Döman der Dämon von Erzsebet ================================================================================ Kapitel 1: Die Beschwörung -------------------------- "Einen Dämon beschwören, was für ein Unsinn!" Kopfschüttelnd verließ Gideon das Studienzimmer seines Bruders. "Einen Dämon!" hörte Hector ihn auf dem Gang noch einmal ausrufen, dann verklangen die hallenden Schritte. Gideon hatte noch nie viel Verständnis für die Forschungen seines Bruders gezeigt, und Hector war klar, daß Gideon in ihm nur einen weltfernen Spinner sah, dem die Berichte über Magier und Zauberer und ihre wundersamen Taten ebenso zu Kopf gestiegen waren, wie der Wein, dem Hector bisweilen ein wenig übermäßig zusprach. Aber er würde es Gideon schon zeigen! Es würde ihm gelingen, einen Dämon zu beschwören und aus den entferntesten Teilen des Landes würden die Magier und Zauberer zu ihm, dem unvergleichlichen Hector pilgern, nur um, zu seinen Füßen sitzend, seinen Weisheiten zu lauschen. Und König Ulric selbst würde ihn, als den größten aller lebenden Magier und Zauberer, zu sich rufen, ihn ehren und ihm die Hand seiner Tochter versprechen, befreite er sie mit seinen Zauberkünsten nur aus der Macht jenes unheilvollen Hexers Richard, der die schöne Prinzessin Gwendolin seit fünf Jahren in seinem finsteren Schloß gefangen hielt. Hector griff zum halb geleerten Krug und füllte seinen Becher aufs neue mit Wein, dann horchte er an der Tür, ob irgendjemand auf dem Gang war. Als er sicher war, ungestört mit der Beschwörung beginnen zu können, nahm er den Kerzenhalter von seinem Lesepult und leuchtete die Wand dahinter ab, bis er den lockeren Stein gefunden hatte, der einen Hohlraum in der Wand verschloß. Dort bewahrte Hector seine kostbarsten Schätze auf: vom Erzzauberer Daniel geweihte rote Kreide, das Formelbuch Mortimers, dessen Seiten von den machtvollen Zaubern, die auf ihnen standen, an den Rändern verkohlt waren und fünf Kerzen aus feinstem Bienenwachs, die er vor einigen Tagen aus dem Vorrat für die kleine Hauskapelle gestohlen hatte, und für deren Verschwinden die Frau seines Bruders Gideon die Mäuse in der Burg verantwortlich machte. Nachdem das Loch in der Mauer wieder sorgfältig verschlossen worden war, schlug Hector das Formelbuch an der Stelle auf, an der er Tags zuvor ein dickes ledernes Lesezeichen hineingelegt hatte und zeichnete dann mit der geweihten Kreide sorgfältig ein Pentagramm auf den steinernen Fußboden seines Studienzimmers. Im Formelbuch wurde außerordentlicher Wert auf eine exakte Ausführung der Dämonenbeschwörung gelegt, da es sich um eine der gefährlichsten magischen Übungen überhaupt handele. Nachdem Hector die Kreide weggelegt hatte, stellte er an den Ecken des Sterns jeweils eine Kerze auf und entzündete sie vorsichtig. Er hatte sich ein kleines Kissen zurechtgelegt, auf dem er während der Beschwörung bequem sitzen konnte, und als die Kerzen ruhig brannten, wandte er sich der eigentlichen Beschwörungsformel zu: "Eighnal efplas fivha tosofour efflturnto fourlzwo geplu shatos geunfour natosofo effun fouha gezwo." Noch während Hector die Beschwörungsformel verlas, bildete sich im Innern des Pentagramms dichter violetter Nebel, der, von den Seiten des inneren Pentagons begrenzt, wie ein fünfseitiger Pfeiler an die Decke des Raumes stieß. Im Stillen rief Hector den heiligen Hieronimus an, den Schutzheiligen der Magier und