Geister der Vergangenheit von rokugatsu-go ================================================================================ Kapitel 1: Loyalität -------------------- „Haaaah.“ Sakura stellte den Becher Tee, aus dem sie gerade einen großen Schluck genommen hatte, auf den hölzernen Tisch und griff sich die nächste Portion Dangos. „So schlimm?“ Naruto blinzelte seine Kameradin, die ihm an diesem noch warmen, doch wolkenverhangenem Nachmittag im Teehaus gegenüber saß, fragend an, nachdem er die Dangos angeblinzelt hatte, die nun in Sakuras Mund landeten. Eigentlich war das ja seine Portion gewesen. „Du hast keine Vorstellung davon, wie schlimm.“ Die Kunoichi griff nach den noch übrigen süßen Klößchen auf dem Tisch und wurde dabei dieses Mal von Sai, der neben Naruto saß, intensiv beobachtet. „Ich glaube nicht, dass Essen deine Probleme löst. Besonders nicht das Essen unseres Essens“, merkte der blasse Künstler an. „Huh?“ Sakura stutzte. Offensichtlich hatte sie gar nicht bemerkt, dass sie sich bei ihren Kameraden bedient hatte. „Oh!“ Sie lachte verlegen. „Tut mir leid. Ich bestelle euch neue.“ „Also sind deine Eltern jetzt sauer auf dich?“, fragte Naruto, während Sakura dem Kellner zu verstehen gab, dass sie eine weitere Portion brauchten. Die Kunoichi zog eine Grimasse, ehe sie seufzte. „Das verfliegt wahrscheinlich wieder. Das ist typisch für die. Hauptsache, sie machen erst eine große Szene mit viel Geschrei und Gezeter. Das heißt, meine Mutter schreit, mein Vater jammert. Nur weil ich mit Sarada in eine eigene Wohnung ziehe.“ Ihr entfuhr ein frustriertes Schnauben. Nachdenklich legte Naruto den Kopf schief. „Schon seltsam. Hiashi hat mich ja geradezu angefleht, dass wir uns etwas Eigenes suchen. Wie unterschiedlich so etwas laufen kann.“ „Eigentlich ist das nicht seltsam, wenn man bedenkt, dass die Hyuugas Angst hatten, von ihrem alten Anwesen wäre irgendwann nichts mehr übrig, wenn jemand wie Naruto dort noch länger-“, begann Sai seine ungeschönte Antwort, die von einem Tritt gegen sein Schienbein unter dem Tisch jäh unterbrochen wurde. „Häh?“, entgegnete Naruto arglos. „Was meinst du?“ „Sai meint, dass man manchmal Dinge doch lieber nicht ganz so ehrlich sagen sollte, nicht wahr?“ Der Angesprochene musste nicht zweimal überlegen, um zu wissen, dass Sakuras Lächeln kein echtes Lächeln war. Mit schmerzverzerrtem Gesicht beugte sich der Älteste der Runde hinunter und rieb sein getroffenes Schienbein. Dafür, dass dies hier eine kurze Pause von der Arbeit sein sollte, war es wenig erholsam. „Anscheinend meine ich genau das.“ „Ihr drückt euch komisch aus, echt jetzt.“ Sai setzte sich wieder aufrecht hin. „Du kannst dich doch recht glücklich schätzen, Naruto. Deine Schwiegereltern unterstützen Hinatas und deine Unabhängigkeit, während Sakuras Eltern dies nicht tun. Wobei es sicher auch eine Rolle spielt, dass Sakura sie wahrscheinlich nicht sehr sensibel über ihren Auszug informiert hat.“ Die Kunoichi wollte noch einmal nachtreten, doch dieses Mal schwang Sai seine Beine blitzschnell zur Seite und rettete sie auf die Sitzbank, sodass Sakuras Fuß ihr Ziel verfehlte und sie fluchte. „Was treibt ihr da?“ Naruto schüttelte missbilligend den Kopf. „Könnt ihr euch in der Öffentlichkeit nicht benehmen? Echt jetzt.“ Erneut zog Sakura eine Schnute und seufzte. „Von Naruto gerüffelt zu werden .... Jetzt habe ich einen neuen Tiefpunkt erreicht.