Vampire Kiss von Funkenherz (Vermouth x Jodie, (Curaçao x Kir)) ================================================================================ Kapitel 10: ------------ Nachdem Jodie sich mit den Worten, die Einsatzpläne des Teams für die nächste Zeit erstellen zu wollen, verabschiedet hatte, begab sie sich zu ihrem Schreibtisch. Natürlich nahm sie den Umweg zur Kaffeemaschine in Kauf und balancierte die Tasse mit der dampfenden Flüssigkeit darin vorsichtig vor sich her, bis sie die Kaffeetasse auf dem Schreibtisch abstellen konnte. In ihrer Magengegend hatte sich ein seltsames Gefühl breit gemacht. Sie musste unbedingt etwas überprüfen und dabei so normal wie möglich wirken. Sie hoffte wirklich, dass sich ihr Verdacht als unbegründet entpuppen würde und sie in der Folge nicht länger darüber nachdenken musste, doch Claires und Aarons Unterhaltung, die sie bruchstückhaft mitbekommen hatte, ging ihr genau so wenig aus dem Kopf, wie die in Mitleidenschaft gezogenen Handknöchel Akais. Im Normalfall schätzte Jodie es, dass die Mitglieder Mondnebels sich ein Großraumbüro teilten. Sie mochte die Geselligkeit, die der Stützpunkt des Teams ausstrahlte, genau so wie es praktisch war auf einen Blick sehen zu können, welche Kollegen anwesend waren. Auch wenn ein Großteil ihres Berufs auf den Straßen New Yorks stattfand, da Vampire sich nun einmal nicht vom Schreibtisch aus jagen und bekämpfen ließen, so verbrachten Mondnebels Jäger dennoch auch eine nicht zu unterschätzende Zeit ihrer Schichten im Büro, denn neben der Jagt, gab es auch einige organisatorische Aufgaben zu bewältigen. Im Normalfall schätzte sie die offene Atmosphäre des Großraumbüros, doch in diesem Moment wünschte die Blondine sich, sich für die Weile in ein Einzelbüro zurückziehen und die Tür hinter sich abschließen zu können. Leider nur war das nicht möglich. Sie seufzte. Trotz der Tatsache, dass sich Kollegen von ihr im Raum befanden, die nichts davon mitbekommen sollten, wollte sie unbedingt überprüfen, was sie befürchtete. Sie wollte den Beweis, dass ihre Theorie nur ein vorschnell zusammengepuzzeltes Bild war. Ein voreiliger Eindruck, der nichts mit der Realität zu tun hatte. //Das würden sie doch niemals tun, richtig? Ich meine, wird sind Mondnebel, wir haben unsere Prinzipien und wir halten uns an geltendes Recht//, rief sie sich in Gedanken noch einmal in Erinnerung. Jodie genehmigte sich einen Schluck Kaffee und ließ den Blick dabei unauffällig durch den Raum schweifen. Alle gingen ihrer Arbeit nach und niemand beachtete sie - sehr schön. Sie stellte die Tasse ab, überprüfte noch einmal, dass die Lautstärke ihres Computers wirklich ausgeschaltet war und zögerte noch einmal. Rasch rief sie die Tabelle mit den Einsatzplänen für diesen Monat auf, die sie sowieso noch bearbeiten musste. Alibimäßig würde sie diese im Hintergrund geöffnet lassen, um im Notfall das Bild wechseln zu können. Glücklicherweise befand sich hinter ihr eine Wand, sodass niemand einfach so in ihren Bildschirm blicken könnte. Die junge Frau atmete noch einmal tief durch. Sie wusste, dass ihr Chef strikt gegen das sein würde, was sie nun tat, doch sie musste einfach wissen, ob an ihrer Befürchtung etwas dran war, oder nicht. Schließlich loggte sie sich in das Sicherheitssystem Mondnebels ein. Im Normalfall kein Problem, da jedes Mitglied die Überwachungskameras des Gebäudes einsehen durfte. In diesem Fall aber... man hatte ihr schon nicht erlaubt am Verhör gestern Abend teilzunehmen, folglich wären Black und die anderen wohl auch dagegen, wenn sie sich das Videomaterial der vergangenen Stunden ansah. Noch ein letzter Schluck Kaffee und ein letzter prüfender und unauffälliger Blick durch den Raum, dann war Jodie sich sicher, dass sie es wagen konnte. Sie musste einen Augenblick lang nach der passenden Kamera suchen, doch schließlich konnte sie auf die Überwachungsvideos des Kellers zugreifen. An für sich war es schon recht merkwürdig, dass Mondnebel tatsächlich einige Zellen im Keller hatte. So weit sie sich erinnern konnte, waren diese noch nie genutzt worden. Doch für Fälle wie diesen, hatte das Team die Möglichkeit, bis zu drei Gefangene unterzubringen. Auch wenn Mondnebel eine geheime Einheit des FBIs war, Zellen und Verhörräume eines normalen Gefängnisses, oder einer gewöhnlichen Polizeistation, konnten sie nicht nutzen, immerhin befassten die Jäger sich nicht mit gewöhnlichen Verbrechern. Ihre Zielgruppe hatte die Menschlichkeit schon lange abgelegt. Das Video lud noch einige Sekunden lang, dann konnte sie von ihrem Schreibtisch aus ganz bequem verfolgen, was aktuell in der belegten Zelle im Keller geschah. Nicht viel, wie es schien. Dennoch sog Jodie unwillkürlich scharf die Luft ein. Anstatt frustriert oder gelangweilt auf der Liege zu sitzen, oder vielleicht wie ein gefangenes Tier im Käfig, durch den Raum zu laufen, entdeckte sie die andere Blondine zusammengerollt auf dem Fußboden liegend. Auf dem Fußboden? War der Boden nicht eigentlich unter dem Niveau dieses Sternchens, erst recht, da sich in der Zelle auch eine Liege befand? Sie zoomte mit einer Tastenkombination noch etwas näher in den Raum. Da die Daywalkerin mit dem Rücken zur Kamera lag, konnte sie ihr Gesicht nicht sehen, doch ihre Atmung wirkte flach und vorsichtig, eine Hand hatte sie auf ihre Rippen gepresst. Die Qualität der Kamera reichte nicht aus, um es mit Sicherheit sagen zu können, doch Jodie meinte Blut auf dem Betonboden entdeckt zu haben. Schlagartig bildete sich eine Gänsehaut auf ihren Armen und Adrenalin jagte wie ein schmerzhafter Stich durch ihren Körper. //Verdammt, was habt ihr getan...?!