Eren von tears-girl (Geheimnisse der Turanos) ================================================================================ Kapitel 51: Keine Zeugen ------------------------ „Achtung, Polizei! Keine Bewegung oder wir ...“, kündigt der Hauptmann sie lauthals an und verstummt als er das Massaker erkennt. „... schießen. Ach, du Scheiße. Was ist hier denn passiert?“   Was zum Teufel ist hier los? Was haben die hier zu suchen? Verärgert beißt Eren die Zähne zusammen und ballt die Hände zu Fäusten. Müssen die ausgerechnet jetzt hier aufkreuzen? Gerade als er fertig wär? Wieso hat Ajax ihn nicht gewarnt? Dann wäre er schon längst hier raus. Wenn die Polizisten ihn so blutbefleckt finden, gibt’s gewaltige Probleme. Von seiner Familie.   Immer mehr Polizisten senken ihre Waffen beim Anblick der vernichteten Mafia. Manche werden sogar ziemlich bleich und sehen so aus, als würden sie sich jeden Moment übergeben.   „Könnte das ein Bandenkrieg gewesen sein?“, spekuliert eine Brünette laut.   „Das sieht mir nicht danach aus“, antwortet der Hauptmann. „Hier liegen nur Leichen der Serpent-Organisation.“   „Vielleicht haben die anderen ihre Toten mitgenommen?“   „Ja, vielleicht.“ Der Mann ist neben der Leiche einer Frau in die Hocke gegangen und mustert sie mit gerunzelter Stirn. „Sieh dir mal diese Wunden an. Die sehen nicht aus, wie von Kugeln oder Messern. Eher wie Krallen. Aber welches Tier sollte eine Mafia so abschlachten?“   Die Polizistin hat einen weiteren Toten mit seltsamer Wunde entdeckt. „Der hier hat ein Loch in der Brust."   „Irgendwas passt hier ganz und gar nicht zusammen. Das war kein Bandenkrieg, soviel steht fest. Und ganz sicher auch kein Tier.“ Der Mann richtet sich auf und kratzt sich überfordert am Kopf. „Teilt euch auf. Vielleicht finden wir irgendwo einen Hinweis.“   Eren ist nicht begeistert zu sehen, dass sich die Polizisten aufteilen, um die Gänge zu erkunden. Wenn sie nach oben auf den Steg kommen, sehen sie ihn. Aber wenn er jetzt auf die Plattform springt, um durch das Fenster zu fliehen, würde er seine Zielperson zurücklassen. Zielperson. Sich innerlich verfluchend sieht er sich nach Serpent um. Er hat sie doch tatsächlich vergessen! Das ist ganz und gar nicht gut. Ist sie noch in der Halle? Oder hat sie einen Hinterausgang benutzt? Egal, er muss sie auf jeden Fall vor den Polizisten … Das darf doch jetzt nicht wahr sein!   „Bobby, da kommt jemand!“, teilt die Brünette ihrem Hauptmann mit, zückt die Waffe und richtet sie auf die Frau im auffälligen Paillettenkleid.   „Nicht schießen! Nicht schießen!“, fleht sie verzweifelt. Jetzt sieht sie nicht mehr so selbstbewusst aus. Ihre Frisur hat sich verabschiedet, durch ihr Geheul ist ihr Make-up verschmiert, ihre gebrochenen Arme haben sich lila gefärbt und hängen nutzlos zu ihren Seiten herab. Taumelnd mit nur einem High Heel stolpert sie auf die Polizisten zu.   „Stehen bleiben!“, befiehlt der Hauptmann, Bobby, und zieht ebenfalls seine Pistole.   Serpent gehorcht. „Ich ergebe mich. Nur haltet mir IHM vom Leib!“   „Ihm?“, wiederholt er alarmiert.   Erens Augen huschen zum Tor. Wo bleibt Ajax? Wollte er nicht kommen? Oder hat er sich draußen irgendwo vor den Polizisten versteckt? Was soll er jetzt nur tun?   „Sir, diese Schlangentätowierung, könnte das Serpent sein?“, mutmaßt die Brünette leise an ihren Chef gewandt, ohne die Mafiafrau aus den Augen zu lassen.   „Nehmen Sie die Hände hoch!“ Fordernd zielt er jetzt direkt auf sie.   „Ich kann nicht“, weint sie. Eren hat wohl nicht nur ihre Arme gebrochen.   Auf ein Handzeichen hin umzingeln die Polizisten die Frau, die sich nicht vom Fleck bewegt. Äußerst wachsam nähert sich der Hauptmann Schritt für Schritt. „Sie sind Serpent, nicht wahr? Die Anführerin der Serpent-Organisation?“ Die wimmernde Mafiachefin nickt leicht. „Was ist hier geschehen?“   „Ich werde alles erzählen, aber bringt mich erst hier weg“, drängt sie zitternd.   