Sonne und Mond I von Shino-Tenshi (Schattenwesen) ================================================================================ Kapitel 1: Schmuck des Lebens: Mein Ebenbild 1/4 ------------------------------------------------ Es gibt diese Tage, an denen man aufsteht und schon weiß, dass er irgendwie anders ist. Das ist nur so ein kleines Kribbeln oder Ziehen im Bauch, das man auch gerne einmal ignoriert, doch heute lag etwas in der Luft. Meine Mutter war wie jeden Morgen schon auf der Arbeit, wenn ich die Wohnung verlasse und so packte ich nur stumm die hergerichtete Brotzeit ein und machte mich dann auf den Weg nach draußen. Das Einrasten der Tür durchzog die Stille und zeigte mir deutlich, dass dieser sichere Raum für mich nun eine Weile nicht existent sein würde.  Nur kurz huschte der Gedanke daheim zu bleiben durch meinen Kopf, doch dieses seltsame, ziehende Gefühl verhindert, dass ich zurück in mein Zimmer ging.  Anders als an den Tagen davor schien die Schule mich heute zu rufen, anstatt mich höhnisch auszulachen und mir zu empfehlen fern zu bleiben. Darum ging ich. Trotz dieser leichten Übelkeit, die sich wie jeden Morgen in meinem Bauch festkrallte und erst wieder verschwand, wenn ich zuhause in meinem Zimmer sein würde. Ich hasste diese Momente an den Tagen: Schule. Jeder Schritt war eine Qual für mich, doch mir war auch bewusst, dass ich dorthin gehen musste.  Halt suchend klammerte ich mich an meine Unterarme, die von Netzhandschuhen bedeckt waren, doch die Angst in meinem Herzen blieb. Ich wusste, dass es kein Zurück gab und ich diesen Weg gehen musste. Heute irgendwie mehr als sonst.  Leicht wehte der Wind durch die Straßen und spielte mit meinem schwarzen, kinnlangen Haar, das ich versuchte hinter meinen Ohren zu bändigen. Doch dort rief eine Freiheit nach ihnen, der sie sich nicht verwehren konnten und so ließ ich jede Bemühung fallen. Ich fröstelte kurz, als der kalte Hauch über meine nackten Oberarme glitt, da mein schwarzes Sonnentop ihnen keinen Schutz gewährte.  Wenigsten schützte mich die lange, weiße Hose unten herum und verhinderte, dass ich noch mehr fror. Dieser Sommermorgen war irgendwie kühler als erwartet, doch kaum betrat ich das Schulgelände, wurde die morgendliche Kühle von einer anderen Kälte ersetzt. Ich spürte, wie sehr ich diesen Ort verabscheute. Dort waren ihr Gelächter und ihre spöttischen Blicke, die sich wie heiße Klingen durch meine Seele schnitten.  Aber heute war dieses Gefühl nicht alleine und so blieb diese sonst so überwältigende Übelkeit nur ein leicht flaues Gefühl im Magen, das von diesem komischen Ziehen im Zaum gehalten wurde.  Ein Ziehen, das sich wie das leichte Flattern von Schmetterlingen anfühlte. Ein zarter Hauch von Glück und positiver Erwartung. Es wirkte so absurd auf mich, doch ich spürte seit langem einmal wieder einen angenehmen Grund, um in dieses Gebäude der Hölle zu gehen.  Um mich herum waren die Schüler, die ich all die Jahre kannte. Die mich schon so oft ignoriert oder zu Boden gestoßen hatten. Ich bewegte mich in diesen Strom wie in Trance und wich all den Körpern aus. Sah sie nicht, aber nahm sie dennoch wahr.  Dieser sechste Sinn, der einen davon abhielt gegen etwas zu stoßen, lotste mich sicher zu meinem Ziel. Ein Ziel, das einen Schauer durch meinen Körper jagte und eine endlose Panik in meinem Herzen erweckte. Als aus dem Ziehen ein heißes Pulsieren wurde und ich stoppte. Zum Unmut all der anderen, die nun immer mal wieder grob gegen mich stießen, bevor sie anfingen, mir mit leichten Flüchen aus zu weichen.  Dort standest du. Abseits und in das Gespräch mit dem Direktor vertieft. Es fühlte sich an, als sah ich auf eine neue Version von mir selbst. Eine aus einer anderen Welt oder Dimension. Dies Lächeln, das ich so sehr vermisste, lag auf deinen Lippen und auch die entspannten Gesichtszüge gab es bei mir schon seit Jahren nicht mehr.  