// Leider nur konnte sie diesen erschrockenen Gedanken nicht aussprechen. Sie würde ihre Kollegen nicht einfach so konfrontieren können, immerhin hatte man ihr die Teilnahme an dem Verhör untersagt und die Bilder der Überwachungskamera waren ebenfalls nicht für ihre Augen bestimmt. Mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Entsetzen, begann Jodie die Videoaufnahmen zurückzuspulen. Sie hoffte darauf eine logische Erklärung für den Zustand der Vampirin zu finden. Irgendeinen Anlass musste sie ihren Kollegen doch gegeben haben handgreiflich zu werden. Immerhin waren sie doch Mitglieder Mondnebels und somit die Guten. Jodie schwirrte der Kopf. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Noch einmal spähte sie unauffällig durch den Raum, dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Aufnahmen der Überwachungskamera. In Sprüngen spulte sie das Video zurück, bis sie schließlich an einem Punkt angekommen war, an dem die Vampirin noch allein in der Zelle war und verärgert über ihre Gefangennahme wirkte. Schließlich ließ die junge Frau die Aufnahme vorspulen, bis sie sehen konnte, wie ihre beiden Kollegen sich der Zelle näherten. Dadurch, dass sie den Ton ausgeschaltet hatte, bekam sie nichts von einer möglichen Unterhaltung mit, doch Jodie sah, wie die beiden Männer die Zelle betraten. Die gefangene Blondine auf den Videoaufnahmen stand von ihrem Sitzplatz auf und betrachtete die beiden Jäger mit spöttischen Blick und mit vor der Brust verschränkten Armen. Unwillkürlich zuckte Jodie zusammen, als sie mit ansehen musste, wie Aaron zur Begrüßung ausholte und der Daywalkerin einen harten Faustschlag versetzte, mit dem er sie direkt ins Gesicht traf, was sie dazu brachte nach hinten zu taumeln und sich nur mit Mühe auf den Beinen zu halten. Was zum?! War Aaron vollkommen verrückt?! In einem Verhör befragte man einen Gefangenen und schlug nicht einfach so zu! Genau der Meinung musste Akai zumindest zu dieser Zeit auch noch gewesen sein, denn es sah ganz so aus, als würde er seinen Kollegen für diese überzogene Reaktion zur Rede stellen. Chris wischte sich währenddessen Blut aus dem Gesicht, ihr Blick im ersten Moment geschockt, dann zunehmend kühler werdend. Als die beiden Jäger die Diskussion beendet hatten und sich erneut der Gefangenen zuwandten, war diese weiterhin sichtlich um ein selbstbewusstes Auftreten bemüht, doch Jodie sah trotz der eher mäßigen Qualität der Aufnahme, wie angespannt die Vampirin jetzt wirkte. Durch den fehlenden Ton bekam sie nicht mit, was genau die beiden Männer sie fragten, doch die Reaktion und die ganze Körpersprache der Schauspielerin zeigten, dass sie dicht gemacht hatte. Eine ganze Weile lang versuchten die Jäger sie zu befragen, doch die Blondine musterte die beiden nur voller Spott und Ekel, fast so, als handle es sich bei den Männern um nicht mehr als zwei unbedeutende Käfer. Schließlich war es erneut Aaron, dessen Geduldsfaden riss. Der grimmig wirkende Mann ließ einen Arm vorschnellen und packte die Gefangene am Kragen. Unsanft riss er sie zu sich heran, schien sie anzubrüllen. Jodie verzog das Gesicht. Als wenn dieses unprofessionelle Verhalten etwas bringen würde... er machte alles nur schlimmer. Und richtig, Chris blickte ihr Gegenüber nur voller Verachtung an und schien das Verhalten des Jägers entsprechend zu kommentieren. Erneut sah alles so aus, als würde Akai versuchen seinen Kollegen zur Vernunft zu bringen, doch Aaron hatte zu einem neuen Schlag ausgeholt. Diesmal allerdings meinte Jodie zu sehen, wie die Augen der Vampirin auf dem Video einen hellen Ton annahmen. Im letzten Moment warf sie sich zur Seite und entging so dem Treffer, auch wenn Aaron sie weiter am Kragen festhielt. Auch ohne Ton sah es so aus, als würde Shu seinen Kollegen anblaffen, während die Gefangene es schaffte, den Kopf herumzureißen und die Zähne geradewegs in Aarons Handgelenk zu versenken. Der Hüne schien aufzubrüllen und den Arm zurückreißen zu wollen, doch die Vampirin ließ nicht los. Erst ein weiterer Schlag brachte sie schließlich zu Fall. Die beiden Jäger diskutierten, während die Blondine einen Moment benommen auf dem Boden kauerte, ehe sie sich wieder aufrappelte, nach Vampirart fauchte und schließlich etwas sagte, dass beide Männer innehalten und sich sichtlich anspannen ließ. Auch Akais Miene hatte sich schlagartig deutlich verfinstert. Die Gefangene wischte sich Blut aus dem Gesicht und fügte noch irgendetwas hinzu, was Jodie ohne Ton natürlich nicht verstehen konnte. Doch was immer es auch gewesen war, der Kommentar musste das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Beide gingen sie plötzlich auf die Daywalkerin los. Jodies Augen weiteten sich bei dem Anblick. Das Aaron aufbrausend war, war schlimm genug aber bekannt, doch das ausgerechnet der sonst so beherrschte Shu sämtliche guten Vorsätze über Bord warf und eine Gefangene schlug, die bereits einem Gegner nichts hätte entgegensetzen können... Was um Himmelswillen hatte Chris den beiden nur gesagt? Doch was auch immer es war, es rechtfertigte niemals diese Behandlung. Ganz gleich, ob es sich bei dieser Frau nun um eine Vampirin, ein herzloses Monster, handelte oder nicht. Mit wachsendem Entsetzen beobachtete Jodie auf dem Video, wie der Ton zunehmend rauer wurde. Wenn man es denn so nennen konnte, denn eben den Ton, der vielleicht einiges erklärt hätte, konnte sie derzeit nicht einschalten, wenn sie nicht auffliegen wollte. Was auch immer der Grund dafür war, die