Pet von Maginisha ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Die Hütte lag am Rand eines kleinen Waldstücks inmitten einer idyllischen Berglandschaft. Intensives Grün wechselte zu felsgespicktem Braun, als die Reifen des Wagens knirschend auf dem kleinen Vorplatz zum Stehen kamen. Wobei klein relativ war. Auf der von Sand und Steinen bedeckten Fläche, hätten mindestens drei Busse parken und ein weiterer wenden können. Baumstämme lagen aufgestapelt am Rand der Freifläche. Möglicherweise ein Bauplatz für eine weitere Hütte. Oder ein Schwimmbad. Obwohl sich Makoto nicht vorstellen konnte, wer so weit hätte rausfahren sollen, nur um schwimmen zu gehen.   Verdammter Shisu.   Makoto ließ den Kopf von rechts nach links kreisen. In seinem Nacken knackte es. Die mehr als drei Stunden Fahrt hatten ihre Spuren hinterlassen. Angehalten hatte er nur einmal kurz vor dem Ziel, um Vorräte einzukaufen. Wasser, Instantnudeln und – nach einigem Zögern – auch eine Tüte Fruchtbonbons lagen jetzt auf dem Rücksitz. Im Fußraum neben ihm noch ein Sixpack. Makoto konnte die Wassertropfen sehen, die sich auf den gekühlten Dosen gebildet hatten. Unbewusst leckte er sich über die Lippen. Seine Kehle war ausgedörrt und in seiner Vorstellung er bereits das Prickeln der herben Flüssigkeit daran hinabrinnen spüren. Wie gerne hätte er sich jetzt mit einem Bier in die Wanne gelegt, die Augen geschlossen, halb dösend den Nachrichten im Fernsehen lauschend, bis das Wasser zu kalt war, um noch weiter darin auszuharren.   Später, nahm er sich vor. Zuerst musste er sich noch um seinen „Gast“ kümmern.   Makoto stieg aus, streckte sich und atmete tief ein. Die Sonne brannte vom Himmel, die Luft schwanger mit den verschiedensten Aromen. Sand, Gras, feuchte Erde und Blauregen. Ein Baum mit violetten Blütenständen nahe des Hauses. Seine Zweige wehten im Wind.   Makoto erstarrte. Schweiß trat auf seine Stirn und sein Atem stockte, während die Bilder auf ihn einstürmten. Er lief einen Gang entlang, öffnete eine Tür. Eine Frau mit langen, dunklen Haaren halb von ihrem Futon gerutscht. Auf dem Boden schaumiges Erbrochenes, in ihrer Hand ein welker Blütenzweig. Eine Fliege krabbelte über ihr Gesicht und in der Luft lag ein erstickend süßer Geruch. Wie Gift. Makoto fühlte noch einmal den Schwindel von damals in sich aufsteigen. Den Drang, sich zu übergeben, obwohl sein Magen leer war. Der Anblick seiner toten Mutter, die er nicht gewagt hatte zu berühren.   „Zwei Mäuler weniger zu stopfen“, hatte sein Vater gesagt, als sie sie und das Kind unter ihrem Herzen auf dem Platz gleich neben seiner kleinen Schwester begraben hatten. Fünf Jahre später hatte Makoto allein vor dem flachen Stein gestanden. Ein anderes Gift, ein anderer Tod. Das Ganze lag mittlerweile fast zwei Jahrzehnte zurück und trotzdem ließ ihn diese Erinnerung immer noch nicht los. Schluss jetzt. Es ist nicht die Zeit dafür.   Makoto schüttelte den Kopf. Er brauchte wirklich dringend etwas zu trinken. Je hochprozentiger, desto besser. Zuerst einmal musste er jedoch das Ding in seinem Kofferraum versorgen. Entschlossen ging Makoto um den Wagen herum und öffnete die schwarzglänzende Haube. Eine Wolke sehr menschlichen Geruchs stieg auf und vertrieb für einen Moment die saubere Bergluft. Makoto verzog das Gesicht. Dieser Bursche stank wirklich zum Steinerweichen.   Vielleicht hätte ich ihm einen Duftbaum umhängen sollen.   