Ineffable von Frigg ================================================================================ Kapitel 3: Kapitel 3 - Klein, aber oho -------------------------------------- „FUCK!“ Er war am Arsch. Er war sowas von am Arsch. Crowley rutschte mit seinem Hintern hin und her, soweit es in diesem engen Sarg zusammen mit einer Leiche möglich war. Dieser heilige Boden brannte, als würde man im Sommer barfuß über heißen Asphalt laufen! Immer wieder zischte er und knurrte vor Schmerz. Der tote Körper neben ihm machte es nicht einfacher sich zu bewegen. Jetzt, wo Metatron fort war, hielt ihn nichts mehr fest und er hatte wieder die Möglichkeit seine Glieder zu bewegen. Wenn Metatron also glaubte, dass er so leicht klein zu kriegen wäre, dann unterschätzte er den Dämon aber gewaltig! Er würde hier rauskommen und sowohl Aziraphale als auch Metatron in den Arsch treten! Nur müsste er sich beeilen, um aus diesem Grab herauszukommen, damit er nicht die Ewigkeit damit zubrachte mit einer toten Frau zu kuscheln. Darauf stand der Dämon gewiss nicht! Außerdem würde er vorher vor Schmerz verrückt werden und vielleicht auch in Flammen aufgehen, wenn er zu lange mit dieser Erde in Berührung war. Crowley war zwar experimentierfreudig, aber so experimentierfreudig nun auch nicht, dass er vor hatte sich entkörpern zu lassen. „Verzeihung, Süße, aber würde es dir was ausmachen etwas Platz zu machen“, sagte er und schob einen lästigen toten Arm zur Seite, um das Holz besser packen zu können. „Oder kannst du zufällig helfen das hier aufzukriegen? Nein, habe ich auch nicht erwartet von einer Lady.“ Mit dem Fuß trat er gegen den Deckel. Die Erde wog Tonnen über ihn und wenn er den Sarg knackte, dann würde das ganze über ihn einbrechen. Crowley würde sich nach oben graben müssen. „Dieser verdammte Bastard“, fluchte er, während er mit seiner Kraft gegen das Holz arbeitete. Während des Fluchens war nicht ganz klar, ob er damit Metatron meinte oder Aziraphale. Die Tränen brannten auf seinem Gesicht oder vielleicht war es auch nur die Erde. Genau sagen konnte es Crowley nicht. Vielleicht war es auch eine Mischung aus beiden. Sein bester Freund hatte ihn erneut verraten. Sein bester Freund war wieder gegangen! Die Person, die er am meisten liebte, hatte ihm wieder das Herz rausgerissen. Ein Schluchzen entkam dem Dämon. „Aziraphale!“, schrie Crowley und schlug gegen das Holz. Seine Knöchel taten weh und so gerne er sich auch hier rausgewundert hätte, konnte er nicht. Entweder hatte Metatron einen Wunderblocker über diesen Friedhof gelegt oder er war zu schwach. Der Gedanke so schwach zu sein, dass er nicht mal mehr ein Wunder wirken konnte, machte dem rothaarigen Dämon deutlich, dass seine körperliche Verfassung fast genauso schlecht war, wie seine geistige Verfassung. Er hatte sich in so vielen Dingen gehen lassen. In so vielen Jahrhunderten und Jahrtausenden der Geschichte hatte er Leid erlebt, Freude, Glück und auch Verzweiflung und Schmerz. Doch nie hatte es ihn so heruntergezogen, wie jetzt. Unweigerlich war Aziraphale ein Teil seines Lebens geworden. Er war ein Stützpfeiler in seinem Leben, der es zusammenhielt und jetzt war alles zusammengebrochen, wie ein Kartenhaus. Wenn er nur laut genug schrie, flehte und bettelte, vielleicht würde sein Freund wiederkommen. Vielleicht würde dann dieses helle Licht von seinem Engel wieder in sein Leben kommen und die Kälte vertreiben. Vielleicht würde er ihm wieder sagen, dass er tief im Inneren ein guter Kerl war und vielleicht würde er sich wieder erinnern, wer sie beide waren, was sie gehabt und was sie geteilt hatten. Vielleicht konnte alles so schön sein wie früher, wenn er in den Buchladen kam, der vertraute Geruch von alten Büchern und Schokolade ihn empfing und er sich auf einen der alten Ohrensessel lümmeln konnte? Vielleicht konnten sie wieder im Ritz essen gehen? Vielleicht konnten sie wieder miteinander Witze machen und lachen und einfach die Zeit miteinander verbringen, im Park sitzen? Vielleicht würde er wieder anfangen können Pflanzen zu züchten und sie wachsen zu lassen, um zu Hause seinen persönlichen Garten Eden zu haben als Erinnerung an früher, wo es nach frischen Sommeräpfel, Blumen und Gras roch. Vielleicht konnten es wieder die schönsten Hauspflanzen von London werden und vielleicht würde er auch das tote Bäumchen wieder zum Leben erwecken, was Aziraphle ihm vor Jahren geschenkt hatte? Und all das, ohne Schmerzen. Er würde sogar seinen Bentley gelb färben für diesen verdammten Engel und erlauben, dass er diese dumme Hupe, die wie eine Ente klang benutzte. Hauptsache er kam zurück! Es wäre ihm egal, wie viel Mitleid sein Freund mit ihm hätte, wenn er sich sogar an den Kuss erinnerte und all das nicht erwidern würde. Es würde ihm reichen, wenn sie auch nur Freunde blieben und sich nahe standen. Hauptsache Aziraphale blieb bei ihm und würde ihn nicht noch einmal verlassen. Das würde ihm alles genügen. Hauptsache…er kam zurück…zurück zu ihm. Es war alles, was er wollte und brauchte. Diesen weißhaarigen Engel. Es konnte doch nicht sein, dass alles weg war? Es konnte doch nicht sein, dass er all das freiwillig weg warf! Crowley hatte sich noch nie so tief am Boden und verwundbar gefühlt. Aziraphale war ein Schwachpunkt in seinem Leben geworden, den er hatte schützen wollen und das hatte ihm den Boden unter den Füßen weggerissen. Er war als Dämon verwundbar geworden. Doch diesen verdammten Schwachpunkt liebte er und kam nicht davon los. Nicht mal sein Fall aus dem Himmel hatte sich so tief angefühlt, war da immer noch die Hoffnung, dass alles gut werden würde, dass der Allmächtige ihnen verzieh und zurückließ. Jetzt fühlte sich alles leer und hoffnungslos an. Es gab keinen Silberstreif am Horizont. Keine Rettung. Nicht aus diesem Grab und auch nicht aus der Hölle. Wem machte er also etwas vor? Seine Faust schlug wieder gegen den Sargdeckel und er legte erschöpft die Stirn dagegen. Crowley spannte den Kiefer an, seine Lippen waren zu einer dünnen Linie zusammengepresst, während die Tränen aus seinen Augen liefen und sich in seinen Haaren verloren. Er sollte diesen Engel einfach hassen, wie alle geflügelten Arschlöcher da oben! Egal, wie weh es tun würde. Egal, wie schmerzlich es sein würde. Der Schmerz vom Fall war doch auch vergangen. Dann würde das auch vergehen. Er musst es nur oft genug sagen, sich immer wieder vor Augen rufen. Er brauchte ihn nicht! Er mochte den Engel nicht! Er empfand nichts für Aziraphale. Sie hatten nur ein Abkommen gehabt, keine Freundschaft, keine tieferen Gefühle. Wenn Crowley sich das nur oft genug sagte, dann würde diese Selbstlüge irgendwann zur Wahrheit werden. Dann würde er das irgendwann selbst glauben können und alles würde aufhören weh zu tun. Aziraphale ging es gut, wieso sollte es ihm dann auch nicht gut gehen? Warum ließ er sich überhaupt gehen? Das war doch lächerlich! Crowley selbst benahm sich lächerlich mit dem vielen Alkohol und dass er Valentin hinterhergerannt war! Diesem Engel würde er noch zeigen, wie gut es ihm ohne ihn ging! Er würde es ihm beweisen! Wütend riss er an dem Holz und spürte, wie der Deckel lockerer wurde. Schweiß lief seine Stirn entlang und er atmete schwerer gegen die stickige, immer weniger werdende, Luft an. Er brauchte Sauerstoff nicht unbedingt zum Leben, aber frische Luft war besser als hier unten mit Maden und einer Leiche neue Freundschaften zu schließen und Therapiesitzungen abzuhalten über sein Gefühlsleben. Außerdem roch die Lady unter ihm nicht mehr so gut, als dass er lange ihre Gesellschaft genießen wollte. „Warum…?