Tenseigas Schutz - I von Amalia-chan (Wo Gegensätze sich berühren, beginnt die Vorstellungskraft) ================================================================================ Kapitel 2: Ein wohlgehütetes Geheimnis -------------------------------------- Die Rückkehr lässt dich den Abschied lieben. (Alfred de Musset) Golden senkte sich das Antlitz der Mutter Sonne vom Himmel auf ihre Welt herab. Gedämpft durch so manches Japanpapier säumten ihre Strahlen den polierten Holzboden zu ihren Füßen im Muster der Schiebetürenreihen. Nicht eine einzige Wolke verdeckte den blauen Himmel an diesem Tag. Es war der Tochter als verhöhnte sie die mütterliche Wiedersehensfreude. Woher auch sollte sie verstehen, wie schwer ihr dieser Gang fiel. Einzig dafür hatten sie sie geschaffen. Ihr war längst weit über ihren Zustand hinaus unwohl. Tee hin oder her. Zentnerschwer wogen die Lagen an Stoff auf ihren zarten Schultern. Wie ausgestorben wirkte die Anlage auf sie kalt - ohne jegliches Gefühl. War sie je eine Heimat für sie gewesen? Sie vermochte sich nicht daran zu erinnern, so unumstößlich hatte der Schock ihr jegliche Wärme entrissen. Selbst von ihrer Schulter klang kein Laut hinter ihrem pechschwarzen Haar hervor. Sie trug es offen, sodass sich der Geruch nach Kirschblüten wie ein naturgegebener Duftschleier um sie gelegt hatte. Es war fast wie damals bei ihrer Ankunft. Nur, dass sie dieses Mal spüren konnte, wie sehr es ihn quälte. Es brach ihr das Herz, als sie ihr unmenschliches Meeresblau kaum merklich auf sein so fremdartiges Silber vor sich erhob. Automatisch erinnerte sie die Weichheit seiner Struktur – und verankerte sie fest in ihrer Erinnerung. Er gab den Takt vor, in dem das Metall ihres Begleiters zu ihrer Seite klirrte, ebenso wie der Stoff ihrer Damen, welche sie flankierten die leeren Gänge entlangscharrte. In gewohnt stoischer Gleichgültigkeit schritt er voran, sodass sie abermals nicht darum herumkam, ihn um seine meisterhafte Kunst, die Fassung zu wahren zu beneiden. War ihr doch längst ein jeder Atemzug zu einer einzigen Qual geworden. Denn ein jeder ihrer engbegrenzten Schritte trug sie unweigerlich dem Unausweichlichen entgegen. Nicht, dass sie es nicht gewusst hätten. Es war von Beginn an klar gewesen. Für sie beide. Nicht, dass es ihnen nicht fortan stets bewusst gewesen wäre. Es hatte nie ein anderer Ausgang, eine andere Konsequenz aus ihren Entscheidungen resultieren können. Dennoch fühlten sie sich nicht minder bereit dafür, als wäre es überraschend über sie hereingebrochen. Intuitiv wanderte ihre zierliche Hand an ihre Mitte. Es wurde zu ihrer Rechten im Augenwinkel aufgefangen und mündete in einem mitfühlenden Lächeln, ehe die tiefe Schuld es ungesehen wieder verlosch. Nicht einmal ihre schneeweiße Wölfin wagte ein Winseln. Ihre Verzweiflung war unverkennbar. Das roch nicht nur seine ausgeprägte Nase, hörte nicht nur sein feines Gehör. Doch, er spürte sie in seiner eigenen Brust. So wie ihre Anspannung auch seine Muskeln merklich strapazierte und sein Herz in demselben wilden Rhythmus gegen seinen Brustkorb trieb. Genau so erschwerte sie auch ihm das Atmen. Unmöglich auszumachen, von wem welche Empfindung nun genau stammte. Eine befremdliche und beängstigende Absonderlichkeit, die in nie gekanntem Ausmaß an seiner Fassade zerrte. Sie fürchtete nicht nur ihre Konfrontation, sondern auch seine, erkannte er da. Das Surren seiner machtvollen Energie hatte sich ebenso bedrohlich auf ihre Sinne gesenkt wie auf die Seinen und hielt sie seither unbarmherzig in ihrem eisernen Griff umschlossen. Als der Druck bis ins Unerträgliche anwuchs und ihr Herz zu zerspringen drohte, überraschte sie seine urplötzliche Regung. Pfeilschnell langte seine Klaue an ihr vorbei an ihre Schulter, ohne diese jedoch je auch nur zu berühren. Es ging zu schnell, um sogleich zu begreifen, wessen unerwünschter Präsenz er sich so entledigt hatte. Da stoben bereits die Türen im vertraut gedämpften Schaben auseinander. Ihr entglitt ein Lächeln, als die Berührung seiner Klaue um ihr Handgelenk elektrisierend durch ihren zierlichen Körper fegte. Sie folgte seinem Zug wie einem naturgegebenen Reflex, als er sie vor aller Augen in den kleinen Nebenraum drängte. Das leise Knurren ihrer Wölfin begleitete das Geräusch der sich schließenden Türen in seinem Rücken, als er sie im wahrsten Sinne des Wortes aussperrte. Sogleich gesellte sich die etwas stämmigere Braunhaarige zur schneeweißen Hundeartigen, welche warnend die Zähne fletschte. Beide bezogen sie so unmissverständlich zwischen den Schiebetüren und den jungen Bewaffneten Stellung. „Sie wollen sich doch nur verabschieden“, warb die augenscheinlich Ältere mit den ersten Falten im Gesicht um Verständnis. Auf den ersten Blick standen sich Dämon und Menschenfrau im altvertrauten