Die Prinzessin aus Marzipan von Erzsebet (Phantasiestück in fünf Aufzügen) ================================================================================ Kapitel 4: 3. Aufzug, 2. Bild ----------------------------- Thronsaal der Wasserburg 'Königsblick' Auf dem Weg zum Thronsaal kam ihnen ein Diener entgegen. "Die Schausteller sind in Schwarzweiß - Burgberg!" rief er mit strahlendem Gesicht. "Heute nachmittag geben sie im Schloßhof eine Vorstellung!" und schon war er an Hofzauberer und Hofastronom vorbei. Kopfschüttelnd drehte sich der Hofzauberer zu dem Davoneilenden um. "Nein, diese Jugend", sagte er fast tadelnd und grinste breit. Der Hofastronom wartete nicht auf den Hofzauberer und betrat den Thronsaal, in dem er ein munteres Menschengewimmel vorfand. In den buntesten und phantasievollsten Kostümen, die nur vorstellbar waren, präsentierte sich die Schaustellertruppe Ihren Majestäten; ein wichtig aussehender Mann mit einem imposanten schwarzen Vollbart stellte die Akteure mit dröhnender Stimme vor. "Und hier seht Ihr meine Schwestersöhne, Majestäten. Sie gleichen einander wie ein Ei eines Vogels sich selbst ähnelt. Seht nur, ihre Haare sind vom gleichen hellen Gold, ihre Augen haben das gleiche lichte Grau, und denkt nur, als sie geboren wurden, da waren die letzten Finger ihrer linken Hände miteinander verwachsen, doch dieser doppelte Finger hatte nur vier Glieder, so daß beiden, als man sie nach der Geburt voneinander trennte, das oberste Glied ihrer kleinen Finger fehlte." "Was sagt Ihr da?!" rief der Hofastronom, und der Hofzauberer, der inzwischen den Thronsaal erreicht hatte, bahnte sich mit seinen spitzen Ellbogen einen Weg durch die Menge. "Meister Schausteller, zeigt mir einmal Eure Schwestersöhne", verlangte der Hofzauberer streng und irgend etwas ließ ihn plötzlich viel größer erscheinen, so daß der sehr große, wie ein Schrank gebaute Schausteller versucht war, zu dem alten Mann aufzublicken. "Aber natürlich, selbstverständlich", beeilte sich der Schausteller zu sagen und verneigte sich vielmals. Er zog zwei, vielleicht fünfzehnjährige Jünglinge aus der Menge. Ihre blonden, frischgewaschenen Haare leuchteten im Tageslicht, das durch die hohen Fenster des Thronsaales drang, wie pures Gold, und ihre Augen waren hell wie polierte Silbermünzen. Der Hofzauberer besah sie sich prüfend, ohne ein Wort zu sprechen. Er kontrollierte mit seinen blitzenden grünen Augen die Finger ihrer linken Hände und nickte fast widerwillig, aber zustimmend. "Wer ist der Vater dieser Jünglinge?" fragte er dann den Schausteller. "Oh, verehrter Meister Hofzauberer, ihr Vater war Raubtierbändiger, bis ihn einer seiner Bären fraß. Ich nahm beide an Sohnesstatt an und sorge für sie wie ein leibhaftiger Vater." "Könnt Ihr mir sagen, Meister Schausteller, ob diese beiden Jünglinge noch unberührt sind?" fragte der Hofastronom, der sich inzwischen durch die bunte Menge gearbeitet hatte. "Soeine Frage in aller Öffentlichkeit zu erörtern halten Wir...", begann der König und wand sich unbehaglich auf seiner Hälfte des Thrones. "Ach laß nur, Ferdi, der Hofastronom wird schon wissen, warum er...", widersprach ihm die Königin, aber inzwischen hatte sich der Schausteller bereits dazu durchgerungen, auch ohne den Segen Ihrer Majestäten auf die Frage zu antworten. "So wahr die Sonne des Tages ihr Licht der Erde spendet, so gewiß weiß ich, daß sie