“, murmelte er wütend in der Dunkelheit und seine Stimme zitterte. Wieder war da dieses unbändige Schluchzen in seiner Kehle und er musste die Nase hochziehen. „Du Idiot…du hättest mit mir gehen sollen. Wir hätten wir sein können. Wir hätten niemanden gebraucht…und du wärst nicht so geworden. Ich hätte dich beschützen können…“, keuchte er und seine Nägel kratzten über das Material. Ein Nagel blieb stecken und brach schmerzlich von seinem Zeigefinger ab. Crowley fluchte. Es war nicht leicht sich frei zu kämpfen und gleichzeitig ruhig liegen zu bleiben, während einem der Hintern halb abgefackelt wurde. So mussten sich die Menschen im spanischen Bullen gefühlt haben. Gefangen wie ein Hummer im kochenden Suppentopf. Eine Erfahrung auf die er gerne verzichtet hätte. „Ich hätte dir gerne so viel gesagt, Aziraphale…“, sagte er in der Dunkelheit. Dieser Engel war seine Sonne, sein Licht, was ihm diesen ewig dunklen Pfad erhellte und Hoffnung gab, dass er nicht ganz verloren war. Doch wenn er die Hoffnung aufgab, dass er wieder kam, würde es würde weniger weh tun, als nur wieder enttäuscht zu werden, als wieder fallen gelassen zu werden, wie ein kaputtes Spielzeug, was nicht richtig funktionierte. Der Weg war für ihn allein bestimmt und nicht mit einem Engel an der Seite, der ihm das Gefühl gab in Ordnung zu sein. Die Pforte zum Himmel würde sich niemals für ihn öffnen und er würde es nicht wert sein gerettet zu werden. Niemals, sonst wäre er kein Dämon mehr. Er würde sein falsches Lächeln wieder aufsetzen, wie vor tausenden Jahren schon einmal und den Schmerz verdrängen. Er würde all die Dinge ein eine unsichtbare Schachtel packen und wegschließen. All den Schmerz würde er wegsperren und nie wieder rauslassen, wie eine Büchse der Pandora. Es würde seine eigene kleine Schachtel des Chaos und des Unheils werden. Doch trotz dieses Vorhabens und des festen Entschlusses, ohne den Engel fortan zu leben, schrie er wieder. Er schrie nicht den Namen seines Engels, wie die letzten Minuten oder Stunden, die er schon hier unten zubrachte. Crowley schrie vor Schmerz und hätte ihn durch die vielen Schichten Erde jemand gehört, dann wäre dieser sicherlich taub oder vom Blitz getroffen worden. Obwohl er unter der Erde lag, gehorchte ihm das Unwetter oben noch, was ihm zeigte, dass noch nicht all seine Kraft verloren war. Ein bisschen war noch übrig. „Gott!“, stieß er fluchend raus. Er hatte schon lange nicht mehr nach oben gerufen. Was sollte er sagen? Verzeih mir? Das hatte er schon und es war nur Stille gewesen, die ihm geantwortet hatte. Hol mich hier raus? Auch das hatte er versucht und es war still geblieben. Also war es recht unwahrscheinlich, dass Gott auch jetzt zu ihm sprechen würde oder sein Flehen erhören würde. Egal, wie viel er auf den Händen und Knien kriechen würde. Gott und Aziraphale waren unerreichbar für ihn geworden. Ein Schnalzen entfuhr ihm. Wo war nur sein Optimismus hin? Er war doch auch vor dem Engel nicht so…so…so depressiv gewesen. Mit einem angestrengten Stöhnen versuchte er sich zu bewegen, stärker zu ziehen und Erde rieselte auf sein Gesicht. Er spuckte und schlug mit der Faust auf das Holz. Der Geruch machte ihn wahnsinnig und trieb ihn an härter zuzuschlagen. Der Strudel der Gefühle wandelte sich von Trauer wieder in Wut um und brachte neue Energie mit sich. Metatron würde dafür bezahlen! Eigentlich sollte der Himmel gut sein! Eigentlich, aber was hatte er auch erwartet von einer Seite, die sogar Kinder gnadenlos ertränkte? „Komm schon!“, murmelte er angestrengt und riss sich den Handrücken auf als das Material nachgab. Noch mehr Erde rieselte auf ihn nieder und begrub ihn unter sich. Die Hitze brannte auf seiner Haut, doch er konnte den Mund nicht öffnen. Die Last drückte auf seine Brust, doch zum Klagen war keine Zeit. Jetzt hieß es graben, wie ein Maulwurf. Seine Finger wühlten sich durch die weiche Erde, schoben sie Stück für Stück zur Seite und in den Sarg hinein. Irgendwo musste die Erde hin und er hier raus, egal, wie sehr das brannte oder schmerzte. Egal, welche Verletzungen er davon trug, diese Engel würden ihn nicht klein kriegen! Wie schwer konnte es schon werden sich selbst zu lieben, wenn es niemand anderes tat? Wie schwer konnte es sein, seine eigene Hoffnung zu finden, wenn er Engel fort war und sie ihm nicht schenkte? Er hatte so viel erlebt und war Wege gegangen an denen andere Dämonen gescheitert waren. Da würde er jetzt nicht aufgeben. Angestrengt schob er die Erde runter zu seinen Füßen, seinen Körper drückte er dabei nach oben. Er trat mehrfach gegen die Leiche der Frau und wühlte sich weiter hoch bis er sitzen konnte. Der einzige Gedanke, der ihn antrieb, war die Wut und Verzweiflung, der Schmerz und dass das hier nicht sein Grab werden sollte. Wenn er diese Welt irgendwann verlassen sollte, dann doch mit Stil und nicht wie ein Häufchen Elend in einem Sarg mit einer unbekannten Frau! Knurrend schob er sich weiter und weiter. Aus der sitzenden Haltung wurde irgendwann eine stehende und er konnte sich durch die Erde graben bis er frische, kühle Luft an seinen geschwollenen und aufgeplatzten Fingern fühlte. Kühle Luft, die sich so viel besser anfühlte als das modrige, feuchte und stinkende Loch der letzten Minuten in dem er schon fast Platzangst bekommen hätte. Er konnte noch immer keine Wunder wirken oder sich in eine Schlange verwandeln, um das restliche Stück an die Oberfläche zu schaffen. Mit aller Kraft zog sich der Dämon nach oben. Seine Hand suchte Halt im Boden und grub sich in den Schnee, der es nicht einfacher machte. Tief holte er mit seiner Lunge nach Atem als die kalte Winterluft an seiner Nase kitzelte. Die Sonne blendete ihn trotz der schwarzen Sonnenbrille für einen Moment und er musste die Augen zusammen kneifen. Mit einem Stöhnen sank er auf dem Boden, steckte noch halb in der Erde fest und atmete durch. Das Brennen ignorierte er. Sein Atem ging hörbar und der Schnee kühlte die