beiden Männer versuchten inzwischen mit Schlägen und Einschüchterung an Informationen zu kommen, nur das sie bei der Schauspielerin damit auf Granit bissen. Aus Abwehr schlug und schnappte die Daywalkerin nach ihren Gegnern, erwischte Aaron erneut an der Hand und wehrte sich verbissen, doch das sie auf verlorenem Posten kämpfte, musste auch ihr zu diesem Zeitpunkt mehr als klar gewesen sein. Irgendetwas zischte sie ihnen zu. Beinahe hätte Jodie den Blick vom Bildschirm abgewandt. Sie konnte kaum noch zusehen. Sie war absolut entsetzt darüber, dass zwei ihrer Kollegen so tief gesunken waren, eine im Prinzip wehrlose Gefangene dermaßen zusammenzuschlagen. Als die beiden Männer die Zelle wieder verließen, lag die Schauspielerin reglos am Boden. Der Jägerin wurde speiübel. Entsetzt und fassungslos starrte sie auf das Bild der Überwachungskamera, welches nun unverändert blieb. Zwar verstrichen in der Ecke des Bildes die Sekunden, doch bis auf die flache Atmung der Daywalkerin, bewegte sich auf den körnigen Bildern nichts mehr. Von einer plötzlichen Eiseskälte gepackt, saß Jodie an ihrem Schreibtisch, schloss abwesend das Programm wieder und starrte auf ihren Bildschirm, ohne wirklich etwas dabei anzusehen. Sie war geschockt, konnte es nicht fassen. Diese Aufnahmen... das konnte doch unmöglich wirklich passiert sein! Und doch sprach das Video eine eindeutige Sprache. Sie wusste, wie provokant Chris sein konnte, doch was auch immer sie den beiden Jägern Mondnebels gesagt haben musste, nichts rechtfertigte diese Behandlung. Wie hatten ihre Kollegen nur so tief sinken können? Zwar handelte es sich bei der Schauspielerin um eine Vampirin, eine Kreatur, die Jodie absolut verteufelte, dennoch konnte sie nicht leugnen, dass die andere Blondine während des sogenannten Verhörs vor allem eines gewesen war: wehrlos. Kräftemäßig nicht mehr als eine ganz gewöhnliche Zivilistin. Sie wusste nicht, was es gewesen war, dass die beiden Jäger sämtliche Vernunft hatte über Bord werfen lassen, doch es schockierte sie, das ausgerechnet Shuichi es gewesen war, der ebenfalls zugeschlagen hatte. Er gehörte zu ihren engsten Freunden und war für gewöhnlich so etwas wie die Stimme der Vernunft. Ein Vorzeige-Agent, der niemals die Nerven verlor. Und jetzt diese Aufnahmen... "Hm? Was ziehst du denn für ein Gesicht? Ist alles gut bei dir?" Beinahe hätte Jodie aufgeschrien und wäre aufgesprungen, als ausgerechnet Shu sie ansprach und sie bemerkte, dass ihr Kollege genau vor ihrem Schreibtisch stand. Sein Blick wirkte fragend aber freundlich. Sie wusste, dass jedes bisschen Wärme im Blick des Jägers für gewöhnlich nur für sie reserviert war. Eine Tatsache, die ihr im Normalfall ein wenig unangenehm war und die sie zu ignorieren versuchte, so gut es ging. Doch normalerweise fühlte sie sich sicher und wohl in der Nähe ihres guten Freundes und Kollegen. Aktuell jedoch wurde sie von einer Eiseskälte gepackt, wie noch nie zuvor. Sofort blitzten die Bilder der Überwachungskamera wieder vor ihrem inneren Auge auf. Urg... das.... das war doch nicht Shu. Der Shu, den sie kannte und dem sie im Normalfall ihr Leben anvertrauen würde. Aktuell kam ihr Kollege ihr so fremd vor, wie nie zuvor. "Jodie?", hakte Akai noch einmal nach. Die Blondine blinzelte und sah ihr Gegenüber schließlich an. Am liebsten hätte sie ihn sofort zur Rede gestellt doch eine innere Stimme sagte ihr, dass genau das der falsche Weg wäre. Sie wusste, dass sie etwas tun musste, doch eine direkte Konfrontation würde es nur schlimmer machen. "Eh? Entschuldige, ich war in Gedanken. Was hast du gesagt?", zwang sie sich schließlich zu antworten und dabei ihren normalsten Tonfall aufzusetzen. "Ich wollte nur wissen, ob alles in Ordnung ist. Ehrlich gesagt siehst du nicht so aus." Das lag daran, das aktuell absolut gar nichts in Ordnung war, hätte sie am liebsten geschrien. "Doch, doch... es ist alles gut.", log sie. "Ich brüte nur gerade über dem Einsatzplan. Nächste Woche Mittwoch und Donnerstag sind wir echt dünn besetzt. Wie sieht es aus? Kann ich dich für die Spätschicht eintragen?" Akai warf ihr noch einen prüfenden Blick zu und zuckte schließlich mit den Schultern. "Sicher, wieso nicht.", stimmte er zu und Jodie tippte alibimäßig einige Namen in den Schichtplan ein, um welchen sie sich zumeist kümmerte. "Dann bilden Andre, du und ich ein Team. James hat Urlaub.", ergriff Jodie erneut das Wort und seufzte. "Jetzt mit dem Einsatzplan vor Augen, wird es nur noch einmal realer, das Hayden und die anderen tot sind." Die Mimik des Jägers verdunkelte sich, was daran lag, das auch ihm der Tod seiner Kameraden zu schaffen machte. "Wir alle wissen, welches Risiko unser Job birgt, trotzdem ist jeder Tod eines Kollegen hart.", stellte er fest. "Ein weiterer Grund, warum es so wichtig ist, diese Brut nachhaltig zu dezimieren.", murrte er. "Es wäre sicherlich ein großer Durchbruch, wenn dieses Biest im Keller endlich den Mund aufmachen und Mondnebel mit einigen Informationen versorgen würde." //Kein Wunder, das sie nicht mit euch reden wollte! Aaron und du, ihr habt sie zusammengeschlagen!