Zwist feindlich gegenüber. Dann gesellte sich eine Dämonin an ihre Seite. Sie wirkte kaum älter als fünfzehn und war hübsch - auch für ihre Art. „Yoko, Nozomi, geht aus dem Weg“, bat der äußerlich nicht viel älter erscheinende Dämonenkrieger – ein Aufseufzen unterdrückend. Noch schien er einzig seinem Befehl pflichtbewusst nachkommen zu wollen – ohne die Dienerinnen auch nur irgendwie angehen zu wollen. „Du bist jung, Takeo-kun, auch für einen Dämon, deine Position ist noch ohne jegliche Verantwortung. Wie groß also kann dein Fall sein, wenn du deinem Prinzen diesen letzten Wunsch gewährst - und deinen Befehl etwas weiter auslegst? Bedenke, er ist deine Zukunft“, von der Alten zeigte offensichtlich Wirkung. Besagtem Dämonenprinzen fehlte bereits jegliches Interesse an dem Geschehen vor den geschlossenen Türen. Sein Raubtiergold lag längst charakteristisch funkelnd im Halbdunkeln des ungenutzten Raumes auf ihrem so ansehnlichen Lächeln. Automatisch fanden ihre Arme um seinen Nacken, noch ehe er ihr Gesäß unterfasst und ihr Fliegengewicht in so lange schon wohl vertrauter Weise auf seine Hüfte geladen hatte. Seine Lippen dämpften ihr überraschtes Aufkeuchen, als sie sich sogleich von seiner Wärme gegen die Holzwand gepinnt wiederfand. Sein Kuss war rau und alles verzehrend. Bedürftig und Nähe spendend zugleich. Er gab ihr Halt und Kraft und entzog ihr gleichzeitig jeglichen Bodenkontakt. Die Welt drehte sich um sie allein, als ihre Empfindungen wild in ihnen umeinander purzelten und sie in einen schwindelerregenden Strudel ihrer Gefühle füreinander zogen. Erst, als sie schweratmend voneinander abgelassen hatten, ihre Stirn schwer gegen seine gesackt war, und sein Daumen zärtlich ihre Träne hinfortwischte, erschloss sich ihr die Feuchtigkeit auf ihrer Wange. Diesmal musste er nicht danach fragen, warum sie weinte. Es senkte ihr unergründliches Götterblau auf sein raubtierhaftes Gold. So voller Zuneigung, wie er es einzig von ihr kannte. Wieder versank er haltlos in ihrem Meeresblau, welches die runden Pupillen ganz weit in den Hintergrund entrückte, wie es die Eigenart der Götter war. Es entriss ihm seine restliche Fassung, als sie ihre Fingerkuppen auf ihre einzigartige Art und Weise über seine Dämonenstreifen tupfte- wie Regentropfen im leichten Sommerregen. >Ich kann das nicht<, überflutete seine Gedanken mit ihrer Trauer. „Ishizu“, entfuhr es ihm sogar - und kribbelte durch ihren Körper. Es kam verdächtig nahe an ein Seufzen heran. Sie spürte ihn um seine eigene Fassung ringen. Diesmal tat es ihr weh. „Lass mich meinen Onkel...“, begehrte sie flüsternd auf. Ein letztes Mal. Ihre Verzweiflung drohte ihn zu überwältigen. Also stoppte er es in einem gefühlvollen Kuss. Verzweifelt krallten sich darunter ihre filigranen Finger in sein flüssiges Silber, während sie sich so eng an ihn schmiegte wie die Ertrinkende an das rettende Holz. „Es scheint dir unmöglich, nicht zu hoffen, Göttin der Hoffnung“, entlockte diesmal ihr einen leisen Zug um ihre Mundwinkel. Er spürte ihn direkt über den Seinen. Die Belustigung verwehrte sich ihnen beiden, als sie einzig mit traurigem Glanz in den so atemberaubend ansehnlichen Zügen seinen Pony zurückstrich - einen Abklatsch ihres sonst so heiteren Lächelns auf den Lippen. >Wenn sie es schafft, wird er mich niemals wieder zu dir lassen<, davon war die Tochter felsenfest überzeugt. >Es ist kein Ort für euch – geh mit ihnen<, demaskierte seine Machtlosigkeit gnadenlos. Auch weil er sich wiederholte – gefühlt zum x-ten Male innerhalb der vergangenen Nacht. Längst erkundete ihre Fingerkuppe verträumt die Weichheit seiner Sichel auf seiner Stirn. Automatisch glitt sein Raubtiergold hinauf an die Ihre. Zu der Unmöglichkeit, die er ihr aufgedrängt hatte - vor so kurzer Zeit. Und die nun alles offenbart hatte und mit einem Schlag beendete. „Ich werde mich ihm widersetzen, wenn sie nicht...“, flüsterte sie mit erstickter Stimme und musste doch abbrechen. Sie brachte es einfach nicht über ihre Lippen. Wie sollte sie es denn dann, gesetzt den Fall, überstehen? Es warf ihn schlagartig zurück in seine eigene Ohnmacht. War er ehrlich, so wusste er gerade nicht recht zu sagen, ob er sich das so wünschte. Nur, dass es der einzig gangbare Weg war, solange sie noch so hilflos war. Dennoch nickte er. Niemals könnte er sie abweisen. Zart tupfte sie da ihre Lippen auf seine, ehe ihre Stirn zurück gegen seine fand. >Ich bin dein<, ereilte ihn so voller Gefühl – und hallte in völligem Wohlgefallen durch seinen Körper. Es entsprang der fassungslosen und schier grenzenlosen Freude über die undenkbare Unmöglichkeit ihrer Verbindung, welche die Grenzen ihrer Welt erbeben ließ. Sie hatte vor langer Zeit nachgegeben, erkannte er da. Mochte sie es ihm auch starrköpfig, wie sie war, bis jetzt nicht preisgegeben haben. Nun lag es offen vor ihm. So wie die Unmöglichkeit ihrer Verbindung offen vor aller Welt lag. Es raubte ihm ein schmales Lächeln, ehe er seine Lippen hingebungsvoll mit ihren verschloss. Geräuschvoll brach ihr Luftholen unter den begierigen Zärtlichkeiten immer wieder die geruhsame Stille. Ihre Atmung erzitterte hörbar unter ihrer Verzweiflung. Es war ein gestohlener Moment der Zweisamkeit, eine stibitzte Zärtlichkeit, wie es so Unzählige gegeben hatte. Und doch sprengte es diesmal jegliche Gewohnheit. >Ich weiß nicht, wie...