Eren von tears-girl (Geheimnisse der Turanos) ================================================================================ Kapitel 34: Sünder ------------------ Man kann förmlich hören wie alle erleichtert aufatmen. Dr. Ryu, die bis eben die Luft angehalten hat, entspannt sich und tippt bereits eifrig in ihr Tablet. Ajax nähert sich weiter dem Käfig und mustert dabei seinen Bruder, der in seiner momentanen Erscheinungsform einem Engel zum verwechseln ähnlich sieht. Ist ja auch kein Wunder. Immerhin ist ein Teil von ihm ein Engel.   „Zumindest eine Form beherrscht du“, meint Ajax sogar mit einem ganz, ganz kleinen zufriedenen Ausdruck in den braunen Augen. „Wie fühlt es sich an? Hast du es sicher unter Kontrolle?“   Probehalber bewegt der Junge seine Hände und Füße, die Ketten rasseln dabei und auch die Flügel entfaltet er, so gut es im Käfig eben geht. Alles funktioniert so, wie er es will. „Es fühlt sich normal an. So wie vorher eigentlich. Nur stärker.“   Ajax nickt einmal und sieht dabei so aus, als wäre er gedanklich schon mit der weiteren Planung beschäftigt. Kurz darauf dreht er sich zu Dr. Ryu um. „Machen Sie Ihre Tests. Ich will nicht länger in dieser Höhle bleiben, als nötig.“   „Ja, sofort.“ Hektisch schreibt sie schnell fertig, eilt dann zum Tisch, stopft sich ein paar der Sachen in die Kitteltaschen und kommt zurück zum Käfig, den Ajax bereits aufschließt. Beim Eintreten reicht sie ihr Tablet an Ajax weiter, der nicht begeistert davon ist, jetzt zum Assistenten degradiert zu werden. „Hier, halten Sie das, bitte. Ich kann keine Tests durchführen, wenn ich keine Hand frei hab. Und die beiden bleiben vorsichtshalber auf ihren Posten“, fügt sie entschieden hinzu, als sie bemerkt, dass Ajax zu den Wachen schielt.   „Meinetwegen“, murrt er schließlich. „Beeilen Sie sich einfach.“   „Ja, ja, schon dabei.“ Als erstes zieht sie ein Sprühfläschchen und einen Venenstauer aus der Tasche. „Ihren Arm, bitte“, weist sie den Jungen höflich an, der ihr gehorsam seinen linken Arm entgegenstreckt. Sie bindet ihm den Oberarm ab und sprüht das Desinfektionsmittel auf dessen Armbeuge.   Hey, Eren. Weißt du eigentlich wie stark du jetzt bist?   *Nicht jetzt. Ich bin beschäftigt.*   Dr. Ryu entnimmt ihrem Laborkittel als nächstes eine Spritze. „Das könnte ein wenig piksen. Versuchen Sie entspannt zu bleiben.“   „Klar. Ist ja nicht meine erste Blutabnahme.“ Davon gab es schon mehr als er zählen kann. Zwar nicht annähernd so viele in einer vollständigen Verwandlung, aber was sollte daran schon anders sein?   Du hast ja noch nicht wirklich viel meiner Kraft benutzt. Weißt du eigentlich, zu was wir jetzt fähig sind?   *Ich sagte doch, nicht jetzt. Ich muss das hier schnell hinter mich bringen und mich dann auf das Treffen mit Max vorbereiten.*   Die Ärztin sticht geübt in die Vene und beginnt das Blut abzuzapfen. Dabei zeigt sich ein drastischer Unterschied zur gewöhnlichen Blutabnahmen. Das Blut, das sich in der Spritze sammelt, ist strahlend weiß.   „Das ist immer wieder faszinierend“, murmelt Dr. Ryu begeistert vor sich hin.   Das ist noch gar nichts. Ich zeig euch jetzt, zu was wir tatsächlich im Stande sind.   *Was soll das heißen?*   ~~~   Alarmiert verkrampft sich Erens Abbild im Spiegelraum, wo er noch immer mit der Hand am weißen Engelspiegel steht. Die Art, wie die Gestalt ihn ansieht, jagt ihm einen Schauer über den Rücken, der eine böse Vorahnung hinterlässt.   Ich zeig´s dir.   Schneller als er reagieren kann, als er überhaupt realisieren kann, wird er in einem einzigen Ruck in den Spiegel hineingezogen. Er verschwindet vollständig darin, dafür tritt die Engelgestalt heraus, streckt sich und dreht sich dann mit einem milden Lächeln zu Eren um, der blass geworden ist und schockiert durch das nun wieder solide Spiegelglas starrt.   „Was hast du getan?“, fragt er fassungslos, die blauen Augen weit aufgerissen.   Tut mir leid, dass ich dich so überrumpeln musste, aber du wolltest mir ja nicht zuhören. Wir haben eine Mission, Eren. Wir müssen die Welten von allen Sündern befreien.   „Das kannst du nicht tun! Das ist mein Körper! Gib ihn mir zurück!“, verlangt Eren panisch und trommelt nutzlos gegen das Glas.   Der Engel sieht ihn entschuldigend an. Das geht leider nicht. Noch nicht. Sobald wir die Welten gereinigt haben, kannst du ihn zurück haben. Aber jetzt hab ich erst einmal was zu erledigen. Tut mir leid, dass du es deswegen nicht zur Verabredung mit Max schaffen wirst. Er wäre sicher ein guter Freund geworden.   ~~~   „So, das war´s schon“, teilt Dr. Ryu dem Jungen mit und verstaut die Spritze mit dem weißen Blut im Kittel.   „Steht noch was auf Ihrer Testliste?“, möchte Ajax grummelig wissen, dem das hier offensichtlich nicht schnell genug geht.   