// Das hätte Jodie ihm am liebsten ins Gesicht gebrüllt, doch sie behielt ihre Gedanken für sich. Schließlich wurde Akais Blick etwas fragender. "Wo du gerade am Einsatzplan sitzt, wie sieht es aus? Kommst du heute Abend mit auf Patrouille?" Die Blondine blinzelte und schüttelte rasch den Kopf. "Nein, heute nicht.", winkte sie ab. "Der Doc will, dass ich heute noch aussetze. Ab Morgen darf ich mich den Patrouillen wieder anschließen, wenn er mir denn nach einem Gespräch morgen Vormittag das Go gibt." Das der Arzt der Gruppe ihr noch Ruhe verordnet hatte, war eine glatte Lüge, doch Jodie wusste, dass sie heute etwas anderes zu tun hatte. Allein bei dem Gedanken daran, zog ihr Magen sich zusammen. "Heute kümmere ich mich noch um den ganzen Papierkrieg, der in meiner Abwesenheit liegen geblieben ist." Tatsächlich kümmerte die junge Frau sich bis zum frühen Abend um den Papierkram, der liegen geblieben war, schrieb Berichte, stellte die Einsatzplanung für den nächsten Monat fertig und beantwortete Black erneut einige Fragen zu ihrer Zeit, die sie unfreiwillig im Anwesen der Vampire verbracht hatte. Die Neuigkeiten über das gestern geführte Gespräch mit Chris Bodyguard brannten ihr unter den Nägeln. Längst waren auch Black und Camel wieder zurück im Büro. Doch Jodie biss sich auf die Zunge. So gerne sie ihren Kameraden auch von dem berichten wollte, was Bourbon ihr erzählt hatte, sie entschied sich damit noch zu warten und sei es auch nur für kurze Zeit. Den ganzen Tag über verfolgten sie die Bilder, die sie auf den Überwachungsvideos gesehen hatte. Jodie war hin und her gerissen zwischen Wut, Entsetzen und Fassungslosigkeit. Sie hasste Vampire, die Daywalkerin bildete da keine Ausnahme - erst recht nicht nachdem sie sie zwei Wochen lang festgehalten und erpresst hatte - , doch die Brutalität, mit der ihre Kollegen das Verhör geführt hatten, schockierte sie. Wenn man es denn überhaupt noch als Verhör bezeichnen konnte. Die beiden waren ganz eindeutig zu weit gegangen, als sie auf die Gefangene eingeschlagen hatten. Es widerte sie förmlich an, wie ein Mitglied Mondnebels so tief sinken konnte. Was auch immer die Vampirin ihren beiden Kameraden zugezischt haben mochte, nichts rechtfertigte dieses Ausmaß an Gewalt. Und das selbst Shu rot gesehen hatte... sie war absolut entsetzt. Kurz huschte ihr Blick zu James Black, der gerade dabei war in eine schusssichere Weste zu schlüpfen. Die Patrouille des heutigen Abends war dabei aufzubrechen. Erneut spielte sie mit dem Gedanken, ihren Vorgesetzten über die Brutalität zu informieren, mit der ihre Kollegen die Daywalkerin behandelt hatten... aber sie konnte nicht ausschließen, dass er es bereits wusste. Vielleicht billigte er es sogar? Sie konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Den ganzen Tag über hätte sie auch Akai zu gerne mit diesem Thema konfrontiert und ihn gefragt, was zur Hölle er und Aaron sich eigentlich dabei gedacht hatten, doch glaubte sie kaum, dass er ihr ernsthaft eine vernünftige Erklärung liefern würde, wo sämtliche Kollegen darum bemüht waren, sie von dem Fall und der Gefangenen fernzuhalten. Die anderen Mitglieder Mondnebels glaubten, dass es sie nach der Entführung psychisch zu stark belasten würde, sich erneut in die Nähe der Schauspielerin zu begeben. Jodie seufzte und lächelte bitter. Chris war nicht das Problem. Aktuell fragte sie sich viel mehr, wer ihrer Kameraden sich auf ihre Seite stellen würde, wenn sie offen und vor allen das Thema Überwachungsvideos ansprechen und die Gewalt darauf verurteilen würde. Immer hatte sie sich wohl und gut aufgehoben bei Mondnebel gefühlt, doch heute kamen ihr ihre Kollegen so fremd vor, wie noch nie. So gerne sie das Verhör auch offen angesprochen hätte, sie wusste, dass sie noch die Füße stillhalten musste. Sie würde sich einmischen und sich selbst in die Ermittlungen stürzen, doch diesmal musste sie hinter dem Rücken der Anderen handeln, wenn sie Antworten wollte. "Also dann, wir brechen auf.", verkündete ein Mitglied der heutigen Patrouille. "Passt auf euch auf, ja?", bat Claire, welche im Büro verbleiben und den Einsatz vom Schreibtisch aus koordinieren würde. "Viel Erfolg.", ergriff nun auch Jodie das Wort. "Und vergesst nicht, mich ab morgen wieder mitzunehmen.", fügte sie noch zwinkernd hinzu. Alles sollte so normal wirken wie immer. "Natürlich. Aber solltest du dich Morgen noch nicht wieder in der Lage sehen, auf Vampirjagt zu gehen, sag Bescheid. Nach dem, was du in den letzten zwei Wochen durchmachen musstest, würde es dir niemand verübeln.", wandte James Black, ihr Vorgesetzter, sich an sie. Nachdem die insgesamt sechsköpfige Gruppe Mondnebels Hauptquartier verlassen hatte, kehrte Ruhe im Großraumbüro ein. Neben Claire und Jodie, waren nur noch zwei andere Mitglieder anwesend. Einen Moment noch blieb Jodie an ihrem Schreibtisch sitzen, zögerte und atmete schließlich einmal tief ein und aus. Sie hatte ganz und gar kein gutes Gefühl bei der Sache, doch wenn sie ihren heute gefassten Plan in die Tat umsetzen wollte, dann musste sie jetzt handeln. Erneut loggte sie sich rasch in das Kamerasystem Mondnebels ein und schaltete schließlich die Überwachungskameras im Keller und im Treppenhaus aus. Vermutlich würde es niemand überprüfen, doch falls jemand einen Blick auf die Aufnahmen werfen würde, wählte sie alibihalber ein Video von heute Vormittag an. Auf den ersten Blick würde sicherlich niemand bemerken, dass es sich um alte Aufnahmen handelte. Schließlich stand sie von ihrem Platz auf und blickte einmal in die Runde. "Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich habe Hunger. Ich gehe rasch zur Pizzeria zwei Straßen weiter. Soll ich jemandem etwas mitbringen?" "Gute Idee, Abendessen klingt genau richtig. Für mich bitte eine Pizza Salami.", gab einer ihrer Kollegen in Auftrag. "Für mich eine Portion gefüllte Pizzabrötchen.", schloss Claire sich der Bestellung an. "Ich nehme nur einen Salat. Alles andere liegt mir sonst heute Nacht zu schwer im Magen.", murrte