Sonne und Mond I von Shino-Tenshi (Schattenwesen) ================================================================================ Kapitel 2: Mein Ebenbild 2/4 ---------------------------- Der Schulgong zerschlug die Gespräche, die Gruppen, die sich um vereinzelte Tische versammelt hatten und auch meine Fluchtgedanken. Jetzt gab es kein Entkommen mehr. Kaum wurde mir diese Tatsache bewusst, entzündete sich der Stein in meinen Gedärmen wieder und setzte seine Reise durch meinen Bauch fort. Das Zimmer verlassen, dieser Wunsch wuchs mit jeder Sekunde in mir. Bis zu dem Moment, als sich die Tür öffnete und unser Lehrer eintrat.  Sofort breitete sich sein herbes Parfüm im Raum aus, während er mit festen Schritten zu seinem Pult ging. Sein leicht nach vorne gebeugter Körper wippte bei jeder Bewegung leicht mit.  Mit einem leichten Klatschen landete seine Tasche auf dem Tisch und er streckte sich kurz aus, sackte aber im nächsten Moment schon wieder zusammen.  Sein rotes Haar fiel ihn in leichten Locken ins Gesicht, doch er strich sie sich immer wieder hinters Ohr. Eine ungünstige Länge, doch wir kannten ihn nicht anders und daher schien er es so zu wollen. „Meine lieben Schüler. Ich habe euch heute einen neuen Schüler mitgebracht. Sein Name ist Taiyo Hikari und er ist erst seit einer Woche in unserer Stadt, weil sein Vater aus beruflichen Gründen hier zu tun hat. Komm rein, Taiyo.“ Er winkte in Richtung Klassentür und keine zwei Atemzüge später tratst du in den Raume in.  Ein Raunen ging durch die Menge und alle Blicke fielen sofort auf mich. Sie fühlten sich wie tausend, glühende Nadeln an, die sich in jede Pore meines Körpers bohrten.  Ich sackte tiefer in meinen Stuhl und wünschte mir, dass ich nur verschwand, doch man erlöste mich nicht, denn die folgenden Worte hoben mein Grab aus. „Die Ähnlichkeit ist verblüffend. Seid ihr verwandt? Na ja, an sich auch egal. Neben Tsuki ist noch ein Platz frei. Setzt dich da hin.“ Der Lehrer wartete nicht einmal auf eine Antwort von uns, doch wir schüttelten dennoch simultan den Kopf. Dort waren deine himmelblauen Augen, die mich fixierten und in denen ich einen tosenden Sturm erblickte, der verzweifelt versuchte, diese Situation zu verstehen. Du scheitertest, dennoch wich deine Verwirrung einem Lächeln, als du mit ruhigen Schritten auf mich zukamst, um dann neben mir Platz zu nehmen. „Hallo, also, noch einmal, mein Name ist Taiyo. Schön dich kennen zu lernen.“ Du reichtest mir deine Hand, die ich verwirrt ansah.  Willst du dich wirklich mit mir anfreunden? Was versprichst du dir davon? Du solltest lieber schauen, dass du Anschluss zu den anderen findest. Ich werde dir nur Unglück bringen. „Was ist los? Keine Angst, die beißt nicht.“ Dein Lächeln blieb, als deine Hand kurz zuckte, damit man endlich einschlug, und so atmete ich tief durch, bevor ich diese warme Geste entgegennahm. „Tsuki.“ Ich brachte nicht mehr heraus. Dort war diese Wärme, die das Ziehen in meinem Inneren verstärkte und dieses schmerzhafte Brennen kurz löschte.  „Schon verrückt, dass wir uns so ähnlich sehen, oder nicht?“, startetest du eine Unterhaltung, die mich kurz wehmütig lächeln ließ, bevor ich dann mit den Schultern zuckte. „Ich... ich will mich auf den Unterricht konzentrieren.“ Dein Interesse war mir unangenehm. Ich hatte Angst, dass du nur nach einem Grund suchtest. Nach einem Geheimnis, mit dem du mich fertig machen wolltest. Wieso solltest du sonst Interesse an mir haben? Niemand hier wollte mein Freund sein? Warum also du? „Ja, da hast du Recht. Aber dennoch. Ich finde es krass, wie ähnlich wir aussehen. Als wärst du mein verlorener Zwilling, wenn ich nicht Einzelkind wäre.“ Du lachtest auf, was mich kurz schüchtern lächeln ließ.  Ich wollte diese Unterhaltung nicht mit dir führen und dennoch sprachst du dann unbeirrt weiter.  „Aber mein Dad hat gesagt, dass meine Mum bei meiner Geburt gestorben ist, und daher kann ich keinen Bruder haben. Stell dir das mal vor, man entdeckt so seinen verschollenen Zwilling. Wie krass ist das denn?