Deine schwarzen, zusammen gebundenen Haare, waren eine kleine Spur länger als meine und gingen dir nur knapp unter die Schulter.  Alles an dir wirkte offen und ungezwungen, als würdest du auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Unerreichbar für mich.  „Hey, geh endlich weiter! Du stehst im Weg!“ Ein grober Stoß ließ mich taumeln und brach so den Sichtkontakt zu dir ab, dennoch suchte ich deinen Anblick sofort wieder. Ich erblickte deine weiße Jacke mit den roten Streifen nur kurz, denn man schob mich schließlich weiter und so ließ ich mich von dem Strom mitreißen.  Wer bist du? Wieso bist du hier? Warum habe ich dich noch nie zuvor gesehen? Weshalb sehen wir uns so ähnlich? Fragen, die ich mir selbst nicht beantworten konnte und die nicht verschwanden, als ich mich auf meinem Platz im Klassenzimmer niederließ.  Kaum spürte ich das kalte Holz unter mir, verschwand das zaghafte Flattern aus meinem Bauch und wurde von dieser brennenden Übelkeit verschlungen.  Ich wollte von hier verschwinden und nie wieder zurückkehren, doch wie jeden Tag rührte ich mich. Auch nicht als ein süßliches Parfüm zu mir durchdrang und die Übelkeit zu einem brennenden Stein, der sich durch meine Eingeweide brannte, verwandelte.  Es wurde nicht besser, kaum dass sich eine Mitschülerin vor meinen Tisch platzierte und mich angewidert ansah. „Hey, Tsuki! Warum siehst du jetzt wieder aus wie ein Loser? Als ich dich vorhin gesehen habe, dachte ich, dass du es endlich begriffen und mal Stil entwickelt hast. Aber scheinbar habe ich mich zu früh gefreut.“ Ihre braunen Augen verdunkelten sich durch die Abscheu, die sich durch sie wand, als sie schon arrogant mit einer Hand ihre braunen, leicht gewellten Haare über ihre Schulter warf. Das leicht geschminkte, zarte und durchaus hübsche Gesicht verzog sich mit jeder Sekunde, die sie mich länger ansah, zu einer Fratze der Verachtung, als sich ihre Nase kräuselte und ihre rötlichen Lippen angewidert zuckten.  „Das war nicht ich, Mitsumi“, rang ich mich zu einer Antwort durch. In der Hoffnung, dass sie dann wieder ging, doch sie zupfte nur kurz an ihrer weißen Bluse und zog den roten Rock ein wenig tiefer, sodass er wieder über ihre Knie ging.  „Wer soll es denn sonst gewesen sein?!“, fragte sie sofort schnippisch nach, doch ich konnte nur mit den Schultern zucken und sah dann demonstrativ aus den Fenster. Ich wollte diese Unterhaltung nicht mehr führen und hoffte, dass das Mädchen vor mir diesen Wink mit dem Zaunpfahl auch verstand. Dort war ein leises Fluchen und dann entfernten sich ihre Schritte mit einem leisen Klicken, was mich erleichtert ausatmen ließ und den glühenden Stein in meinem Magen ein wenig abkühlte. Du warst also real. Ich habe dich mir nicht eingebildet. Du warst auf dieser Schule und sahst genauso aus wie ich.  Die Schmetterlinge kehrten zurück und versuchten verzweifelt den Stein aus meinem Bauch zu tragen, doch sie schafften es nicht und so blieb diese Gefühlsmischung in mir.  Eine Mischung, die ich kaum deuten konnte. Dort war dieses beflügende Gefühl, das mich heute hierher gebracht hatte, doch dann war da auch eine Angst, die sich nach und nach in Panik verwandelte.  Eine Panik, die nach und nach alles in mir verschlang. Den Stein, die Übelkeit und schließlich auch die Schmetterlinge. Hinterließ nur diese unheimliche, alles verschlinge, schwarze Finsternis, die mir sämtliche Sinne zu rauben begann. Was soll ich tun, wenn wir uns begegnen? Wird dir die Ähnlichkeit auch auffallen? In welche Klasse gehst du überhaupt? Wie lange bist du schon hier? Sollte ich vielleicht gehen und mich doch noch krank melden? Der Lehrer ist noch nicht da.  Und dann? Nie wieder kommen? Das ist total lächerlich. Ich kann jetzt nicht mehr zurück. Der Unterricht beginnt bald.  Und so blieb ich sitzen. Starrte aus dem Fenster und versuchte die Angst in meinem Inneren zu bändigen.  Es gelang mir nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)