Pete vor sich hin, ehe das Telefon zu klingeln begann und er den Anruf entgegen nahm. "Ist gut. Dann bis gleich!", verabschiedete Jodie sich noch von ihren Kollegen und verließ das Büro. Im Treppenflur angekommen hielt sie inne. Jetzt, wo sie ihre kleine Mission gestartet hatte, fühlten ihre Knie sich seltsam weich an. Sie hatte das Gefühl, hinter Mondnebels Rücken zu agieren. Etwas, was ihr ganz und gar nicht gefiel, sich jedoch im Moment nicht ändern ließ. Ihr Blick wanderte zur Haustür. Sie könnte ihren Plan noch abbrechen und wirklich nur zur Pizzeria laufen, aber... sie schüttelte den Kopf. Nein, das würde sie nicht tun. Es würde sie keinen Schritt weiter bringen. Nachdem sie sich mit einem raschen Blick über die Schulter versichert hatte, dass keiner ihrer Kollegen ihr in Richtung Flur gefolgt war, lief sie eilig die Treppe zum Keller hinunter, anstatt das Haus zu verlassen. Vor der schweren Stahltür angekommen, blieb sie stehen und atmete erneut tief ein. Wenn jemand hiervon erfuhr, würde sie das in Teufelsküche bringen, doch sie musste einfach selbst mit Chris sprechen, um hoffentlich in Erfahrung zu bringen, was vorgefallen war. Jodie pflückte das Schlüsselbund von der Wand, schloss die Tür, die zum Keller führte auf und suchte einen Moment lang nach dem Lichtschalter. Schließlich fand sie sich auf einem langen Flur wieder, von dem aus einige Türen abzweigten. Sie war schon ewig nicht mehr hier unten gewesen, doch erinnerte sie sich noch an die Raumaufteilung. Zuerst einmal wäre da der Raum mit dem Sicherheitskasten, gefolgt vom Heizungsraum. Auf der anderen Seite befand sich ein Lagerraum und schließlich das Verhörzimmer. Doch ihr eigentliches Ziel lag weiter hinten auf dem Flur. Sie setzte sich wieder in Bewegung, während ihr Adrenalinpegel stieg. Würde das hier wirklich gutgehen? Schließlich hatte sie die Zellen erreicht. Dicke Gitterstäbe trennten die kleinen Räume dahinter vom restlichen Flur. Kurz musterte sie die erste, leere Gefängniszelle, die kahl und verlassen dalag, dann führte ihr Weg sie einige Schritte weiter, bis sie vor Zelle Nummer zwei stehen blieb. Zwar hatte die Daywalkerin den ganzen Tag über Zeit gehabt sich ein wenig zu erholen, dennoch war Jodie beinahe überrascht, sie nicht zusammengerollt auf der Liege vorzufinden. Die andere Blondine stand direkt am Gitter und blickte sie an. Der Adrenalinpegel der Jägerin stieg weiter. Das hier fühlte sich so unwirklich an. Wieder stand sie der Frau gegenüber, die sie zwei Wochen lang festgehalten hatte. Eine Vampirin, ein herzloses Monster. Wie immer lagen Selbstsicherheit und eine gewisse Arroganz im Blick der Schauspielerin. Ihre Körpersprache wirkte in keinster Weise ängstlich oder defensiv, wie man nach den jüngsten Vorfällen hätte meinen sollen. Nein, weiterhin wirkte Chris wie das Selbstbewusstsein in Person, keineswegs wie eine Gefangene. Doch etwas war anders als sonst. Das sonst so makellose Gesicht der Anderen war verschmiert mit inzwischen getrocknetem Blut, Augenbraue und Lippe eingerissen. Das rechte Auge der Blondine war gerötet, während sich um das Auge herum und auf der Wange bereits ein unübersehbarer Bluterguss gebildet hatte. Jodie sog erschrocken die Luft ein. Ihre Kollegen hatten die Vampirin wirklich übel zugerichtet. Waren Vampire nicht eigentlich dafür bekannt, Verletzungen über die Maßen schnell regenerieren zu können? Doch Chris sah ganz und gar nicht in Ordnung aus. Da waren nicht nur die deutlich sichtbaren Verletzungen in ihrem Gesicht, jetzt erst bemerkte Jodie, dass ihrem Gegenüber die Knie zitterten. Mit der linken Hand hatte die Schauspielerin nach den Gitterstäben gegriffen, die Knöchel traten weiß hervor. Sie hielt sich an den Gittern fest. Das und das leichte Zittern der Knie... die Daywalkerin hatte größte Mühe sich überhaupt auf den Beinen zu halten, realisierte Jodie. Höchst wahrscheinlich war Chris lediglich zu stolz, um ganz einfach sitzen zu bleiben. Sie versuchte ihren miserablen Zustand so gut es ging zu überspielen. Und noch etwas wurde Jodie nun klar. Chris war nicht erst ans Gitter getreten, als sie die Zelle erreicht hatte, nein, die andere Blondine hatte schon vorher dort gestanden. Sie hatte sie bereits erwartet. Also musste sie gewusst haben, dass sie auf dem Weg hier her war? "Nun guck nicht so überrascht, Kätzchen. Du weißt doch, dass mein Gehör besser ist, als das anderer Vampire. Ich habe deine Schritte erkannt, als du die Treppe zum Keller runter gestiegen bist.", beantwortete Chris ihre Frage, noch ehe sie sie überhaupt hatte stellen können. Wie immer lag ein leicht spöttisches Funkeln im Blick der Schauspielerin. "Also, was führt dich her, Kleine? Bist du zum Spielen gekommen?", hakte sie schließlich sarkastisch und mit einem Fünkchen Bitterkeit in der Stimme nach. "Nenn mich nicht Kleine. Ohne deine High Heels sind wir gleich groß.", seufzte die Jägerin. Und wirklich, die Perspektive war beinahe merkwürdig. Im Normalfall war Chris aufgrund ihrer mörderischen Absätze ein Stück größer als sie, aktuell jedoch waren die beiden Frauen exakt auf Augenhöhe. "Ich bin nicht hier, um mich für die letzten beiden Wochen zu rächen, oder da weiterzumachen, wo meine Kollegen aufgehört haben.", redete sie schließlich weiter und spürte erneut Verachtung dafür, dass ihre Kameraden die Gefangene zusammengeschlagen hatten. "Ich habe dir meine Entführung nicht verziehen und halte dich nach wie vor für ein skrupelloses Miststück, aber ich bin tatsächlich nur hier im zu reden.", fuhr Jodie im ruhigen Tonfall fort. "Sieh mal einer