Caza Salvate von Chariot ================================================================================ Kapitel 1: Der dunkle Gott -------------------------- Ich muss gestehen, dass ich, auch wenn ich bei weitem nicht dumm bin und war, es eine Zeit gab, in der ich noch wirklich an das Gute im Menschen glaubte. Zu der Zeit war es auch, dass ich mich auf den Weg nach Ägypten machte, um einer Theorie von mir zu folgen. Vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen. Mein Name ist Dr. Alexander Thomas. Nein, ich bin kein Mediziner, den Titel habe ich mir in Archäologie erarbeitet. Bitte glauben Sie mir, dass ist tatsächlich von Belang. Die Geschichte, die ich Ihnen gerne erzählen würde fand noch vor meiner Dissertation statt. Damals war ich noch der verwöhnte Sohn eines Professors der Psychologie und einer Lehrerin für Kinder mit geistigen Einschränkungen. Bis heute verstehe ich nicht, wie meine Mutter sich dazu herab lassen konnte, einen Mann mit einem Stock im... nun, ich will nicht herablassend sein. Ich war damals jedenfalls mit meinen Studien der Archäologie beschäftigt. Besonders fasziniert hatten mich die Dinge, die in den bisherigen Arbeiten meiner Vorgänger nur Platz in Nebensätzen finden konnten. Es dauerte nicht lange, da war ich schon so tief in den Anmerkungen, Bildern und Gerüchten versunken, dass ich mich heute wohl als sowas wie einen Krypto-Archäologen bezeichnen würde. Man könnte sagen, ich war antiken Verschwörungstheorien auf der Spur. Zu dieser Zeit stritt ich oft mit meinem Vater, sodass es mich wunderte, als er sich bereit erklärte eine Vorschungsreise für mich zu zahlen. Wahrscheinlich wollte er mich einfach nur aus dem Haus haben. Aber mir war das nur recht. Ich packte meine Sachen und reiste nach Ägypten. Die Flugreise auf den afrikanischen Kontinent war alles andere als luxuriös, doch sie brachte mich an mein Ziel. Als ich den Flughafen Kairo erreicht habe, wurde ich direkt von meinem kleinen Ausgrabungsteam in Empfang genommen, dass mein Vater für mich zusammen gestellt hat. Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr glaube ich, dass er ein paar unangenehme Ideen für meine Reise hatte. Die Männer, die mich freudig in gebrochenem Englisch begrüßten, waren bereits voll ausgerüstet, sodass wir uns direkt auf den Weg machen konnten. Ich war viel zu aufgeregt, um von der Reise erschöpft zu sein, sodass ich ihnen auf einer Karte unser Ziel zeigte. Es war ein Ort, fern ab der Pyramiden und bekannten Städte. Nicht einmal das Tal der Könige befand sich in der Nähe unserer Ausgrabungsstelle. Wir reisten an einen Ort, den die Menschen seit Jahrtausenden zu meiden schienen, auf der Suche nach dem Grab eines dunklen Gottes. Selbst heute kann ich noch das Kribbeln der Aufregung von damals in mir spüren. Die Fahrt im Geländefahrzeug meiner Begleiter über Sand und Dünen wiegte mich unerwartet in den Schlaf, sodass ich aufschreckte, als ich hören konnte, wie die Männer in ihrer Muttersprache darüber diskutierten, wie sie mich beseitigen könnten. Verwirrt öffnete ich die Augen und sah aus dem Fenster des Gefährts. Wir hatten tatsächlich ein fast vollständig im Sand versunkenes Bauwerk gefunden. Es wirkte wie ein alter Tempel, den meine Reisebegleiter wohl gerne ausräubern würden. Erst in dem Moment wurde mir klar, was ich da eigentlich gehört hatte. Sie wollten mich beseitigen. So leise wie nur möglich, kletterte ich zum Fenster des Wagens raus und lies mich erst einmal in den Sand fallen, bevor ich mich in einem günstigen Moment so schnell ich konnte von ihnen weg bewegte. Ihrem lauten Fluchen nach zu urteilen hatten sie meine Flucht entdeckt, doch ehe sie zu meiner Verfolgung ansetzen konnten, schien sich der Boden unter mir zu öffnen. Mit einem lauten Schrei versank ich im Wüstenboden, fiel einige Meter auf harten Stein und spuckte den Sand aus, der bei dem Schrei in meinen Mund gelangt war. Nur wenig Licht drang durch das Loch in der Decke, durch das ich gerade gefallen war, sodass ich nicht viel von dem um mich herum erkennen konnte. Auch