Der Mond und seine Sonne von Nesaia_ ================================================================================ Kapitel 1: Der Mond und seine Sonne ----------------------------------- Der Mond und seine Sonne Kälte kroch ihm in die Knochen, als er wie versteinert und tief in Gedanken versunken in die Ferne starrte. Das eisige Lied des Windes pfiff ihm um die Ohren und ließ die langen blonden Strähnen tanzen. Der Himmel wurde von dem fahlen Licht des vollen Mondes erhellt, der wie der mystische König der Nacht hoch am Firmament thronte und mit seinem Schein, der einen in der Finsternis fast blendete, die kleinen Sterne, die zwischen den Wolkenfetzen blitzten, nahezu überstrahlte. Mikey war wie dieser Mond. Ein helles Licht in der allgegenwärtigen Dunkelheit, das vielen als Orientierung diente und dem viele folgten, weil sie glaubten, er könnte sie durch die Nacht führen. Doch der Mond hatte keine eigene Helligkeit, er wäre nicht mehr als ein großer, kalter Fels in der Unendlichkeit, gäbe es nicht die Sonne, die ihn ins rechte Licht rückte und ihn strahlen ließ. Und Mikeys Sonne war Ken. Sein höchst eigenes Licht der Hoffnung. Ohne ihn wäre er nur ein verlorener kalter Fels, ein Trümmer in einer nicht enden wollenden Nacht. Doch wie alle Sterne war auch Ken unerreichbar. Sein Herz schien sich zu verkrampfen bei dem Gedanken an seinen besten Freund, während sein Blick weiter über das dunkle Wasser schweifte, in dem sich die Lichter der Großstadt spiegelten. Er lehnte sich über das eiserne Geländer, das die Straße vom Strand trennte und das mit einer dünnen Schicht frostiger Blumen überzogen war. Es war still geworden an der Küste, nur das Meer rauschte grollend ans Ufer und von weitem drang das Signalhorn eines Schiffs an sein Ohr, das gerade in den Hafen einfuhr und ihn zurück in die Realität holte. Er atmete tief durch und die Atemwolken vermischten sich mit vereinzelten Schneeflocken, die der frostklirrende Wind vorbeitrieb. Mit steifen Fingern schlug Mikey den Kragen seines Mantels hoch und vergrub sie dann tief in den Taschen. Nein, er war nicht einsam. Ganz und gar nicht. Das wäre ja lächerlich. Er war der Anführer einer Gang und seine Mitglieder und Freunde, lagen ihm zu Füßen. Beteten ihn regelrecht an. Sie vergötterten ihn, liebten ihn. - Alle. Aber es war nicht diese Art von Liebe, die er sich wünschte. Eigentlich wünschte er sich diese andere Art von Liebe nur von einem, doch dessen Herz gehörte schon einer anderen und wer wusste das besser als er? Und selbst wenn es nicht so wäre, zwischen ihm und seinem Vize, konnte – durfte es nie so eine Liebe geben. Eine Liebe, bei der einem das Herz höher schlug, wenn man nur an den anderen dachte. Eine Liebe, bei der man sich nach dem anderen verzehrte, ihm nah sein wollte, ihn berühren – küssen wollte. Dabei stand er gar nicht auf Männer. Zumindest hatte er es nie. Aber Ken, sein Ken-chin, sein Draken berührte seine Seele und sein Herz auf eine Art, die er selbst nicht richtig verstand. Wenn er in der Nähe war, schienen Mikeys Dämonen im Innern zu schweigen und die Narben auf seiner Seele weniger zu schmerzen. Dieser wunderschöne junge Mann machte aus ihm einen besseren Menschen, half ihm, den rechten Weg zu finden. Ohne ihn war alles kalt und einsam. Leerer und dunkler als die Nacht zu Neumond. Es war nicht geplant gewesen, sich zu verlieben. Sich in ihn zu verlieben, und er wusste auch nicht, wann es passiert war, dass aus Freundschaft mehr für ihn wurde. Aber das stand außer Frage, Ken stand nicht auf Männer. Zudem war seine Schwester an ihm interessiert. Sie hatte ihn verdient. Die zwei konnten glücklich werden. Er hatte ihn nicht verdient. Er war ein egoistischer Kindskopf, mit dem es niemand wirklich lange aushielt. Zu oft traf