an." Chris schmunzelte ihr ironisch entgegen. "Was wird das hier, Süße? Guter Cop, böser Cop? Falls ja, hast du dein Gegenstück vergessen." Binnen der wenigen Sätze, die sie bislang gewechselt hatten, schaffte die Schauspielerin es bereits wieder mit schlafwandlerischer Sicherheit ihr Nervenkostüm auf die Probe zu stellen. Das machte sie doch absichtlich. Beinahe hätte Jodie die Augen verdreht. Die Ältere hatte sich kein Stück verändert. Na gut, innerhalb eines Tages wäre das auch eher unwahrscheinlich gewesen. Obwohl die Jägerin insgeheim damit gerechnet hatte, dass ihr Gegenüber etwas Selbstbewusstsein eingebüßt hatte, nach dem was passiert war. "Wie kommt es, dass du dich noch nicht von den Verletzungen erholt hast? Dem Kratzer, den ich dir damals verpasst habe, konnte ich immerhin beim Verschwinden zusehen.", wollte die junge Frau wissen, ohne auf die Worte ihres Gegenübers einzugehen. Chris blickte sie missfallend an. "Deine Kollegen haben mir nicht bloß eine Schramme verpasst, wie dir vielleicht schon aufgefallen ist." Weiterhin spukten der Jägerin die Bilder der Überwachungskamera durch den Kopf. Der Zustand, in dem die Vampirin sich befand, war wirklich erschreckend. "Das mag wohl sein...", räumte Jodie zähneknirschend ein, denn das ihre Kameraden so weit gegangen waren, war ihr mehr als nur unangenehm. Sie selbst sah Vampire als herzlose Monster, dennoch wäre sie nie auf die Idee gekommen, eine bereits gefangene Person, die schon mehr als genug in der Klemme steckte, auch noch so unfair zu behandeln. "Trotzdem wundert es mich. Ihr Vampire erholt euch sonst auch immer unglaublich schnell. Selbst von Schussverletzungen." Die andere Blondine schwankte, doch sie riss sich zusammen, blieb stehen und blickte Jodie so unbeeindruckt wie möglich entgegen. "Wie schnell ein Vampir sich erholt, hängt ganz von der Menge an Blut ab, die er zuvor getrunken hat.", erklärte sie. "Ich habe vorgestern vergessen, eine Flasche mit zur Arbeit zu nehmen und in den Tagen zuvor habe ich kaum etwas getrunken, weil es so viel zu tun gab, dass ich gar nicht dazu gekommen bin." Kurz dachte Jodie über die Worte der Anderen nach. Es stimmte. Sie hatte sie vorgestern, bevor Mondnebel aufgetaucht war, wirklich nichts trinken sehen. Daher also die miserable Selbstheilung. Zwei Tage lang hatte die Daywalkerin gar nichts getrunken, zuvor nur sehr wenig, das ergab durchaus Sinn. "Und was bitte hast du meinen beiden Kollegen gesagt, dass sie dermaßen ausgetickt sind? Ich kenne die beiden, gerade Shu ist normalerweise nicht so. Ich habe ehrlich gesagt noch nie erlebt, dass er seine Prinzipien so über Bord geworfen hat.", wechselte Jodie das Thema. Der Blick der Schauspielerin verfinsterte sich. Für einen Moment sah sie sie erbost an, dann wich die Wut einem kalten, spöttischen Funkeln. "Das wüsstest du wohl gerne, was? Suchst du nach einer Erklärung, die du vorschieben kannst, um die Aktion gutzuheißen?" Jodie blinzelte. Das hatte sie mit ihrer Frage eigentlich nicht bezweckt, doch es wunderte sie nicht, dass Chris auf die etwas unglücklich gewählten Worte so reagierte. Die Mimik der Daywalkerin wirkte kühl. Trotz ihres Zustands und der Tatsache, dass sie hinter Gittern saß, schien die andere Blondine zudem dennoch auf sie herabzusehen. Jodie fürchtete, dass Chris ihr gegenüber ganz genau so dichtmachen würde, wie gegenüber Aaron und Akai, wenn sie sie weiterhin einfach nur mit Fragen bombardierte. Es wunderte sie schon, dass sie ihr bislang überhaupt geantwortet hatte, doch die Geduld der Daywalkerin schien diesbezüglich so gut wie aufgebraucht zu sein. Sie würde etwas anderes ausprobieren müssen. Einen psychologischen Trick, auch wenn ihr nicht ganz wohl dabei war. Jodie seufzte hörbar, betrachtete einen Augenblick lang das Schlüsselbund und schloss schließlich die Zellentür auf. Noch während sie das Schloss klicken hörte, spürte sie, wie ihr Herz deutlich schneller schlug. Dennoch zwang sie sich die Zelle zu betreten und dabei so gelassen wie möglich auszusehen. //Sie kann mir nichts tun. Sie ist unbewaffnet und war mir selbst neulich bereits körperlich deutlich unterlegen. Aktuell kann sie sich kaum auf den Beinen halten.//, erinnerte die Blondine sich in Gedanken selbst. Trotz allem wusste Jodie, wie gewagt ihre Aktion war. Genau das schien sich auch Chris zu denken. Sichtlich aus der Bahn geworfen, blickte sie sie vollkommen entgeistert an. "Was wird das hier?", erkundigte die Schauspielerin sich überrascht und alarmiert zugleich. Die junge Frau registrierte, dass die Gefangene sich sichtlich anspannte. Nicht, weil sie sie angreifen wollte, sondern weil sie IHR nicht über den Weg traute. Fürchtete Chris also insgeheim, dass auch die Jägerin zuschlagen könnte? "Das wirst du gleich sehen. Warte.", kommentierte sie. Die Körpersprache der Jüngeren war ruhig und ausgeglichen. Auch wenn sie von Vampiren nicht all zu viel hielt, sie wollte die Andere nicht noch mehr beunruhigen, als sie es bereits war. Jodie griff nach dem Arm der anderen Blondine und zog ihn sich über die Schulter. Den anderen Arm legte sie Chris um die Taille um sie zu stützen. "Komm jetzt.", wies sie sie an. Irritiert blinzelte die Daywalkerin sie an. "Ach ja? Und wohin?", hakte sie nach. "Weißt du eigentlich was du da tust? Gedanken darüber, dass ich dir jeden Moment den Hals zerfetzen könnte, hast du dir nicht gemacht, was?" Nun huschte ein schiefes Schmunzeln über die Lippen der Jägerin. "In deinem aktuellen Zustand, müsste sich nicht mal ein Meerschweinchen vor dir fürchten.", kommentierte sie, was