Verbrennungen. Doch er hatte es geschafft. Er war an der frischen Morgenluft Londons und konnte wieder atmen. Er lag nicht mehr auf einer fremden, toten Frau und musste in einem dunklen Sarg zubringen. Die Wintersonne war eine Wohltat dagegen. Was für eine Nacht! Dieser Engel machte ihn fertig und mit Sicherheit nicht auf die schöne Art und Weise, wie er sich das gerne wünschen würde. Crowley stöhnte und sobald er wieder genug Energie hatte, stemmte er sich auf die Ellenbogen und robbte das letzte Stück aus dem Grab raus. Dann atmete er tief durch, genoss die Kälte, ehe er schon leicht fror. Ein heller Schrei erfüllte die Morgenluft und er blickte überrascht auf. In der morgendlichen Sonne stand eine Frau und hatte den Grabschmuck aus Tanne fallen gelassen. Sie starrte auf die Stelle, wo er rausgekrochen war Crowley stöhnte genervt und rollte nicht nur genervt mit den Augen, sondern legte auch den Kopf in den Nacken. Instinktiv schnippte er mit dem Finger, um die Frau am weglaufen zu hindern. Doch nichts passierte. „Oh…fuck“, entfuhr es ihm. Jetzt musste er ihr hinterher rennen und sie von diesem Friedhof schleppen, um ihre Erinnerungen zu löschen. Andernfalls würde es nur Probleme geben und unnötigen Ärger, den der Dämon im Moment absolut nicht brauchen konnte. Crowley hasste es zu rennen. Schnell fahren, war okay, aber rennen? Das war mit Sicherheit nicht seine Disziplin. Mit der wenigen Kraft, die er noch hatte, richtete er sich auf und fluchte wieder über das Brennen an seinen Füßen. Dieser heilige Boden war unangenehm und er zischte vor Anstrengung. Crowley warf keinen Blick zurück, was für ein Schlachtfeld das Grab nun war, sondern rannte der Frau fluchend hinterher. Seine Schritte waren alles andere als gezielt und sicher, wie sonst. Sein Rennen konnte man eher als unsicheres Tapsen betiteln. Obwohl er seine Bikerstiefel trug, fühlte es sich wie glühende Kohlen an. Was suchte auch eine Frau morgens bei Sonnenaufgang auf einem Friedhof? Mit den Zähnen knirschend lief er weiter und konnte fühlen, wo die Grenze von dem Wunderblocker war. Perfekt! Bald konnte er wieder seine kleinen dämonischen Wunder wirken und aus diesem Schlamassel herauskommen. Er grinste zufrieden und es fühlte sich an, als würde er kurz durch Wackelpudding gehen, als er die Grenze passierte. „HA!“ Er blieb schlitternd stehen und schnippte mit dem Finger. Sofort gefror die Frau in der Bewegung und regte sich nicht mehr. Er hatte nun alle Zeit der Welt, um zu ihr zu gehen. Mit großen, hüpften Schritten trat er auf sie zu und blickte in ihre angstvollen, gefrorenen Augen. „Hör zu, Schnucki, du wirst dich jetzt beruhigen, dich wieder umdrehen, den Grabschmuck wieder aufnehmen und alles andere vergessen, was du vorher gesehen hast. Insbesondere mich“, sagte er und tänzelte um die Frau herum, weil er nicht lange still stehen konnte. Dann wandte er sich um, vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war und brachte sich aus ihrer Reichweite bis zu Grenze des Friedhofes, die wieder auf die normale Straße Londons führte. Crowley lehnte sich erschöpft gegen die Steinmauer und war dankbar über den wenigen Verkehr. Er schnipste mit dem Finger, um die Frau, die er zurückgelassen hatte aus ihrer Starre zu befreien. Nun hatte er Zeit durchzuatmen. Müde rieb er sich über das Gesicht und die Augen. Etwas krabbelte an seiner Wange und er schupste die Made zur Seite. Er war bestimmt kein neues Futter! Es war Zeit nach Hause zu gehen. Der Dämon legte genervt den Kopf in den Nacken und stöhnte leicht, ehe er sich nach Hause brachte. Sein Wagen war leider nicht da und würde sich wohl auch nur unter Protest vom Friedhof zu sich nach Hause bewegen. Die meiste Zeit wollte es lieber vor dem Buchladen parken, als wollte es auf Aziraphale warten. Wenn das Endziel nicht wieder der Laden war, streikte der Wagen, was ihn immer noch zur Weißglut brachte. Also musste er wieder seine Kraft einsetzen und fand sich nur binnen eines Augenblicks wieder in seiner Wohnung. Müde rieb sich der Dämon über die klammen Hände. Eine Schlange zu sein war im Winter wirklich nicht von Vorteil und er zog die Nase hoch. Aber endlich konnte er der Kälte entgehen und ohne zu zögern, entledigte er sich des dreckigen Hemdes. Achtlos warf er den Stoff auf den Boden. Mit jedem Schritt durch seine Wohnung hinterließ er weitere Kleidungsstücke. Schuhe, Unterhemd, Socken. Achtlos kickte er sie zur Seite. Seine Haut war von Rötungen und Blessuren übersäht. Eine Nebenwirkung von dem geweihten Boden und leicht verärgert kratzte er sich über den Arm, wo die Haut vom Ausschlag juckte und schuppte. Ein zischendes Geräusch verließ seine Lippen. Wenigstens bekam er keine Niesanfälle. Kurz wanderte seine Hand in die Hosentasche und holte die Fliege von Aziraphale hervor, die er sich vor Stunden eingepackt hatte, um eigentlich ins Bett zu gehen. Zum Glück war ihr nichts passiert. Sanft strich er über den Stoff und führte ihn an seine Lippen. „Oh Engel…du machst mich fertig“, flüsterte er und legte das Accessoire auf das Waschbecken im Badezimmer. Dann zog er seine Hose aus und wanderte noch einmal zurück in den Raum, in dem sein Marmortisch stand und holte eine Flasche Wein. Crowley war die Nacht deutlich anzusehen und er freute sich auf ein heißes Bad. Zielsicher ging er ins Badezimmer und schnipste mit dem Finger, um das Wasser in die große Wanne laufen zu lassen und die Heizung anzustellen. Auf einem kleinen Hocker erschien eine Wärmelampe, die ihm zusätzlich warmes Licht spenden würde, wie es bei den Reptilien in den Terrarien der Fall war. Es war doch kälter in seiner Wohnung als er gedacht hatte und das lag wohl mit den vielen Alkohol Episoden, die dafür gesorgt hatten, dass er alles andere ausblendete. „Okay…dann wollen wir mal“, murmelte er und pflückte sich eine Made aus dem Barthaar. „Igitt…“ Nachdenklich betrachtete der Dämon sein Spiegelbild und überlegte, wie Aziraphale seinen Bart immer getrimmt hatte. So schwer konnte das nicht sein. Andererseits…wozu sich die Mühe machen? Am Ende schnippelte er sich noch die Finger ab oder stach sich die Wangen auf. Eine Vorstellung, die Crowley so gar nicht gefiel. Nachdenklich bewegte er den Mund und legte den Kopf schief. „Wieso auch nicht?