keine Frau je gekannt haben", sagte der Schausteller entschieden. "Das ist guuut", ließ sich der Hofzauberer leise vernehmen. Er stieg einige Stufen des Thrones zu Ihren Majestäten empor und informierte sie in kurzen flüsternden Worten, wofür der Hofastronom und er selbst die beiden Jünglinge benötigten und warum sie für zwei goldene Gewänder, einen silbernen Spaten, diverse Dracheneinzelteile, zwei Zentner Mandeln und zehn Liter Maraschino um ein etwas erweitertes Budget nachsuchen wollten. "Und außerdem bedürfen wir noch des Dienstes des Wanderpredigers von der Goldenen Schüssel, der sich vor einigen Wochen in Schwarzweiß - Burgberg niedergelassen hat", ergänzte der Hofastronom, als der Hofzauberer seinen Bericht beendet hatte. "Wozu das?" fragte die Königin. Wie fast alle im Königreich Schwarzweiß - Burgberg glaubte die Königin Amalie von Weißenburg an die Offenbarungen des Großen Unbekannten, ein Glaube, der sich schon vor Urzeiten in der Region durchgesetzt hatte. Auch der König bekundete gelindes Erstaunen, der Hofzauberer ahnte jedoch, worauf sein Kollege auf Zeit hinauswollte. Der Hofastronom erklärte es Ihren Majestäten, nachdem die Schausteller aus dem Thronsaal geführt worden waren und sichergestellt war, daß die beiden blonden Jünglinge die Wasserburg nicht vorzeitig verließen: "Zur Bekörperung der Prinzessin Helene brauchen wir unter anderem einen heiligen Mann ihrer Konfession. Da sie eine Prinzessin der Nordsümpfe ist, hat sie, wie alle dort geborenen Kinder, die Konfession ihrer Mutter. Die jedoch stammt von den Goldenen Inseln, auf denen die Mutter ihre Konfession den Töchtern vererbt, der Vater die seine den Söhnen. Aus den Büchern, die mir in der Bibliothek von 'Königsblick' zur Verfügung stehen, und Dank der Akribie der Chronisten vergangener Jahrhunderte, kann ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, daß die Mutter der Mutter der Prinzessin Helene ursprünglich aus dem östlichen Bergland von Hohenfels stammt und, nach dort üblichem Gebrauch, im Glauben an die Große Leere erzogen wurde. Kurz bevor die Mutter der Mutter der Prinzessin Helene jedoch nach den Goldenen Inseln verheiratet wurde, begann in Hohenfels ein großangelegter Bekehrungsfeldzug der Vereinigten Kirchen, vor allen Dingen von den Gläubigen der Goldenen Schüssel und den Gläubigen der Ewigen Weisheit getragen. Im Osten Hohenfels' setzten sich die Anhänger der Goldenen Schüssel weitestgehend durch, so daß man mit einiger Gewißheit behaupten kann, daß die Mutter der Mutter der Prinzessin Helene im Sinne der Glaubensgemeinschaft der Goldenen Schüssel getauft und vereidigt wurde und es später ebenso mit ihrer Tochter und deren Tochter, der Prinzessin Helene, geschah, denn von Bekehrungsfeldzügen auf den Goldenen Inseln oder in den Nordsümpfen ist nichts verzeichnet." Der König strich sich nachdenklich über seinen angegrauten Bart. "Nun, Jakob ist Unser einziger Sohn. Sein Wohl sollte Uns und dem Königreich am Herzen liegen. Gold und Geld sind ersetzbar, das Glück des einzigen Sohnes sicherlich nicht." Die Königin bedachte ihren Gemahl mit einem zustimmenden Lächeln. "Euch werden alle benötigten Mittel, materieller und finanzieller Art, ohne Einschränkung zur Verfügung gestellt", fuhr der König fort. "Dann können Wir sicher schon bald die Verlobung Unseres Sohnes feiern." * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)