“ Unglücklicherweise – das musste sie zugeben – hatte Sai wieder einmal Recht. Ihre Eltern hatten ihre Nerven so überstrapaziert, dass sie die beiden mit dem plötzlichen Auszug vor den Kopf gestoßen hatte. Und es auch Geschrei und Gezeter von ihrer Seite gegeben hatte. „Hör mal, Sakura“, sagte Naruto. „Auch wenn deine Eltern manchmal etwas … schwierig sein können, sie haben dir trotzdem bisher immer ohne zu murren mit Sarada geholfen, oder?“ Der gefühlt einhundertste Seufzer an diesem Tag entwich ihr. „Ja, ich weiß. Ich werde mich ja bei ihnen entschuldigen. Aber ausziehen werden wir dennoch. Noch mehr Gemecker meiner Mutter, was ich alles falsch machen würde, ertrage ich nicht. Und ganz sicher auch keinen einzigen Gemüsewitz meines Vaters mehr. Das habe ich jetzt ein Dreivierteljahr mitmachen müssen.“ „Gemüsewitz?“, hakte Sai nach. „Er findet Sarada zum Anbeißen. Sie wird bestimmt mal ein knackiges Gemüse. Aber immer grün hinter den Ohren bleiben. Womit soll ich Sarada baden? Seife oder Dressing? Sarada zu kennen, bedeutet nicht nur Vitamin B, sondern auch Vitamin C zu ha-“ „Stopp, stopp! Bitte, hör auf! Wir haben es verstanden!“, rief Naruto entsetzt aus und schüttelte sich. Das mussten die schlimmsten Wortwitze sein, die er je gehört hatte. Und Sakuras Vater hatte ihn schon mehrmals als „ganz ausgefuchsten Jungen“ bezeichnet oder zu der armen Hinata gesagt, dass ihr Ehemann wohl ihr „Extra Topping“ wäre. Währenddessen fühlte sich Sai plötzlich mehr als dankbar, dass Inos Mutter im Vergleich dazu ein wahrer Engel war. Und dass Ino und er, was die Namensauswahl des Nachwuchses betraf, sehr viel klüger gewesen waren. Man lernte eben auch aus den Fehlern der anderen. „Aaaalsooo“, flötete Sakura mit einem Mal auffällig anbiedernd, „kann ich mit eurer Hilfe für den Umzug morgen rechnen?“ Wenn man die Gesichter der Jungs betrachtete, schienen sie nicht sonderlich überrascht zu sein. „Wusste ich's doch“, antwortete Naruto. „Deine Einladung kam mir gleich so verdächtig vor.“ „Bitte? Wieso das denn?“ „Weil du und Kakashi-taichou nie eine Einladung von sich aus aussprechen“, erwiderte Sai. „Außer ihr wollt etwas.“ „Das ist doch …!“, empörte sich die Kunoichi, während sie innerlich darüber schimpfte, dass sie aufgeflogen war. Blitzschnell ging sie zu Plan B über und ließ traurig den Kopf hängen. „Ich verstehe schon. Ihr wollt einer armen, alleinerziehenden Mutter nicht helfen …. Wenn ich das nächste Mal mit Hinata und Ino spreche, werde ich sie daran erinnern, was für ein Glück sie haben, dass ihre Ehemänner immer im Dorf sind ….“ Die Jungs schluckten. „Ääääh, also morgen“, sagte Naruto hastig, „ja, da kann ich dir natürlich helfen. Auch wenn ich eigentlich Jun beim Training helfen müsste.“ „Bring ihn doch einfach mit!“, schlug Sakura plötzlich freudestrahlend vor. „Das wird ein prima Krafttraining!“ „Ich fürchte, ich habe zu viel zu tun“, äußerte Sai entschuldigend, „aber mich würde etwas interessieren: Als wir Naruto geholfen haben, hat er uns hinterher alle zu Ichiraku eingeladen. Ich nehme an, das entfällt hier zugunsten der Erpressung?“ „Ich erwarte dann wenigstens Naruto morgen um Punkt acht Uhr. Wenn du es einrichten kannst, darfst du auch gerne kommen, Sai.“ Sakura ignorierte seine Frage mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht, als plötzlich ein jüngerer Ninja an ihrem Tisch auftauchte. „Sai-taichou, der Hokage verlangt nach Ihnen.“ Für einen kurzen Moment wurde Sais Miene ernst, bevor er sich mit seinem üblichen Lächeln von seinen Kameraden verabschiedete. „Entschuldigt mich bitte. Die Arbeit ruft.