“, murmelte er und schnippte erneut mit dem Finger. Seine Haare im Gesicht verschwanden und zurück blieb ein glatt rasiertes Kinn, keine krabbelnden Maden und auch seine Haare waren wieder kürzer. Wunderbar kurz und frei im Nacken, während es oben länger blieb, damit er sich wieder seine hochgestylte Frisur machen konnte, wenn er wollte. Es sah schon viel besser aus und tief atmete der Dämon durch. Der Teil wäre schon mal geschafft. Wenn er wirklich und wahrhaftig aus diesem dunklen Loch kommen wollte, dann müsste er wohl noch mehr tun. Angefangen bei seinen Pflanzen, aber das schaffte er nicht. Noch nicht. Aber immerhin sah er wieder besser aus und ein heißes Bad vertrieb wohl hoffentlich auch die Kälte. Er musste wieder zu seinem alten Stil kommen. Doch das war nicht so einfach, wenn einem das Herz in der Brust weh tat. Mit einem Wink seiner Hand hörte das Wasser auf zu fließen und ein angenehmer Duft von Zedernholz, Moschus und Zitrone breitete sich im Badezimmer aus. Der Duft vom Garten Eden. Der Duft von Aziraphale, den er so mochte. Crowley entledigte sich dem letzten Kleidungsstück und ließ sich in das warme Wasser gleiten. Seufzend legte der Dämon den Kopf in den Nacken und griff zur Weinflasche, um einen tiefen Schluck zu nehmen. Genüsslich streckte er sich aus und überschlug die Beine, während die Wärmelampe ihr übriges tat. Instinktiv streckte er sich dem Licht mehr entgegen. Klingelnd ging die rote Tür des alten Buchladens von Aziraphale auf. Das Glöckchen war ein so vertrauter Ton, dass Crowley dem kaum eine Beachtung schenkte. Obendrein war er im oberen Bereich des Hauses, wo die Schlafzimmer waren und das Klingeln erklang nur leise. Hoffentlich war es kein Kunde. Das kleine Englein hatte noch immer Probleme damit Menschen abzuwimmeln und ihnen keine Bücher, die sein Engel so sehr liebte, zu verkaufen. Leider musste er ihr oft genug ins Gewissen reden und dazwischen gehen, wenn doch mal jemand etwas gekommen war. Zum Glück rief sie ihn dann an und fragte um Hilfe statt einfach nett zu sein. „Bitte…vielleicht können Sie ihm helfen“, sagte Muriel flehentlich und der Dämon spitzte die Ohren. Ein Brummen entkam seinen Lippen und ein Wink mit dem Finger und die Musik spielte etwas lauter. Der Bass hallte von den Wänden wider und unterstrich die E-Gitarre, während der Sänger mit tiefer, aber kräftiger Stimme sang. „You pulled my heart from the dirt“, erklang es aus den Boxen. „Alone in pieces, you found me…“ Es war zwar nicht Queens, aber die Band war nicht schlecht, wie er feststellen musste und ihre Musik sprach ihm aus der tiefsten, dunkelsten Seele, sangen sie doch immer wieder über das Monster aus Erinnerungen, die Stücke, in die man zerbrochen war, fehlender Hoffnung und einem zerbrochenem Ich. Die Musik gefiel ihm und sprach genau das an, was er nie in Worte hätte fassen können und wenn es nicht die Musik war, die er hörte, dann war es Romeo & Julia als Film, den er sich ansah, nur um sich an das Theaterstück als Uraufführung zu erinnern zu dem Aziraphale ihn damals eingeladen hatte. Es war die erste Tragödie, die er von Shakespeare gesehen hatte und schon damals hatte ihm das Stück die Tränen in die Augen getrieben und unkontrolliert Schluchzen lassen. Das war heute nicht anders, auch wenn es nicht mehr dem genauen Wortlaut von früher entsprach und etwas angepasst war. Sein Vorhaben sich nicht mehr gehen zu lassen, hatte nur ein paar Stunden gehalten. Nach dem heißen Bad hatte sich Crowley seinen schwarzen Pyjama angezogen und war ins Bett gestiegen in der Hoffnung von der Nacht so fertig zu sein, dass er schlafen konnte. Doch die Gedanken blieben nicht still. Er musst an seinen Engel denken, wie besorgt er geschaut hatte und an die Abscheu als die Erinnerungen verloren gegangen waren. Crowley wollte nichts sehnlicher als ihn wieder bei sich haben und der Schlaf, der gefolgt war, war noch schlimmer als alle Alpträume, die er je gehabt hatte. Sobald er die Augen schloss und in einen Halbschlaf abdriftete, war er wieder im Buchladen vor fünf Jahren und wie er einfach hoffte, dass Aziraphale nein zum Himmel gesagt hatte. Der hilfesuchende Blick von seinem Engel hatte sich in sein Gehirn gebrannt. Es hatte ihm so viel Mut gekostet die Worte zu finden und es war nicht mal annähernd das, was alles in seiner Brust geschlummert hatte, um diesem dummen Engel begreiflich zu machen, was er empfand. Hätte er andere Worte finden müssen? Hätte er noch deutlicher werden müssen? Rückblickend hatte er angefangen, wie bei einem schlechten Heiratsantrag und sein Kehlkopf hatte vor Aufregung gestockt, dass er kaum hatte sprechen können. Nicht mal dem Blick von Aziraphale hatte er standhalten können, weil seine Augen so feucht gewesen waren. Er hatte zur Decke geschaut, aus dem Fenster und sich selbst geärgert, wie nervös er gewesen war. Nichts da mit Show und cooler Fassade. Nur nackte Tatsachen. Nur sein blankes Inneres. Gabriel und Beelzebub als Beispiel anzuführen, war das Beste gewesen, um zu dem Punkt zu kommen, wo er hinwollte. Gemeinsam abhauen und glücklich werden. Gemeinsam die Ewigkeit verbringen ohne irgendwelche Seiten, ohne Kämpfe und Krieg. Wieder hatte er dem Engel angeboten nur zu zweit zu verschwinden. Das erste Mal war es nur gewesen, weil er dachte, er würde seinen besten Freund mit retten wollen und hatte eine Abfuhr kassiert. Das zweite Mal hatte ihm so viel mehr bedeutet und doch hatte Aziraphale so sehr am Himmel festgehalten. Dann war da der Todesstoß gewesen. „Oh Crowley…nichts hält wirklich ewig.“ Die Worte klangen in seinem Kopf noch genauso deutlich wieder wie damals. Es war als, wollte der Engel sagen, dass auch ihre Freundschaft oder ihre Art von Beziehung nicht für immer halten würde. Nichts hielt ewig. Ja, genauso war es. Genauso hatten sie die Zeit erlebt. Keine Stadt hielt ewig, kein Land lebte ewig und kein Mensch lebte ewig. Dinge veränderten sich. Er selbst war ein lebendes Beispiel dafür, wie oft er sich der Zeit angepasst hatte und doch viel ihm diese Art der Veränderung unglaublich schwer. Schwerer als alle anderen Zeiten, die er erlebt hatte, war die Veränderung doch eher schleichend und nicht so abrupt. Weder der Buchladen noch ihre Beziehung konnte die Ewigkeit überstehen und das hatte Crowley deutlich verstanden. Aziraphale wollte ihn nur unter sich als Helferlein im Himmel. Nichts sonst. All die Jahrtausende hatte er nur versucht ihn zu läutern und einen Engel aus ihm zu machen, der er schon lange nicht mehr war. „Crowley! Crowley, komm zurück…in den Himmel!