." Severus blickte überrascht auf. Sein Blick traf den Harrys, in dessen Augen noch immer die unvergossenen Tränen standen. Der Trotz jedoch war erloschen. "Es ist nicht so, daß unser Gespräch damals vollends an mir vorbeigegangen wäre, Professor. Ich habe Ihnen zugehört und ich bin Ihnen nach wie vor dankbar für alles, was Sie an diesem Tag für mich getan haben. Aber es kamen in jener Nacht neue Aspekte hinzu und diese Aspekte haben mich nun einmal dazu gebracht, mich gegen eine Rückkehr zu entscheiden. Ich habe mein Leben selbst in die Hand genommen. Daß ich versagt habe, ist dabei ganz allein meine Sache. Nichts wofür sich irgend jemand in Hogwarts die Schuld geben müßte. Kein Albus Dumbledore, kein Severus Snape. Hogwarts' Tore standen mir immer offen, ich habe das gewußt." Severus hatte der kleinen Rede stumm, aber wieder mit wachsendem Zorn zugehört. Er fühlte sich, als würde er jeden Moment explodieren und doch war das etwas, was er unmöglich tun durfte. Er mußte sich beherrschen, der Junge war im Moment viel zu schwach, um sich aufzuregen. Trotzdem machte ihn diese kranke Form des Masochismus, die Harry hier an den Tag legte, selbst auch krank. Er konnte nicht begreifen, was ihn trieb. Heute noch weniger als damals. Damals war es nur eine einfache Störung gewesen im Vergleich zu heute. Etwas, was viele Jugendliche in dem Alter mehr oder minder schwer durchmachten, wenn mit der Pubertät auch die ersten, scheinbar nicht zu bewältigenden Probleme auf sie zukamen. Die meisten bekamen die Kurve, einige eben nicht, aber einen Fall wie Harry ihn darstellte... es war einfach unglaublich. "So verlockend diese allgemeine Absolution durch dich ja auch erscheinen mag, Harry, würde ich mir doch zu gerne erst mein eigenes Bild darüber machen." Entgegnete er schließlich giftiger, als er eigentlich gewollt hatte, aber immerhin schon um einiges ruhiger als noch vor wenigen Minuten zu erwarten gewesen war. "Mich würden diese Aspekte und deine Gründe daher rasend interessieren. Was rechtfertigt es deiner Meinung nach, dich selbst zu einem Leben zu verdammen, das selbst ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind wünschen würde? - Du kannst bei der Beantwortung dieser Frage gerne den Aspekt in Betracht ziehen, daß ich meinen schlimmsten Feinden so ziemlich alles an den Hals wünschen würde. Welche Gründe könnten jemanden dazu bewegen, sich bewußt auf Raten umzubringen? Was könnte es rechtfertigen, daß du alle täuschst, die dich geliebt haben, sie über Jahre leiden läßt, anstatt zurück zu kehren und dann ebenfalls ein neues Leben anzufangen - wenn es denn sein muß, auch ohne sie alle, aber sie haben immerhin die Gewißheit, daß du noch lebst. Das müssen sehr gute Gründe sein, Harry. Sehr zwingende Aspekte." Doch Harry sagte nichts. Was konnte er sagen? Gab es gute Gründe, die ein anderer auch verstehen würde? Selbst wenn es Snape war, der Mann, der sonst auch immer verstand? Wohl eher nicht. Was blieb also noch außer Schweigen? "Ich glaube, ich weiß es auch, ohne daß du es mir sagst, Harry. Du hast die Leere gewinnen lassen. Und vermutlich auch noch ohne großartig zu kämpfen. Es waren eben doch alles nur Worte. Dein Brief war nichts weiter als heiße Luft. Du hast ihn geschrieben, weil du dir ganz sicher warst, daß du nicht zurückkommen würdest. Du dachtest wohl, es wäre eine nette Geste oder etwas in der Art, so zuversichtlich zu klingen, während du dich innerlich eigentlich schon darauf vorbereitet hattest, nichts davon wirklich halten zu müssen." Auch wenn das kaum noch möglich war, schien sich das Zittern von Harrys