<, offenbarte die Last ihrer Verantwortung. >Du setzt einen Schritt vor den anderen, Ishizu<, entlockte ihr einen Laut der reinen Niedergeschlagenheit an seinen Lippen. Es war von solcher Bitterkeit getragen, dass es ihn schier zerriss. Immer fester umschlangen ihn ihre zierlichen Arme. Ganz eng schmiegte sich ihr so wohlvertrauter Körper an ihn, als wollte sie ihm die Luft zum Atmen rauben. Immer drängender, immer verzweifelter trafen sich ihre Lippen. Ihre Atemzüge erfüllten die Luft und doch wollte niemand vom anderen ablassen, bis sie sich der Lebensnotwendigkeit geschlagen geben mussten. Schwer rangen beide nach Atem, während ihre Hände seine Wangen bargen, Nase gegen Nase sank und ihre Blicke sich erneut verfingen. „Dann will ich, dass du das auch tust“, erwischte ihn eiskalt, mochte sie es auch noch so zärtlich gewispert haben. >Ishizu...< >Ich gebe dich frei. Du bist nicht länger an dein Versprechen gebunden, Sesshōmaru<, ließ ihre liebliche Stimme selbst in seinen Gedanken erzittern. In diesem Moment bereute er, es ihr je erläutert zu haben. Er konnte fühlen, wie weh es ihr tat, als er sachte zurückwich. Nicht weit genug, um ihr seine Präsenz zu entziehen, jedoch ausreichend weit, um sie anzusehen. Die Wand in ihrem Rücken war nicht genug der Stabilität. Sie brauchte einen Moment, um ihren Blick in seinen zu erheben, erspürte sie doch längst den Tadel, der darin für sie lag. >So funktioniert das nicht, Megami.< Er hatte gewählt – nicht einfach nur genommen. So wie sie auch. Beinahe versöhnlich langte sie nach seiner Wange und begann auf ihre einzigartige Weise behutsam über seine Dämonenstreifen zu streicheln – wie nie eine vor ihr dies je vermocht hatte und erst recht niemals eine nach ihr dies vermögen würde. Am Rande registrierten sie die leise Unruhe, welche noch nicht bis vor ihre Türen gelangt war. Beide beschlossen sie in diesem Augenblick, es zu ignorieren, als stattdessen ihre andere Hand den Kragen seines Kimonos packte. Diesmal folgte er ihrem Zug an ihre Lippen. So sehr er sich auch von ihrer hingebungsvollen Zärtlichkeit mitreißen ließ, verfolgte er doch jeden ihrer Gedankengänge – und sie ließ ihn. Nach den letzten Geschehnissen ging sie davon aus, dass die Magie, die eine Bindung erforderte eine andere war, als die, die eine Markierung vermochte. Somit schloss sie völlig richtig, dass die Kinder, die aus einer Markierung hervorgingen im Nachteil waren. Darum wurden die aus einer Bindung bevorzugt. Dennoch hegte Ishizu keinen Zweifel daran, dass seine Macht und sein Potenzial diese Diskrepanz locker auszugleichen vermochten – ebensowenig wie er. >Ich markiere nicht, Ishizu<, fuhr er ihr dennoch gebieterisch dazwischen. Es löste ihre Lippen von den seinen. Abermals strich sie seinen Pony aus seinem Gesicht, während sein Raubtiergold beruhigend hinauf in ihr wild flackerndes Meeresblau sah. „Versprich mir stattdessen, dass du nichts riskierst. Keine sinnlosen Kämpfe, keine Anmaßungen – stirb mir einfach nicht“, flehte sie nahe über seinen Lippen. Es offenbarte schamlos ihre größte Angst: seine Sterblichkeit. Sie hielt ihn nicht für schwach, das wusste er. Vielmehr kannte sie seine Vorliebe für, wie sie es auffasste, riskante Spiele und seinen grenzenlosen Ehrgeiz. Und so trieb es seine Lippen nur erneut herrisch auf die ihren. Noch enger umfasste er ihre zierliche Gestalt da, sodass ihre Herzen sich schmerzvoll zusammenzogen. Es schnürte ihr die Kehle zu – und damit ihm. Sie kämpfte mit den Tränen, schmiegte sich so eng an ihn, als wollte sie ihn ja nie wieder loslassen und presste ihre Lippen nur noch fester auf seine. Sie war nicht einmal mehr bereit dazu, von ihm abzulassen, um zu Atem zu finden. Kein Blatt Papier wollte sie mehr zwischen sie lassen. Als sich die erste Träne aus ihrem vollen Wimpernkranz löste, ging ihr das Poltern der vertrauten Stimme durch Mark und Bein. So hatte sie ihn noch zu selten erlebt - und nie erleben wollen. „Sesshōmaru, muss ich erst reinkommen!“ Sie erzitterte merklich in seinen Armen. Er war unverkennbar gereizt. Und dennoch zeigte der Sohn dieses Mal nicht mal im Ansatz die Bereitschaft dazu, dem Vater Folge zu leisten. Haltsuchend verkrallten sich ihre filigranen Finger in seinem samtenen Haar, als seine Zärtlichkeit unablässig anhielt. >Wir sollten...