Makoto hob die Oberlippe zu einem freudlosen Lächeln, bevor er die Hand nach dem geschundenen Körper ausstreckte. Routiniert fanden seine Finger einen schwachen Puls. Ein wenig zu flache, aber gleichmäßige Atemzüge ließen darauf schließen, dass der Bursche schlief. Oder vor Erschöpfung ohnmächtig geworden war. Gut. Dann macht er wenigstens keinen Unsinn.   Ohne den Kofferraum wieder zu schließen, ging Makoto zurück nach vorn. Die Schlüssel zum Haus lag noch unter dem Armaturenbrett und das Bier …   Ein dumpfes Poltern ließ ihn auffahren. Es wurde gefolgt von einem Zischen und dem Geräusch von Schritten, die sich schnell entfernten. „Was zum …?“   Er haut ab!   Makoto überlegte nicht lange. Eilig ließ er alles fallen, was er gerade noch aus dem Fußraum geklaubt hatte, und hetzte hinter dem Flüchtigen her. Der Junge strauchelte und taumelte. Seine nackten Füße im Kampf mit dem steinigen Untergrund. Trotzdem war er flinker, als Makoto ihm zugetraut hätte. Viel fehlte nicht, und er hätte den Waldrand erreicht. Oder die Straße. Es gab nur eine Lösung. „Hab ich dich.“   Makoto sprang und riss seine Beute im Fallen zu Boden. Mit einem Schmerzenslaut landete der Flüchtige unter ihm. Sein Kinn küsste den Asphalt. Er schrie, versuchte herumzurollen. Trat um sich, spuckte und fauchte. Makoto fletschte grollend die Zähne.   „Halt still!“, knurrte er, während er versuchte, den sich Windenden unter Kontrolle zu kriegen. Die Steine, die wild umherspritzten, mussten den Untergrund in ein Nagelbett verwandeln, aber Makoto kümmerte sich nicht darum. Er schnappte sich den Arm des Jungen, riss ihn herum und fixierte ihn, während er den Rest seines Körpers mit seinem vollen Gewicht nach unten presste. Doch der Junge gab nicht auf. Er kämpfte und tobte. Versuchte sich zu befreien.   „Halt endlich still oder ich brech dir den Arm!“   Die Drohung wirkte. Die Bewegungen des Jungen erlahmten. Geschlagen ließ er den Kopf sinken. Sein Atem ging stoßweise. Er wirbelte kleine Staubfahnen auf und atmete sie keuchend wieder ein. Auch Makoto rang nach Luft. Das hier war anstrengender, als er erwartet hatte. Verärgert drückte er noch einmal zu. „Was sollte das werden?“, schnauzte er. „Wolltest du fliehen? Hier? Mitten im Nirgendwo?“ Der Junge antwortete nicht. Makoto konnte seine Lippen zucken sehen. Das Zittern seines Kiefers. Er musste Schmerzen haben. Bekam keine Luft. Makoto wog immerhin an die 180 Pfund, während der Bursche unter ihm wahrscheinlich gerade mal die Hälfte auf die Waage brachte. Wenn er sich Mühe gegeben hätte, hätte Makoto wohl seine Rippen zählen können. Das Handgelenk in seinen Fingern wie die Zweige einer jungen Weide. Makoto widerstand dem Drang, noch einmal daran zu reißen. Immerhin hatte er die Aufgabe bekommen, den Burschen zusammenzuflicken, nicht, ihn endgültig zu erledigen. Das wiederum hätte ihn wohl kaum mehr Kraft als das Öffnen einer Bierdose gekostet. Der Knabe war so schmal. So fragil. Lass dich nicht täuschen. Das Früchtchen hat es faustdick hinter den Ohren.   Die Erkenntnis kam so plötzlich, dass Makoto beinahe gelacht hätte. Kein Wunder, dass Shisu ihm den Kleinen überlassen hatte. Der Bursche bedeutete Ärger. „Na schön“, knurrte Makoto und fasste noch einmal nach. „Wir werden jetzt reingehen und du wirst keine Mätzchen machen. Verstanden?“   Als er keine Antwort bekam, drückte er den Arm des Jungen etwas weiter nach oben. Ein gequälter Laut drang an sein Ohr. „Ich fragte, ob du verstanden hast.