“ Zuerst hatte er wirklich in der Hoffnung inne gehalten gehabt, dass sein Engel seine Gefühle endlich verstanden hatte, bereit war zu reden und zu verstehen. Doch es ging wieder nur um den Himmel. Um diesen gottverdammten, verfluchten toxischen Himmel! Was hätte er dazu sagen sollen? Was hätte er noch tun können, um ihn zu überzeugen bei ihm zu bleiben? Das große L-Wort sagen? Er hatte diesen Idioten von Engel den Zaunpfahl vor den Kopf geworfen und er redete immer noch von einer Partnerschaft, Zusammenarbeit und Vergebung. Selbst nach dem Kuss in dem er alles hineingelegt gehabt hatte, all seine Gefühle und Verzweiflung, all sein Flehen. Aber auch das…nichts. Für einen Moment hatte er sogar gedacht, der Engel würde diesen Kuss erwidern. Da war diese Hand auf seinem Schulterblatt gewesen. Es endete im Nichts, im Chaos und wie alles, was er versuchte. Er war eben ein Dämon, dazu verdammt genau das hervorzubringen. Als Antwort auf seinen Kuss, der mehr als überdeutlich gewesen war, hatte es nur ein Zittern der Lippen gegeben. Kein „Ich liebe dich“. Kein „Ich bleibe bei dir“. Nur ein stammelndes „Ich vergebe dir“. Crowley hatte an diesem Punkt auch nicht mehr weitergewusst und war gegangen, hatte am Bentley gewartet und hatte dem Engel zugesehen, wie er in den Aufzug gestiegen war. Ein letzter Blick, ob Aziraphale seine Meinung ändern würde. „Aziraphale…du Idiot“, murmelte er und das angefangene Lied wechselte mit einem Wink seiner Hand zu einem anderen. Die Fliege des Engels hielt er fest in der Hand. Geigenklänge, die normalerweise so gar nicht sein Stil waren, erklangen und ein sanfter Tackt von einem Bass, während der Sänger traurig vom Verlust sang und sich wünschte sich an all die Sekunden zu erinnern, die er mit der Person hatte und versuchte sie zu zählen. Oh ja…jede Sekunde, die Aziraphale und er hatten…er konnte wirklich nicht mehr alle nennen und zählen. Es gab Momente, die konnte er perfekt erzählen und dann waren da nur schwache Erinnerungen, vor allem an dem Himmel. Er war nicht so akribisch, wie sein Engel, der alles aufhob und sich von nichts trennen konnte. Kleidung, Schmuck…all das verschwand irgendwann. Jetzt wünschte er sich, er hätte mehr als nur diese Fliege als Erinnerung. Mehr als diesen Buchladen und mehr als die Musik, die seine Gefühle widerspiegelte. Kaum hatte das Lied geendet, ging es wieder von vorne los und die Musik tarnte sein Schluchzen. „Ich weiß nicht, was ich noch tun soll“, sagte Muriel vor der Tür und klang hoffnungsvoll, „Er liegt jetzt schon eine Woche hier in diesem Zimmer und hört die Musik rauf und runter und wenn es das nicht ist, dann ist es irgendein Film.“ „Ohje“, erklang die weibliche Stimme hörbar besorgt. „Bitte…ich halte das nicht mehr aus.“ Muriel klang wirklich so, als würde sie gleich weinen und nicht er. Hatte sie sich jetzt ernsthaft Hilfe von Maggie und Nina geholt und startete eine Intervention gegen ihn? Crowley drehte sich im Bett auf den Bauch und drückte sein Gesicht ins Kissen. Durfte ein Dämon nicht auch Liebeskummer haben? Zu Hause hielt er es nicht aus. Er hatte versucht zu schlafen und wachte doch nur mit Alpträumen auf. Der Engel und er, der Kuss und nun mischte sich die Nacht auf dem Friedhof dazu. Sobald er sich vom Engel löste, war da kein zitternder Mund und keine Ungläubigkeit, sondern Abscheu und Hass, der ihm um die Ohren flog. Schweißgebadet war er aufgewacht, hatte versucht wieder zu schlafen, aber er wollte nicht in diese Alpträume zurückkehren. Crowley hatte sich Stunden im Bett gewälzt, an der Zimmerdecke, an der Wand und zum Schluss sogar an der Drehwand im Flur versucht zu schlafen. Doch nichts fand seine Befriedigung, weshalb er in den Laden gekommen war, um irgendwie seinem geliebten Engel nahe zu sein und in besseren Erinnerungen zu schwelgen. „Wir hätten wohl besser nichts gesagt“, sagte Maggie besorgt. „Nein…irgendwann wäre es sowieso passiert.“ Da war die kräftige und selbstbewusste Stimme von Nina aus dem Coffeeshop gegenüber. Crowley wappnete sich damit, dass die beiden Frauen gleich hereinkommen würden und sein schlechte Laune machte sich jetzt schon breit. Das Klopfen an der Tür ließ ihn Brummen. „Dürfen wir reinkommen? Wir sind es, Maggie und Nina“, sagte die Frau auf der anderen Seite. Als ob er das nicht schon längst gehört hätte! „Danke!“, sagte Muriel erleichtert und das Grinsen konnte er sogar förmlich hören. Manchmal war dieser naive Engel eine angenehme Gesellschaft, tröstete ihn die Anwesenheit hin und wieder. Aber jetzt fragte er sich, was sie sich dabei gedacht hatte. „Verschwindet!“, schrie er und wandte nur kurz das Gesicht herum, „Verschwindet einfach!“ „Bestimmt nicht. Ihnen geht es schlecht und wir wollen Ihnen helfen!“ Der rothaarige Dämon schnaubte und im nächsten Moment ging die Tür auf. Er blickte nicht auf und machte auch keine Anstalten die Musik leiser zu machen. Im Gegenteil. Er ließ sie lauter aufdrehen, um bloß kein Wort zu hören. „Okay…kommen Sie. Stehen Sie auf“, forderte Nina ihn auf und die Musik stoppte abrupt, als sie die Box ausstellte. „HEY!“, protestierte er und wurde an den Schultern gepackt. Nina drehte ihn grob herum und zog ihn am Handgelenk hoch. „Jetzt hören Sie mal auf sich wie ein Kind zu benehmen und hier herum zu liegen wie ein Trauerkloß!“, forderte sie ihn auf und ächzte leicht unter seinem Gewicht. „Wieso?“, protestierte er wieder und machte sich absichtlich schwerer, damit sie ihn nicht hochziehen konnte. Aber die Frau war stark und ließ nicht los. Wie bei einem Tauziehen, zog sie an seinem Handgelenk, verlagerte damit sein Gewicht und zog ihn soweit hoch, dass er aufrecht sitzen musste. Der Dämon stöhnte frustriert. Crowley schaute die Frau nicht an und mied ihren Blick, während er nur die Nase hoch zog. „Die ganze Sache geht euch gar nichts an“, war sein halbherziger Versuch sie los zu werden. „Wir wissen ja, dass es damals nicht gut gelaufen ist, aber fünf Jahre sind für die Verarbeitung einer Abfuhr einfach zu lang“, sagte sie tadelnd und stellte nachdrücklich einen Becher aus ihrem Shop auf den Nachtisch. Er konnte den Duft von Schokolade riechen. Das typisch menschliche Trinken, wenn man Liebeskummer hatte. Crowley brummte. Die Frau hatte keine Ahnung. Es war mehr als nur eine Abfuhr und fünf Jahre waren für die Verarbeitung von sechstausend Jahren nicht mal annähernd genug. „Hören Sie, Sie verschwenden Ihre Zeit“, erwiderte er so ruhig es ging und richtete seine Sonnenbrille, ehe er den Blick wieder zu ihr warf. „Ich habe es vermasselt. Er hasst mich. Der Rest ist meine Angelegenheit und wie ich damit umgehe, geht Sie nichts an.“ Crowley ließ sich wieder in das Kissen zurückplumpsen und starrte leblos an die Decke. „Ach kommen Sie, andere Mütter haben auch schöne Söhne“, versuchte sie ihn aufzumuntern und erntete nur ein Schnauben. Kein Mensch würde gleichzusetzen sein wie sein Engel. Er würde sich niemals so öffnen können und nie so ehrlich sein können, wie zu Aziraphale. Ein Mensch würde altern und sterben, während er jung blieb. Nein, es kam nicht in Frage! Die Frau hatte einfach keine Ahnung. „Was wollen Sie tun? Für den Rest Ihres Lebens depressive Musik hören, sich die Augen aus dem Kopf und Ihrem Freund nachweinen?“ Crowley brummte. Wenn es sein musste, würde er das tun. „Das ist kein Leben. Da draußen ist das Leben und es ist bald Valentinstag. Kommen Sie…vielleicht finden Sie ja jemanden mit dem Sie den romantischen Tag verbringen können?