<, setzte sie behutsam an - ohne es wirklich zu wollen. >Du kannst dem jederzeit nachkommen<, wirkte nicht mal an der Oberfläche versöhnlich. Es war eine Zwickmühle, wie sie im Buche stand. Er hielt sich zurück, verfolgte bewusst ihre Schlussfolgerungen – ohne sich einzumischen. Denn auch ihr war klar, sollte sie ihrem zu Recht aufgebrachten väterlichen Freund nachkommen, würde sie ihren Gefährten zurückweisen. Sie kannte seinen Stolz - und erahnte die fatale Wirkung auf ihn. Das verkraftete er nicht; nicht heute - und nicht gegen den Vater, der sie trennte. Sollten sie ihn jedoch weiterhin ignorieren, machte sie das unwiderruflich zu dem Keil zwischen Vater und Sohn, den Letzterer gerade genüsslich in die frische Wunde trieb. >Willst du mir das wirklich antun und es auf die Spitze treiben?<, fragte sie daher direkt. Da begann er, die Umarmung zu lockern, sodass sie behutsam an ihm entlang auf ihre Beine hinabgleiten konnte, ohne jedoch den Kontakt ihrer Lippen zu lösen. Sie dankte es ihm im Stillen, während die Türen bereits laut krachend in ihren Rahmen fuhren. Diesmal zuckte sie sichtlich zusammen. Ihre Atmung geriet ins Stocken, dennoch ließ sie ihn ihre Zärtlichkeit beenden. Es war sein Gold, welches ruhig ihr flackerndes Meeresblau empfing, als sie die Augen mit flatternden Augenlidern öffnete. Automatisch entglitt ihr ein liebevolles Lächeln, während sein krallenbesetzter Daumen in einer Behutsamkeit die Träne von ihrer Wange strich, wie sie nicht nur der Vater nie zuvor erlebt hatte. „Ihr hattet die ganze Nacht Zeit, euch zu verabschieden“, war ein nur zu deutlicher Vorwurf, den der Sohn eisern mit Nichtachtung strafte, ehe er sich zum Vater umwandte. Der stand in der Tür, den wieder zu Bewusstsein gelangten Flohgeist auf der Schulter. Sein Gebaren weniger erhaben denn offen drohend - und nur zu deutlich erzürnt. Natürlich hatte diesmal niemand eingegriffen. Zur Überraschung aller senkte Sesshōmaru den Blick nicht wie üblich, sondern erhob ihn stattdessen herausfordernd in den des Vaters, seines Fürsten. >Bitte, tu das nicht<, wollte Ishizu gedanklich eingreifen. Er schien es ignorieren zu wollen. Beide, Vater und Sohn, fixierten einander, wie es niemand je für möglich gehalten hätte. Die Temperatur sank auf ein nie dagewesenes Minimum. Es veranlasste diesmal den sonst so beherrschten Herrn der Hunde dazu, seine Augenbraue zu zücken. Eine nur zu deutliche letzte Warnung. Einzig Ais Winseln verklang ungeachtet in der zum Zerreißen gespannten Stille. >Sesshōmaru, bitte, tu dir das selbst nicht an<, zupfte es dann an seinem Ärmel. Letztlich beunruhigten ihn ihre Empfindungen; und lenkten so schlussendlich sein Gold ab vom Vater hin an seine Seite, wohin sie längst gefunden hatte. Ein nie zuvor gekanntes Flehen lag in ihrem Blick, den sie zu ihm hinaufsandte, sodass es ihm eiskalt den Rücken hinablief. Wusste sie etwas? Doch als er nachforschen wollte, senkte sie ihr unergründliches Meeresblau demütig zu Boden. „Wir sind bereit, Oyakata-sama“, bemühte sie sich, die Wogen zu glätten. Beide Hundedämonen erkannten, in welcher Absicht sie den Namen umging. Der Anflug von Wehmut, welcher über die Züge ihres Gegenübers huschte, kaum lag sein dunkles Gold auf ihrem Pechschwarz entging ihr, weil sie es nicht wagte, den ihren zu heben in dem Schuldbewusstsein um ihren Verrat an dem Freund. „Etwas höher bitte, Sesshōmaru-sama. Ich komme noch nicht ran“, brach die kindliche Stimme urplötzlich durch seine Gedanken. Mit keiner Regung offenbarte er die grenzenlose Überraschung, die ihn eiskalt erwischt hatte, als er stattdessen sachte in die Höhe stieg. Rin hatte sich scheinbar in seinem Arm beinahe die Schulter ausgekugelt in dem Bemühen, an die Pflanze über ihnen zu kommen, ehe sie gewagt hatte, ihn zu stören. Mit der anderen Hand hielt sie das seltsam längliche Utensil der Miko und leuchtete längst durch die Finsternis. Seiner Meinung nach teilte sie wenig mit ihren Schützlingen, doch Rin erinnerte ihn an ihre stoische Unnachgiebigkeit. Dennoch drängte sich das Menschenmädchen nie auf, sondern blieb stattdessen ruhig und wartete einfach, bis man ihr nachgeben musste. Nie erhob sie die Stimme. Generell war sie ein sonderbar annehmbarer Mensch, hatte sie doch lange das Sprechen verwehrt und blieb auch heute noch beim Nötigsten. „Hab sie“, lachte sie dann in seine ausdruckslosen Züge, wie einst. Offen und ehrlich – und ohne jegliche Furcht, wie er das nur von einer bis dato gekannt hatte. Abermals pfiff der Wind über die Lichtung, welche allmählich der Dunkelheit anheimfiel. Die Totenstille dröhnte in aller Ohren. Inu Yasha war einfach zu perplex, um auch nur eine Reaktion zu zeigen. 