Zauberer, aber er wandte seinen Blick nicht eine Sekunde von der immer deutlicher sichtbar werdenden riesigen Gestalt, die im Nebel materialisierte. Bevor sich die fast bis zur Decke reichende Erscheinung jedoch verfestigen konnte, sprach Hector geistesgegenwärtig eine Formel, die dem Dämon menschliches Aussehen gab. Der menschliche Körper des Dämons war klein, mager und rothaarig, allgemein von unauffälligem Aussehen, und seine Kleidung bestand hauptsächlich aus einem knielangen, fadenscheinigen und teilweise mit farbigen Flecken versehenen Gewand, dessen Grundfarbe weiß zu sein schien. Der Nebel lichtete sich allmählich und wurde von einem unirdischen Wind in die Bereiche verweht, aus denen der Dämon beschworen worden war. Doch erst als Hector die wasserblauen Augen des Dämons klar erkennen konnte, wagte er, das Formelbuch zu schließen und das Pentagramm zu öffnen. "Wo bin ich?" fragte der Dämon. Auch zuvor hatten sich seine Lippen bereits bewegt, aber durch das geschlossene Pentagramm war kein Laut in den Raum gedrungen. Hector reckte sich stolz. "Dämon, Du hast die Ehre, von dem größten Magier und Zauberer unserer Zeit beschworen worden zu sein, von mir, Hector dem Unvergleichlichen!" Der Dämon schwieg eine Weile, zweifelsohne aus Ehrfurcht und Bewunderung, dann sagte er nach einer angedeuteten Verbeugung: "Der Unvergleichliche Hector hat die unvergleichliche Ehre, Döman, den größten Chem-hicker unserer Zeit beschworen zu haben." Hector war etwas enttäuscht. Nach den wochenlangen Vorbereitungen hatte er gehofft, doch zumindest einen Phys-hicker, laut dem Formelbuch Mortimers der zweithöchste Typus der Dämonen, beschworen zu haben, die Chem-hicker standen erst an dritter Stelle. Nichtsdestoweniger erfüllte ihn die Gewißheit, einen echten Dämon beschworen zu haben, mit einiger Genugtuung, denn das war etwas, was seit dem großen Mortimer selbst, niemand mehr zustande gebracht hatte. Die Magier und Zauberer der neueren Zeit brachten es allenfalls noch zur Beschwörung von Tekn-hickern, einer unbedeutenden Halbdämonenart. Während sich der Chem-hicker durch die enge Öffnung aus dem Pentagramm wandt, warf Hector rasch einen Drei-Monats-Bann über ihn und schrieb in Gedanken schon den Brief an König Ulric, in dem er ihm mitteilte, daß der größte Magier und Zauberer unserer Zeit, Hector der Unvergleichliche, mit seinem höchstkostbaren Dämon Döman zum Schloß zu reisen gedächte, um sich dort um die Befreiung der wunderschönen Prinzessin Gwendolin aus den Klauen des schrecklichen Hexers Richard zu bewerben. * Einen Monat nach der denkwürdigen Beschwörung Dömans erhielt Hector endlich einen Brief des Königs, der darin befahl, Hector möge sich mit seinem Dämon unverzüglich in die Hauptstadt und dort in das Königsschloß begeben. Voller Freude besorgte Gideon seinem Bruder einen Lastesel für die Reise, denn nachdem sich recht bald herausgestellt hatte, daß der schmächtige Chem-hicker über einen gesegneten Appetit verfügte und ihm sein dämonischer Magen erlaubte, sowohl gebeiztes 200-jähriges Holz als auch Granit mit Genuß zu verzehren, fürchtete Gideon begreiflicherweise um seine kleine Burg, die er, als der Ältere, von seinem Vater geerbt hatte, jedoch mit der Auflage, stets mit aller angebrachten Sorgfalt für Hectors Wohl zu sorgen und seine Gäste als die eigenen zu betrachten. * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)