Eren von tears-girl (Geheimnisse der Turanos) ================================================================================ Kapitel 20: Schule, neu und seltsam ----------------------------------- Als Eren eine knappe halbe Stunde später im Auto sitzt, das in den Parkplatz vor der Schule einbiegt, sind die Wunden soweit verheilt, dass sie nicht mehr zu sehen sind. Netterweise hat ihm sein Vater ein kleines Sandwich mit auf den Weg gegeben, sodass er doch nicht ohne Frühstück in den Unterricht muss. Das wäre echt peinlich gewesen, wenn er an seinem ersten Tag durch lautes Magenknurren aufgefallen wäre.   Aufmerksam beobachtet er das Treiben vor der Schule. Autos parken ein und aus, Schulbusse fahren vor, Schüler steigen aus, tummeln sich auf dem Hof vor dem Gebäude, bilden Grüppchen oder bahnen sich einfach nur einen Weg in die Schule hinein. Alles ist so durcheinander, so interessant, so neu. Eren weiß gar nicht wo er zuerst hinsehen soll.   Beim Anblick der ganzen neuen Situation mildert sich seine Vorfreude etwas, dafür steigen Zweifel in ihm auf, ob das wirklich so eine gute Idee ist. Er hat keine Ahnung wie er sich in einer Schule benehmen soll. Gibt es da auch so viele Regeln wie bei ihm Zuhause? Was ist, wenn er etwas Peinliches anstellt und dann den Namen Turano blamiert? Oder wenn er seine Mission vergeigt? Er hat noch immer keinen blassen Schimmer wie er Max dazu bringen soll ihm zu verraten, dass er Kräfte hat. Wenn er denn Kräfte hat. Er darf auf keinen Fall versagen oder den Ruf seiner Familie schaden! Sein Hals ist plötzlich ganz trocken und seine Finger klammern sich um die Tragegurte seines Rucksacks. Hoffentlich geht alles gut.   Eren schüttelt einmal den Kopf, um die negativen Gedanken zu vertreiben. Er darf jetzt nicht zweifeln, er muss konzentriert bleiben. Das wird schon werden. Er hat schon wesentlich schlimmere Situationen gemeistert und Kreaturen getötet, von denen niemand hier überhaupt weiß, dass sie existieren! Da wird er doch mit einem gewöhnlichen Schultag fertig. Wäre doch gelacht!   Ajax parkt den Wagen, stellt den Motor ab und dreht sich zu Eren um. Natürlich kommt jetzt noch Ajax´ berühmter letzter Vortrag bevor der Junge aussteigen darf. „Bereit, Eren?“   „Klar“, versichert der Zwölfjährige möglichst überzeugend. Eine Hand bereits am Türgriff. Eine Predigt erträgt er jetzt nicht. Er ist so schon nervös genug, auch ohne dass Ajax ihn noch zusätzlich unter Druck setzt.   Ajax mustert ihn forschend. „Versuch nicht zu sehr aufzufallen. Halt dich erst mal zurück, bis du dich eingewöhnt hast. Ich hol dich später wieder hier ab.“   „Danke, Ajax. Bis dann“, verabschiedet sich Eren, irritiert von der eigentlich netten Fürsorge seines Bruders. Für Ajax` Verhältnisse zumindest.   „Eren“, hält der Ältere ihn doch noch auf. In ernster Tonlage erinnert er ihn: „Denk daran: es ist nur ein Auftrag, keine echte Freundschaft. Freunde sind nichts weiter als ...“   „... als Schwäche und Ablenkung“, vollendet Eren automatisch den Satz. „Ja, ich weiß. Ich werd´s nicht vergessen. Hab ich je versagt?“   Bevor sein großer Bruder noch etwas sagen kann, steigt Eren aus und schlägt die Autotür hinter sich zu. Mit der Schultasche am Rücken bahnt er sich einen Weg über den Parkplatz. Da es nur noch wenige Minuten bis zum Schulbeginn sind, sind die meisten Schüler im Inneren verschwunden. Lediglich ein paar Nachzügler lungern noch vor der Schule herum. Eren schenkt ihnen keinerlei Beachtung als er die Stufen zum Haupteingang erklimmt, über dem in riesigen Buchstaben „Haikla City Middle School“ geschrieben steht, und durch die Doppeltür tritt.   Die Gänge vor ihm sind fast genauso leer, dafür ist der Geräuschpegel höher. Der Boden ist mit weißen, gelben und grünen Fliesen und verlorenem oder weggeworfenem Papier und Verpackungsmüll gesprenkelt. Obwohl Mülleimer rumstehen. Eren rümpft darüber nur die Nase. Entlang der grün gestrichenen Wände reihen sich Spintschränke an Vitrinen mit Fotos und Auszeichnungen in den unterschiedlichsten Bereichen.   