Händen durch Severus' Worte noch einmal zu verstärken, als er sie wütend zu Fäusten ballte und verbissen unter sich starrte. "Das ist nicht wahr! Ich wollte zurückkommen! Ich sehne mich nicht nach dem Tod, Snape, und das wissen Sie genau!" "Weiß ich das? - Komisch, ich bin mir da nicht sicher, Harry." Severus wußte selbst nicht so recht, was er damit bezweckte. Ob es nur der Versuch war, die eigene aufgestaute Enttäuschung loszuwerden oder sich auf eine perfide Art an Harry zu rächen, aber er konnte die ganze Bitterkeit nicht in sich zurückhalten, konnte nicht verhindern, daß sich ein kleines, kaltes Lächeln auf seine Lippen stahl. Mühsam zwang Harry sich, endlich von der Bettdecke aufzublicken und Severus ins Gesicht zu sehen. In den grünen Augen mischten sich Wut und Schmerz und auch ein wenig hilflose Verzweiflung, gerade so, als wüßte Harry nicht, was er sagen sollte, wie er sich verteidigen konnte. Severus wurde zum ersten Mal bewußt, wie viel diese Augen schon gesehen hatten. Und trotzdem, sie wirkten noch immer wie die Augen des Elfjährigen, der damals zum ersten Mal einen Fuß in die Welt der Zauberei gesetzt hatte. So wenig schien sich verändert zu haben, obwohl seit damals alles anders geworden war, nichts mehr so war, wie zuvor. Alles hatte sich verändert, sie alle waren anders geworden. Auch an Harry Potter konnte das nicht vorbeigegangen sein. Gerade an ihm nicht. Severus wandte den Blick ab. "Es tut mir leid, Professor. Mir war nicht bewußt, daß ich die Leute um mich herum so verletzen würde. Ich habe gedacht, daß sie ihren Frieden finden würden, wenn sie wüßten, daß ich Voldemort vernichtet habe und dabei eben umgekommen bin. Ich dachte, daß es wesentlich schlimmer sein würde, sich von ihnen abzuwenden und es sie wissen zu lassen." Harry hob in einer fast hilflosen Geste die Schultern und schlang seine Arme um seinen Oberkörper. Eine pure Defensivhaltung, abweisend, um sich selbst zu schützen. Aber gleichzeitig machte es ihn noch zerbrechlicher und noch verletzlicher. "Damit hattest du vielleicht sogar recht, Harry. - Es... es tut mir leid. Ich bin wohl... einfach nur wütend." Harrys Augen weiteten sich ein wenig, doch mehr Reaktion zeigte er nicht. Ob er nicht konnte oder nicht wollte, konnte Severus nicht sagen. "Ich glaube, ich sollte..." murmelte Harry, bevor er seine Hand vor seinen Mund schlug und einen weiteren Blitzstart aus dem Bett in Richtung Badezimmer hinlegte. Severus folgte ihm mit einem besorgen Blick und sendete ein weiteres Stoßgebet aus, daß die aus Hogwarts bestellten Sachen bald da sein würden, damit er Harry zumindest ein paar ruhige Stunden schenken konnte. ~*~ "Wer bin ich?" "Das willst du nicht wissen." "Ich würde nicht fragen, wenn ich es nicht wissen wollte." "Frag nicht." "Ich hab aber schon gefragt!" "Dann vergiß die Frage schnell wieder." "WER BIN ICH?!" "..." "So wenig also." "Ich hab gesagt, du sollst nicht fragen." ~*~ Harry wirkte wie weggetreten, als Severus ihn vorsichtig vom kalten Boden des Badezimmers aufhob und zurück zum Bett trug. Diesmal war es sogar noch schlimmer gewesen. Trockenes Würgen, bis er schließlich ein wenig Magensäure gemischt mit Gallenflüssigkeit ausgespuckt hatte. Severus hatte ihn wieder während der ganzen Zeit festgehalten und sein Bestes versucht, um zu verhindern, daß Harry sich unter seinen Krämpfen zusammenrollte und sich noch mehr die Atmung abschnitt. Es war ein wahrer Kraftakt gewesen. So schwach und dünn Harry auch wirkte, er hatte immer noch überraschend viel Kraft und hatte Severus einen harten Kampf geliefert. Doch schließlich war es