400 Jahre war eine lange Zeit. Er hatte 50 “verschlafen“, notgedrungen, ehe Kagome den Bann gelöst hatte. Und hatte es anfangs schwer gehabt, sich zurechtzufinden. Doch 4 Jahrhunderte ohne den anderen... Und, dass das Sesshōmaru juckte, das hatte selbst er gesehen. Müsste er raten, so war der Ältere zuerst total überrascht, dann geschockt und überfordert, daraufhin besorgt und letztlich fuchsteufelswild gewesen. Er tat ihm doch tatsächlich leid. Instinktiv glitt sein Gelbgold über die verzerrten Züge der Gefährtin seines Bruders. „Wo war sie all die Jahrhunderte?“, wollte Shippō letztlich wissen. Jaken setzte sich derweil an die Rückseite des Reitdrachens – einfach nur völlig erschlagen von den Neuigkeiten. Ihm dämmerte da so eine Ahnung. „Ich nehme an im Palast ihres Vaters“, bemühte Myōga. Und er hatte keinen blassen Schimmer, was sie dazu bewogen hatte, zurückzukommen. „Ich hatte gar nicht gewusst, dass so etwas überhaupt möglich ist“, sprach Miroku wohl nur einen Gedankengang laut aus. Es lenkte alle Blicke umgehend auf ihn. „Was meinst du damit?“, wollte Kagome wissen. Sie löste sich nur allmählich aus ihrer Starre und begann nur langsam damit, in ihrem Rucksack nach der Wasserflasche und der Schale zu kramen. „Nun ja, Kagome-chan“, setzte Sango mit Blick zu ihrem Hōshi da an. „Was Sango damit wohl sagen will, ist, dass unsere helle Magie von den Göttern stammt. Kagome-samas Pfeile läutern Dämonen normalerweise...“, setzte Miroku nachdenklich an. „Wenn nun aber Dämonen sich verbinden, dann verbinden sie auch ihr Yōki“, erläuterte Sango weiter. „Ihr glaubt also, dass ihre göttliche Energie mit der Sesshōmarus...“, setzte Kagome ungläubig an. „Das ist nicht möglich“, taten es sowohl Shippō als auch Jaken sogleich ab. Der eine völlig verblüfft, der andere absolut entrüstet. „Aber `Sesshōmaru-sama´ hat mit Göttern nichts zu schaffen, hm, Jaken?“, hob Inu Yasha den grünen Quälgeist nachäffend vor sich in die Höhe. Es war offensichtlich, dass er mal wieder ein williges Opfer glaubte gefunden zu haben. Erst recht, als der dem jüngeren Bruder seines Meisters in gewohnt feindseliger Manier entgegenstarrte. Seltsamerweise aber blieb der stumm. Selbst Jaken dämmerte gerade, wessen hochgeschätztes Ansehen er da im Begriff war zu beflecken, sollte er sich hier auch nur den Hauch eines Tadels erlauben. Er sah seine Lebenserwartung gerade auf einen neuen Tiefstand sinken. „Nun, das hat uns damals auch verwundert, aber wenn ihr mich einfach wissen lassen könntet, wie die Sache ausging...“, packte Myōga bereits auffällig seinen Reisehut auf Inu Yashas Schulter aus. Kagomes ersticktes „Inu Yasha“, hielt dann auch ihn letztlich auf und beorderte seine Aufmerksamkeit pfeilschnell zurück auf die Göttin. Kagome hatte begonnen, ihr Tuch im Wasser zu tränken, um ihrer Patientin den Schweiß abzutupfen. Letztlich hatten sie in all der Eile nur nach dem Ursprung für ihren Zustand gesucht und ihrem Äußeren keine weitere Beachtung geschenkt. Ihre Kleidung war einfach, unscheinbar und entsprach der hiesigen Landbevölkerung – das Haar trug sie zurückgebunden, wie die Dorffrauen am Feld. Ihre Statur war schlank und ähnelte wohl der von Dämonen. Letztlich hatten sie so alsbald den zierlichen Arm freigelegt, welcher durch die geschwollene und rötlich pochende Erhebung den Insektenstich vermuten hatte lassen. Jetzt jedoch war sie ihrer Neugierde gefolgt und hatte mit dem ansehnlichen Gesicht der Göttin begonnen. Ihre Haut war hell wie Kalzit und makellos. Die Stupsnase klein, die Wangenknochen hoch. Die geschlossenen Lider ließen auf große Augen schließen. Auch wenn sie vor Pein zuckten und aufeinandergepresst waren. Ihr Gesicht glich in Form eigentlich dem des älteren Bruders. Es war spitz und schmal. Nicht einmal der Schmerz vermochte es, ihr ihre betörende Schönheit zu rauben. Doch sobald sie den pechschwarzen Pony, dessen Strähnen auf ihrer Haut klebten, beiseite gestrichen hatte, hatte sie entsetzt innegehalten und nach ihrem Hanyō gerufen. Alle beäugten die blaue Sichel Sesshōmarus mit großen Augen. Jaken schluckte. Das war der Beweis. Sein Meister hatte es vermocht, eine Göttin zu zeichnen. Unvorstellbar. Für so mächtig hatte nicht einmal er ihn befunden. Nicht, dass er das jemals zugegeben hätte. „Das ist kein Mal“, stutzte Kagome. Sie wollte gerade mit dem Tuch die feine Struktur, welche das Mondlicht seltsam brach, erkunden, da fuhr ihr ausgerechnet Myōga dazwischen: „Das würde ich nicht tun, Kagome.“ „Ein Gottesstein“, erläuterte da zur Überraschung aller Inu Yasha. „Sind die nicht normalerweise rautenförmig“, lenkte Myōgas Glubschaugen interessiert hinauf in die Züge des Jüngsten der Söhne seines verstorbenen Meisters. Anscheinend hatte sein verehrter Herr seiner Menschenfrau davon erzählt. Und die wiederum ihrem Sohn. Denn für gewöhnlich wussten ihre Schützlinge kaum etwas über ihre Götter. Er musste also auch das lange vorbereitet haben. „Du meinst, so wie bei den Shitōshin, Inu Yasha?