Pet von Maginisha ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Wasser. Makoto spürte, wie es warm über seine Finger lief. Wie es streichelte. Beruhigte. Ihn hielt und auffing. Ein Moment der Schwerelosigkeit. Des völligen Losgelöstseins. Wenn die Geräusche der Welt dumpf wurden und er allein war mit sich und seinem Atem. Seinem Herzschlag. Wenn alles zerfloss und nur noch Stille zurückblieb. Stille und Wasser.   „Er wird später sicher mal Bademeister“, hatte seine Mutter oft gescherzt, wenn sie ihn mal wieder nur unter maximalem Protest aus dem nahen Sentō bekommen hatte. Wenn es nach Makoto gegangen wäre, hätten sie den ganzen Tag im Badehaus zubringen können. Nur er und seine Mutter. Sie war dort immer so fröhlich gewesen. So entspannt. Weit weg von den Sorgen des Alltags. Der Frage, wie sie es schaffen sollte, genug Essen für alle auf den Tisch zu bringen. Mit der Geburt der Schwester war es anders geworden. Sie hatte sich eine Arbeit gesucht. In einer Wäscherei. Makoto hatte noch den Geruch der heißen Baumwolle in der Nase. Den Klang der Maschinen in seinem Ohr. Das Zischen und Klappern. Die unendlichen Reihen gewaschener Textilien, fein säuberlich aufgereiht wie in einem Kaufhaus. Er hatte diesen Anblick immer geliebt. War stundenlang zwischen Laken und frisch gebügelter Bettwäsche herumgelaufen wie in einem Wald voller weißer, weicher Bäume. Doch dann war die Schwester krank geworden, die Mutter hatte die Arbeit verloren. Sie hatte sich um ihr Kind kümmern müssen. Kein Geld für den Arzt gehabt. Irgendwann war die Schwester gestorben und ein Teil von Makotos Mutter war mit ihr fortgegangen.   „Hoffentlich wird er mal etwas Anständiges“, hatte sie von dem Tag an gesagt und Makoto hatte gewusst, was sie damit gemeint hatte. Er sollte sich eine Arbeit suchen, bei der man viel Geld verdiente. Genug, um zu essen. Genug, um zum Arzt zu gehen. Genug, damit sie nie wieder so leiden musste.   Und jetzt sieh, was aus mir geworden ist, dachte Makoto bei sich und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Bündel Mensch, das dort vor ihm auf dem Hocker saß. Gefesselt und blau geprügelt. Verletzt. Sein Leben in Makotos Hand.   Das ist sicher nicht das, was deine Mutter gewollt hätte.   Aber es half nichts. Das Leben verlief nicht immer in geraden Bahnen und Makoto musste froh sein über das, was er hatte. „Sch“, machte er noch einmal, als der erste Wasserstrahl die Haut des Gefangenen berührte und der zusammenzuckte, als hätte Makoto ihn geschlagen. „Es ist nur Wasser.“   Wie, um ihn zu beruhigen, trat Makoto näher. Seine Hand fiel auf die schmale Schulter, während das Wasser in langen Kaskaden über den restlichen Körper hinwegströmte. Den Dreck fortwusch. Und die Erinnerungen. „Ich werde mich zuerst m deinen Kopf kümmern.“ Er wusste nicht, warum er das ankündigte. Vielleicht, damit der Junge nicht wieder erschreckte. Damit er stillhielt, während Makoto anfing, das Blut aus seinen Haaren zu waschen. Wie fein und seidig es sich anfühlte, bevor das Wasser es benetzte. Makoto bemühte sich, die verklebten Brocken zunächst aufzuweichen und dann erst herauszuziehen, aber es war mühselig und er spürte, wie der Junge ein ums andere Mal zusammenzuckte. „Ist gleich vorbei“, murmelte Makoto und hoffte, dass die Wunde nicht erneut anfing zu bluten. Er wusste natürlich, dass Treffer am Kopf oft schlimmer aussahen, als sie in Wirklichkeit waren. Als es ihn mal an der Augenbraue erwischt hatte, hatte er ausgesehen wie aus einem Horrorfilm. Am Ende hatten ein paar Stiche gereicht, um die Wunde zu schließen. Zurückgeblieben war nur eine kleine Narbe. Ein feiner, heller Strich, der die dunkle Haarlinie seiner linken Braue unterbrach. Nichts, was ihn entstellte. Nur ein Andenken an eine unangenehme Begegnung. Dem Jungen würde es ebenso ergehen und irgendwann würde er vergessen.   „So, geschafft“, verkündete Makoto. Er hatte nicht alles Blut entfernen können, ohne zu nahe an die eigentlich Verletzung heranzukommen. Trotzdem konnte er jetzt erkennen, dass die Wunde zwar lang, aber weder besonders breit noch besonders tief war. Der Himmel wusste, woher sie stammte und warum sie so stark geblutet hatte.   