auch für den zähen Gryffindor wohl einfach zu viel geworden Nachdenklich beobachtete Severus, wie Harry sich fest in die dicke Decke des Bettes wickelte, doch natürlich half das nicht im Geringsten gegen das konstante Zittern und die gelegentlichen Schübe von Schüttelfrost, die nun auch immer häufiger kamen. Irgendwie wirkte das ganze bisher wie ein bizarres Fieber. Das Frieren und gleichzeitige Schwitzen, die Unmöglichkeit, den frierenden Körper irgendwie aufzuwärmen, das erschöpfte Zittern. Was hätte Severus nicht alles darum gegeben, wenn es auch wirklich nur ein Fieber gewesen wäre. Was hätte er dafür getan, wenn er jetzt in diesem Moment einem einfach nur kranken Harry auf der Krankenstation von Hogwarts hätte Gesellschaft leisten können. Einem Harry, der sich nicht dazu entschieden hatte, sich selbst dem größten Abschaum zuzuordnen, den Severus kannte - gleich nach den Todessern. Einem glücklichen Harry. - Doch auch wenn Severus es sich noch nicht eingestehen wollte, der Gedanke an einen glücklichen Harry erschien auch ihm von Minute zu Minute immer unwahrscheinlicher. Würde es das jemals geben? Er konnte nicht wirklich sagen, daß er Harry verstand oder ob er ihn jemals verstehen konnte. Aber er war eigentlich schon froh, daß der Junge überhaupt Anstalten gemacht hatte, es zu erklären. Er hatte vielleicht doch noch eine Chance. Vielleicht eine klitzekleine. Ein Klopfen an der Tür riß Severus aus seinen Gedanken. Lautlos erhob er sich von dem Stuhl und ging zur Tür hinüber. Dabei wurde er sich bei jedem Schritt immer bewußter, wie müde er inzwischen schon war. Er war nicht mehr der jüngste. - Wunderbar, er machte schlapp und schob es auf das Alter. Willkommen auf der nächsten Stufe des Verfalls! Severus schob den Gedanken ein wenig ärgerlich beiseite und öffnete die schwere Holztür des Zimmers. Tom der Wirt stand mit einer großen Kiste davor und lächelte Severus fast ängstlich an. "Es ist eine Lieferung aus Hogwarts für Sie gekommen, Professor." Severus nickte, das Gesicht wie immer vollkommen ausdruckslos und unbewegt. "Vielen Dank, Tom, ich habe bereits darauf gewartet." Entgegnete er kühl, aber nicht unfreundlich und nahm dem alten Wirt die Kiste ab. "Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Sir?" Severus brauchte keine besonders gute Beobachtungsgabe, um erraten zu können, daß Tom darum betete, daß er um Himmels Willen bloß nein sagen würde. Auch wenn er schon seit Jahren offiziell von allen Verdachtsmomenten gegen seine Person freigesprochen war, die Angst vor ihm, dieses ungute Gefühl, wenn man ihm begegnete, war noch immer da. Und es war eine gute Sache. Es hielt so manches Lästige von ihm fern. "Im Moment nicht, Tom." Tom nickte erleichtert, doch bevor er sich schließlich abwandte, um die Treppen zum Wirtsraum wieder hinunter zu steigen, drehte er sich noch einmal, als wäre ihm im letzten Moment etwas eingefallen. "Sir, ich lasse Ihnen das Abendessen heraufbringen. Sie sind nicht beim Frühstück und Mittagessen gewesen." Es war eine Feststellung, die Severus überraschte. Nicht, daß er nicht aß und es nicht einmal bemerkte, doch normalerweise wäre ihm nicht entgangen, daß schon wieder so viel Zeit vergangen war. "Danke Tom." Erwiderte er abwesend, bevor er dem alten Wirt die Tür praktisch vor der Nase ins Schloß fallen ließ. Ein Blick aus dem Fenster bestätigte die Worte des alten Mannes und Severus zog ein wenig unwillig die Augenbrauen zusammen. War er denn wirklich so auf Harry fixiert gewesen? Das war kein gutes Zeichen. Er sollte sich nicht so auf den Jungen fixieren. Das bedeutete nur