“ Dann eilten er und der andere Shinobi davon. „Hmm“, stellte Sakura fest, „war das Einbildung oder schien Sai plötzlich sehr angespannt zu sein?“ „Dann hätten wir uns das beide eingebildet“, antwortete Naruto besorgt. „Ich hoffe, da ist nicht schon wieder irgendwas im Gange.“   „Ein weiterer Überfall?“ Sai sah ernst in die Runde, die sich im Hokagezimmer versammelt hatte und neben ihm aus dem Hokage, Yamato, Yugao und Genma bestand. „Es war ein glücklicher Zufall, dass Genmas Team vorbei kam, als das andere Team gerade in einen Kampf gegen die Angreifer verwickelt war“, erklärte Kakashi. „Sie griffen auch Genmas Team an, doch brachen ab, als sie merkten, dass sie kein leichtes Spiel hatten. Leider konnten sie alle flüchten.“ „Wir mussten uns um die Verletzten kümmern.“ Entgegen seiner sonst so coolen Art konnte man Genma den Frust und die Wut über das Geschehene deutlich anmerken. „Und das attackierte Team?“, hakte Sai beklommen nach. Der Hokage nahm einmal tief Luft. „Die Genin sind verletzt, aber sie werden durchkommen. Allerdings kam für ihren Lehrer jede Hilfe-“ „Ich verstehe“, sagte der Dunkelhaarige schnell, sodass Kakashi den Satz nicht beenden musste. „Gibt es noch weitere Ähnlichkeiten zu dem Überfall von vor zwei Tagen?“ „Das Genin-Team wurde auf dem Rückweg von ihrer Mission in einem Dorf an der Grenze angegriffen und die Angreifer trugen Tiermasken“, erzählte Yugao, was Genma ihr berichtet hatte. „Aber die Gruppe bestand nur aus vier Leuten.“ „Einen von ihnen haben Raidou und ich im Kampf verletzen können“, warf Genma ein. „Aber so wie die gekämpft haben … das waren keine einfachen Banditen. Nicht einmal eine Bande gewöhnlicher Abtrünniger. Die kämpften auf Anbu-Niveau.“ Abrupt erhöhte sich Sais Anspannung. „Anbu-Niveau?“ „Das war noch nicht alles“, sagte Kakashi. „Du erinnerst dich, was eine der Genin des zuerst attackierten Teams gestern ausgesagt hat?“ Sai überlegte kurz. „Dass einer der Angreifer gesagt hätte, Konoha könne seine Genin nicht beschützen?“ Ein bitterernstes Nicken des Sechsten bestätigte seine Antwort. „Die Typen, denen wir begegnet sind“, erklärte Genma weiter, „sagten das Gleiche. Und als ich fragte, wer zum Teufel sie seien, antworteten sie nur, dass sie 'Chugi' seien.“ „Chugi …?“, wiederholte der Jüngste im Raum zunehmend nachdenklicher und besorgter werdend. „Loyalität? Sie nennen sich Loyalität?“ „Es ist nicht schwer zu erraten, an wen wir da als erstes denken“, warf Yamato ein. „Doch bisher wissen wir nicht mehr als das.“ „Die zwei getöteten Jonin standen auch in keinem Verhältnis zueinander“, erklärte Yugao. „Und der Hintergrundcheck des ersten Opfers hat bisher keinerlei Hinweise ergeben.“ Seit Kakashi ihn zu dem ersten Vorfall hinzugeholt hatte, hatte Sai bereits ein unheilvolles Gefühl gehabt. Er hatte es bisher nicht angesprochen, denn dafür war die Beweislage zu dünn, doch nun staute das schlimme Gefühl sich immer weiter auf und quoll fast über. „Kakashi-taichou“, begann Sai, unsicher, wie er dies vortragen sollte, „da die Shinobi außerhalb Konohas angegriffen wurden, ist dies eigentlich keine Angelegenheit für die Polizei. Sie haben mich mit diesem Fall beauftragt, weil Sie denken, die Angreifer könnten ehemalige Ne sein, nicht wahr?