Sonne und Mond I von Shino-Tenshi (Schattenwesen) ================================================================================ Kapitel 6: Wer bist du? 2/2 --------------------------- Ich schob mir schließlich die letzte Gabel mit Lasagne in den Mund und noch während des Kauens stand ich auf, räumte meinen Teller weg und ging mit meiner Schultasche in mein Zimmer. Sofort war dort wieder das freudige Quieken aus der wichtigsten Ecke, so wie das Rascheln im Heu. Der Raum selbst hatte nur ein Bett, einen Schreibtisch, zwei Regale und den Käfig von Akirai.  Meine Schultasche ließ ich zum Schreibtisch rutschen, der gegenüber der Tür unter dem Fenster stand, bevor ich dann sofort zu dem Käfig schritt, um die Tür zu öffnen und meine pelzige Freundin herauszuholen. Ruhig ließ ich mich mit ihr auf mein Bett, das rechts neben der Tür stand, fallen. Sofort fiel mein Blick auf das Hängeregal, das die Wand darüber beanspruchte. Ich wusste, dass dort ein paar DVDs und Mangas zu finden waren, doch sie interessierten mich gerade nicht. Aus Gewohnheit setzte ich Akirai auf meine Brust und sofort begann sie zu schnuppern und mein Kinn anzustupsen, damit ich sie streichelte. Normalerweise machte ich jetzt Hausaufgaben, doch mein Kopf fühlte sich wirr und flüchtig an. Egal, wohin ich meine Gedanken lenkte, sie kehrten immer wieder zu dir zurück. Zu deinem Lächeln und zu deinem ganzen Sein.  Taiyo Hikari, ein japanischer Name, wie meiner. Wenn man ihn übersetzt, dann bedeutete er Sonnenlicht. Unsere Abstammung von diesem Land konnten wir nicht leugnen. Das schwarze Haar, genauso wie die runde Gesichtsform und die mandelförmigen Augen.  Meine Mutter stammte aus Japan, daher war auch mein Name aus ihrer Muttersprache: Tsuki Kage. Wenn man sie übersetzte, dann würde grob Sonnenlicht und Mondschatten dabei herauskommen. Ich musste kurz lachen. Das war doch Irrsinn. Vornamen konnten sich die Eltern aussuchen, aber die Nachnamen doch nicht. Es war sicher nur ein blöder Zufall. Ich stockte, als der Anhänger von meiner Kette über die Schultern nach unten fiel, sodass ich ihn kurzerhand wieder hervorholte. Zwei Engelsflügel lagen spiegelverkehrt aufeinander. Der eine silbern, der andere golden. Trennten sich oben und unten leicht voneinander. Ja, die Anhänger unsere Ketten waren der einzige Unterschied in unserem Schmuck.  Das Einzige, was nicht zu unseren Namen passte, denn während du rote Steine, Gold und als Motiv die Sonne trugst, war mein Schmuck silbern, mit blauen Steinen und in der Form eines Sichelmondes. War das ein Zufallen? Konnte das noch ein Zufall sein? Ja, vielleicht ein Schmuckstück, doch wir trugen beide einen Ring, eine Uhr, ein Armband und einen Ohrstecker. Ich wusste, dass auf meinem Armband mein Name in japanischen Schriftzeichen und mit einem Sichelmond eingraviert war. Auf der unteren Seite waren auch zwei japanische Wörter und eine Sonne. Lange hatte ich darüber nachgedacht, was es bedeuten könnte, doch nun erwachte in mir ein Verdacht.  Konnte es sein, dass dort dein Name stand? Aber wie sollte das möglich sein? Wir kannten uns doch nicht und hatten uns heute das erste Mal überhaupt gesehen. Das war doch totaler Wahnsinn und Blödsinn sowieso. Energisch schüttelte ich den Kopf und strich noch einmal über das weiche Fell von Akirai, die daraufhin sich zufrieden ausstreckte. Sie war ein hellbraunes Rosetten-Meerschweinchen mit unterschiedlichen großen schwarzen und weißen Flecken. Ihre Augen waren schwarz umrandet, was aussah, als würde sie eine Maske tragen.  „Heute war ein verrückter Tag, Akirai.“ Ich schüttelte den Kopf, als ich sie ruhig weiter streichelte. „Das glaubst du mir bestimmt nicht. Wir haben heute einen neuen Mitschüler bekommen. Sein Name ist Taiyo Hikari. Ja, ich weiß, klingt genauso japanisch wie mein Name. Aber das ist nicht das Einzige, was seltsam ist. Er sieht mir nämlich sehr ähnlich. Seine Augen sind nur leicht heller als meine und auch die Haare ein wenig länger, aber sonst, könnte man uns für Zwillinge halten.