ihr ein angesäuertes Murren der Vampirin einbrachte. Langsam und vorsichtig zog sie sie mit sich, hinaus aus der Zelle und ein Stück weit über den Gang. Jodies Herz raste. Was tat sie da?! Wenn ein anderes Mitglied Mondnebels das mitbekommen sollte, sie würde in Teufelsküche geraten. "Was um Himmelswillen geht in deinem Kopf vor, Kätzchen?" Auch Chris wirkte absolut verständnislos. Jodie konnte es ihr nicht verübeln, wusste sie doch selbst, dass diese Aktion genau so gewagt wie hirnrissig war. Dennoch, ein Szenenwechsel würde vielleicht den erwünschten Durchbruch bringen. Die Zelle war zu negativ behaftet, der Verhörraum würde es nicht gerade besser machen. Was sie brauchte, war ein Raum, den niemand auch nur ansatzweise mit einer Befragung, oder der zuvor erlebten Gewalt verband. "Was in meinem Kopf vorgeht, frage ich mich gerade auch. Ich muss vollkommen übergeschnappt sein.", murrte Jodie. Sie kamen nur langsam voran. Die Blondine bemerkte, wie sehr Chris sich zu Beginn bemühte, ihre Hilfe gar nicht erst anzunehmen, doch bereits nach wenigen Schritten, stützte sie sich mehr auf ihre Schulter, bis Jodie schließlich das Gefühl hatte, dass das ganze Gewicht der Schauspielerin auf ihr lastete, auch wenn diese nicht sonderlich schwer war. "Hey, Prinzesschen, versuchst du eigentlich überhaupt selbst zu laufen?", hakte sie mit einem Hauch von Ironie nach. "Ich hoffe, du hast keine all zu weite Wanderung geplant.", lautete die nicht minder ironische Antwort. "Keine Sorge, wir sind so gut wie da." Und das waren sie wirklich. Jodie zog die Tür zum Heizungsraum auf, löschte auf dem Flur noch rasch das Licht und zog die Daywalkerin mit sich in den Raum. Die Tür fiel ganz automatisch hinter ihnen zu. Im nächsten Moment fand sie sich im Dunkeln stehend wieder. Vielleicht war das nicht unbedingt ihre beste Idee gewesen. Da sie beide Hände brauchte, um zu verhindern, dass Chris neben ihr zusammenklappte, konnte sie noch nicht einmal ihre Handytaschenlampe einschalten. "Verdammt, hier sieht man ja die Hand vor Augen nicht.", fluchte Jodie. Das es hier so dunkel sein würde, hatte sie nicht bedacht. "Heizungsanlage auf neun Uhr. Etwa drei Schritte entfernt.", informierte Chris sie. "Du siehst in der Dunkelheit etwas?", hakte die Jüngere erstaunt nach und blickte ihre Begleiterin an. Erst jetzt sah sie, dass die Augen der Anderen in der Dunkelheit schwach und stahlblau leuchteten. Sie erinnerte sich, dass sie dieses Phänomen neulich bereits bei Chianti gesehen hatte, kurz bevor diese sie verschleppt hatte. "Die Augen von Vampiren sind besser, als die von euch Menschen. Wir sind darauf ausgelegt nachts zu sehen.", erinnerte die andere Blondine sie spöttisch. "Jetzt tu nicht so, als wenn du schon seit Urzeiten kein Mensch mehr wärst." Jodie spürte förmlich, wie Chris stockte. "Was hast du gesagt?", hakte die Schauspielerin auch sogleich nach. Ehe sie ihr antwortete, gelang es der Jägerin die Heizungsanlage zu ertasten. Sie zog die Daywalkerin vorsichtig auf die andere Seite des Kessels und setzte sich schließlich auf den Boden. Chris, die sie mit sich zog, hatte keine andere Wahl, als es ihr gleich zu tun. "Auf den Boden? Ich will nicht wissen, wann hier zum letzten Mal geputzt wurde.", kam es wenig erfreut von der Schauspielerin. "Und überhaupt, was genau willst du in diesem Raum hinter der Heizung?" Chris musste sie für vollkommen verrückt halten und sie konnte es ihr nicht verübeln. Sie konnte es ja selbst noch nicht so ganz glauben, dass sie ihren Plan tatsächlich durchzog. "Das bisschen Staub wirst du schon verkraften.", stellte Jodie ungerührt fest, obwohl sie zugeben musste, dass sie selbst alles andere als zufrieden mit diesem Sitzplatz war. "Und was den Raum hier betrifft: es ist unwahrscheinlich, dass einer meiner Kollegen uns hier vermutet. Sieh es so: so schnell kein weiteres blaues Auge mehr für dich." "Sehr witzig.", fauchte die Vampirin verärgert. Jodie musste ihr zustimmen, der Witz war wirklich daneben gewesen. Beinahe hätte sie sich entschuldigt, doch Chris ergriff bereits erneut das Wort. "Also, was ist jetzt? Ich will wissen, was du mit dem Kommentar eben gemeint hast." "Damit, dass du noch nicht all zu lange deine Menschlichkeit abgelegt hast?", hakte Jodie noch einmal nach um Zeit zu gewinnen. Sie hoffte wirklich, dass Chris ihr einige Fragen beantwortete, wenn sie sie denn überhaupt dazu bekommen würde zu reden. Zeitgleich fürchtete sie jedoch auch, dass Rei und die Schauspielerin eine Geschichte einstudiert hatten, auf die sie als Notfallplan zurückgreifen konnten, sollte die Blondine einmal in die Hände von Vampirjägern geraten. Genau dieser Fall war nun eingetroffen und Jodie fürchtete, dass Chris aus Selbstschutz ganz leicht in den Schauspielmodus wechseln und ihr eine zuvor genaustens einstudierte Lügengeschichte auftischen könnte. Würden ihr Ungereimtheiten auffallen? Wie konnte sie sich sicher sein, dass die Daywalkerin die Wahrheit sagte, wenn sie sie überhaupt zum Reden bekam? Doch um dieses Gespräch überhaupt am Laufen zu halten, musste nun wohl erst einmal sie die noch ausstehende Frage beantworten. "Lass es mich so sagen, jemand war so nett, mich mit gewissen Informationen zu versorgen." "Ach ja?", hakte Chris skeptisch nach. Die Jägerin sah in ihre Richtung, konnte in der Dunkelheit jedoch nur die schwach leuchtenden Augen der Vampirin erkennen. Was für ein unwirklicher Anblick. "Dein Freund hat mit mir geredet. Er hat mir einige Dinge erzählt, aber letztlich mehr Fragen aufgeworfen, als das er mir Antworten gegeben