die Stimmen meiner Häscher waren nur dumpf zu vernehmen. Sie schienen sich einig zu sein, dass ich verloren war. Dass ich ihnen entweder noch einmal über den Weg kommen oder hier verrotten würde. Wie sehr es mich doch ankotzte, dass sie Recht hatten. Aber an Ort und Stelle sitzen zu bleiben hätte mich nicht weiter gebracht, sodass ich mich vorsichtig aufraffte. Zumindest schien ich weitestgehend unverletzt. Nur ein paar Prelllungen, doch wenigstens keine gebrochenen Knochen. Trotzdem konnte ich nach wie vor nicht viel um mich herum sehen. Das wenige Licht, dass herein viel, verlor sich schnell in den allumfassenden Schatten, sodass ich nervös und mit ausgestreckten Armen nach einer Wand suchte. Wie sehr ich doch hoffte, dass hier keine Fallen waren. Eine Wand hatte sich schnell finden lassen. Dieser bin ich dann gefolgt, immer eine Hand am kalten Stein, in der Hoffnung einen Ausgang zu finden, der nicht gerade zu diesen Gaunern führte. Es fühlte sich an, als wäre ich mehrere Stunden durch die Dunkelheit geirrt. Wie lang ich mich durch die Schwärze bewegte kann ich jedoch nicht genau sagen. In absolute Nacht gehüllt, vergeht einem Menschen erstaunlich schnell jegliches Zeitgefühl. Je länger ich in dieser Finsternis weilte, umso mehr schien ich den Verstand zu verlieren. Nach kurzer Zeit schon hatte ich das Gefühl, eine Stimme zu hören. Sie sprach langsam und leise, der Klang einem Knurren ähnlich. Ich konnte nur wenige Worte ausmachen und die schienen in einem sehr alten Dialekt dieses Landes gesprochen zu sein. Mir ging direkt die Frage durch den Kopf, ob ich gerade einer Mumie in den Arm lief. Oder einem verschollenen Pharao. Oder schlimmer noch: dem dunklen Gott, nach dessen Grab ich suchte. Schnell schüttelte ich den Kopf. So etwas wie Götter gab es schließlich nicht. Genau so wenig wie wandelnde Mumien und verwunschene Pharaonen. Das war einzig mein Verstand, der mir einen Streich spielte, versuchte ich mir einzureden. Das machte die Situation nur leider nicht besser. Irgendwann wurde die Stimme lauter, bis sie abrupt abriss. Ich konnte einen tiefen Atemzug hören, ein dumpfes Knurren und ein einziges Wort: "Wer?" Natürlich war es nicht englisch gewesen, aber zumindest war es ein Wort, dass ich mir hatte übersetzen können. Doch was war der Sinn dieser Frage? War es ein "Wer ist da" oder doch eher ein "Wer wagt es"? Es kostete mich all meinen Mut, zu antworten. In, durch meine Angst gebrochenem, Ägyptisch brachte ich heraus: "Mein Name ist Alexander Thomas. Ich bin auf der Suche nach-" Weiter kam ich nicht. Die allumfängliche Schwärze zog sich von mir zurück, verdichtete sich und nahm Gestalt an. Die Gestalt eines großen Mannes, mit dem Kopf eines Falken. Er wirkte wie aus reiner Dunkelheit gemacht, einzig die goldenen Augen durchbrachen seine Finsternis. Nur am Rande registrierte ich, dass jetzt ein wenig Licht in den Raum fiel. Gerade genug, um diesen Mann zu sehen, der mich mit seinen Blicken durchbohrte. Leise knrischte Sand zwischen meinen Zähnen, als ich trocken schluckte. Dieser Kerl ging schweren Schrittes direkt auf mich zu und ich konnte mich nicht bewegen. Bis heute weiß ich nicht, ob es meine Angst war, die mich gelähmt hatte, oder seine Macht. Direkt vor mir blieb er stehen und beugte sich hinab. Vor meinen Füßen lag etwas, das er aufhob. Ein Gefäß, wie es bei der Einbalsamierung für Organe verwendet wurde. "Du hast mich befreit", seine Stimme klang noch immer dröhnend, doch wirkte sie sanfter. "Ich bin Ra, der Gott, der die Sonne verdunkelt. Und du hast mich befreit." Das war der Moment, in dem ich tatsächlich mit meinem Leben abgeschlossen hatte. Da stand dieser große Kerl vor mir, der sich aus der Dunkelheit um mich herum zusammengesetzt hatte, und ich war ihm schutzlos ausgeliefert. Doch statt mich zu töten, zu verletzen oder sonst in irgendeiner Form zu unterwerfen, ging er einfach an mir vorbei. Ein wenig unruhig sah ich ihm nach. Seine Gestalt schien ein wenig zu wabern, als hätte er nicht die nötige Substanz um auf unserer Existenzebene zu