“ Akirai zuckte kurz mit der Schnauze nach oben und fiepte kurz, was mich lachen ließ. „Ja, ich weiß, was man sagt. Japaner sehen alle sehr ähnlich aus. Aber das ist ja nicht alles. Er trägt ähnlichen Schmuck wie ich. Die gleiche Anzahl, nur dass seiner aus Gold mit roten Steinen ist und eine Sonne abbildet. Das kann doch kein Zufall sein. Auch unsere Namen. Sonnenlicht und Mondschatten. Das ist doch.“ Erneut lachte ich auf, als ich mir des Irrsinns bewusst wurde, bevor ich mich erhob und Akirai dadurch automatisch auf meine Hand rutschte, wo ich sie weiter ruhig streichelte. „Das kann doch nicht mehr Zufall sein, oder? Aber was ist es dann, Akirai? Was ist es, wenn kein Zufall? Schicksal? Wer bist du, Taiyo Hikari?“ Sanft stupste mich Akirai an meiner Brust an und sofort begann ich sie wieder zu streicheln, während ich weiter vor mich hinstarrte. Auf die bunte Bettdecke, die fein säuberlich am Fußende meines Bettes zusammen gelegt war. Ein schwarzhaariger Mann in roten Trainingsanzug war darauf abgebildet, umringt von goldenen Kugeln mit roten Sternen darin.  Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Morgen würden wir uns wiedersehen. Dann würdest du erneut an meiner Seite sein und mich mit unserer Ähnlichkeit nerven. Ich verstand es doch auch nicht, aber desto länger ich darüber nachdachte, umso mehr wurde mir bewusst, dass es wirklich kein Zufall sein konnte. Dort war mehr. So unglaublich viel mehr, aber wollte ich dieses mehr erfahren? Zweifel stürmten mein Herz und ich starrte aus dem Fenster, doch ich sah nur den großen Baum, der schon immer dort stand. Seine grünen Blätter versperrten mir die Sicht auf mehr und somit glitt mein Blick weiter. Suchte nach etwas, an den er sich festhalten konnte, bevor ich mich weiter in meine Gedanken verlor.  Taiyo Hikari, du warst nett zu mir. Von der ersten Sekunde an. Wolltest mein Freund sein. Hast die anderen abgewiesen. Schon lange hatte keiner mehr freundliches Interesse an mir. Sie zogen mich auf, grenzten mich aus, ärgerten mich und verspotteten mich. Nur weil ich in ihren Augen anders war. Anders auf Grund meiner Kleidung und meiner psychischen Krankheit. Ich stoppte das Streicheln von Akirai, als mein Blick auf die Netzhandschuhe fiel. Dieses Kleidungsstück trug ich nicht nur weil es mir gefiel, sondern weil es auch verdeckte, was mich belastete und warum mich alle hassten und ausgrenzten. Ich biss mir auf die Unterlippe und schob die Gedanken beiseite.  Kurz glitt mein Blick auf meinen Schulpack, der liebesbedürftig bei meinem Schreibtisch lag und danach schrie, dass ich meine Hausaufgaben machte, doch mein Kopf fühlte sich noch zu voll und vor allem schwer an. Das würde nichts bringen. Also wählte ich die andere Richtung. Ich musste hier raus. Ein wenig frische Luft schnappen und dann kam ich hoffentlich auf andere Gedanken oder zumindest würdest du dann endlich aus ihnen verschwunden sein. So hoffte ich und mit dieser Hoffnung im Herzen trat ich auf den Flur, zog meine Schuhe an – Akirai immer noch auf den Arm – griff nach dem Haustürschlüssel und trat dann ins Freie.  Sofort schlug ich die Richtung von unserem Stadtpark an. Ich verbrachte an schönen Tagen meistens meine Nachmittage dort. Akirai konnte dann herumlaufen und ein wenig frisches Gras fressen und ich wurde dort auch meine schweren Gedanken los. Daher hoffte ich, dass es auch dieses Mal so sein würde und man ich befreit wurde von dir, der mich überallhin verfolgte. Denn in meinen Gedanken war es immer da: Dein freundliches Lächeln und deine wunderschönen Augen. So schön und unendlich warm, dass man in ihnen versinken wollte. Nur vergehen und nie wiederkehren. Niemals wieder... 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