“, quakte Shippō wieder neunmalklug dazwischen. „Sie sind schmaler und kleiner - und keine Zeichnung, eher eine Art Energiestein“, verbesserte Myōga da. „Aber, war das bei denen nicht auch ein Juwel und kein Mal?“, blieb der Kitsunenjunge hartnäckig. Er würde doch bleiben müssen, schon allein ihretwegen. Nicht, dass die Brigade noch auf dumme Gedanken kam. Er musste einzig vorsichtig sein, mit dem, was er ihnen anvertraute. Denn, da machte sich der Flohgeist keine Illusionen. Sollte ihm etwas entkommen, was der Hundedämon auch nur im Ansatz als Gefahr für seine Göttin identifizierte, so war sein Schicksal endgültig besiegelt. „Wie auch immer, bei Göttern erwachsen diese Steine aus ihnen selbst heraus. Es ist keine ihnen von außen eingepflanzte Kraft“, verbesserte Myōga, der sich natürlich wenig um diese vier Daiyōkai scherte, welcher sich sein verstorbener Herr leider nicht mehr hatte annehmen können. Umso besser, dass Inu Yasha-sama sich der Sache endgültig angenommen hatte. Für Inu Yasha war einzig der erste Teil der Erklärung von Interesse. „Berühr ihn nicht, hörst du, Kagome“, mahnte er seine Miko daher sogleich. Wer wusste schon, was die Mischung aus Sesshōmarus Yōki mit der Energie einer Göttin anrichten konnte. Er wollte das jedenfalls nicht herausfinden. Nicht so. Allerdings warf das Ganze hier das Interesse seines Bruders an dieser vermaledeiten Insel in ein neues Licht. Hatte er doch nie recht verstanden, was der auf Hōrai gewollt hatte. Vaters Anliegen waren für den doch nur in ausgewählten Fällen von Interesse gewesen. Nämlich in der Regel dann, wenn es um mächtige Schwerter gegangen war, die der hinterlassen hatte. Zum Aufräumen. Um Ryukotsusei oder auch Menomaru hatte der sich beispielsweise nie gekümmert. Da hatten Tessaiga und er ran müssen. Es musste ihm mehr als nur sehr ungut aufgestoßen sein, dass die sich als Götter ausgegeben hatten, wenn seine Gefährtin eine ebensolche war. Soweit wagte er den Älteren einzuschätzen. Nachdem Kagome sich die Zeit genommen hatte, sich ihre Patientin etwas genauer anzusehen- ohne dabei dem ominösen Stein auch nur zu nahe gekommen zu sein, hatten die Freunde etwas Feuerholz zusammengetragen. Wie es aussah, blieben sie noch eine Weile. Die Nacht hatte sich über die Truppe gelegt, als Kagome gerade ihre neuzeitlichen Streichhölzer, sehr zur Irritation des Grünlings, zur Hand nahm. Sie wollte gerade ansetzen, eines zu entzünden, da huschte die Feuersbrunst zielstrebig an ihr vorbei, riss an ihrem Haar und entzündete das aufgestapelte Holz. Nicht nur ihr Blick glitt mit einem mehr als nur zittrigen Lächeln zu dem Reitdrachen, der bereits wieder einen seiner Köpfe zur Seite der Göttin ablegte. Ach, das konnte der also einfach so, wenn die Nüstern frei waren. „Danke, Ah-Uhn“, kam sie ihrer Erziehung noch nach. Was ein Kindermädchen. „Also war sie in Kannas Spiegel?“, lenkte dann ihr Augenmerk kurz auf Sango. Man sammelte sich gerade um das wärmende Feuer. Kagome prüfte noch einmal den Zustand Ishizus. Ihr Zittern war nur mehr hintergründig. Sie hoffte, das Feuer half - und, dass der dämonische Gefährte bald kam. Sie waren noch nicht lange weg, dennoch, wer wusste schon, wie lange eine Göttin die gegensätzliche Energie aushielt. Damit erklärte sich Kagome zumindest ihre Bewusstlosigkeit, schließlich wirkte nicht nur das Gift in ihr. „Hm, das würde bedeuten, dass Sesshōmaru sie mit Tenseiga befreit hat, als er den Spiegelrand zerstörte. Damit hätte Kannas Spiegel sie nicht nur angezogen, sondern auch noch ihre Seele beheimaten können“, sinnierte Miroku. „Also, weniger ein Yorishiro, sondern eher wie ein Shintai, Miroku-sama“, das konnte sich Kagome nur schwer vorstellen. Wie sollte der Hanyō da rankommen? Andererseits hatte der Spiegeldämon ja auch auf einmal Tessaigas Dämonenenergie absorbieren können. Warum dann nicht auch die einer Göttin? Waren die nicht irgendwie verwandt? „Nunja, Kannas Spiegel hatte ja schon immer die Kraft, Seelen einzufangen, auch die einer Miko, Kagome-sama“, lächelte der Mönch zur Antwort. „Aber gibt es die nicht nur in Schreinen? Also, doch eher ein Yorishiro“, wunderte sich der dämonische Götterbote. Immerhin kannte Shippō die Schreine durch die Erzählungen seines Vaters. „Ein Shintai kann alles sein, was den Kami eine Möglichkeit gibt, in unserer Welt zu sein. Das muss nicht auf Objekte in Schreinen reduziert sein. Yorishiros locken ihre Seelen an. Sobald eine göttliche Seele dann darin verweilt, sprechen wir von einem Shintai, Shippō“, erklärte Miroku so geduldig, dass Sango ihren Blick mit einem leisen Lächeln auf die Mononoke auf ihrem Schoß senkte. Es wurde einzig von Kohaku interessiert beäugt. Inu Yasha behielt derweil seine Gedanken über Mirokus Wortwahl lieber für sich, als er die Arme in seinen Ärmeln verschränkt einzig in das Flammenspiel vor sich blickte. Das klang nach einem weniger freiwilligen Akt, wie die Menschen da ihre Kami "anlockten“. Und, er war sich sicher, dass sein Bruder es da ähnlich sah. "In eine Falle locken und gefangen halten" traf es da wohl eher, ganz so, wie Naraku das wohl für sich entdeckt hatte, nur wie? „Aber ist dann Ishizus Seele kleiner als die von Kagome?