verweilen. Seine Schritte klangen schwer, seine Füße wirbelten Staub auf und hinterließen Spuren im Sand, der sich auf dem Stein gesammelt hatte. Und ich blieb allein zurück in diesem Grab. Dieser Gedanke riss mich endlich wieder in die Realität zurück. Wenn ich hier stehen blieb, würde ich doch noch sterben, dachte ich mir. Da ich es nicht besser wusste, folgte ich dem Mann, der sich als Ra vorgestellt hatte. Er bewegte sich sehr zielsicher durch die steinernen Flure, selbst dann, wenn ich schon nichts mehr sah, fand er sich noch zurecht. Er schien sogar auf mich zu warten, wenn ich mich, ob der Dunkelheit, zu weit von ihm entfernte. Erst als der Weg in einer Wand endete, blieb Ra stehen und ich vermutete kurz, dass er sich doch verlaufen hatte, als die große Steinplatte zu Boden fiel. Staub und Sand wirbelten durch das einfallende Sonnenlicht und Ra kreischte auf, wie ein verletztes Tier. Die Grabräuber, die mich begleitet hatten erstarrten und schrien, als Ra sich auf sie stürzte. Er hüllte sie in Schatten und was auch immer er mit ihnen tat, es klang nicht friedlich. Als er sich wieder mir zu wand, blickten seine Augen direkt in meine Seele. Zumindest fühlte es sich so an. Kraftvoll schritt er auf mich zu und erneut bangte ich um meine Existenz, war von den Anderen doch keine Spur mehr zu sehen. Statt mich ebenfalls zu verschlingen - dass er das mit ihnen getan hat, hab ich zum Glück erst später erfahren - legte er mir nur eine Hand auf die Schulter und näherte sich mir noch weiter. Mit rasendem Herzen schloss ich die Augen, nicht wissend, was geschehen würde. Gerechnet hatte ich jedenfalls nicht mit dem zarten Kuss, den er auf meine Lippen pflanzte. Als ich die Augen wieder auf schlug, war er fort. Ich war allein am Eingang dieses Grabes und musste mir zum ersten Mal in meinem Leben Gedanken über meine Sexualität machen. Und ich musste zusehen, wie ich wieder nach Hause kam. Der Weg nach Hause erschien mir endlos lang. Ich fuhr zum ersten Mal in meinem Leben ein Auto und bis ich wieder in der Zivilisation angelangt war, hatte ich es auch schon fast drauf. Dennoch hielt ich es für besser, am Stadtrand den Wagen stehen zu lassen und mit dem Bus zum Flughafen zu fahren. Das war einfach sicherer. Im Flugzeug hatte ich endlich die Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen. Ich beobachtete durch das Fenster, wie Ägypten immer kleiner wurde und dann das Meer unter mir hinweg fegte. Als ich endlich zurück im vereinigten Königreich war, das Flugzeug verlassend dankte ich Gott, endlich wieder in London zu sein. In dem Moment war ich mir nur nicht mehr so sicher, welchem Gott ich dankte. Nachdem ich mein Gepäck genommen hatte und den Flughafen verlassen wollte, wurde ich aufgehalten. Ein Mann mit graumeliertem Haar und tiefen Falten bat mich nachdrücklich, ihm zu folgen. Und das tat ich. Er brachte mich zu einem Taxi, das uns ins Stadtzentrum fuhr. Von dort aus fuhren wir aus der Stadt heraus und mehrfach im Kreis. Ob wir wohl verfolgt wurden? Oder wollte man nur, dass ich nicht wusste, wo wir hin fuhren? Seufzend lehnte ich mich zurück. Vielleicht hätte ich nicht so leichtsinnig mitkommen dürfen. Ich war nur einfach so erschöpft, dass ich die Gefahr nicht bemerkte. Irgendwann kamen wir dann an unser Ziel. Eine herunter gekommene Fabrikhalle, die schwer bewacht wurde. Nun wurde mir doch wieder flau im Magen, doch mir lange Sorgen machen konnte ich nicht. Ich wurde gezwungen dem Mann zu folgen, bis hinein in einen Raum voller Lampen. Er reichte mir eine Sonnenbrille, die ich gerade noch rechtzeitig aufsetzte, bevor er das Licht einschaltete. Wieder hörte ich dieses unmenschliche Kreischen und Ra sprang aus meinem Schatten hervor. "Geh, Kind", sprach der Mann und ich wurde aus dem Raum heraus gezerrt. Kurz nur konnte ich Ra noch sehen, bevor sich die Tür vor mir schloss und ich fort gejagt wurde. Das ist inzwischen 50 Jahre her und ich kann verstehen, wenn Sie mir nicht glauben, aber bitte: Ich will ihn noch einmal sehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)