“ Inmitten all seiner Sorgen, die diese Vorfälle in ihm auslösten, überkam Kakashi kurz erneut ein wenig Stolz auf seinen Schützling. So geschickt wie Sai kombinieren konnte, hatte er gute Chancen irgendwann zum Leiter der Polizeieinheit aufzusteigen. Auch wenn der Hokage schon ahnte, dass dies einem gewissen anderen dunkelhaarigen Schützling aus seinem Team wahrscheinlich gegen den Strich gehen würde. „Vielleicht wäre es voreilig, jetzt schon diesen Schluss zu ziehen, allerdings … will ich keine Wiederholung der Ereignisse aus dem letzten Jahr, daher werden wir diese Möglichkeit unter uns in Betracht ziehen, aber nach außen nicht öffentlich machen.“ Trotz des Gefühls einer wachsenden Schwere in seinem Innern nickte Sai. Unter gar keinen Umständen wollte er es zulassen, dass sich etwas so Dramatisches wiederholte. Er sah sich in der Verantwortung, das Dorf, seine Familie, seine Kameraden und auch den Hokage zu beschützen. Kakashi hatte so viel für ihn getan und Sai war der festen Überzeugung, dass Kakashi für ganz Konoha mindestens so viel Gutes tun konnte. Auf ihn baute er seine Hoffnungen für die Zukunft. Sicher, Naruto würde irgendwann den Posten übernehmen und sehr wahrscheinlich auch einen guten Job machen, aber – dies war kein Geheimnis – Naruto war noch lange nicht so weit. Und so sehr er dem blonden Überraschungsninja auch vertraute und so viel er ihm auch zutraute … Naruto würde als Hokage mit Sicherheit einen besseren Start hinlegen können, wenn er auf ein solides Fundament aufbauen konnte. Ein Fundament, das Kakashi nun legte. „Wäre es nicht ratsam, die Bewachung des Hokage zu erhöhen?“, fragte der blasse Shinobi und erhielt von dem Erwähnten ein Stutzen, gefolgt von einem kopfschüttelnden Lächeln als Antwort. „Das ist sehr fürsorglich von dir, aber dadurch würde es zu schnell zu offensichtlich, dass wir die Ne im Verdacht haben.“ Yugao seufzte tief, als der Sechste dies vortrug. „Ich hab auch schon mein Glück mit diesem Vorschlag versucht. Hoffnungslos.“ „Alter Sturkopf“, warf Genma, eine Augenbraue hochziehend, ein. „Hey, hey“, wehrte sich Kakashi, „ich kann schließlich auch noch ganz gut selbst auf mich aufpassen. Außerdem haben wir keine unendliche Anzahl an Anbu zur Verfügung. Ich habe einige zusammen mit ein paar Jonin losgeschickt, um die Teams, die noch unterwegs sind, aus dem Schatten heraus zu unterstützen. Zusätzlich werden die Schutzmaßnahmen im und außerhalb des Dorfes verstärkt. Yugao, teile deine restlichen Leute für weitere Patrouillen ein.“ Die Oberste der Anbu nickte und verbeugte sich, nachdem sie den Befehl entgegengenommen hatte, aber dass die Sorge um den Hokage sie immer noch umtrieb, war ihr anzumerken, als sie Genma einen bittenden Blick zuwarf. „Schon klar.“ Das Senbon, das er im Mund trug, machte klackende Geräusche, als er leicht grinste. „Zur Sicherheit werden wir zudem Nachrichten an die anderen Kage schicken“, erklärte Yamato. „Wir werden sie fragen, ob irgendjemand von dieser Gruppe schon einmal etwas gehört hat und ob es auch in den anderen Reichen solche Überfälle gegeben hat. Damit können wir sehen, ob sich unser Verdacht erhärtet oder nicht und es sollte den Aufrührern, die im Dorf sind, vorspielen, dass wir noch nichtsahnender sind als wir es tatsächlich sind.“ „Das klingt nach einem guten Plan.“ Der Inhalt von Sais Äußerung passte nicht zu dem Gesicht, das er machte. Er war nach wie vor beunruhigt und er konnte nicht den Finger darauf legen, was es war, das ihn an der ganzen Sache noch störte. Übersahen sie nicht etwas? „Dich stört noch etwas, nicht wahr?