er miese Entscheidungen und ihm schien die Dunkelheit auf dem Fuße zu folgen. Eine Dunkelheit, die imstande war Welten zu verschlingen. Mikey war hierhergefahren, um seinen Kopf wieder freizubekommen und die Dinge an die richtige Stelle zu rücken, doch er bezweifelte, dass es funktionieren würde. Heute war der 24. Dezember. Sollte er nicht wie alle anderen beseelt vom Geist der Weihnacht sein? Sollte er nicht eine mentale Wärme und Licht in sich spüren? Aber genau das Gegenteil war der Fall. Düsternis schien in sein Inneres zu sickern und er fühlte sich so einsam, wie dieser Küstenstreifen von Yokohama, der zwischenzeitlich menschenleer vor ihm lag. Mit jeder Minute wurde es kälter und nicht nur in seinem Herzen. Es tat so unbeschreiblich weh. Warum zu Hölle tat es nur so weh? Er biss die Zähne aufeinander, um sie am Klappern zu hindern. Hatte er diese Jahreszeit eigentlich immer schon gehasst? Er wünschte sich weg von hier. Er wusste nicht wohin, aber einfach nur weg. Weit weg. Oder zurück in die Zeit, als das Leben nicht mehr war als ein großes kindliches Abenteuer. Es war nicht so, dass er nicht versucht hatte, sich den großen Blonden aus dem Kopf zu schlagen und sich mit Mädchen, sogar mit anderen Jungs zu befassen, aber es hatte nichts gebracht. Die Wahrheit war, er hatte jede Minute gehasst, die er nicht mit seinem Freund verbringen konnte, und er hasste es noch mehr, wenn Ken seine Aufmerksamkeit anderen schenkte. Nicht mal zu einem Kuss hatte er sich überwinden können. Und so war er als großer Anführer einer Gang immer noch ungeküsst. Und jetzt an Weihnachten hatte er viel zu viel Zeit, um darüber nachzudenken, was ihm fehlte. Auf einmal heulte hinter ihm der Motor eines Bikes auf. Er musste sich nicht erst umdrehen, um zu wissen, dass es Kens Maschine war. Kurz schloss er die Augen und für einen Moment hoben sich seine Mundwinkel. Die Andeutung eines Lächelns. Natürlich hatte er ihn gefunden, sie waren Seelenverwandte. Der Lärm verebbte und sein Vizekommandant trat neben ihn, so eng, dass sich ihre Schultern wie zufällig berührten, und unwillkürlich schlug Mikeys Herz ein paar Takte schneller. Obwohl er nicht damit gerechnet hatte und es niemals zugeben würde, hatte er ihn insgeheim herbeigesehnt. Vielleicht hatte er deshalb diesen Küstenstreifen ausgesucht. Und er war tatsächlich zu ihm gekommen. War ihm gefolgt bis Yokohama, bis zu dem Strand, an dem sie schon in ihrer Kindheit zusammen Zeit verbracht hatten. „Was zur Hölle machst du hier? Es ist verdammt noch mal Weihnachten.“ Kens tiefe, von Wut geschwängerte Stimme schien seinen Körper vibrieren zu lassen und jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken. „Die Frage ist wohl eher, was zur Hölle du hier machst?“, keifte Mikey zurück, bemüht, sich den inneren Konflikt nicht anmerken zu lassen. „Ah, verdammt! Was denkst du wohl? Ich hab dich gesucht.“ „Tss... Das hättest du dir sparen können. Ich wollte allein sein. Also verschwinde!“, brummte Mikey ohne den Blick vom Meer abzuwenden. „Niemand will an Weihnachten allein sein.“ Nein, natürlich wollte er das nicht. Er wollte bei ihm sein. „Ach ja?“ „Du bist so ein Trottel! Wie kann man bei dem Wetter allein nachts mit dem Motorrad nach Yokohama fahren? Willst du dich umbringen? Ich sollte dir eine reinhauen. Verdammt Mikey, ich hab mir beschissene Sorgen gemacht.“ Er rollte mit den Augen und verkniff sich die Erwiderung, zumal Ken mit dem Bike durch dieselbe fürchterliche Nacht gefahren war und das irgendwie seine Schuld war. Sie standen eine ganze Weile schweigend nebeneinander. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Kens Blick allmählich weicher wurde, und er lächelte sogar. Mikey mochte es, wenn er lächelte. Wenn seine tiefblauen Augen strahlten wie dunkle Saphire. Natürlich konnte er sich daran erinnern, als wäre es gestern gewesen, wann er dieses Lächeln das erste Mal gesehen hatte. Doch das schien in einem anderen Leben gewesen zu sein. „Warum bist du nicht bei Emma? Meine Schwester hätte bestimmt gerne Weihnachten mit dir gefeiert.“ Erneut wanderte sein Blick über das Wasser. „Wie hast du mich überhaupt gefunden und vor allem, wieso hast du mich gesucht?“ Ken gab ihm keine Antwort. Stattdessen zog er einen roten Schal aus der Innentasche seiner Jacke und legte ihn um seinen Hals. „Dein Weihnachtsgeschenk“, kommentierte er wortkarg. „Ken-chin? Aber ... Wieso schenkst du mir einen Schal?“ Jetzt sah er seinen Freund an, doch dieser hatte den Blick wieder aufs Meer gerichtet. „Du brauchst einen.“ Er griff nach dem flauschigen Stoff und vergrub sein Gesicht darin. Wie weich und warm er doch war und er roch ein wenig nach Ken. Wärme stieg in seine Wangen. Er nuschelte etwas Unverständliches in den nicht vorhandenen Bart. „Hast du was gesagt?“, fragte Ken eine Spur zu laut und hob sich die Hand ans Ohr, als wäre er schwerhörig. „Man, du nervst! Ich sagte: Danke, verdammt!“ Ken grinste. „Gern geschehen.“ „Ich hab Hunger. Wenn du schon da bist, dann füttere mich!“ „Hä? Du spinnst wohl. Wir müssen zurück. Das Wetter soll echt übel werden.“ Mikey schob wie ein schmollendes Kind die Unterlippe vor. „Ich hab Huuuunger!“ Ken zog seine Brauen zusammen. „Meine Fresse, du nervst! Lass uns schnell zum Weihnachtsmarkt gehen. Der ist hier ganz in der Nähe und man hat einen herrlichen Blick auf den Hafen“, seufzte Ken. „Da gibt es Glühwein und Bratwürste, gebrannte Mandeln und Lebkuchen.“ Mikeys Augen wurden groß wie Christbaumkugeln. Er strahlte wie eine Weihnachtselfe über beide Ohren und stürmte an Ken vorbei Richtung Marktplatz. Schon von weiten hörten sie Weihnachtslieder und als sie näher kamen, stiegen ihnen all diese köstlichen Gerüche in die Nasen. Sie durchschritten den Eingang, über dem ein riesiger Schlitten samt lebensgroßem Weihnachtsmann und Rentieren thronte, und wenige Minuten später standen sie an einem weißen Stehtisch, tranken Punsch und aßen Wurst mit scharfer Soße. Es war Heiligabend und der Markt war von innigen Liebespärchen geradezu überfüllt. Mikey ließ es sich nicht anmerken, wie sehr es ihm jedes Mal einen Knuff versetzte, wenn die Pärchen händchenhaltend an ihnen vorbeischlenderten und verliebt kicherten. Etwas, das er nie haben würde, egal wie sehr er es sich auch wünschte. An Weihnachtswunder glaubte er schon lange nicht mehr. Da half auch der Punsch nichts. Aber er war mit Ken hier und das war schon mehr, als er sich erhofft hatte. „Oh Mann, ist mir jetzt schlecht“, stöhnte Mikey und stopfte sich eine weitere Handvoll gebrannter Mandeln in den Mund. „Die sind aber auch einfach viel zu gut.“ „Wie kann man nur so viel von dem süßen Zeug in sich reinstopfen? Gib endlich die verdammte Tüte her!“ Er entriss sie ihm. „Den Rest bekommst du morgen.“ „Hey... Du bist nicht meine Mutter.“ Er musste sich zusammenreißen, dass er ihm nicht die Zunge rausstreckte. Aber wahrscheinlich hatte er wie immer recht – dieser Spielverderber. In dem Moment fing es wieder an zu schneien. Was für ein Mist. Sie schlenderten noch ein wenig über den Markt, doch Mikeys Schritte wurden zunehmend schleppender. *********************** ********************* Natürlich war Mikey nach all den Leckereien und dem heißen Punsch in sein übliches Food-Koma gefallen, und Ken war nichts anderes übrig geblieben, als seinen Anführer huckepack zu nehmen, und ins nächstbeste Hotel zu tragen. Dabei hatte er den Sack noch gewarnt, aber Mikey war einfach unverbesserlich. Er hätte ihm erst gar keinen Lebkuchen und gebrannte Mandeln kaufen sollen. Jetzt hatte er den Salat. Das hier war ja so typisch für den Kleinen. Er war echt anstrengend, aber er verließ sich auf ihn, also was hatte er für eine Wahl? Er war ein sehr wichtiger Mensch in Mikeys Leben und Ken musste schmunzeln, da ihm diese Tatsache eigentlich mehr als gefiel und sich sogar verflucht gut anfühlte. Es schneite zwischenzeitlich so stark, dass man keine drei Schritte weit sehen konnte. Na klasse! Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Auf einmal wurde er sich der angenehmen Wärme in seinem Rücken bewusst, die ihn bis tief in die Seele zu entflammen schien. Seine Nähe tat so gut, dass sie Kens Schritte federn ließ und das Gewicht kaum noch zu spüren war. Der heiße Atem in seinem Nacken jagte ihm eine prickelnde Gänsehaut die Wirbelsäule hinunter und er hätte keinen einzigen Moment missen wollen. Seine Bikerstiefel trieften vor Nässe, doch mit dem komatösen Chaoten auf dem Rücken blieb ihm nichts anderes übrig, als das Zimmer zu betreten und so hinterließ er eine hässliche Schneematschspur auf dem abgelatschten Fußboden. Aber eigentlich war es ihm scheißegal, zumal das Zimmer die reinste Zumutung war, aber das hatte sich Ken schon gedacht, als er die Lobby des Hotels betreten hatte. Immer noch besser, als im Freien zu übernachten. Eigentlich grenzte es an ein Wunder, dass sie überhaupt noch ein Zimmer bekommen hatten. Schließlich war Weihnachten und hier wurde einer der bekanntesten Weihnachtsmärkte im ganzen Land veranstaltet. Ein Gast war wohl nicht erschienen und da das Zimmer schon bezahlt war, hatten sie es auch noch fast umsonst bekommen. Wahrscheinlich würde das Geld eh in der Brieftasche des zwielichtigen Typs an der Rezeption landen. Er legte seinen Freund vorsichtig auf die rote Tagesdecke des Doppelbettes ab. Mikey schien ja wirklich völlig fertig zu sein. Ken lachte leise. Scheiße, der kleine Mistkerl sah einfach viel zu niedlich aus. Nein, nicht niedlich. Eher...? Eher – verdammt sexy. Oh fuck, was dachte er da schon wieder? Mikey war ein Junge und dazu noch sein bester und längster Freund und der Anführer ihrer Gang. Hatte er sich nicht verboten, solche Gedanken zu haben? Er ballte die Hände zu Fäusten, um sich davon abzuhalten, ihm nicht die verirrten Strähnen aus dem Gesicht zu streichen. Stattdessen zog er ihm die Schuhe aus und deckte ihn zu. Schnell eilte er ins Bad, um sich wieder unter Kontrolle zu bringen, doch der Knoten in seiner Brust schnürte sich noch enger. In letzter Zeit kam es viel zu oft vor, dass Kens Gefühle Achterbahn fuhren, und am liebsten hätte er einfach die Flucht ergriffen, doch das Wetter ließ es nicht zu, dass er heute noch zurückfuhr. Zudem wollte er den Quälgeist auch nicht alleine lassen. Mikey machte es ihm aber auch wirklich nicht gerade leicht. Natürlich wusste dieser nicht, was er für ihn empfand, aber es hatte Ken wirklich verletzt, dass er ihn mehr oder weniger mit seiner Schwester Emma verkuppeln wollte. Wusste die blonde Terrorwanze nicht, dass er ihm keinen Wunsch ausschlagen konnte, selbst wenn er so absurd war wie seine Schwester zu daten? Er hatte es noch nicht einmal aussprechen müssen. Allein die Andeutung hatte gereicht, um zu wissen, was Mikey wollte. Dafür kannte er ihn einfach zu gut. Er konnte ihm meist jeden Wunsch von seinen dunkelblauen Augen ablesen, die seinen so ähnelten und hinter denen viel zu oft eine bleierne Traurigkeit lag, die nur er sehen konnte. Es gab da etwas zwischen ihnen, das nur sie hatten. Ein tiefes Verständnis, das über normale Freundschaft hinaus ging. Etwas, das nur schwer zu begreifen war und nur, wenn er mit Mikey zusammen war, fühlte er sich erst lebendig. Scheiße, ja, er würde alles für Mikey tun und ihm wohl wirklich überall hin folgen, selbst in die Hölle, wenn es sein musste. Aber das