wieder Schmerz. - Noch mehr Schmerz. "Er hat sich nicht verändert." Erklang plötzlich Harrys leise, brüchige Stimme in der Stille. "Was meinst du?" Ein wenig mühsam richtete Harry sich in dem großen Bett auf und versuchte dabei so wenig wie möglich von seinem Körper der Luft des Zimmers preis zu geben, obwohl Severus längst ein Feuer im Kamin gemacht hatte, das den Raum fast schon unangenehm aufheizte. "Tom. Er ist noch immer so, wie ich ihn in Erinnerung hatte. - Ich dachte, es hätten sich ein paar Sachen verändert." Severus zog die Stirn kraus und musterte Harry lange und ausgiebig, bevor er den Blick schließlich wieder der Kiste zuwandte, die Tom ihm gerade gebracht hatte. "Die Dinge haben sich verändert, aber nicht alle. Manche von uns, sind noch immer so, wie sie vor vier Jahren waren." Harry lächelte ein zittriges, kaum wahrnehmbares Lächeln, das Severus nicht sehen konnte, da er dem jungen Mann den Rücken zugewandt hatte. Doch er konnte es praktisch fühlen. Er wußte, daß es da war und dieses Wissen war wieder nur eine Stufe der Merkwürdigkeit. Die nächste, die er in dieser Sache erklomm. Wie viele da wohl noch folgen würden? "Sie haben sich verändert, Professor." Severus' Schultern versteiften sich bei Harrys Worten ein wenig, doch er kämpfte mit aller Macht dagegen an, Harry zu zeigen, daß diese Worte auf ihn irgendeine Reaktion hatten. "Wie kommst du darauf?" Das Lächeln wurde eine Winzigkeit breiter. Nicht vollkommen verändert, natürlich. Da war sie wieder, diese berühmte Abwehrhaltung, die giftigen Stacheln, die sich urplötzlich und ohne Vorwarnung aufstellten, sobald man Severus auch nur annähernd nahe kam. "Sie sind verletzter als damals. - Bin ich das gewesen, Professor?" Severus gesamte Haltung verkrampfte sich noch ein wenig mehr, als der Kampf in ihm härter wurde. "Rede keine Unsinn, Junge." Knurrte er abweisend, immer noch nicht wieder in der Lage, Harry anzusehen. Wenn er es jetzt getan hätte, dann hätte der Junge alles gesehen, die ganze Wahrheit. Dafür war er noch nicht reif. Vielleicht würde er es nie sein, das wußten nur die Götter, aber jetzt war definitiv nicht der Zeitpunkt, es zu testen. "Wenn ich es war, dann tut es mir ehrlich leid, Severus." Harrys Stimme klang unendlich traurig und der Impuls in Severus, einfach alle Vorbehalte über Bord zu werfen und endlich das zu tun, was er schon tun wollte, seit Harry am Tag zuvor in seine Arme gestolpert war, wurde übermenschlich. Doch wie so oft in seinem Leben zuvor, unterdrückte Severus das Gefühl, tat es als dumm und gefährlich ab. Wenn er Harry jetzt seine Zuneigung zeigte, dann erschreckte er den Jungen doch nur oder schlimmer noch, wurde von ihm abgewiesen. Was sollte ein Junge wie Harry schon mit den dummen Gefühlen eines alten Lehrers anfangen können? Das Rascheln der Decke sagte Severus, daß Harry wieder in eine liegende Position zurück geglitten war. Die Erleichterung darüber, daß das Gespräch damit wohl vorerst beendet war, machte sich augenblicklich in Severus breit und mit etwas mehr Zuversicht, die Kontrolle hier doch nicht zu verlieren, öffnete er endlich die Kiste und machte sich an die Arbeit. ~*~ "Was ist los mit dir? Leidest du etwa so gerne?" "Nein." "Dann hör mit den dummen Fragen auf. Merkst du denn nicht, daß dich jede Antwort nur noch mehr verletzt." "Das ist mir egal." "Idiot." "Ich muß es nun einmal wissen." "Warum? Unwissenheit kann so schön sein." "Mich macht sie krank." "Gut, dann frag halt weiter, du dummes Kind." "Wirst du antworten." "Seh ich so aus?" "Ich weiß nicht." "Warum nicht?" "Ich weiß nicht, wer du bist." "Was