“, bot Kakashi an und er blickte auf. „Die Aufrührer, die im Dorf sind“, wiederholte der Hokage Yamatos Formulierung mit einem Seufzer. „Wir haben bislang rein gar nichts zu ihnen herausfinden können. Wie konnten die zwei Genin-Teams auf ihren Missionen von den Angreifern abgefangen werden?“ Er atmete gedankenschwer aus. „Da gibt es nur eine Möglichkeit. Einer der Ne musste die Missionszuteilungen kennen.“ Bei diesen Worten zuckte Sai zusammen. Das war es! Das war es, was ihn so aufgewühlt hatte! Einer der Verschwörer war unter den Ninja, die für die Missionszuteilungen zuständig waren. Das hieß dann allerdings auch …. „Wir wissen schon wieder nicht, wem wir trauen können“, murrte Genma genervt. „So ist es“, bestätigte Kakashi ihm achselzuckend. „Das ist ein weiterer Grund, warum nichts von unserer kleinen Besprechung nach außen gelangen darf. Wenn plötzlich jeder jeden verdächtigt, werden die Strukturen zusammenbrechen und ich vermute, genau darauf könnten die Ne lauern.“ Er legte eine kurze Pause ein, nach der er wieder ein Lächeln aufsetzte. „Zum Glück hatte Yamato das letzte Mal schon einen ganz guten Riecher dafür, welche Leute uns auf jeden Fall zur Verfügung stehen. Das ist immerhin ein kleiner Lichtblick. Und den werden wir brauchen, wenn wir Konoha beschützen wollen.“ Alle Anwesenden nickten und Sai schluckte gleichzeitig schwer. Die Ne. Was hatten sie vor? Hatten sie wahrhaftig einen Plan B für ihren Putsch? Hätte er mehr tun können, um zu verhindern, dass es überhaupt so weit kommen konnte? Hatte er zu zaghaft gehandelt, weil er sich ihnen noch verbunden fühlte? Erschrocken stolperte Sai über den letzten Gedanken.   „Da seid ihr ja endlich!“ Sakura kam ihrem blonden Kameraden und dessen Schützling entgegen, als sie an der Treppe ankamen, die zu der Wohnung von Sakuras Eltern führte. „Es ist schon viertel nach acht.“ „Du wirst mir doch jetzt wegen fünfzehn Minuten keinen Vorwurf machen, oder?“ „Solltest du Jun nicht ein Vorbild in Sachen Pünktlichkeit sein?“ Naruto schüttelte den Kopf und hob oberlehrerhaft einen Zeigefinger. „Es ist wichtig für einen jungen Genin, sich in Geduld zu üben. Daher ist es eine wertvolle Lektion für ihn, wenn er auf mich warten muss.“ Ein Auge von Sakura fing bei diesem Vortrag an zu zucken. „Hörst du eigentlich, was du da sagst?“ „Ich weiß voll und ganz, was ich tue.“ Von sich selbst sehr überzeugt, nickte Naruto, während Sakura sich seufzend mit einer Hand an die Stirn fasste. Offensichtlich bekam dieser Idiot selbst nicht mit, was er da alles verdrehte. „Guten Morgen!“ Jun verbeugte sich so tief und enthusiastisch vor der Kunoichi, dass seine inzwischen mittellangen braunen Haare schwungvoll in sein Gesicht fielen und seine großen, grünen Augen verdeckten, die Sakura seit ihrer ersten Begegnung schon am meisten an ihm mochte. „Es ist mir eine Ehre, jemand so Legendärem wie Ihnen helfen zu dürfen.“ Leicht rosa anlaufend, musste die Kunoichi lachen. Immerhin hatte Naruto den Jungen noch nicht ganz vermurkst. Was für gute Manieren er hatte! Vielleicht konnte ja der Schüler auf den Lehrer abfärben? „Ach was“, hörte sie da Naruto sagen, „das ist doch nur Sakura. Wegen der musst du nicht so einen Aufriss mach-aaauuuu!“ Jun blinzelte seinen von ihm über alle Maßen verehrten Lehrmeister aufmerksam an … als dieser mit einem Schlag von Sakura auf die Matte geschickt wurde. „Willst du 'nur Sakura' noch etwas mitteilen?