“ Crowley starrte die Frau mit hochgezogenen Augenbrauen an, als wäre sie verrückt geworden. Wortlos setzte er sich noch mal auf, griff zu dem Becher mit Kakao und setzte zum Trinken an. Schnell und mit tiefen Zügen leerte er das süße Getränk, um sich anschließend über die Lippen zu lecken. Er warf einen Blick aus dem Fenster und griff dann zur Decke, um sich darin einzuwickeln, wie eine Raupe in einem Kokon, nur dass er nicht im Frühling zu einem Schmetterling werden würde. Flügel hatte er bereits, auch wenn er sie ewig nicht mehr ausgebreitet und gepflegt hatte. Nicht seit Aziraphale fort war. Wie sehr er es vermisste, wenn sie sich gegenseitig die Flügel richteten und die Federn glätteten. Es war so intim dem anderen sanft über die weichen Federn zu streichen. Intimer als alles andere, was Menschen je hätten teilen können. Immerhin waren die Schwingen empfindlich und jede noch so kleine Berührung konnte kitzeln und feine Schauer auslösen. Sie zu beschädigen, zu brechen oder rauszureißen…das war als würde man wohl vergleichsweise einem Mann seiner Männlichkeit berauben oder einer Frau die Brüste abnehmen. Es war eben ihre Existenz, was sie zu dem machten, was sie waren. Der Schnee draußen motivierte ihn nicht unbedingt dieses gemütliche, warme Plätzchen zu verlassen. Nach dem Kampf auf dem Friedhof hatte er von der weißen Pampe auch genug bis zum nächsten Winter. Er gab ein Schnauben von sich und nur seine Nase und Augen waren noch zu sehen, die nicht von der Decke verhüllt waren. Hier drin duftete es wenigstens nach seinem Engel. Draußen war es kalt. Hier drinnen war es warm und draußen roch es nach den Autos, den Menschen und vielen anderen Dingen. Vielleicht sollte er sich ein Kissen auf die Heizung legen und dort als Schlange einfach einen Winterschlaf halten. Das klang nach einer passenden Idee. Aber draußen spazieren? War er eine Oma? „Das ist doch lächerlich!“, beschwerte sich Nina. „Sie hat Recht. Nur hier drin sitzen, hilft Ihnen nicht auf andere Gedanken zu kommen“, versuchte es nun Maggie sanftmütig, „Sie müssen raus gehen, etwas erleben, neue Leute kennen lernen. Wir wissen alle, dass Liebeskummer nicht schön ist und jeder kann verstehen, dass es Ihnen schlecht geht, aber das ist kein Grund die ganze Welt auszusperren.“ Immer diese Argumente! Crowley verengte hinter seiner Sonnenbrille die Augen und nuschelte etwas in die Decke hinein. „Wie war das?“ Nina stemmte die Hände in die Hüfte und sah ihn abwartend an, als wäre er ein kleiner Schuljunge und kein sechstausend Jahre alter gefallener Engel. Sie griff zum Rand der Decke und zog sie ein Stück herunter. „Es bringt doch alles nichts! Davon kommt er auch nicht wieder!“, beschwerte er sich diesmal lauter. „Nein, mag sein, aber Sie gehen dann Muriel nicht mehr auf den Sack und spielen hier den Trauerkloß, der die Stimmung mies macht. Das Leben will raus und geht weiter!“ Wieder schnaubte der Dämon und kratzte mit dem Nagel, der zum Glück geheilt war, nachdem er im Sarg stecken geblieben war, über die Naht vom Stoff der Decke. Das unebene Muster war ein wenig beruhigend gegen die Anspannung, ebenso das leichte bewegen seiner Füße. Wieso mussten jetzt alle gegen ihn intervenieren? Es war doch alles gut so wie es war. Sie ließen ihn in Ruhe, er ließ die anderen in Ruhe. Quitt pro Quo. Konnte er nicht einfach in sein Loch und dann war Ruhe? Menschen waren wirklich komisch und manchmal überraschten sie ihn doch noch. „Hier, ich habe sogar einen Schal für Sie!“, sagte Muriel freudestrahlend und hielt ihm einen karierten Wollschal vor die Nase. Cremefarben mit sanften Rot- und Blautönen, die seinem Engel sicher gefallen hätten. „Warm anziehen ist alles“, sagte Maggie und schob die Decke von seinem Kopf. Von hinten drückte sie gegen seinen Rücken, während Nina vorne an seiner Hand zog. Zwangsweise musste Crowley aus dem Bett aufspringen und seufzte. Sie würden ihn nie in Ruhe lassen! „Und wehe Sie gehen in Ihre Wohnung und machen da weiter“, warnte Nina. „Wer würde mich aufhalten wollen?“, fragte er frech grinsend und mit hochgezogener Augenbraue zurück, „Ihr wisst nicht, wo ich wohne.“ „Stimmt, aber ich bin sicher, dass Muriel es weiß und Mr. Fell hat sicherlich irgendwo eine Adresse von Ihnen notiert.“ Crowley brummte. Verdammt! „Sie gehen jetzt da raus“, sagte Nina bestimmend und deutete nach draußen, während Muriel ihm den Wollschal umwickelte. Nina sah ihm fest in die Augen soweit sie durch die Sonnenbrille konnte. „Wenn Sie da draußen sind, gehen Sie spazieren. Besuchen sie den St. James Park, den Hyde Park, machen Sie eine Touristentour, gehen Sie in die Bücherei…egal…nur tun Sie was und ich will Sie nicht unter zwei Stunden wieder hier sehen. Andernfalls schicke ich Sie wieder raus!“ War er ein kleines Kind? „Hier sind auch passende Handschuhe“, verkündete Muriel freudestrahlend über das ganze Gesicht und nahm seine Hand, um ihm die Handschuhe anzuziehen. Unwirsch zog er seine Hand weg. „Ich kann das alleine!“, knurrte Crowley und griff sich seinen Mantel vom Stuhl. Hier würde er keine Ruhe finden. Die Frage war nur, wo sollte er hingehen? Alle Orte waren so…voller Erinnerung und alles hatte er mit Aziraphale besucht. Das Museum, den Park…es gab nur selten Dinge, die er alleine tat. Vielleicht ein Kinofilm? Wenn nicht grade irgendeine Schnulze lief oder der möchtegern-Porno Shades of Grey. Oder er könnte mal wieder zu dem Friedhof mit der Statue von Gabriel und könnte diese mit faulen Eiern bewerfen. Dann könnte er wieder seinen Frust abbauen. Tief seufzend stieß er die Luft aus und knöpfte den langen schwarzen Mantel zu. Der Schal stach von der ganzen schwarzen Kleidung heraus, aber das war ihm egal. Nur die bunten Handschuhe nicht, die Muriel ihm aufdrücken wollte. Wortlos reichte er sie ihr zurück und zog sich schwarze Lederhandschuhe über. „Ich gehe“, verkündete der Dämon resigniert und ging wortlos an den Frauen vorbei, um zur Treppe zu gelangen. „Der St. James Park ist aktuell sehr schön. Vielleicht sollten Sie dorthin gehen!“, rief Maggie ihm nach und er gab nur ein Brummen zur Antwort. „Wollen Sie mir helfen die Bücher zu sortieren?“, fragte Muriel begeistert. „FINGER WEG VON DEN BÜCHERN!“, schrie er auf halben Weg der Treppe und war dabei noch mal umzudrehen. „Nur nach Autor, Mr. Crowley!