weißt du überhaupt?" "Nichts, das ist doch genau das Problem hier." "Idiot." "Du wiederholst dich." "Du doch auch." "Wer bin ich?" ~*~ Zufrieden wischte Severus sich den Schweiß von der Stirn und löschte das Feuer unter dem Kessel. Nicht, daß es eine besondere Herausforderung gewesen wäre, aber es war wenigstens ein gutes Gefühl, zu wissen, daß man etwas Sinnvolles getan hatte. Harry krümmte sich unter Schmerzen zusammen und stöhnte verhalten auf. Severus warf einen kurzen, besorgten Blick auf das schmerzverzerrte Gesicht des jungen Mannes, füllte dann aber entschlossen den fertig gebrauten Trank in die kleinen, dafür bereitgestellten Flaschen. Harry befand sich bereits seit Stunden in diesem Stadium und am besten konnte er ihm helfen, indem er das hier zu Ende brachte. Es würde Harry die ganze Sache erleichtern. Nachdem er den Trank abgefüllt hatte, verschloß er die Fläschchen sorgfältig und stellte sie zum vollständigen Auskühlen auf die Fensterbank, der einzige Ort im ganzen Raum, der ein wenig kühler war oder präziser gesagt, der einzige Ort, der nicht praktisch kochte. Es war inzwischen so warm in dem Raum, daß sogar Severus dazu übergegangen war, einen Teil seiner schützenden Mauer aus mehreren Schichten Kleidung abzulegen. Trotzdem schien die Wärme für Harry immer noch keine Erleichterung zu sein. Der Junge schlotterte erbärmlich, während er gleichzeitig immer noch wie verrückt schwitzte. Seine gelblich grau verfärbte Haut glänzte vor Nässe. Sie mußten den Höhepunkt bald erreicht haben. Lange konnte es nicht mehr dauern. Dann würde es zwar auch nicht schlagartig besser werden, aber immerhin auch nicht schlechter und das war im Vergleich zu den vergangenen Stunden schon ein enormer Fortschritt. Severus fuhr sich müde durch das fettige, schwarze Haar. Jetzt war es definitiv fettig, aber das war wohl auch kein Wunder. Zu gerne hätte er eine schnelle Dusche riskiert, aber er war sich nicht sicher, ob er Harry in seinem momentanen Stadium auch nur für ein paar Minuten aus den Augen lassen konnte. Ihm war auf alle Fälle nicht besonders wohl dabei, ob er es nun gekonnt hätte oder nicht. Mit einem Seufzen riß er sich von seinem Platz am Fenster los und ging zu Harry hinüber, der sich inzwischen so klein unter der riesigen Decke zusammengekauert hatte, daß er unendlich verloren wirkte in dem eigentlich gar nicht so übermäßig großen Bett. "Harry." Sanft berührte er den Jungen an der Schulter und augenblicklich fuhr Harry zusammen. Severus schloß einen Moment die Augen. Er tat ihm nicht weh. Nicht wirklich. Sein Körper war nur im Moment ein einziger Schmerz. Das war normal. Das hatte nichts damit zu tun, daß er es war, der ihn berührte. Severus atmete tief durch. Ein wenig half das Mantra sogar. "Harry, du mußt etwas trinken. Komm hoch." Harry verkrampfte sich noch ein wenig mehr, doch diesmal war Severus eindeutig der stärkere und zog Harry in eine halbwegs aufrechte Sitzposition, den schmalen Rücken des Jungen an seine Brust gelehnt. Harrys Kopf sank nach hinten. Severus schluckte, als die langen schwarzen Haarsträhnen ein wenig zurückfielen und den Blick auf Harrys ausgelaugtes Gesicht freigaben. Es war noch immer das wunderschöne Gesicht von damals, auch wenn es jetzt nur ein Schatten seiner selbst war. Und eines Tages würde es auch wieder voller Leben sein, mit einem Lächeln auf den jetzt blassen und aufgesprungenen Lippen, die dann wieder voll und von einer gesunden Farbe sein würden. Er würde das schon schaffen, auch wenn Harry im Moment vielleicht nicht mitmachen wollte. "Komm schon, Harry, es ist nur Wasser. Langsam