“ Erneut lachtest du auf, was ein Räuspern des Lehrers zur Folge hatte. „Taiyo! Ich weiß, dass eine neue Klasse und Umgebung immer sehr aufregend ist und du bestimmt ganz schnell deine Klassenkameraden kennenlernen willst, aber dafür sind die Pausen da. Bitte konzentrieren wir uns daher weiter auf den Unterricht, ja?“  Ich war ihm unsagbar dankbar für diese Ermahnung. Endlich musste ich mich dieser Unterhaltung nicht mehr stellen, die mich mit jedem Wort überforderte. Normalerweise wechselte ich so gut wie gar kein Wort mit meinen Mitschülern. Dein so aufdringliches Interesse irritierte mich dadurch sehr und versuchte mich aus einer Komfortzone zu reißen, die ich mir hier mühsam errichtet hatte, um diesen kalten Alltag zu überstehen.  Betrübt senktest du deinen Kopf und begannst ebenfalls den Unterrichtsstoff mitzuschreiben. Ich bemerkte aber, dass dein Blick immer wieder zu mir hinüber glitt. Dort war wieder diese Aufregung, die das Ziehen und die Schmetterlinge mit sich brachte.  Ein leichtes Kribbeln jagte über meinen Arm und Rücken und fuhr hoch bis in meinen Nacken. Ich schluckte trocken und versuchte, das schwache Zittern meiner Hand zu unterdrücken.  Sie fühlte sich kühl an und ich sehnte mich nach der Wärme deines Händedrucks. Nach diesem kurzen Halt, der mir so viel mehr versprach, doch in diesem Moment nicht zurückkam.  Dort war nur diese feste Stimme unseres Lehrers, die den Raum erfüllte. Untermalt von dem leisen Kratzen der Kreide auf der Tafel. Wissen, das ich aufsaugen sollte, doch die Schmetterlinge in mir pusteten alles wieder aus meinem Kopf heraus. Alles bis auf die Erinnerung an deine Berührung und dein Lächeln.  Etwas, was ich immer sehen konnte, wenn ich nur kurz zur Seite blickte. Dein offener, freundlicher Himmel, der zum Fliegen einlud und diese Freundlichkeit, die so viel mehr versprach. All das, was ich schon lange aufgegeben hatte.  Kann ich es bei dir finden? Diese Zuflucht? Freundschaft? Verbundenheit? Vertrauen? Ich will so gerne. Kann ich? Soll ich es wagen?  Ein leiser Klatscher riss mich aus meinen Gedanken und kaum konzentrierte ich mich wieder auf meine Umgebung erblickte ich einen kleinen, weißen Zettel auf meinen Tisch. Suchend sah ich über den Tischrand hinaus und traf auf die stechenden Augen von Mitsumi, die mich mit ihrem Blick zu fesseln versuchte. „Gib ihn an Taiyo“, befahl sie mir leise aber mit Nachdruck und ich griff zitternd danach. Kurz versuchte ich, ihn zu öffnen, doch das scharf geflüsterte Nein ließ mich sofort wieder stoppen.  Du bekamst davon nichts mit, denn dein Blick war auf die Tafel gerichtet und immer wieder schriebst du etwas in das Heft vor dir. Alles in mir schrie, dass ich den Zettel weg schnipste, doch dann schob ich ihn zu dir. Ich hatte kein Recht dazu, dir den Zugang zu der Klassengemeinschaft zu verwehren.  Du nahmst ihn zögerlich an dich und öffnetest ihn, bevor du dann die Botschaft lasest. Die Zeit lief in Zeitlupe ab, als dieser gewaltige Eisklotz all die Schmetterlinge in mir niederwalzte.  Dein Blick hob sich und dann begegnetest du den von Mitsumi. Ihr Lächeln wurde verführerisch und sie zwinkerte dir zu, doch anstatt es zu erwidern, wurde dein Gesicht zu Stein und du zerknülltest den Brief, bevor du ihn demonstrativ auf die rechte obere Ecke legtest. So weit wie nur möglich weg von dir.  Entsetzten trat in Mitsumis Gesicht, bevor es von Hass gestürmt wurde und sie sich dann wieder nach vorne wandte.  „Warum hast du das getan?“, fragte ich dich und dort war wieder dein Lächeln. „Weil ich nicht glaube, dass ich neben einen Loser sitze, wie sie geschrieben hat. Außerdem will ich nichts mit Menschen zu tun haben, die andere niedermachen. Du etwa?“ Ich schüttelte kurz den Kopf, was dich noch breiter lächeln ließ. „Das ist schön, dann sind wir uns ja einig.“ Das Kribbeln kehrte bei diesen Worten wieder zurück und ich wollte mich diesen Glücksgefühlen so gerne hingeben, doch etwas stoppte mich und schickte einen eiskalten Schauer über meinen Rücken hinab. Ich kann niemanden hier trauen. Sie wollen mich alle nur vernichten und so wird das auch bei dir laufen. Ja, ganz bestimmt. Auch du wirst mir am Ende nur leid bringen. Darum verschwinde. Verschwinde aus meinem Leben. Doch du bliebst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)