“, beruhigte ihn Muriel und streckte das grinsende Gesicht in den Flur. Crowley sah ihr in die Augen und sein Augenlid zuckte leicht. „Wehe, wenn den Büchern etwas passiert“, knurrte er drohend mit dem Finger und stapfte aus dem Buchladen. Crowley warf die Tür hinter sich ins Schloss, um in die Kälte zu treten. Er fröstelte sofort, schob frustriert die Hände in die Taschen und stampfte durch den Matsch, den London Schnee nannte. Grummelnd und mit schnellen Schritten ging er an den bunten Geschäften vorbei und das Bordell ein paar Straßen weiter, was ein dickes Schild an der Tür hatte, dass man den Mann mit der Sonnenbrille nicht bezahlen sollte. Normalerweise entlockte es dem Dämon immer ein freches Grinsen, aber heute hatte er nicht mal dafür etwas übrig. Vertrieben von dem einzigen Ort, wo er sich zu Hause fühlte! Was glaubten diese beiden Frauen und dieser kleine Jungengel, wer sie waren? Er war ein Dämon und keine kleine Nullnummer! Wenn er wollte, könnte er sie zu Asche verwandeln! Aber was redete er da? Er hatte noch nie einen Menschen getötet. Ob man es glauben wollte oder nicht, aber er hatte bisher keinem Menschen ein Haar gekrümmt. Weder in Kriegszeiten noch wenn es sein Auftrag war und er würde es auch jetzt nicht können. Vielleicht war er manchmal doch zu nett und er verlor seinen Biss, wie ein zahmer alter Löwe. Die Leute hatten keine Angst vor ihm. Die Frage war nur…wie lange war er schon auf der Seite der Menschen und versuchte eher Leben zu retten, als sie zu vernichten, wie viele andere Dämonen es getan hätten. Wenn Aziraphale das alles wüsste, dann würde er erst recht glauben, dass er zu…nett…war. Apropos nett…Da lag wieder diese Nettigkeit in der Luft. Crowley blieb auf dem verschneiten Weg vom St. James Park stehen. Auf dem kleinen Teich tummelten sich ein paar tapferen Enten und nur ein paar Menschen waren unterwegs, um einen romantischen Spaziergang zu machen. Hier lag der Schnee viel dichter als auf den Hauptstraßen. Die dicken Schichten knirschten unter jedem Schritt und zeigte ihm, wie viel eigentlich von dem weißen Zeug herunter gefallen war. Ein paar Schulkinder bauten einen Schneemann und bewarfen sich mit Schneebälle. So viele Jahrhunderte und nichts hatte sich verändert. Egal, ob es 1803 war, 1710 oder 2023. Sobald Schnee lag, spielten Kinder damit. Der Dämon verzog leicht das Gesicht und schaute sich betroffen um. Dieser Park war ihm so vertraut, wie sein eigenes Auto es nur sein konnte und er konnte es nicht fassen, was er dort sah. „Aziraphale“, entkam es ihm atemlos und er blieb in sicherem Abstand stehen. Auf einen neuen Kampf – vor allem mit so vielen Menschen – war er nicht erpicht. Aber was tat der Engel hier? Er sah so…wartend aus. In der Tasche ballte Crowley seine Hand zur Faust und blieb unschlüssig stehen. Sollte er hingehen? Sollte er umdrehen und gehen? Das Herz in seiner Brust schwoll vor Trauer und Liebe gleichermaßen an. Wenn der Engel ihn nicht erkannte, könnte er sich doch einfach dazu setzen und sie redeten wieder. Aber was, wenn er den Dämon in ihm entdeckte? Zischend atmete er hörbar ein und aus und beobachtete die weiße Wolke vor seinem Mund. Er wollte diesem Engel so nahe sein. Es war ein unbeschreibliches Gefühl sich so hingezogen zu fühlen und gleichzeitig zu wissen, dass es da keine Hoffnung gab. Dennoch brach ihm der Anblick von Aziraphale, der da alleine auf der Bank saß und sich immer wieder umsah, das Herz. Nervös schluckte der Dämon. Das könnte in die Hose gehen. Mit schnellen Schritten bewegte er sich auf die Bank zu und verlangsamte in der Umgebung die Zeit. Dann ließ er seinen Körper von Schuppen überziehen, wurde kleiner und seine Zunge schnellte heraus. Zischelnd nahm er seine Umgebung wahr und die Zeit ging weiter, als wäre nie etwas passiert. Es war verdammt kalt! Er würde für diesen Engel noch den Tod durch Erfrieren erleiden! Wenig begeistert auf dem Schnee herum zu gleiten, zischelte die Schlange und bewegte sich elegant und lautlos zur Bank auf dem das Engelchen saß. Fröstelnd zischte er immer wieder. Hoffentlich würde dieser kleine Idiot das irgendwann zu schätzen wissen, was er durchmachte! Crowley hatte sich etwas in eine humanere Größe von einer Schlange verwandelt, so dass keiner der Menschen groß Notiz von ihm nahm und es auch keine Panik kam, dass eine Giftschlange im St. James Park mitten im Winter gemütlich einen Spaziergang machte. Vorsichtig und lautlos glitt er über die Sitzfläche und seine Zunge fuhr sanft über die Hand von Aziraphale. Der weißhaarige Engel zuckte zusammen. Panisch und leicht erschrocken sahen die blauen Augen sich um und wanderten zu seiner Hand. „Oh…du warst das“, sprach der Engel sanft und ein liebevolles Lächeln legte sich um seine Mundwinkel. „Mein Lieber, es ist doch viel zu kalt für dich hier draußen!“ Wem sagte er das? Aber was tat man nicht alles für die Person, die man liebte? Aziraphale sah sich um, als suchte er wieder jemanden. „Bist du aus dem Zoo abgehauen?“, fragte er und strich mit den Fingern über seinen Kopf. Ein Schauer durchlief Crowley und bei der Berührung hämmerte sein Herz wie verrückt. Seine Schwanzspitze bewegte sich verräterisch freudig hin und her, als wäre er eine Klapperschlange. „Ich kenne mich mit Schlangen nicht so gut aus, aber ich weiß, dass sie Kälte nicht mögen und davon müde werden“, sagte er ein wenig liebevoll und wickelte sich den Schal ab. „Bitte beiß mich nicht, wenn du eine Giftschlange bist, ja?“ Crowley blinzelte ein paar Mal. Noch hatte er das nicht vor. Im Gegenteil. Im Moment fühlte es sich fast…normal an, was sie hier taten. Normal, soweit man davon sprechen konnte, dass ein Engel mit einer Schlange sprach. Richtig neben Aziraphale zu sitzen und normal zu sprechen, wäre schöner. Vorsichtig griffen die warmen Hände nach seinem dünnen Körper und hoben ihn etwas an. Dann legte sich der angewärmte Schal um ihn. Der Engel drapierte das Stück Stoff so, als wäre es ein gemütliches Nest. Das Herz von Crowley schwoll bei dieser Geste an und er ringelte sich zufrieden in diesen Stoff ein. Seine Zunge tastete das Gewebe entlang und nahm den Geruch vom Engel auf. Wie herrlich gut sich das anfühlte! So lebendig! Aziraphale bewegte seine Finger und Crowley befand sich in einer Art selbstgestrickten Pullover für Schlangen wieder. Wie peinlich! Aber gleichzeitig…süß von ihm, dass er ein Miniwunder wirkte, um ihn warm zu halten. „Das sollte besser sein, oder?“, fragte er grinsend und Crowley richtete sich etwas auf, um ihm glücklich zuzuzischen. „Ich nehme an, das heißt ja“, sagte der Engel grinsend und hob das kleine Bündel hoch, mit der anderen Hand öffnete er seinen weißen Mantel und ließ das selbstgebaute Schlangennest darin verschwinden, ehe er ihn leicht zumachte. Seinem Engel so nahe zu sein, ließ sein Herz pochen und er bewegte sich etwas, was Aziraphale lachen ließ. Er spürte das Pochen vom Herzen unter sich. „Was tust du da, kleiner Freund?“ Die blauen Augen schauten ihn neugierig an, als er sich nach oben aus dem Kragen schlängelte und sich leicht um seinen Hals legte. Sein Kopf stupste leicht gegen die Wange von Aziraphale. „Achso…du willst Schal spielen?