“, fragte die junge Frau und ließ bedrohlich ihre Fingerknochen knacken. „Neinneinnein!“ Flugs sprang Naruto wieder vom Boden auf und rieb sich die Beule am Kopf. „Sind Sie in Ordnung, Sensei?“ Jun blinzelte ihn erneut unschuldig an. Verlegen fing der Jonin an zu lachen. „Huh? Äh, natürlich! Ich wollte dir damit nur demonstrieren … äh, wie, wie …“ „Wie wichtig ein gutes Krafttraining ist?“, bot Sakura spöttisch an. „Genau! Und niemand haut mit kräftigeren Schlägen als Sakura, ahahaha!“ Beeindruckt nickte der Junge, ehe seine Mimik sich aufhellte. „Dann wollten Sie mir mit dieser Demonstration zeigen, dass ich so viel trainieren soll, dass ich Sie mit einem Schlag umhauen kann?“ „Jajaja! Genau so ist es, echt jetzt!“ Meine Güte, dachte die Kunoichi, da haben sich ja zwei gefunden. Hoffentlich glaubte Jun nicht alles, was Naruto ihm an Weisheiten verkaufte. Von dem, was sie bisher mitbekommen hatte, saugte der Junge alles, was sein Chaot von Lehrer ihm erzählte, wie ein Schwamm auf. Sie wusste auch nicht, für wie beunruhigend sie es halten sollte, dass Jun neuerdings eine Kombi aus orangefarbener Hose und Jacke trug. Immerhin war der Schnitt bei beiden Teilen anders als bei Narutos altem Outfit und statt des Blau, das ihr Kamerad früher getragen hatte, waren die Akzente in der Kombi des Genin in dem gleichen kräftigen Türkis wie sein hervorlugendes T-Shirt gehalten. Dass das besagte Shirt einen orangenen Kringel auf der Frontseite hatte, wollte Sakura lieber ignorieren. Derweil suchte Naruto fragenden Blickes die Umgebung ab. „Kommt Sai tatsächlich nicht?“ „Ihr müsst leider auf ihn verzichten“, sagte da aus dem Nichts eine Frauenstimme. Als Naruto sich umdrehte, sah er Ino, samt des kleinen, schlafenden Inojin auf dem Arm, dort stehen. „Er lässt sich entschuldigen. Er muss arbeiten.“ Argwöhnisch stutzte Naruto. „Wenn Sai viel zu tun hat, heißt das gewöhnlich nichts Gutes.“ „Er hat halt eine Position mit viel Verantwortung“, entgegnete Ino und ihr Tonfall grenzte an Prahlerei. „Da hat man eben viel zu tun. Mein Sai ist sehr wichtig für das Dorf und so wie er sich abrackert, hat er vielleicht sogar das Zeug zum Hokage. Der Sechste jedenfalls ist ganz begeistert von ihm.“ „Waaas??“ Narutos Unterkiefer klappte geschockt nach unten. „Sai will doch nicht …! Sai würde doch nicht …!“ „Ist alles in Ordnung, Sensei?“ Jun blinzelte seinen verehrten und blass gewordenen Meister wieder fragend an. „Na-ru-to.“ Sakura schüttelte den Kopf. „Ino will dich ärgern.“ „Häh?“ Als die Blondine neckend kicherte (und ihr inzwischen aufgewachter Sohnemann unheimlicherweise auf die gleiche Art kicherte), dämmerte es Naruto, dass er auf den Arm genommen worden war. „Pffff“, machte er und versuchte ganz leger, den Schweiß, der sich auf seiner Stirn gebildet hatte, mit einer Hand wegzufächern. „Das war mir doch klar. Aber ernsthaft, Ino, beim letzten Mal, dass ich Sai so ernst und gestresst erlebt habe, hatte das einen üblen Hintergrund gehabt. Weißt du, ob es dieses Mal-“ „Nein“, fiel sie ihm ins Wort, „mach dir keinen Kopf. Wie lange wollt ihr eigentlich noch hier stehen und nicht arbeiten? So wird das mit dem Umzug aber nichts.“ „Oweia“, rief Sakura nach einem Blick auf ihre Uhr aus, „jetzt aber schnell!“ Sie lief zur Wohnung ihrer Eltern hoch und Jun ihr sogleich hinterher, was Naruto die Möglichkeit gab, sich noch einmal an Ino zu wenden. Es war doch keine Einbildung gewesen, dass sie eben, als sie ihn unterbrochen hatte, flüchtig zu Jun geschaut hatte? „Ino ...