schlucken." Drängte Severus ihn sanft, aber bestimmt und registrierte schließlich zufrieden, wie Harry seinen Kampf gegen das Wasser endlich aufgab und es schluckte. Doch fast sofort verschluckte Harry sich daran und bekam einen nicht enden wollenden Hustenkrampf. "Shh, Harry, ganz ruhig." Flüsterte Severus beunruhigt und legte einen Arm fest um Harrys Taille, um ihn aufrecht zu halten, bis er sich wieder gefangen hatte. Als der Husten ihn endlich losließ, sank Harry erschöpft gegen Severus zurück. Er war mit seiner Kraft am Ende. Selbst das Zittern war schwächer geworden, weil Harrys Körper kaum noch die Energie für diese Art von Muskelbewegung aufbringen konnte. "Ich weiß, daß es hart ist, Harry." Harry drehte den Kopf ein wenig und schmiegte so seine Wange gegen den Stoff des weißen Hemdes, das Severus trug. Severus war sich nicht sicher, ob Harry es noch bewußt mitbekam, aber für ihn selbst war diese Berührung unendlich furchtbar und schön zugleich. Harry rührte sein Herz und das war nicht richtig. Es war nicht richtig! Aber es überraschte ihn nicht. ~*~ "Es ist nicht wichtig, weil du nichts bist." "Warum sagst du das?" "Weil es wahr ist." "Und woher willst du das wissen?" "Na, weil ich du bin und du bist ich. Ist doch ganz einfach." "Du bist nicht ich." "So? Und woher willst du das auf einmal wissen?" "Ich weiß es." "Eben hast du noch etwas anderes gesagt." "Du kannst nicht ich sein." "Trotz bringt dich hier nicht weiter." "Das ist kein Trotz. Ich weiß es. Du bist nicht ich. Du bist mein Gegenteil." "Kluger Junge. Du bist weiß, ich bin schwarz. Zusammen sind wir grau. Nur so können wir existieren. Also bin ich du." "Schwachsinn!" "Das bringt nichts." "Das wird es." "Idiot." "Ich wäre einfallsreicher." ~*~ Die Krämpfe ließen im Laufe der Nacht ein wenig nach. Doch mit ihrem Ende kam das Erbrechen zurück. Als der Morgen schließlich über London graute, war Harry nicht mehr als eine wehrlose, graue Puppe, mit der Severus in diesem Moment alles hätte machen können. Weder Willen noch Kraft, sich gegen irgendwas zu wehren, waren noch vorhanden. Aber das würde noch kommen. "Hier Harry, nimm das." Müde blickte Harry auf die kleine Flasche in Severus' Hand. "Was ist das?" "Ein Trank, der die Entgiftung ein wenig schneller vorantreiben wird. Dann geht es dir bald besser." Harry drehte den Kopf weg und starrte leer an das andere Ende des Zimmers. "Nein. Schütten Sie es weg." "Harry." Drohend. "Ich möchte nichts einnehmen, Snape." Unendlich müde. "Ich habe dir schon einmal gesagt, daß ich bei deinem kranken Masochismus nicht mitmache, Harry. Also mach den Mund auf und trink den verdammten Trank oder ich werde persönlich dafür sorgen, daß du es tust." Wenn Harry noch die Kraft dazu gehabt hätte, hätte sich auf seinem Gesicht die grenzenlose Überraschung darüber gezeigt, daß Severus langsam die Beherrschung verlor. Vermutlich war er ebenso müde wie Harry, ebenso am Ende. Mit einem resignierten Seufzen drehte Harry Severus sein Gesicht wieder zu und nickte kaum merklich. Severus half ihm auf und setzte ihm das Fläschchen an die Lippen. Harry schmeckte kaum die Bitterkeit des Trankes, als er die Flüssigkeit schluckte und sie langsam seine Kehle hinab in seinen Magen rann. "Ich werde das Zeug ohnehin nur wieder auskotzen." Bemerkte er trocken. "Keine Sorge, das wirst du nicht." Harry schenkte Severus ein schwaches Lächeln, das dieser erwiderte und schloß dann müde die Augen. Schlafen, das war es, was er jetzt wollte. Lange schlafen. Sanft glitt Harry in die Dunkelheit hinab. Als Severus fühlte, wie Harrys verkrampfter Körper