“ Er holte den Schal aus dem Mantel, wickelte ihn sich um und wärmte ihn wieder zusätzlich. Noch immer zuckte seine Schwanzspitze vor Freude wie verrückt. Er hatte sich ewig nicht so glücklich gefühlt und so zufrieden! Anschmiegsam suchte er die Nähe zu seinem Engel und ließ sich das Kinn und den Kopf streicheln. Diese warmen Hände waren Balsam für seine geschundene Seele. „Gefällt es dir?“ Wieder streckte er die Zunge raus und züngelte über die Wange des Engels, was diesen Kichern ließ. „Hast du Hunger? Ich habe keine Maus dabei, die du bestimmt lieber magst, aber ich habe hier einen Crêpe!“ Wäre Crowley in seiner menschlichen Gestalt, hätte er gelacht. Immer diese Crêpes! Aziraphale nahm eine kleine Tüte zur Hand und wickelte das Papier ab. Der Duft des warmen Gebäcks mit Schokolade und Erdbeeren erfüllte die Luft. Sein Engelchen zupfte etwas davon ab und hielt es ihm hin. „Hier, es ist wirklich köstlich!“ Zuversichtlich lächelte er und Crowley öffnete sein Maul, renkte den Kiefer etwas aus und ließ seine Giftzähne drin. Mit einem großen Haps verschwand das Stück in seinem Maul. Der süße Geschmack breitete sich in seinem Mund aus und er blinzelte zufrieden, während er den Bissen hinunterschluckte. „Ist es gut?“ Crowley blinzelte glücklich und schmiegte sich so eng an den Engel heran, wie es ihm möglich war. Er konnte spüren, wie der warme Bissen in seinen Magen rutschte und ihn von Innen wärmte. Dazu die Wärme des Engels und er fühlte sich wie auf Wolke sieben. „Hier, kleiner Freund“, sagte Aziraphale und hielt das nächste Stückchen bereit, was er gerne verschlang. Crowley hatte das Bedürfnis größer zu werden und sich ganz um den Engel zu schlingen, damit dieser Moment nicht aufhörte. Fünf Jahre war es her, dass er so viel Glück empfunden hatte, so viel Ruhe und Frieden. Es war perfekt. „Weißt du…es ist komisch“, begann der Engel nachdenklich, „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich schon mal mit einer Schlange zu tun hatte. Das ist merkwürdig, denn da wo ich herkomme, nämlich aus dem Himmel, gibt es Wesen wie dich nicht.“ Leicht legte die Schlange den Kopf schief und blinzelte fragend. Was erzählte sein Engel da? Erinnerte er sich? „Und auch, wenn ich ab und zu die Erde besuche…ich habe hier auch noch nie eine Schlange getroffen und ich kenne vieles nicht. Aber dennoch esse ich Crêpes und sitze hier und habe das Gefühl, als könnte jemand kommen. Jemand, der wichtig ist“, sagte Aziraphale nachdenklich. Sein Engel seufzte und starrte kurz in die Ferne. Crowley richtete sich etwas höher auf. Der Engel gab ihm ein wenig Stütze mit seiner Hand, so dass sie sich ansehen konnten. Sein kleines Schlangenherz pochte wie verrückt. „Manchmal bin ich auch im Museumscafé, im Bus oder bei einem alten Pavillon. Nichts davon sagt mir etwas, aber ich weiß nicht…mir scheint so, als wären diese Orte wichtig…und als müsste ich dort jemanden treffen. Es ist verrückt!“ Das war ganz und gar nicht verrückt und würde er nicht an seiner Tarnung hängen und diesem Moment, hätte er sich augenblicklich zurückverwandelt und den Engel umarmt. Da waren also noch Erinnerungen übrig. Schwammig, aber sie waren da! Gegen die Liebe zu den Crêpes würde er wohl nie ankommen können, doch er erinnerte sich an die Orte, wo sie gewesen waren! Die Schlange schüttelte leicht mit dem Kopf. „Nein? Ist das ein Nein von dir? Willst du mir sagen, dass das nicht verrückt ist? Genauso wenig wie mit dir zu sprechen?“ Der Engel hob beide Augenbrauen und Crowley blinzelte nur hilflos. Genau betrachtet war es verrückt. Ziemlich sogar und wäre Aziraphale etwas jünger, sehr viel mehr jünger, hätte er auch Harry Potter spielen können, der mit Schlangen im Zoo sprach! „Also ich glaube, du hast keine Ahnung, wie verwirrend es ist. Ich habe keine Erinnerungen an die Erde und doch erinnere ich mich an Orte und Plätze und habe Heißhunger auf Crêpes!“, sagte Aziraphale ein wenig hilflos, „Und ich kann nicht sagen, wieso!“ Er zuckte mit den Schultern. Crowley hätte seinem Freund gerne gesagt, dass alles wieder in Ordnung käme und er ihm helfen würde. Aber das konnte er nicht. Nicht, ohne zu offenbaren, dass er ein Dämon war. „Und…“ Der Engel senkte bedeutungsvoll die Stimme. „Manchmal habe ich Tagträume…ich träume dann von einem schwarzen Auto und einem Mann, ganz dunkel und groß, stark und sehr attraktiv. Ich weiß nicht, ob das eine Warnung sein soll, weil er so düster ist, aber ich merke auf jeden Fall, wie mein Herz klopft und…“ Er atmete hörbar ein und aus und führte das Reptil zu seiner Brust. Crowley konnte das Pochen mit seinen sensiblen Sinnen fühlen und wie ihm die Hitze zu Kopf stieg. Als Schlange durchaus praktisch, aber für seinen Gemütszustand nicht hilfereich! „…und ich habe davon sinniert, wie wir uns geküsst haben“, flüsterte der Engel und Crowley verkroch sich kurz vor lauter Scham im Kragen des Mantels. Das war fast zu viel für ihn! Fünf Jahre nach seinem bedeutungsvollen Kuss rückte sein Engel mit der Sprache raus und auch nur, weil ein Tier vor ihm war! Bei allen Dämonen der Hölle, das konnte doch nicht wahr sein! Wenn er nicht aufpasste, färbten sich bald alle Schuppen vor lauter Scham rot. „Es ist dumm, ich weiß“, seufzte Aziraphale und Crowley steckte den Kopf wieder aus dem Kragen heraus. Mit der Zunge zischte er kurz protestierend. Es war nicht dumm! Seine Gefühle waren nicht dumm! Er sollte sie behalten und es ihm ins Gesicht sagen, wenn sie sich je Wiedersehen würden. „Vor allem habe ich noch nie jemanden…geküsst, weißt du“, erzählte er der Schlange weiter und erntete ein protestierendes Zischen, was fast beleidigt klang. Doch die verlegene Stimme des Engels war süß. „Es macht mich manchmal echt verrückt, dass ich es nicht weiß…und diese Sehnsüchte habe. Als würde ein Teil von mir fehlen.“ Die Stimme des Engels klang ein wenig verzweifelt. Aziraphale sah traurig aus und er wünschte, er könnte ihn in den Arm nehmen. Crowley konnte das alles nur zu gut verstehen. Er vermisste den Engel jeden Tag schmerzlich und dieser Teil, der fehlte…ihm ging es genauso. Es zerriss ihn jeden Tag und zu wissen, dass der Engel genauso litt, stimmte den Dämon traurig. Er musste aufpassen, dass er nicht weinte. So etwas taten echte Schlangen nicht. Doch er spürte es, wie nass seine Pupillen wurden. Leider konnte Crowley es ihm nicht sagen und schmiegte sich nur wieder an seine Wange heran, um ihn zu trösten. „Du bist eine brave Schlange“, sagte Aziraphale und gab dem viel zu warmen Reptil ein Küsschen auf den schuppigen Kopf. Es war mehr als gut, dass er ein Reptil war. In seiner menschlichen Gestalt könnte er jetzt mit seiner Gesichtsfarbe den Verkehr regeln. „Was hältst du von einem Besuch im Museum? Da ist es wärmer als hier. Du musst dich nur gut versteckt halten in meinem Mantel. Schaffst du das?“ Crowley nickte und zischelte. Das würde er schaffen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)