hätte.", erklärte Jodie weiter. "Mein Freund?" Die Stimme der Schauspielerin klang irritiert. Die Jüngere verdrehte genervt die Augen. "Jetzt stell dich nicht blöd, Bourbon natürlich." Ihre Gesprächspartnerin gab einen belustigten Laut von sich. "Was das betrifft, muss ich dich leider korrigieren. Er ist mein bester Freund, aber zusammen sind wir nicht." "Erzähl mir nichts. Die Zimmer im Anwesen sind unglaublich hellhörig. Man muss kein Vampir sein, um mehr mitzubekommen, als einem lieb ist." "Oh, ist das so?" Chris klang nicht sonderlich peinlich berührt, sondern viel mehr gleichgültig bis amüsiert. "Du hast es ohne Trauma überlebt, hm?", hakte sie spöttisch nach. "Aber wir sind trotz allem nur gut befreundet, wenn wohl auch mit gewissen Vorzügen." Die Schauspielerin wandte sich Jodie zu, was diese daran erkennen konnte, dass die schwach leuchtenden Augen sie nun wieder ganz direkt anblickten. "Aber du wolltest sicherlich nicht über meine Beziehung zu Bourbon sprechen, richtig? Er hat dir also ein paar Dinge erzählt, die für dich mehr Fragen aufgeworfen haben, als alles andere und jetzt erhoffst du dir Antworten von mir. Aber sag mal Kleine, was genau lässt dich annehmen, dass ich dahingehend wirklich mit dir reden würde?" Wieder klang in der Stimme der Älteren eine Spur von Überheblichkeit mit, welche sie sich Jodies Ansicht nach aktuell nun wirklich nicht leisten konnte. Dennoch sparte sie sich einen Kommentar diesbezüglich. An der Art dieses arroganten Sternchens würde sie sowieso nichts ändern können. Gleichzeitig wusste Jodie, dass ihr Gespräch einen Punkt erreicht hatte, an dem sich entscheiden würde, ob sie Antworten bekäme, oder nicht. Sie durfte es jetzt nicht vermasseln. "Bourbon hat mir erzählt, dass du mich gefangen gehalten hast, um über mich an Informationen und ganz generell an Mondnebel heranzukommen. Weil du eine Zusammenarbeit mit uns anstrebst. Wie genau diese Zusammenarbeit aussehen soll, hat er mir nicht erklärt, aber ich weiß, dass du mit mir reden solltest, wenn du es ernst meinst.", ging sie in die Offensive. "Eine Vampirin, die gemeinsame Sache mit Vampirjägern machen will, das klingt mehr als absurd und unglaubwürdig. Trotzdem hättest du von Anfang an den Mund aufmachen sollen, als wir dich hier her gebracht haben. Ich meine, näher an Mondnebel als jetzt, gelangst du nicht mehr." Als erste Antwort erntete Jodie ein missfallendes Murren. "Du wunderst dich ernsthaft, warum ich von einem Gespräch mit Mondnebel absehe?", schnappte Chris schließlich. "Was sollen das deiner Meinung nach für Verhandlungen sein, bei denen eine Partei nicht mehr als eine Gefangene ist und zur Begrüßung von den sogenannten Verhandlungspartnern zusammengeschlagen wird?!" Die Vampirin schnaubte verächtlich. "Verhandlungen führe ich nur auf Augenhöhe. Da Mondnebel dazu allem Anschein nach nicht bereit ist, werdet ihr mit dem Echo leben müssen, wenn publik wird, dass ihr mich gefangen habt." Also war es der verdammte Stolz der Daywalkerin, der sie bislang eisern hatte schweigen lassen. Ein wenig konnte Jodie ihre Einstellung jedoch fast schon verstehen, so wie ihre Kollegen Chris behandelt hatten. "Du sprichst von dem Angriff, der zweifelsohne erfolgen wird, wenn man versucht dich zu befreien?", hakte Jodie nach. "Damit hat Bourbon mir schon gedroht und ich habe meine Kameraden informiert. Mondnebel ist vorbereitet.", bluffte sie. Chris lachte leise. "Ach ja, denkst du das wirklich, Schätzchen? Du bist dir bewusst darüber, wie groß Amerika eigentlich ist? Wir reden hier nicht nur von einem Angriff der New Yorker Vampirgesellschaft." Bei der Vorstellung, dass die Biester des ganzen Landes Jagt auf Mondnebel machen könnten, graute es Jodie ehrlich gesagt, dennoch blieb sie äußerlich ruhig und gelassen. "Es ist die Aufgabe eines jeden Vampirjägers, Vampire zu jagen und auszulöschen. Wir sind dafür ausgebildet.", entgegnete sie und seufzte dann. " Aber wenn wir uns nur gegenseitig drohen, bringt uns das nicht weiter. Also beantworte mir eine Frage: wo genau sitzen wir hier gerade?" Die andere Blondine blinzelte. "Wo wir hier sitzen? In einem gottverdammten Heizungskeller, mitten im Dreck." "Genau so ist es.", stimmte Jodie ihr zu, auch wenn sie versuchte möglichst nicht über den Staub und den Schmutz nachzudenken, der inzwischen mit ziemlicher Sicherheit an ihrer Kleidung klebte. "Und wie du zugeben musst, ist ein Heizungskeller keine Gefängniszelle und kein Verhörzimmer. Wir sitzen hier in dem neutralsten Raum, den es in diesem Gebäude gibt.", fuhr sie fort. Chris betrachtete sie schweigend. "Mehr Augenhöhe, als in diesem Raum, kann ich dir nicht bieten. Ich gebe offen zu, dass ich dich nicht gerade mag, aber ich bin ganz sicher nicht hier, um dir zuzusetzen, wie meine Kollegen es getan haben. Ich bin hier um zu reden. Bourbon hat mir bereits einiges erzählt, aber um zu verstehen, was du vorhast und wie du dir eine Zusammenarbeit zwischen Mondnebel und euch Vampiren vorstellst, brauche ich Antworten von dir. Ich will es mir anhören und versuchen zu vermitteln, aber dafür musst du mit mir sprechen.", appellierte Jodie an die Vampirin. Eine Zusammenarbeit zwischen Mondnebel und Amerikas Vampiren überhaupt auszusprechen, fühlte sich vollkommen absurd an. Dennoch wollte sie in Erfahrung bringen, was im Kopf der Schauspielerin vor sich ging. Sie musste wissen, ob Chris lediglich gedachte ihr eine Lügengeschichte aufzutischen um freizukommen, oder aber ob sie wirklich ernst meinte, was Rei bereits angedeutet hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)