“, sprach der Kitsune sogleich einen nicht uninteressanten Aspekt an. „Ishizu-sama“, verbesserte Myōga augenblicklich von Inu Yashas Schulter. Es verklang fast ungehört. „Ein guter Punkt, Shippō, darüber hatte ich mich auch bereits gewundert. Irgendwie scheint Naraku einen Weg gefunden zu haben, die Kapazitäten von Kannas Spiegel auszuweiten. Schließlich war Kagomes Seele das letzte Mal zu groß für ihn“, teilte Miroku mit Blick hin zu Inu Yasha seine Sorgen. „Zumal ihr Körper dann ja auch irgendwo verblieben sein muss, oder hattet ihr sie zuvor gesehen?“, warf Sango ein. Alle schüttelten den Kopf. „Wieso kann sie überhaupt hier sein? Götter wandeln nicht auf Erden.“ Kagomes Einwurf wurde erneut brenzlig für Myōga. Denn natürlich schossen daraufhin wieder alle Augenpaare auf Inu Yashas Schulter. Er seufzte schwer. Warum war er nicht einfach bei Tōtōsai verblieben, da war es kuschelig warm und es gab wesentlich unverfänglichere Themen. „Myōga-jiji“, forderte Inu Yasha eine Antwort. „Das ist eine Ausnahme, die durch ihre Aufgaben bedingt akzeptiert wird. Ihre Käfte sind versiegelt, sodass ihr Aufenthalt das Weltengefüge nicht stört“, er hoffte inständig, dass das genügte. „Also können Götter nicht auf Erden wandeln“, sah der Mönch sein Weltbild vorerst gerettet. „Und, was für eine Aufgabe ist das?“, ließ Shippō bei Myōga den Schweiß ausbrechen. Es wurde mehr als brenzlig. „Myōga“, genügte Inu Yashas Warnung mit geschlossenen Augen, um ihn an seine aktuellen Loyalitäten zu erinnnern. „Sie ist vermutlich hier, um zu lernen, das war auch der Grund für ihren Aufenthalt bei Eurem verehrten Herrn Vater, Inu Yasha-sama“, bibberte Myōga. „Hm, vielleicht schließt der Schwur den genauen Inhalt ihrer Lektionen ein?“, sinnierte Sango mit Blick auf den ziemlich verängstigten Flohgeist, der jetzt am ganzen Leib zitterte. „Scheint fast so, so wie die Angst ihn schüttelt“, stimmte Shippō bei. „Also hat mein Vater ihr beigebracht, was es heißt ein Dämon zu sein?“, zeigte Myōga wiedermal, dass in seinem jungen Meister doch der Vater erkennbar war, wenn auch noch nur in vereinzelten Glanzmomenten. Der Stolz lockerte seine Zunge: „Ja, genau.“ „Und, weil er so beschäftigt war, hat er was, Sesshōmaru dazu verdonnert, sich ihrer anzunehmen?“, erstaunte Kagome. Scheinbar hatte Inu Yasha ein festes Bild von seinem Bruder. „Nicht ganz. Euer verehrter Herr Vater hatte reichlich Mühe, die beiden waren sich bereits bei ihrer Ankunft über jede Kleinigkeit uneins. So sind Götter und Dämonen doch von jeher darauf bedacht, ihre Unterschiede zu betonen anstatt ihre Gemeinsamkeiten.“ „Ja, schon klar, ein gemeinsamer Ursprung - und völlig verschiedene Lebensweisen“, forderte Inu Yasha erbarmungslos weitere Informationen ein – sehr zu Kagomes Verwunderung. Er schien tatsächlich neugierig zu sein, so wie sie alle. „Zu unser aller Überraschung hielt es der Oyakata-sama für recht lehrreich, Sesshōmaru-sama mit der Einweisung der Prinzessin in die Geschichte und die Gepflogenheiten zu betrauen, was zu so mancher Auseinandersetzung führte...“ Bitte, Wasser, machte für Inu Yasha Myōgas Ausführung schlagartig zur Nebensache. Es schien so dringend. „Ist sie bei Bewusstsein?“, kam für alle so überraschend, dass Miroku sich erkundigte: „Wer, Inu Yasha?“ Dessen Blick lag einzig auf Kagome. Er kam sofort an ihre Seite gehüpft, sodass ein jeder verstand, dass er wohl Ishizu meinte. „Warum? Nein“, brachte Kagome verwirrt hervor. Prüfend glitt sie nochmals die schmerzgespannten Züge neben sich ab. Ah-Uhn hob einen seiner Köpfe, sodass sein heißer Atem auf das Gesicht der Göttin warm prallte und vereinzelte Strähnen beiseite blies. Jaken kam sicherheitshalber auch heran, um nach dem Rechten zu sehen. Immerhin handelte es sich um die Gefährtin seines Meisters. Göttin hin oder her, er kannte seine Verpflichtungen. Keiner der Freunde konnte sich einen Reim darauf machen, wie Inu Yasha darauf kam. Einzig Myōga schwieg bedeutungsvoll. „Weil sie gerade um Wasser gebeten hat“, erstaunte Kagome. „Nein, hat sie nicht, Inu Yasha“, korrigierte Sango. „Also kannst nur du sie hören, Inu Yasha“, schlussfolgerte der Mönch mit grüblerischem Blick auf die unnatürliche Schönheit. Solange jedenfalls, bis ihn der argwöhnische Blick seiner Angebeteten eiskalt in den Rücken stach. Der Beweis dafür, wie weise es gewesen war, dass er es bis jetzt wohlwissentlich vermieden hatte, sie anzusehen. Shippō reichte Kagome bereits das abgefüllte Wasser, doch Inu Yashas Hand auf ihrem Unterarm stoppte sie. Wieder schien er zu wissen, was sie meinte. „Ich bringe sie zum Fluss, an dem wir vorbeikamen“, erläuterte er seiner Miko. Die Explosion hatte das Seebett so ausgesprengt, dass von einem See keine Rede mehr sein konnte. Zumal er annahm, dass sie sauberes Wasser bevorzugte. „Dann komme ich besser mit. Sango-chan, darf ich mir Kirara ausleihen?