Einen Moment schweigt der Mann, denkt nach, schließlich senkt er die Waffe. „Nun gut. Ludwig, schnappen Sie sich drei Leute und bringen Sie Serpent ins Krankenhaus. Und lassen Sie sie ja nicht aus den Augen. Ich hab ein paar Fragen an sie.“   Dankbar zucken Serpents Mundwinkel während sie gehorsam den vier Polizisten Richtung Tor folgt. Eren ist immer noch kein Plan gekommen, wie er die Frau aus den Fängen der Polizei befreien und zu seinem Bruder bringen soll, ohne selbst verhaftet zu werden. Was soll er nur tun? Überfordert beginnen seine Gedanken zu rasen.   „Ajax, hörst du mich?“, erkundigt er sich im Flüsterton.   „Was?“, kommt keine Sekunde später die Antwort.   „Die Polizisten haben Serpent geschnappt. Sie wollen sie in ein Krankenhaus bringen.“ Wenn sie sie befragen, erfahren sie zwangsläufig von ihm. Sie werden herausfinden, dass ein außergewöhnliches Kind mit seltsamen Kräften die gesamte Serpent-Mafia ausgelöscht hat. Oder zumindest diejenigen, die mit den Vorbereitungen der Auktion beschäftigt waren. Die Chance besteht zwar, dass die Frau ihn nicht als Turano erkannt hat und für eine Verrückte gehalten wird, aber es wäre dennoch eine Zeugin. Eine lebende Zeugin. Weder sein Vater noch sein Bruder mögen lebende Zeugen, egal ob diese nun Informationen hätten, die ihnen gefährlich werden könnten oder nicht.   „Und? Tu das, was wir trainiert haben. Du weißt ja, in unserer Branche gibt es keine Zeugen. Ich dachte, dir wäre klar, was jetzt zu tun sei, Eren?“ Ein bekannter, drohender Unterton schwingt in der Stimme von Ajax mit.   „Ja, aber ...“, beginnt der Junge mit Gewissensbissen.   „Aber?“ Jetzt ist etwas Warnendes dabei.   Stumm atmet der Junge tief durch. Keine Gefühle. Keine Hindernisse. Nur das Ziel vor Augen. „Nichts. Habe verstanden. Ist so gut wie erledigt.“   Ajax schnaubt nur unzufrieden.   Die Polizisten haben vielleicht nichts mit dieser illegalen Auktion zu tun, aber sie stehen der Erfüllung seiner Mission im Weg. Sie dürfen weder Serpent befragen noch die ganzen Sachen und Tiere hier aus Flaurana entdecken. Es gibt nur Ajax´ Lösungsweg, um erfolgreich vor seinen Vater treten zu können. Egal, ob es dem Jungen gefällt oder nicht. Das Risiko ist einfach zu groß. Sein Bruder hat das Kommando, er muss sich an die Anweisungen halten und tun, was von ihm verlangt wird. So wie immer. Ajax weiß schon was er tut. So wie immer.   Geduckt schleicht sich Eren über die Kisten nach vorne bis zum Tor, wo er lautlos zu Boden springt. Da alle Anwesenden ihre Aufmerksamkeit auf die Mafiafrau oder die Waren gerichtet haben, bemerkt niemand wie sich der Junge aufrichtet und seelenruhig das große Tor zuschiebt, um den Fluchtweg zu versperren. Erst beim Quietschen der Schienen wenden sie sich zu ihm um, teils mit und teils ohne Waffen. Die Gruppe um Serpent herum ist unsicher stehengeblieben.   „Was ist da los?“ Der Hauptmann bahnt sich einen Weg durch seine Einheit. Als er den Eindringling entdeckt, zieht er irritiert die Stirn kraus und wirkt als würde er seinen Augen nicht trauen. „Ein Kind? Nicht schießen. Um Gottes Willen nehmt eure Waffen runter!“   „Nein! Das ist er! Das ist ER! Beschützt mich! Er hat alle ermordet! Er ist ein Monster!“, schreit die Frau hysterisch und versucht zu fliehen, wird allerdings von je einem Polizisten an den Oberarmen festgehalten, weshalb sie nur panisch zappeln kann.   „Was? Der Junge soll dieses Massaker angerichtet haben? Kommen Sie schon. Der ist doch höchstens Zwölf, wie soll so ein Knirps allein eine Mafiaorganisation so zurichten können?“, lacht der Hauptmann ungläubig. Er steckt die Pistole in den Holster und stemmt autoritär die Hände in die Hüften, setzt dabei ein freundliches Lächeln auf. „Was machst du um diese Zeit hier, Kleiner? Solltest du nicht längst schlafen? Das hier ist kein Spielplatz, das ist ein echter Tatort, kein Ort für ein Kind.