Da die beiden beschäftigt sind, bekommen sie nicht mit, wie das weiße Mal des jüngeren Turano von goldenen Linien, die wie Blutgefäße aussehen, durchzogen wird, die von den Fingerspitzen bis zum Rand des Weißen reichen. Als der Junge den Kopf hebt ist sein Blick kälter geworden, gleichzeitig auch trauriger.   „Dr. Ryu, Sie sind keine Sünderin.“ Erens Stimme hat einen fremdartigen, hallenden Unterton angenommen.   Irritiert unterbrechen die Frau und Ajax ihre Unterhaltung über die noch anstehenden Tests. Die Ärztin blinzelt unsicher. „Sünderin? Was meinen Sie damit, junger Herr?“   In Wahrheit weiß sie ganz genau, was das heißt. Es ist schließlich nicht das erste Mal. Dennoch will sie es im ersten Moment nicht wahrhaben. Nicht wegen sich selbst, sondern weil es bedeutet, dass Eren die nächste Strafe für sein angebliches Versagen bekommt. Außerdem könnte bei einem Amoklauf einiges kaputt gehen.   Anstatt der Frau zu antworten, richten sich die goldenen Augen auf den blonden Mann. „Ajax Turano, Sie sind ein Sünder und werden für Ihre Verbrechen bestraft werden müssen.“   Der Mann seufzt erzürnt und enttäuscht. „Du hast schon wieder versagt, Eren. Erlange sofort die Kontrolle zurück oder du weißt, was passiert.“   „Eren macht gerade eine Pause.“ Engel-Eren mustert abfällig die Ketten. „Ach, wie niedlich. Glauben Sie immer noch, dass mich diese Ketten aufhalten können?“ In einem Ruck zerrt er an der Kette, die allerdings standhält. Die Runen beginnen sofort zu leuchten sobald gewöhnliche versagt hätten. „Interessant. Sie haben dazugelernt.“   Die Ärztin verlässt bereits blass geworden den Käfig. „Herr Turano, kommen Sie.“   „Das heißt dann wohl, dass du die Konsequenzen für dein Versagen tragen musst, Bruder“, beschließt Ajax beim Verlassen des Käfigs. „Steht nicht so nutzlos in der Gegend rum. Erledigt euren Job“, schnauzt er die Wachen an.   Diese zucken erschrocken aus ihrer Starre, reißen sich so gut es geht zusammen, zielen und schießen. Aus dieser kurzen Distanz daneben zu schießen ist so gut wie unmöglich und trotzdem schafft es der Wachmann nur die Glasscheibe zu treffen. Die Frau zielt besser, rechts in Erens Hals steckt ein Glasröhrchen mit rosa Puschel am Ende und einer silbrigen Flüssigkeit, die sich sofort in seinen Körper entleert.   Der Engel zuckt nicht einmal, zieht nur das Geschoss aus dem Hals und betrachtet es amüsiert. „Noch so ein vergeblicher Versuch mich aufzuhalten. Dabei ist es doch meine heilige Pflicht die Welten vor … Urgh!“   Der Engel bricht mitten im Satz ab, stöhnt gequält auf und krümmt sich zusammen, soweit es die Ketten zulassen. Er fängt an Blut und Schaum zu spucken, heftige Schmerzen lassen seinen Körper erbeben. Immer verzweifelter zerrt er an den Ketten bis die Haut darunter blutig wird. Sein Innerstes fühlt sich an, als würde es verbrennen und er kann nichts dagegen tun. Bald schon läuft weißes Blut aus Ohren, Mund, Nase und Augen.   „Was haben Sie getan?! Wie können Sie es wagen einem Engel das anzutun?! Sie sind alle Sünder! Sie werden sterben! STERBEN!“   Der Engel lässt sich auf die Knie fallen, krallt sich in seinen eigenen Haaren fest und fängt an zu schreien, so schrill, dass die Menschen die Hände auf die Ohren pressen müssen und sogar das Glas vibriert.   Eine gefühlte Ewigkeit später ändert sich die Farbe des heraustretenden Blutes von Weiß zu Rot. Die Flügel lösen sich in Nebel auf, der für einen kurzen Moment um Eren herumwirbelt und auch den Rest der Engelkraft mit sich reißt. Sobald der Nebel verblasst, sieht Eren wieder aus wie vorher, nur blutüberströmt und am Ende seiner Kräfte. Sofort erschlafft sein gesamter Körper.   Plötzlich ist es mucksmäuschenstill in der Höhle. Der Junge hat das Bewusstsein verloren und liegt nur stumm in seinem eigenen Blut am Boden des Käfigs. Die Wachen haben sich längst ans andere Ende der Höhle zurückgezogen und umklammern schutzsuchend ihre Waffen.   Dr. Ryu nimmt ihre Hände von den Augen und legt sie über ihr Herz, das vor Mitleid schneller schlägt. In ihren Augen schimmern Tränen. Sie erträgt es einfach nicht ihn so leiden zu sehen. Es tut ihr weh ihm das Mittel antun zu müssen. Besonders, da sie selbst vorher die Wirkung noch nicht gesehen hat. Es ist die neue Mixtur, die Eren mit seinem Vater am Mittwoch getestet hat. Benedikt Turano wird damit zufrieden sein. Genau so etwas wollte er schließlich. Ein Serum, dass einen ausrastenden Eren bezwingt. Dr. Ryu hofft inständig, dass der Junge keine bleibenden Schäden davongetragen hat und ihr deswegen nicht böse ist. Sie hätte das Mittelchen nicht so wirkungsvoll mixen sollen. Aber dann wäre es vermutlich nicht stark genug gewesen den Engel zurückzudrängen. Das macht es aber auch nicht besser. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)