alleine war noch lange nicht alles und das wusste Ken. Es war ihm von Tag zu Tag bewusster geworden, bis es sich nicht mehr ignorieren ließ. Er war so was von am Arsch. Und da gab es noch etwas, das Ken in letzter Zeit immer bewusster geworden war. Auf Mikeys Seele gab es einen dunklen Punkt, an den er noch nicht mal ihn blicken ließ und der sich meist mit einem viel zu breiten Lächeln zeigte. Eine Dunkelheit, die er vor der Welt verschloss und dann musste sich selbst Ken fragen, was wirklich in seinem Kopf vorging. Er öffnete seinen Zopf und legte das Haargummi beiseite. Eine Dusche würde sicher Wunder wirken. Ihn auf andere Gedanken bringen und die kalten Glieder wieder aufwärmen. Er drehte den Hahn auf. Wenigstens gab es heißes Wasser. Er zog einen der bereitliegenden Bademäntel an und als er zurück ins Schlafzimmer kam, lag Mikey zusammengerollt wie eine kleine Katze im Bett und schlief immer noch tief und fest. War das wirklich der unbesiegbare Mikey, der unerbittliche Anführer von Toman? Wenn man ihn so sah, konnte man es kaum glauben. Er sah aus wie ein Engel und das war er auch. Zumindest, wenn man den wahren Menschen hinter all diesen vielen verschiedenen Masken kannte. Den herzensguten Jungen, der sterben würde, um seine Freunde zu beschützen. Er setzte sich zu ihm auf die Bettkante und augenblicklich beschleunigte sich sein Puls. Mikey war wirklich alles für ihn. Ihm zu begegnen, war das Beste, das ihm je passiert war. Er hatte seinem Leben eine Richtung gegeben. Einen Sinn. Kens Blick wanderte zu seinen Lippen. War es egoistisch von ihm, wenn er ihn für sich haben wollte? Immer und zu jeder Zeit? Wenn er ihn halten und nie wieder loslassen wollte? Ihn beschützen wollte? Wenn er ihn küssen wollte? Wahrscheinlich war es das und er gestand sich ein, was das alles bedeuten musste. Verdammt, sein Herz schlug so laut in seiner Brust. Wann hatte er sich eigentlich in ihn verliebt? Seine Finger wanderten langsam zu Mikeys Wange. Doch dann zuckten sie zurück, schwebten unsicher über seinem Kopf und strichen ihm dann ganz sachte die Haare aus dem Gesicht. Verdammt, seine Stirn, war sie warm? Er legte die flache Hand darauf. Vielleicht ein wenig. Langsam öffnete Mikey die Augen und sah ihn mit glasigem Blick an. „Wo bin ich hier?“ „Wir sind in einem Hotel.“ Er setzte sich langsam auf, rieb sich wie ein Kätzchen die Augen und sah sich dann um. „In einem Hotel?“ „Ich glaube, du hast Fieber. Ich sollte einen Arzt rufen.“ „Was? Nein! Mir geht’s gut. Ich muss mich nur ein bisschen ausruhen.“ Er schwang die Beine aus dem Bett. „Aber zuerst brauche ich eine Dusche und dann verkrieche ich mich in den Laken. Und ich habe Durst.“ Ken stand auf. „Ich besorge dir eine Flasche Wasser.“ Mikey nickte und verschwand mit schleppenden Schritten im Bad. In der Lobby hatte Ken einen Automaten gesehen, den er jetzt zielsicher ansteuerte. Hoffentlich hatte sich sein Freund nicht etwas Schlimmeres eingefangen. Wahrscheinlich machte er sich unnötig Sorgen, schließlich haute den Kleinen nichts und niemand so schnell um. Als er zurück ins Zimmer kam, schlurfte Mikey gerade in einen viel zu großen Bademantel gehüllt aus der Dusche. Ken lachte leise. „Klappe! Gib mir lieber das Wasser.“ Er schnappte sich die Flasche und trank sie halb leer. Ken sah ihn tadelnd an. „Du könntest dich wenigstens bedanken oder brichst du dir einen Zacken aus deiner Krone?“ „Klappe! Ich bin krank. Du musst dich um mich kümmern!“ Er ließ sich auf das Bett plumpsen, krabbelte unter die Decke und zog selbige über seinen Kopf. „Was jetzt? Krank oder nicht? Deinem Mundwerk scheint es ja noch gutzugehen.“ Er setzte sich auf das schäbige Sofa und legte die Beine hoch. Der alte Stoff kratzte unangenehm an seinen Waden und die Sprungfedern waren deutlich zu spüren. Er wollte gerade eine bequemere Position suchen, als sein Freund wieder unter dem Federbett auftauchte. „Legt dich zu mir!