“   „Ach, nein?“, fragt Eren gespielt überrascht. Er hat inzwischen das Tor ganz zugeschoben und sich unschuldig zu den Polizisten umgedreht. „Heißt das, ihr wollt nicht mit mir spielen?“   „Spie...? Hör mal, Kleiner, wir haben keine Zeit für Spiele“, entscheidet der Mann streng und winkt einen jungen Polizisten heran. „Gary, bringen Sie den Bengel nach Hause.“   Gary wird blass. Er hat keine Lust darauf diese Fahrt zu machen. Seine Augen sind groß vor Angst als er Eren einen Seitenblick zuwirft und hinter vorgehaltener Hand seinem Boss zuraunt: „Bobby, haben Sie nicht bemerkt, dass er voller Blut ist? Spüren Sie nicht, dass etwas bedrohliches von ihm ausgeht?“   „Ich wusste nicht, dass Sie so ein Angsthase sind, Gary“, lacht der Polizeichef. Das Lachen bleibt ihm schon kurz darauf im Hals stecken als er nun doch all das Blut an den Klamotten, den Händen und auch im Gesicht des Kindes bemerkt. „Bist du verletzt, Kleiner?“   „Ist nicht mein Blut.“ Eren macht eine wegwerfende Handbewegung. „Ich will jetzt spielen. Es ist echt nichts persönliches, als seid mir nicht böse.“ Ein Unheil verkündendes Versprechen legt sich über seine Augen. „Ihr steht mir einfach nur im Weg.“   Bevor auch nur irgendjemand in der Halle reagieren kann, ist Eren vorgeprescht und hat Bobbys Herz durchbohrt. Der Hauptmann hat die Augen weit aufgerissen und versucht irgendwas zu sagen, aber die Worte ersticken noch bevor sie seine Lippen verlassen. Dann erschlafft der Körper, Eren zieht die Hand zurück und geht beiseite, sodass der Mann zu Boden stürzt.   „Seht ihr?! Seht ihr?! Ich hab´s euch ja gesagt! Er ist ein Monster!“, kräht Serpent mit einem irren Lachen. Irgendwie kommt sie Eren nicht geeignet vor eine Mafia anzuführen.   „Bobby!“, rufen mehrere Stimmen entsetzt. Das Klicken von entsicherten Waffen ist von überall her zu hören.   „Was hast du getan?!“ Die Brünette vom Anfang geht mit zitternden Fingern und Tränen in den Augen auf den Jungen zu. „Keine unüberlegte Bewegung oder ich schieße! Nimm jetzt langsam die Hände hoch.“   Keine unüberlegte Bewegung? Wie gut, dass Erens Bewegungen alle überlegt sind. Außerdem hat er nicht vor sich zu ergeben oder das zu tun, was eine Polizistin von ihm verlangt. Das beweist er auch gleich, indem er zu der Frau flitzt, über sie hinweg springt und ihr dabei den Kopf nach hinten dreht. Anschließend landet er leichtfüßig und lächelt emotionslos die in Panik geratenen Polizisten an.   „Was ist das nur für ein Kind?!“   „Wir sind verloren!“   „Das ist ein Monster!“   „Ich hätte heute doch krank machen sollen!“   Egal wie sehr sich die Polizisten auch bemühen, sie schaffen es nicht den Zwölfjährigen aufzuhalten. Zuerst werden diejenigen getötet, die tatsächlich die Torheit besitzen zu versuchen, an Eren vorbei zum Ausgang zu gelangen. In ihrer Verzweiflung zielen sie nicht einmal richtig mit den Waffen, sodass er den meisten Schüssen gar nicht erst ausweichen muss. Wenn doch einmal eine Kugel trifft, dann nur einen anderen Polizisten. Eren wütet durch die Reihen, schaltet einen nach dem anderen aus bis die ohnehin schon blutdurchtränkte Halle regelrecht in Blut schwimmt. Der Geruch hängt schwer in der Luft, überall kleben rote Flecken und Spritzer und dazwischen liegen tote Körper.   Sobald er der letzten Polizistin die Kehle aufgeschlitzt hat, sie hatte sich hinter einer großen Truhe versteckt und um ihr Leben gefleht, sieht er sich nach Serpent um. Deren Paillettenkleid hat er in dem Chaos aus den Augen verloren, aber da sie zu aufgelöst ist, um klar denken zu können, hört er in der Totenstille ganz deutlich ihren High Heel klacken und macht sich auf den Weg.   „Wo willst du denn hin?“ Unter Flehen und Wimmern zerrt Eren die Frau zurück Richtung Tor und gibt unterwegs seinem Bruder noch einmal Bescheid, dass er diesmal wirklich fertig ist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)