“, begann Naruto ernst und die Angesprochene seufzte. „Konzentriere dich heute darauf, Sakura zu helfen. Der Hokage und Sai werden dir schon früh genug Bescheid geben, wenn sie dich brauchen. Mehr sage ich dazu jetzt nicht. Kannst du bitte vernünftig sein? Um Juns Willen?“ Der Jonin zögerte einen Moment lang mit seiner Antwort. „In Ordnung“, sagte er letztendlich, „Kakashi weiß schließlich, was das Beste für uns alle ist.“ Erleichtert über sein Einsehen, trottete Ino ihm hinterher.   „Ich habe jetzt noch nicht so ganz verstanden, warum du den ganzen Tag hier bist.“ Keuchend stellte Naruto einen schweren Karton neben dem Sofa ab, das er und Jun zuerst in Sakuras neue Wohnung transportiert hatten und auf dem nun Ino, flankiert von Inojin und Sarada, saß. „Pah! Was für eine Frechheit!“, polterte die junge Frau. „Ich beaufsichtige nicht nur eure Arbeit, ich passe zudem noch auf Sarada auf!“ „Meine Eltern hatten heute keine Zeit“, erklärte Sakura, nachdem sie Jun gezeigt hatte, wo er die Kiste, die er trug, abstellen und auspacken sollte und sich selbst den Schweiß von der Stirn gewischt hatte. Sie hatte den ganzen Tag über mit angepackt und ganz nebenbei den Genin nachhaltig beeindruckt, als sie allein einen massiven Esstisch die Treppen hinauf in ihre neue Bleibe geschleppt hatte. „Und diese zwei Tätigkeiten lasten dich so aus, dass du keinen Karton auspacken kannst?“ Naruto bereute seinen Kommentar, als eine Vene auf Inos Stirn hervortrat. „Nerv mich bloß nicht! Ich habe heute echt nicht viel Geduld übrig!“ „Ist denn etwas, Ino?“, fragte Sakura behutsam nach. Der Blick der blonden Kunoichi wurde sorgenvoll und ging zu ihrem Sohn. „Inojin macht andauernd diese Niesgeräusche. Aber er hat kein Fieber oder sonst etwas.“ „Hmm?“ Sakura besah sich den kleinen Jungen. Außerordentlich blass war er immer und er wirkte auch nicht müde, sondern gluckste quietschvergnügt, als sie ihn anlächelte. Nur hin und wieder runzelte er sein kleines Näschen, machte einen Laut, der kaum als Niesen durchging und schien sich darüber zu freuen. „Ich glaube nicht, dass das etwas Besorgniserregendes ist“, beruhigte sie die Freundin. „Sollte es schlimmer werden oder irgendetwas hinzukommen, kannst du mit ihm bei einer Kollegin im Krankenhaus vorbeischauen. Ich habe mir diese Woche frei genommen, aber ich kann sie wirklich empfehlen. Sie arbeitet schon sehr lange dort und ist viel geschulter und erfahrener mit Kinderkrankheiten als ich es bin. Und sehr nett ist sie auch. Ich war mit Sarada auch schon bei ihr, als ich nicht weiter wusste.“ „Wenn Sakura sie für eine gute Ärztin hält, muss sie wirklich was drauf haben“, bemerkte Naruto, der alles mit angehört hatte. „Boruto hat bisher alle anderen Ärzte, die ihn untersuchen sollten, vergrault. Nur weil er anfängt, lautstark zu brüllen, wenn sich ihm ein Arzt nähert.“ „Vergiss nicht, dass er auch nach ihnen schnappt“, ergänzte Sakura und rieb sich bei der Erinnerung an ihren Versuch, den jungen Uzumaki-Spross zu untersuchen, den damals gebissenen Finger. „Das müssen deine Gene sein, Naruto. Du schaffst es ja auch nicht, die Anordnungen eines Arztes zu befolgen.“ Durch das Geplänkel der beiden Mitglieder von Team Sieben und Sakuras Rat beruhigt, nickte Ino zustimmend. „Danke, dann werde ich die Lage erst einmal weiter beobachten. Ich will ja auch nicht überreagieren.“ „Wie kommst du darauf, dass du überreagierst?