“ „Ja, aber sicher doch“, begleitete bereits die Feuersbrunst, in welcher sich die Mononoke in ihre Riesenform verwandelte. Während Kagome sich mit ihrem Rucksack auf deren Rücken schwang, beugte sich Inu Yasha zu ihrer Patientin herab. Behutsam, fast als berührte er hauchdünnes Glas und befürchtete es könnte jederzeit zerbrechen, umfasste er die zarte Gestalt der Göttin, die ihm so seltsam vertraut erschien, seitdem sie hier war. Es war nicht Sesshōmarus Witterung an ihr, das dämmerte ihm längst, während er in die Dunkelheit des Waldes davonsprang. Der Ast brach leise, als Sango aufstand und an die Seite des Mönchs kam. Beide blickten sie ihren Freunden hinterher, ehe sie die Gelegenheit beim Schopf packte. „Euch ist doch klar, dass nicht einmal Tessaiga Euch noch beschützen kann, solltet Ihr Euch bei ihr nicht zurückhalten.“ Myōga sah keinen Bedarf daran, dem noch etwas hinzuzufügen, als er auf Shippōs Schulter Platz nahm. Der und Jaken wechselten einen vielsagenden Blick, während Miroku sich verlegen am Hinterkopf kratzte und Kohaku einzig den Kopf schütteln konnte. So wie er Sesshōmaru-sama kennengelernt hatte, machte der keine halben Sachen. Inu Yasha stand bis zur Hüfte in der Mitte des breiten Flussarms, dessen Strömung nur mäßig vom Gefälle dahingetrieben wurde. Dankbarerweise fand er so Halt, auch wenn er sich mit seinen Krallen an den Zehen in den Sand des Flussbetts grub, um sicher stehen zu können. Vorsichtig senkte er seine Arme, auf denen ihr Fliegengewicht ruhte. Sie wirkte so zerbrechlich. Das Mondlicht raubte ihrem Teint jegliche Farbe. Dann erhaschte ihn der Windzug bereits im Rücken, der Kagomes Blick überrascht an ihre Seite lenkte. „Kagome-sama, wir haben sie“, sprang ihr bereits Rin eilig entgegen. Das Augenmerk der Angesprochenen verweilte noch für einen weiteren Moment unschlüssig auf Sesshōmaru, der wieder wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Er hatte sie gefunden, gut, so ging keine Zeit verloren. Seine Aufmerksamkeit richtete sich einzig auf Inu Yasha- und der ahnte längst warum. „Sie verlangte nach Wasser“, weigerte der sich, ans Ufer zu stapfen. Kagome nahm derweil die Blume entgegen und kramte in ihrem Rucksack nach dem Mörser-set aus Holz. Auch sie erkannte, was den Hundedämon störte – neben der vermeintlichen “Entführung“. Natürlich konnte der es nicht abhaben, wenn sein “Gestank“ an seiner Gefährtin haftete. Er kam nicht darauf, die Entsprechung im Wolfsdämon in sich zu suchen, als er dem Dämon seine Göttin behutsam in den einen Arm übergab. Keine Ahnung, wie der das anstellen wollte, die zu halten, dachte er noch gerade, da wickelte sich bereits dessen Fellboa um ihre zierliche Gestalt - wie die Würgeschlange um ihre Beute. Auch eine Methode. Er war nicht geneigt zu bleiben, sobald das Raubtiergold von ihm abgelassen – ihn somit entlassen hatte, watete er also zu seiner Kagome zurück. Die stand bereits erwartungsvoll mit der Holzschale in der Hand am Rand und zeigte sich reichlich verwirrt, schien Inu Yasha doch aufbrechen zu wollen. „Ähm, du musst ihr das irgendwie einflößen“, richtete sie noch an Sesshōmarus Rücken. Sie war sich nicht sicher, ob er sie verstanden hatte, zeigte er doch keine Regung. Sein Blick haftete einzig auf seiner Gefährtin in seinem Arm, während er damit begann, sie mit den Füßen voran behutsam ins Wasser einzutauchen. „Er hat dich gehört“, bestätigte ihr Inu Yasha daher, während er ihr den Rücken anbot. „Ich, ähm, stelle sie einfach hier ab“, begleitete das dumpfe Geräusch, als Kagome die Schale auf den Stein am Rand aufsetzte. Mehr konnte und durfte sie wohl nicht tun. „Rin-chan, am besten du fliegst mit Kirara“, bot Kagome dem Mädchen sicherheitshalber noch an. Sie ahnte, dass Sesshōmaru nun allein sein wollte und Inu Yasha wohl gerade deshalb zum Aufbruch drängte. Da er nichts einwandte, sah sie sich bestätigt. Insgeheim war sie stolz auf ihren Halbdämon, bewies er doch ein ungemeines Feingefühl damit. Ob Kikyōs Tod ihm gerade durch den Kopf ging? Wischte ihr das verzückte Schmunzeln von ihren Lippen. Mit einem leisen Anflug von Mitgefühl wandte sie den Blick letztlich von dem Dämon und seiner Göttin ab, während Inu Yasha neben Kirara zum Sprung zurück zu ihren Freunden ansetzte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)