“ „Und wenn ich mich anstecke, wer soll sich dann um dich kümmern.“ „Du wirst dich schon nicht anstecken. Du wirst eher krank, wenn du die ganze Nacht im Bademantel auf dieser winzigen Couch sitzt. Leg dich schon zu mir!“ Ken seufzte ergeben, zuckte mit den Schultern, schaltete das Licht aus und legte sich neben seinen Freund mit so viel Abstand, wie es das Bett zuließ, und zog die Decke über seine Hüften. Mikey drehte sich auf die Seite und sah ihn einfach nur an. Sein Gesicht im Halbschatten. Wieso machte ihn das so zappelig, dass es schon wieder sein Herz aus dem Rhythmus brachte? „Was? Spuck’s schon aus!“ „Wieso bist du hier?“, wiederholte er seine Frage, die er ihm schon zuvor am Strand gestellt hatte, und sah ihm so tief in die Augen, dass Ken glaubte, er könnte die Antwort auf seiner Seele lesen. „Und sag nicht wieder, dass du dir Sorgen gemacht hast. Warum bist du wirklich da?“ Nervös schluckte er. Dann schüttelte er den Kopf. „Ich sage es dir, wenn du mir zuerst sagst, warum du dich an Weihnachten bei Wind und Wetter aus dem Staub gemacht hast?“ Mikey schloss für einen Moment die Augen und atmete tief ein. „Ich war einsam.“ „Hä? Du warst einsam und dann fährst du in der Nacht davon? Alleine? Ohne ...“ „Ich war einsam ohne dich, Ken-chin“, unterbrach er ihn und eine leichte Röte war auf seinen Wangen zu erkennen. Jetzt checkte Ken überhaupt nichts mehr. „Aber du hast doch gewollt, dass ich Weihnachten mit Emma verbringe, oder hab ich das verkehrt verstanden?“ „Ja, hast du! – Nein, hast du nicht.“ Er senkte den Blick. „Aber eigentlich ... also eigentlich ... eigentlich wollte ich mit dir die Feiertage verbringen. Nur mit dir.“ Mikey schob die Hand zu ihm herüber und griff vorsichtig nach seiner. In Kens Kopf überschlugen sich die Gedanken. Hatte er richtig gehört? Hatte er es richtig verstanden? Wollte sein Freund ihm sagen .... oder ...? Sein Herz schlug so fest gegen seine Rippen, dass es weh tat. Nein, das konnte nicht sein. Er wusste, dass er da nur etwas falsch verstanden haben konnte. Mikey sah ihn wieder durchdringend an, während er die Finger in seine verschränkte. „Und jetzt sag schon! Wieso bist du hier? Wieso bist du mir gefolgt?“ Ken zögerte und schloss kurz die Augen. Aber er konnte es auch ebenso gut gleich hinter sich bringen. Er würde sowieso auf die eine oder andere Art sterben und gerade war es am wahrscheinlichsten, dass ihn der Anführer seiner eigenen Gang umbringen würde. Mit bebenden Fingern führte er Mikeys Hand zu den Lippen und küsste sie vorsichtig. Wartete darauf, dass er sie ihm entriss, und er machte sich auf den Schlag gefasst, den ihn erwartete, aber nichts der Gleichen geschah. Er sah ihn nur mit großen Augen und offenem Mund an. „Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich mich in dich verliebt habe?“ Seine Stimme klang so ruhig, dass es ihn angesichts des Gefühlschaos, das in seinem Innern tobte, selbst wunderte. Wahrscheinlich war es der Schock, dass Mikey ihn ansah, als wäre ein Weihnachtswunder geschehen und ihm nicht, wie erwartet, die Eingeweide weich prügelte. „Ken-chin ...?“ Stahlen sich da etwa Tränen in die Augenwinkel des Kleinen? „Ich hab schon viel falsch gemacht in meinem Leben und einiges bereut. Aber es tut mir nicht leid, dass ich mich in dich verliebt habe. Ich liebe dich, Mikey, hörst du?“ Noch ehe er reagieren konnte, hatte sein Freund die Distanz zwischen ihnen überwunden und presste die Lippen auf seine, einfach so. Der Kuss war ungestüm und ungeübt, aber er war das schönste Geschenk, das er je zu Weihnachten bekommen hatte. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)