“, fragte Sakura und stutzte, als Ino aus ihrer Rocktasche ein kleines Büchlein zog. „77 Hinweise, dass Sie genau zu den Eltern werden, über die Sie zuvor die Augen gerollt haben und zu denen Sie eigentlich nicht werden wollten“, prangte der sperrige Titel vom Buchdeckel. „Sai hat dir bitte nicht so ein Buch gegeben?!“ Sakura starrte die Lektüre in Inos Händen entsetzt an. Die Angesprochene räusperte sich verdächtig. „Nein … er hat das nicht gekauft.“ Das Entsetzen in Sakuras Mimik wurde stärker, als sie begriff, was die andere Frau andeutete. „Oh nein, Ino, sag mir bitte nicht, du hast dir das gekau-“ „Hahaha!“, prustete Naruto äußerst belustigt dazwischen. „Das meinen die Leute also, wenn sie sagen, Paare, die viel Zeit miteinander verbringen, färben irgendwann aufeinander a–aua!!“ Ino hatte das Büchlein nach ihm geworfen und sowohl Inojin als auch Sarada fanden diese Aktion so amüsant, dass sie diese mit einem vergnügten Glucksen kommentierten. „Wo wir gerade bei Paaren sind, die ganz bestimmt nicht aufeinander abfärben“, wechselte Ino nach einem drohenden Blick in Narutos Richtung das Thema und wandte sich wieder an Sakura, „hast du etwas Neues von deinem Göttergatten gehört?“ Das tiefe Seufzen, das die rosahaarige Kunoichi daraufhin von sich gab, war allen Anwesenden eine mehr als deutliche Antwort. „Er meldet sich leider nicht so oft, wie ich gehofft hatte. Nach meinem letzten Stand treibt er sich wohl immer noch irgendwo an der Westküste herum und versucht, mehr über diesen Schrein herauszufinden, den wir in Konjo hatten aufsuchen wollen.“ „Der Schrein, der zerstört und ausgeraubt wurde?“, hakte Naruto nach. Die Briefe, die er von Sasuke erhielt, waren ebenso rar und diese Geschichte mit Konjo hatte er nur von Kakashi erfahren. Sakura nickte bekümmert. „Er ist im Moment so besessen davon … er denkt wahrscheinlich gar nicht daran, was er hier verpasst.“ Ihr betrübter Blick wanderte zu Sarada, die die Mutter mit ihren schönen schwarzen Augen anblinzelte. Ino und Naruto tauschten einen besorgten Blick aus, den Sakura aus dem Augenwinkel bemerkte. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Aber irgendwann wird er wiederkommen und bei Sarada und mir bleiben und wir werden als Familie zusammenleben und dann wird diese trübe Phase hier vergessen sein.“ Während man Ino ansehen konnte, dass sie Sasuke am liebsten ein paar Schläge verpassen wollte und Naruto spürbar damit haderte, Sakura ausnahmslos zuzustimmen, ergriff ausgerechnet der zurückhaltende Jun, der still im Hintergrund die Kisten ausgeräumt hatte, das Wort. Mit einem Bilderrahmen in der Hand ging er zu Sakura. „Entschuldigung“, sagte er und hielt ihr das Foto hin, „das war in einem der Kartons für das Schlafzimmer, aber gehört es nicht eher zu den Bildern von Sarada und Ihren Eltern ins Wohnzimmer?“ Verwundert nahm Sakura das Bild entgegen und musste wahrhaftig lächeln, als sie sich besah, was der Junge ihr gegeben hatte. „Ja, du hast Recht, Jun. Wie dumm von mir. Das hier gehört natürlich zu den Familienfotos. Es zeigt ja schließlich die Familie, die immer bei mir ist.“ Sie stellte das Foto, auf das Sai damals bestanden hatte und welches das gesamte Team Sieben zeigte, zu den anderen Bildern. „Naruto“, fügte sie immer noch lächelnd hinzu, „habe ich dich eigentlich schon zu deinem großartigen Schüler beglückwünscht?“ Naruto lachte lediglich und wuschelte kräftig durch die Haare des schüchtern lächelnden Genins. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)