Was Eren aber eigentlich sucht, findet er nicht: einen Plan oder irgendwelche Schilder, die ihm sagen, wo das Sekretariat zu finden ist. Steht vielleicht etwas auf dem Zettel, den ihm sein Vater noch in die Hand gedrückt hat? Besagtes Stück Papier kramt er aus der Jackentasche hervor, entfaltet es und überfliegt die wenigen Zeilen. Leider Fehlanzeige, der Zettel sagt ihm nur, dass er sich vor Schulbeginn im Sekretariat bei Direktor Kruz melden soll.   Wie auf Stichwort hallt der schrille Ton der Schulglocke durch die Gänge, lässt den Jungen zusammenzucken und ein hektisches Gewusel der verbliebenen Schüler entstehen. Die Klingel verkündet nicht nur den Beginn des Unterrichts, sondern auch das Zuspätkommen von Eren. Das war´s dann wohl mit dem guten ersten Eindruck. Aber es ist nicht seine Schuld. Hätte Ajax auf das überflüssige Training verzichtet und wäre das Sekretariat ausgeschildert, wäre er pünktlich gewesen und könnte schon im richtigen Klassenzimmer hocken.   Seufzend steckt er den Zettel zurück in die Tasche und marschiert einfach los. Irgendwie wird er es schon finden oder zumindest jemandem über den Weg laufen, der ihm helfen kann. Auf letzteres muss er gar nicht lange warten. Eine Lehrerin, vielleicht Ende Dreißig, biegt gerade um die Ecke. In einer Hand hält sie eine große Tasche, in der anderen zwei Ordner. Die Brünette stöckelt auf ihn zu und lächelt ihn freundlich an. „Guten Morgen.“   „Guten Morgen“, erwidert der Zwölfjährige und fügt schnell hinzu, bevor sie an ihm vorbei ist: „Könnten Sie mir bitte sagen, wo ich das Sekretariat finde?“   „Natürlich.“ Die Frau verlagert die Ordner in den anderen Arm, um eine Hand freizuhaben. Mit der deutet sie zurück zum Haupteingang. „Geh dort vorne nach links und dann immer geradeaus bis zur Treppe. Das Sekretariat liegt genau daneben.“   *Dann hätte ich mich praktisch erst mal richtig verlaufen.* Er hat sich noch nie verlaufen. Okay, dass er auch noch nie allein an einem fremden Ort war, hat sicher auch was damit zu tun.   „Vielen Dank“, bedankt er sich und wendet sich erneut dem Eingang zu.   Diesmal ist er es, der von der Lehrerin aufgehalten wird. „Du bist neu hier, oder?“   „Ja. Heute ist mein erster Tag“, antwortet Eren.   „Ah, dann musst du mein neuer Schüler sein, von dem mir Direktor Kruz heute Morgen erzählt hat. Ich heiße Frau Parker und werde deine Klassenleiterin sein“, stellt sie sich vor. „Wir werden uns also bald wieder sehen.“ Mit diesen Worten geht sie an ihm vorbei, um mit einem „guten Morgen, Klasse“ das Zimmer zu betreten.   Dank der Beschreibung findet Eren das Sekretariat ohne weitere Probleme. Da die Tür offen steht, geht er einfach hinein.   „Guten Morgen“, grüßt Eren den Mann hinter dem Schreibtisch. „Ich soll mich bei Herrn Kruz melden.“   „Was hast du schon so früh am Morgen verbrochen?“   Unsicher ob er sich verhört hat, bleibt der Junge stehen und blinzelt. „Äh?“   „Jetzt mach den Mund auf und hör auf zu stottern“, meckert der Sekretär, schiebt die Brille höher und mustern ihn abschätzend. „Jeder, der zum Direktor geschickt wird, hat etwas angestellt. Geschummelt, geprügelt, Schuleigentum zerstört … Also, was hast du verbrochen? Ich frag nicht noch einmal.“   Perplex starrt Eren ihn einfach nur an. Mit so einer Begrüßung hat er ganz und gar nicht gerechnet. Verbrochen hat er noch gar nichts. Außer vielleicht, dass er etwas zu spät ist.   „Phil, sei nett zu unserem neuen Schüler“, mischt sich eine raue Stimme ein.   Im Türrahmen zum Nebenraum mit der Aufschrift „Direktorat“ ist ein älterer Herr mit weißhaariger Halbglatze, einem faltigen Gesicht und einem altmodischen Anzug aufgetaucht. Seine Augen verschwinden fast unter buschigen Augenbrauen. Dennoch hat er eine wesentlich freundlichere Aura als Phil.   „Du bist bestimmt Eren Turano, oder?“   „Ja, Sir.“   „Freut mich. Ich bin Direktor Kruz. Bitte, komm rein“, lädt Kruz den Jungen in sein Büro ein.   