Vielleicht waren das die drei Bozos.   Mit einem Griff unterbrach Makoto den Wasserstrahl und legte die Brause zur Seite. Danach langte er nach einem der Spender, die auf dem Regal an der Wand standen. Die Flasche mit dem schwarzen Etikett versprach eine herbe Duftnote. Makoto gab etwas davon auf seine Hand, bevor er sich wieder dem Gefangenen zuwendete. Der saß immer noch auf dem kleinen, weißen Hocker wie eine Statue. Makoto atmete tief ein. Also dann.   Er verrieb das nach Sandelhoz und Zeder duftende Gel zunächst zwischen seinen Fingern, bevor er mit beiden Händen gleichzeitig erneut nach den Schultern des Jungen griff. Wieder lief ein fast unmerkliches Schauern durch den gefesselten Körper. Makoto versuchte es zu ignorieren, aber er schaffte es nicht. „Keine Angst. Ich will dich nur waschen.“   Als wenn es das besser machen würde. Er wusste, dass das hier nicht normal war. Nichts, was er sagen würde, konnte es dazu machen. Und doch wollte er es versuchen. Er wusste nur nicht warum.   „Ist gleich vorbei.“   Nicht, dass das stimmte. Im Gegenteil. Die Fesseln, die Kopfwunde, das Ding zwischen seinen Beinen. All das würde die Prozedur nur komplizieren. Und doch gab Makoto diesen Nonsens von sich. Er schüttelte über sich selbst den Kopf. „Halt einfach still.“ Während er das sagte und begann, seine Hände zu bewegen, fragte er sich unwillkürlich, wie oft der Junge diesen Satz wohl schon zu hören bekommen hatte.   'Halt einfach still.' 'Es ist gleich vorbei.' 'Du willst es doch auch.'   Makotos Bewegungen wurden langsamer, als ihm klar wurde, was er gerade gedacht hatte. Er wusste, dass er keine Alternative hatte. Er hatte die Aufgabe, sich um den Jungen zu kümmern, und ihn in dem Zustand zu belassen, in dem er hergekommen war, war keine Option. Aber machte es das in irgendeiner Weise besser?   'Ich tue das hier nur für dich.'   Er hätte es sagen können, aber es wäre ebenso eine Lüge gewesen wie jedes Mal, wenn sein Vater den Gürtel abgenommen hatte. Makoto wollte nicht lügen.   Dann sag eben gar nichts, herrschte er sich selbst an und fuhr damit fort, den Jungen einzuseifen. Seine Hände glitten über den schmalen Körper, über seine Schultern, seine Arme, die Brust und tiefer. Er fühlte die Bauchdecke unter seinen Berührungen zittern. Die Anspannung darunter in Erwartung von etwas, das Makoto nicht vorhatte zu tun. Ob er das dem Jungen sagen sollte?   Quatsch! Er wird es schon merken.   Makoto zog seine Hände zurück. Verteilte erneut Seife darauf und rieb sie dem Jungen unter die Achseln. Die Fesseln ließ er, wo sie waren. Er konnte nicht riskieren, dass er sich befreite. Aber er musste sauber werden. Überall. Wieder richtete Makoto sich auf.   „Dreh dich herum.“   Der Junge reagierte nicht. Makoto wusste, dass er ihn gehört haben musste. Sie waren schließlich allein, das Bad war nicht groß. Gerade so, dass Makoto sich ungehindert darin bewegen konnte. Es wäre also möglich gewesen, dass er einfach um den Jungen herumging. Aber er wollte nicht. Der Bursche sollte sich gefälligst umdrehen. „Hey! Hast du nicht gehört? Dreh dich um!“   Dieses Mal erhielt Makoto eine Reaktion. Der Junge hob den Kopf. Wasser tropfte aus seinen Haaren, die jetzt dunkler als zuvor um seinem Kopf lagen. Eine feine Gänsehaut hatte seinen Körper überzogen und Makoto verstand, dass ihm kalt sein musste. Der Raum war immerhin nicht geheizt – wie auch, sie waren ja gerade erst angekommen – und das Wasser tat sicher sein Übriges. Makoto griff noch einmal zur Brause. „So eine Verschwendung“, brummmelte er, drehte aber trotzdem das warme Wasser auf. Der Junge zuckte zusammen, als es ihn berührte. Vielleicht tue ich ihm weh.   Makoto hatte gesppürt, dass einige der Striemen rau und erhaben waren. Winzige Wunden, in denen die Seife jetzt stach und juckte. Dazu das heiße Wasser …   Makoto regelte die Temperatur etwas herunter. Wasserdampf füllte mittlerweile die Luft. Vielleicht hatte er es mit der Wärme etwas übertrieben. „Besser?“, fragte er und biss sich im nächsten Moment auf die Zunge. Er sollte solche Dinge nicht fragen. Es erleichterte ihn trotzdem, dass der Junge nickte.   „Du hättest sagen können, dass es zu heiß ist“, murmelte Makoto und bemühte sich, die Seifenreste schnell abzuspülen. Er hörte, wie der Junge schnaufte. Nun gut, mit dem Knebel im Mund war es vielleicht etwas schwierig, sich zu beschweren, aber er hätte es … zeigen können. „Jetzt noch die Füße. Dreh dich herum.“   Dieses Mal gehorchte der Junge. Er rutschte auf dem Schemel herum, die gebundenen Beine als Stütze benutzend. Erst, als er mit dem Gesicht Makoto zugewandt war, hielt er an. Ein Blick von unten herauf traf Makoto. Fragend. Interessiert. Viel wacher als zuvor. Neugierig. Makoto wandte den Kopf ab.   „Guck nicht so dumm. Wir müssen dich waschen.“   Mit zusammengepressten Kiefern griff er erneut nach der Seife. Er vermied es, den Jungen anzusehen, obwohl er dessen Blick immer noch auf sich fühlen konnte. Ungeachtet der Tatsache, dass der Boden nass war, kniete er sich hin, griff nach dem Füßen des Jungen und zog sie zu sich heran. „Halt still“, knurrte er, während er anfing, die Seife zunächst auf dem Spann und um die Knöchel herum zu verteilen. Als er damit fertig war, rutschte er ein Stück zurück und stellte die Füße auf, sodass er auch die Sohlen erreichen konnte. Sie waren dunkel vor Dreck. Makoto rümpfte die Nase. „Ich hoffe, du bist nicht kitzlig“, brummte er, während er nach der Bürste griff. Kaum hatten die ersten Borsten jedoch die Haut des Jungen berührt, verkrampfte sich seine Haltung. Makoto merkte es und hob den Blick.   „Doch kitzelig?“, fragte er. Der Junge sah ihn einen Augenblick lang an, dann nickte er. In seinem Blick eine leise Furcht. Makoto holte tief Luft. „Dann beiß die Zähne zusammen“, knurrte er, fasste den Fuß des Jungen fester und begann zu schrubben. Er konzentrierte sich auf die Bewegung. Versuchte das angestrengte Atmen über sich zu ignorieren. Das Winden und Wimmern. Die Anspannung der sehnigen Muskeln unter seinen Fingern. Die gekrümmten Zehen, hilflos gefangen in seinem eisernen Griff. Ein seltsames Kribbeln erfasste ihn, während er die Fußsohlen bearbeitete. Immer wieder mit den harten Borsten darüber strich und sie so zum Glühen brachte.   Nur noch ein bisschen.   Ein hohes, flehendes Geräusch ließ ihn innehalten. Makoto hob den Kopf und sah, dass das Gesicht des Jungen gerötet war. Seine Augen glänzten feucht und er atmete so heftig, dass Makoto befürchtete, er würde gleich ohnmächtig werden. Sofort ließ er die Bürste sinken. Das Herz klopfte ihm in der Brust.   „Ich …“   Er brach ab. Wusste nicht, was er sagen sollte. In seiner Hand immer noch die schmale Fessel des Jungen. Seine Füße, lang und elegant. Passend zu seinen Beinen. Makotos Blick verfing sich darin. Blieb hängen an den Bahnen aus feiner, makelloser Haut. Es war, als könne er etwas sehen, das eigentlich nicht existierte. Denn in Wirklichkeit waren da Kratzer und Schnitte. Blaue Flecken und Abschürfungen. Aber darunter … darunter lag Schönheit. Rein und unverfälscht. Makoto spürte sich selbst zucken. Eine Hitzewelle, die ihn durchströmte. Vollkommen unerwartet. Und unerwünscht. „Das … deine Füße sind jetzt sauber“, sagte er, seine Stimme brüchig. Vorsichtig, so als hielte er etwas Kostbares, stellte er den Fuß des Jungen wieder zu Boden. Nicht jedoch, ohne ein letztes Mal über die empfindlichen Fußsohlen zu streichen. Er erntete einen Schauer und ein erneutes Zucken. Bei sich selbst.   Trottel!   „Ich … w-werde dich jetzt abspülen. Und die Wunde desinfizieren.“   So schnell er konnte, erhob sich Makoto. Seine zitternden Finger fanden den Griff der Brause. Den Knopf, der das Wasser anstellte. Mit einem Zischen erwachte der warme Strahl zum Leben. Makoto richtete ihn auf den Jungen, ging um ihn herum. Spülte Seifenreste ab, die nicht da waren. Alles nur, um ihn nicht ansehen zu müssen. In seinem Inneren rumorte es.   Es ist nichts. Nur ein Versehen. Nichts, was dich beunruhigen müsste.   Als er endlich alles, selbst sein Herzklopfen, weggewaschen hatte, schaltete Makoto das Wasser wieder ab. Er griff nach dem bereitgelegten Handtuch, wickelte den Jungen hinein. „Warte hier“, befahl er und drehte sich herum, um der Tür zuzustreben. „Ich hole das Verbandszeug.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)