Sonne und Mond I von Shino-Tenshi (Schattenwesen) ================================================================================ Kapitel 8: Gleich und doch verschieden 2/3 ------------------------------------------ Die langsam untergehende Sonne tauchte mein Zimmer in ein mystisches Rot, das zum Träumen verleitete. Ich saß an meinem Schreibtisch über meine Hausaufgaben gebeugt und versuchte verzweifelt, diese Gleichung zu lösen. Normalerweise gingen mir so etwas leicht von der Hand. Vor allem Mathematik war noch nie ein Problem für mich, doch jetzt waren dort keine Zahlen und Formen, sondern immer wieder dein Gesicht.  Ein leises Quieken neben mir holte mich zurück in die Wirklichkeit und dein Abbild verschwamm vor meinen Augen. Akirai saß auf dem Schreibtisch und stupste mich sanft mit ihrer Nase an. Ich streichelte sie dankend und lächelte leicht. „Danke, Akirai. Ich muss jetzt wirklich schauen, dass ich fertig werde, sonst kommt Mutter nach Hause und ich sitze immer noch hier. Dann gäbe es nur wieder dumme Fragen, weil so etwas normalerweise nicht vorkommt, und darauf kann ich getrost verzichten.“ Ich schüttelte kurz meinen Kopf, um auch noch den letzten Rest von dir zu vertreiben. Kurz tief Luft holen und dann war der Fokus da. Kein Lächeln, das mir die Sicht raubte und auch keine Schmetterlinge, die meine Gedanken zerstreuten. Mein Stift flog wie von Geisterhand über das Papier und erledigte die Hausaufgaben im gewöhnten Tempo.  „So, das wäre geschafft, Akirai.“ Ich streckte mich erleichtert, kaum dass ich das letzte Heft wieder in die Schultasche steckte, und lächelte leicht, als sie schon an den Rand des Schreibtisches getrottet kam, um hochgenommen zu werden. Natürlich nahm ich sie wieder auf den Arm und kraulte sie sanft am Kopf. „Danke, dass du mir dabei geholfen hast, den Fokus nicht zu verlieren. Ohne dich wäre ich jetzt noch nicht fertig. Dieser Taiyo bringt echt mein ganzes Leben durcheinander. Warum kann er sich nicht mit jemand anderen anfreunden wollen. Nur weil wir uns ähnlich sehen? Das ist doch totaler Quatsch.“ Ich schnaubte und hörte ihr leises Quieken und ein kurzes Gurren, was mich leicht beruhigte.  Mein Blick war auf mein Fenster gerichtet. Die Straße lag ruhig vor mir und die Bäume tanzten leicht unter dem sanften Wind. Es schien immer noch die Sonne, sodass einige Passanten vorbeigingen.  „Ja, du hast recht. Ich sollte mich nicht so von ihm beeinflussen lassen. Aber irgendwie ist das Alles-.“ Ich stockte, als ich meinen Augen nicht mehr trauen konnte. Auf der Straße gingst du mit deiner Katze, die brav wie ein Hund neben dir herlief.  Wieso warst du jetzt hier? Bist du mir etwa gefolgt? Nein, dafür warst du eindeutig zu langsam unterwegs, aber warum tauchtest du jetzt erst hier auf? Wohnst du etwa hier in der Nähe? Gab es denn gar kein Entkommen vor dir? Ich sah dir nach, wie der Wind mit deinem Haar spielte. Dein Kopf war leicht gesenkt, deine Hände in der Hosentasche und auch die Schultern hingen herunter. Auch gingst du nicht, sondern schlürftest eher. Deine Katze dagegen schritt leichtfüßig und mit erhobenem Schwanz neben dir her.  Ein Schauer glitt über meinen Rücken, als du stehen bliebst und dich dein Tier mit fragendem Blick kurz umrundete. Was war los mit dir? Es konnte nicht sein, dass mein Verhalten dich so stark beeinflusste. Du könntest dich mit jedem anfreunden. Die ganze Klasse wollte dein Freund sein, also solltest du von mir ablassen. Aber du bliebst jetzt stehen und fuhrst dir mit einer Hand durchs Gesicht. Deine Arme bewegten sich wild gestikulierend und die Passanten, die an dir vorbeigingen, sahen dich irritiert an, doch du reagiertest nicht auf sie, sondern unterhieltest dich weiter mit deiner Katze.  „Der ist schon ein komischer Vogel, Akirai“, flüsterte ich und kraulte weiter mein Meerschweinchen in meinen Armen. Es war ein seltenes Verhalten, das hatte man mir schon öfters gesagt, doch Akirai genoss meine Nähe sehr. Vielleicht weil sie sonst keinen Artgenossen hatten, doch ein zweites Tier erlaubte mir meine Mutter nicht. Egal, wie oft ich ihr mit artgerechter Haltung kam.  Erneut ein sanftes Brummen und leichtes Quieken, als dein Oberkörper kurz in sich zusammenfiel, doch nur für eine Sekunde, dann standest du schon wieder aufrecht und dein Kopf bewegte sich. Langsam in meine Richtung, genauso wie dein Körper, der sich mit drehte, bevor sich unsere Blicke trafen. Ein Schauer glitt über meinen Rücken und Schmetterlinge explodierten in meinem Bauch. Durch deren Wucht stieß ich mich erschrocken von meinem Tisch mit so viel Kraft ab, dass wir laut krachend gegen meine Zimmertür prallten. Ein Angstschrei von Akirai war die Folge, genauso wie sie zusammen zuckte und sich tiefer in meine Armbeuge verkroch, um dann ein besänftigendes Gurren ertönen zu lassen.  „Sorry, Akirai. Das wollte ich nicht, aber er durfte uns nicht sehen. Dann wäre es vorbei mit der Ruhe gewesen. Kommt nicht mehr vor, versprochen“, sprach ich sanft auf sie ein und kraulte sie wieder hinter den Ohren.  Hast du mich gesehen? Es hat sich zumindest so angefühlt. Wieso sahst du zu mir hoch? Das war doch total bescheuert! Kommst du jetzt hier her? Ich lauschte in den Raum, ob die Türklingel ertönte, doch es blieb still. Nur die leisen Geräusche von Akirai und das Rauschen meines Blutes im Ohr. Entweder hattest du mich nicht gesehen oder nicht erkannt. Egal was davon, meine Ruhe schien aktuell noch in Sicherheit zu sein. Umständlich zog ich mich samt Stuhl mit den Beinen wieder zurück an meinen Tisch. Gut, dass mein Zimmer so klein war, sonst würde das jetzt anstrengender sein. Das letzte Stück griff ich nach der Tischplatte und zog mich gänzlich heran. Sofort sah ich wieder auf die Straße, doch von dir war nichts mehr zu sehen. Du warst verschwunden und erneut lauschte ich in die Wohnung. Würdest du jetzt doch noch klingeln? Suchtest du gerade nach meinen Namen und überlegtest, ob es richtig war? Was sollte ich tun, wenn du jetzt wirklich vor meiner Tür standest? Aufmachen? Ignorieren? So tun als wäre ich gar nicht da und hoffen, dass du unseren Blickkontakt als Trugbild abstempelst? Meine Gedanken blieben ungestört und nur das Ticken der Uhr im Wohnzimmer erfüllte die Stille. Du kamst nicht hierher, sondern warst so verschwunden. Auf dem Weg nach Hause oder irgendwo anders hin. Konnte mir ja egal sein. Wieso warst du schon wieder in meinen Gedanken? Das war doch totaler Schwachsinn! Geh raus! Geh endlich raus da! Akira quiekte wieder und schleckte kurz über meine Hand, die sich krampfhaft in meinen anderen Arm gekrallt hatte. Nur langsam ließ ich locker und lächelte meine pelzige Freundin dankend an. „Du hast Recht. Es macht keinen Sinn, darüber zu grübeln.“ Kurz sah ich auf meine Armbanduhr und erhob mich dann, um Akirai in ihren Käfig zu setzen. Sofort huschte sie durch das Einstreu und zu ihrem Heuhaufen, um etwas zu fressen. Ich griff nach ihrer Schüssel für das Frischfutter, um in der Küche ein paar Gemüse und Obstsorten aufzuschneiden.  Als ich am Wohnzimmer vorbeiging, verriet mir ein Blick auf unsere weiße Wanduhr, dass meine Mutter auch bald nach Hause kommen würde. Zeit für das Abendessen also, doch die Schmetterlinge, die immer noch zaghaft in meinem Bauch herumflatterten, ließen gar keinen Platz für Hunger, doch mir war klar, dass ich etwas essen musste. Denn sonst kamen nur Fragen von meiner Mutter. Fragen, die ich jetzt nicht beantworten konnte, weil ich ihre Antwort selbst noch gar nicht kannte. Nicht kennen wollte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)