“   Immer noch keine Reaktion. Dann endlich ein schwaches Nicken. Es ließ die Haare des Jungen zur Seite rutschen und entblößte ein schmales, schwarzes Halsband. Es war neben den ebenfalls schwarzen, enganliegenden Shorts das Einzige, was er am Leib trug. „Na bitte. Geht doch“, grollte Makoto, lehnte sich zurück, kam auf die Füße und zog seine lädierte Fracht ohne große Mühe mit sich nach oben. „Los“, kommandierte er noch und schob den Jungen nach vorn Richtung Haus, ohne seinen Griff zu lockern. Der Bursche stolperte und taumelte. Brach ein paar Mal fast in die Knie. Er wimmerte und zischte. Zog den Fuß nach und schien große Schmerzen zu haben. Makoto schnaubte unwillig. „Was denn?“, wollte er wissen. „Gerade noch bist du hier herumgesprungen wie ein junges Reh und jetzt kannst du auf einmal nicht mehr laufen?“   Vielleicht hat er sich verletzt.   Die Möglichkeit bestand und wenn Makoto ihn jetzt noch weiter trieb …   Mit einem Seufzen blieb er stehen. Dieser Auftrag wurde mit jedem Moment mühsamer.   „Na schön. Lass mal sehen.“   Makoto wollte sich herunterbeugen – den Schaden begutachten, den er und die Steine an den zarten Füßen des Kleinen angerichtet hatten – doch er kam nicht mehr dazu. In dem Moment, in dem er seinen Griff lockerte, fuhr der Junge auch schon zu ihm herum. Sein Knie raste auf Makotos Kopf zu und seine Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in dessen Nacken. Instinktiv wich Makoto zurück und schrie im nächsten Moment auf, als ihm die Wildkatze mit den Klauen mitten durch das Gesicht fuhr. Ohne zu überlegen schlug Makoto zu. Seine Faust traf die Brust des Jungen, der aufschrie und rückwärts taumelte. Sofort setzte Makoto ihm nach, wischte seine Beine mit dem Fuß weg und brachte ihn zu Fall. Im nächsten Moment war er über ihm. „Halt still!“, fauchte er und versuchte, das zappelnde Bündel irgendwie zu fassen zu kriegen. Nur eine Sekunde später brüllte er vor Schmerz, als ihm der Junge in die Hand biss. Mit aller Kraft riss er das malträtierte Körperteil zurück und versetzte dem Jungen so eine Ohrfeige, dass sein Kopf zur Seite flog. Bevor er sich noch berappelt hatte, hatte Makoto ihn erneut bäuchlings festgesetzt, das Knie auf seinem Steiß, die Arme auf dem Rücken verschränkt. Die Kopfwunde des Jungen hatte erneut angefangen zu bluten. Die Luft um sie herum flimmerte vor Staub.   „Du verdammtes Aas!“   Etwas Besseres fiel Makoto gerade nicht ein. Wütend betrachtete er die roten Bissspuren auf seiner Hand. Seine Rippen schmerzten dort, wo ihn der fehlgegangene Tritt getroffen hatte. Das alles musste jedoch nichts im Vergleich zu den Schmerzen sein, die der Junge gerade hatte. Makoto fluchte innerlich. Ich muss ihn unter Kontrolle bekommen.   „Halt still“, knurrte er, hielt die Arme des Jungen mit einer Hand und begann, das Halsband zu lösen. Sofort kam Leben in den Jungen. Er versuchte, von Makoto wegzukommen, drehte den Kopf, heulte und jaulte.   „Halt still“, wiederholte Makoto jedoch nur. Er hatte die Schnalle geöffnet und zog das schmale Lederband unter dem Jungen hervor. Die Zähne aufeinandergepresst wickelte er es um die schmalen Unterarme und zog sie derart zusammen, dass ihr Besitzer sich nicht mehr rühren konnte. Da das Band an der fraglichen Stelle kein Loch hatte, bohrte Makoto kurzerhand eines. Danach richtete er sich auf. Sein Blick fiel auf seine linke Hand, an der deutlich die Zahnabdrücke des Jungen zu sehen waren. Er hatte die Haut nicht geritzt, aber viel hätte nicht gefehlt.   „Dir werd ich helfen,“ brummte Makoto und machte sich daran, seine Schuhbänder zu lösen. Nochmal würde dieses Biest ihn nicht beißen. Dafür würde er sorgen. 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