Sobald die Tür hinter den beiden ins Schloss fällt, geht der Direkt zu seinem Schreibtisch, während Eren im Raum stehen bleibt und sich umsieht. Es ist ein typisches Büro: Schreibtisch, Computer, Akten, Ordner, Papiere. Es sind jedoch ein paar persönliche Dinge zu finden, wie Familienfotos, Pflanzen oder kleine Figuren von Meeresbewohnern, die dem Raum einen persönlichen Touch geben.   „Zunächst einmal möchte ich mich noch einmal für die großzügige Spende deines Vaters bedanken. Ich versichere dir, wir werden das Geld gut investieren. Richte ihm das bitte aus, ja?“, beginnt der Mann ohne das Papierkramen zu unterbrechen.   „Okay, mach ich.“ Somit ist das Rätsel auch gelöst, weshalb er so schnell in die Wunschklasse eingeschrieben werden konnte. Bestechung. Pure Bestechung. Typisch sein Vater. Er regelt alles mit seinem Geld oder lässt es von seinen Angestellten erledigen.   „Danke. Den Papierkram hab ich schon mit deinem Vater erledigt. Dann sind wir eigentlich auch schon fertig. Stundenplan, Sportuniform und die Schulbücher hast du schon, soweit ich weiß?“ Fragend sieht Kruz zu Eren. Dieser nickt bejahend. „Gut, gut. Dann bekommst du von mir noch deinen Schülerausweis, mit dem kannst du dir gratis Mittagessen in der Schulcafeteria holen und Bücher aus der Bücherei ausleihen. Außerdem hab ich hier noch den Code für dein Schließfach und einen Raumplan der Schule.“   Alle drei Zettel nimmt Eren vom Direktor an. „Klasse. Ich hab mich vorhin schon verlaufen.“   „Ja, ich weiß“, muss der Mann verlegen zugeben. „Wir hatten mal Schilder und Wegweiser, aber die sind entweder so alt, dass man sie nicht mehr lesen kann oder nicht mehr stimmen. Oder sie wurden mit Plakaten überklebt.“   Die Schule scheint ziemlich runtergekommen zu sein. Es muss seinem Vater und Ajax viel Überwindung gekostet haben, ihn hierher zu schicken. Schließlich könnte schon allein die Wahl der Schule dem Ruf der Turanos schaden. Diese Mission muss echt wichtig sein. Und wenn sich schließlich herausstellt, dass Max ein gewöhnlicher Mensch ist, war alles umsonst.   Herr Kruz räuspert sich kurz. „Wie dem auch sei, deine Klassenleitung wird Frau Parker sein. Wenn du noch irgendwelche Fragen hast oder sonst irgendetwas ist, kannst du dich jederzeit bei mir oder auch bei Frau Parker melden.“   „Danke, Herr Kruz.“ Wieso nur hat er das Gefühl, als würde sich der Direktor bei ihm einschleimen wollen? Will er noch mehr Spendengeld? Das kann er vergessen. So großzügig ist sein Vater nicht.   „Nichts zu danken“, winkt der Mann ab. „So, dann bringen wir dich gleich ins Klassenzimmer, damit du nicht noch mehr Unterricht verpasst.“   Zurück im Sekretariat wird Eren noch immer finster von Phil angefunkelt. *Was ist dem sein Problem? Der ist ja noch mieser drauf als Viktor.*   Direktor Kruz scheint Erens Gedanken zu erraten. „Bitte entschuldige Phils Verhalten. Er ist immer zu jedem so.“   Mittlerweile ist es gespenstisch still und verlassen in den Gängen, lediglich gedämpftes Gemurmel dringt aus den Klassenzimmern. Auf dem Weg fängt Kruz an irgendwelche Dinge über die Schule zu erzählen: Sportveranstaltungen, Wahlfächer, Schulausflüge … Eren hört nur mit einem Ohr zu, obwohl es ihn interessiert. Er bezweifelt ganz einfach, dass ihn sein Vater bei außerschulischen Aktivitäten mitmachen lässt. Außer es dient der Mission.   Je näher sie dem Klassenzimmer kommen, umso nervöser wird der Zwölfjährige. Das verwirrt ihn. Wieso ist er so nervös? Es gibt keinen Grund nervös zu sein. Er ist nur das erste Mal in einer Schule, lernt gleich einen ganzen Raum voller Gleichaltriger kennen und soll sich mit einem Jungen anfreunden. Keine große Sache. Und dennoch hat er einen Krampf im Magen und eine trockene Kehle. Von außen lässt er sich natürlich nichts anmerken.   „So, da wären wir. Das ist dein Klassenzimmer.“ Direktor Kruz klopft an die Tür und öffnet diese nach einem „Herein“. Noch einmal tief durchatmen, dann folgt Eren ihm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)