sich langsam entspannte und der Schlaf sich des Jungen bemächtigte, legte er ihn sanft wieder ab und deckte ihn zu. Fast schon liebevoll strich er ihm die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Es würde alles wieder gut werden und eines Tages würde sich sogar auch Harry darüber freuen. Es war alles nur eine Frage der Zeit. Doch jetzt war erst einmal die Zeit gekommen, den Jungen, der mal wieder überlebt hatte, zurück nach Hogwarts zu bringen. Der Schlaftrank den Severus unter den Entgiftungstrank gemischt hatte, sollte ihm eigentlich die Zeit einräumen, Harry zurück in die Schule zu bringen, ohne daß er es bemerkte. So würde die Reise für ihn auch viel weniger anstrengend sein. Nachdenklich blickte Severus in das aschfahle Gesicht, das jetzt im künstlichen Schlaf auch endlich wieder ein wenig entspannt und schmerzfrei wirkte. Er hatte ihn gefunden. All die Jahre hatte er daran geglaubt, daß Harry noch irgendwo dort draußen war und lebte und seine Hoffnung hatte ihn zum ersten Mal in seinem Leben nicht enttäuscht. Trotzdem, er fühlte sich mit der Aufgabe, die das Schicksal ihm offensichtlich als Preis für Harrys Leben stellte, nicht gewachsen. Das war nicht zum ersten Mal in seinem Leben so, aber es war das erste Mal, daß er aufrichtige Angst davor hatte, bei einer Aufgabe zu versagen. Bisher hatten solche Aufgaben sich immer um Lord Voldemort gedreht und hatten lediglich sein eigenes Leben bedroht. Jetzt war das anders. Jetzt war es Harrys Leben, das hier im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand. Ein Leben, das seinem "Besitzer" nichts wert war, das dieser wegwerfen wollte und er mußte das nicht nur mit aller Macht verhindern, ausgerechnet er mußte Harry auch irgendwie klar machen, daß er sein Leben wieder lieben mußte. Severus hatte schon oft gehört, daß das ganz leicht sein sollte. Man mußte diesen Menschen nur zeigen, daß sie geliebt wurden, mußte dafür sorgen, daß sie das sahen und erkannten. Und dann hatte man eigentlich schon gewonnen. Aber war das nicht so, als würde ein Blinder dem anderen Blinden das Sehen beibringen? Er hatte Angst und er hatte nicht die geringste Ahnung, was ihm diese Angst nehmen sollte. Aber es ging hier um Harry. Den Jungen, um den er seit vier Jahren gebangt hatte. Jetzt war nicht die Zeit, Angst zu haben. Und Angst war ein Gefühl, das man so wunderbar leicht ignorieren konnte, wenn man ein wenig Übung darin hatte. Die hatte er. Vorsichtig und zärtlich streichelte Severus Harry mit dem Daumen über die schweißnasse Wange und lächelte. "Verfluch mich ruhig dafür, daß ich dich gefunden habe, Harry. Aber du wirst schon sehen, ich habe dir einen Gefallen getan. Ich werde geduldig für dich sein, auch wenn es für dich nicht immer so aussehen wird. Verzeih mir einfach, wenn ich kalt und grausam zu dir bin. Nimm es dir nicht zu Herzen, wenn ich deine Gefühle abschmettere oder mit ein paar kalten Worten abtue. Du weißt, das bin nur ich, aber ich werde immer da sein, wenn du mich brauchst. Irgendwann wirst du merken, daß das eine gute Sache ist. Nicht jetzt, aber bald." Harry drehte seinen Kopf ein wenig im Schlaf, als wollte er den Kontakt zwischen seiner Wange und Severus' Daumen darauf noch ein wenig intensivieren. "Ich fürchte, ich bin ein sentimentaler Idiot, daß ich mein Herz in meinem Alter noch einmal an jemanden hänge. Und ein zweifacher Idiot dafür, daß es ausgerechnet Harry Potter ist." Murmelte er düster vor sich hin, bevor er sich von Harry losriß, um ihre Abreise vorzubereiten. Hosted by Animexx e.V. 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