Wetten, dass ...? von yamimaru ================================================================================ Kapitel 18: #18 --------------- Seit Minuten standen Die und er vor dem Weihnachtsbaum im Wohnzimmer, den der andere als Hintergrund für ihre Fotos auserkoren hatte. Vermutlich musste an dieser Stelle nicht erwähnt werden, wie wenig Lust er darauf hatte, nun zu posieren, oder? Nein, sicher nicht. Das schien auch Die bemerkt zu haben, denn der finstere Blick, mit dem er gerade in Grund und Boden gestarrt wurde, hätte selbst ihren Strahlemann Toshiya in eine Salzsäule verwandelt. „Kannst du mir einen Gefallen tun?“ „Und der wäre?“ „Könntest du bitte für ein einziges Foto nicht so dreinschauen, als hätte ich dich vor den Baum geprügelt?“ „Schon gut, schon gut, entschuldige, ich reiß mich zusammen.“ Kaoru musste sich ein Lachen verkneifen. Er stellte immer wieder fest, dass es einfach nur herrlich war, Die etwas zu ärgern. Übertrieben blähte er die Wangen auf und verzog den Mund, schließlich musste er seine eingefrorene Miene wieder auftauen, und Dies amüsiertes Glucksen war noch die Kirsche obenauf. „Bleib so!“, rief sein Freund in diesem Moment aus und grinste seinem Handy breit entgegen. „Bist du jetzt zufrieden mit den Bildern?“ „Eines noch, okay?“ Kaoru nickte ergeben und Die, der bis eben neben ihm gestanden hatte, trat einen Schritt zurück, sodass er nun hinter ihm stand. Noch bevor Kaoru fragen konnte, was er vorhatte, legte sich ein Arm um seine Mitte und Dies warmer Atem kitzelte über sein Ohr. „Bitte recht freundlich.“ Kaoru fühlte sich nicht nur, wie das sprichwörtliche Reh im Scheinwerferlicht, er musste auf dem Foto auch bestimmt so aussehen. Aber Die war endlich zufrieden mit seiner Auswahl an Bildern, denn sein warmer Arm verschwand und keine Sekunde später war auch sein Handy wieder verstaut. Kaoru blinzelte – irgendwie war ihm das alles gerade zu schnell gegangen. „Soll ich dir die Bilder nachher schicken?“, rief Die aus dem Flur und erst jetzt kam wieder Leben in ihn. „Ehm ja, mach das.“ Er fuhr sich durchs Haar oder versuchte es zumindest, blieb jedoch auf halbem Wege stecken. Sein Freund hatte ganze Arbeit geleistet und gefühlt eine Dose Haarspray für seine Retrofrisur verwendet. Aber apropos Die, wohin war der andere verschwunden? „Bist du im Bad?“, rief er auf dem Weg in die Küche. Er brauchte unbedingt etwas zu trinken, sein Mund fühlte sich wie die Wüste Gobi an. „Ja~a! Muss mich wieder vorzeigbar für die Welt dort draußen machen.“ Kaoru hielt inne, das Glas mit Leitungswasser auf halbem Weg zu seinem Mund eingefroren, als er begriff, was Dies Worte zu bedeuten hatten. Sein Freund würde fahren; er hatte die Wette gewonnen, seine Mission somit beendet und nun würde er ... Das heftige Ziehen in seinem Herzen traf Kaoru derart unvorbereitet, dass ihm beinahe das Glas aus den Fingern gerutscht wäre. „Kaoru? Ist alles in Ordnung mit dir? Du siehst plötzlich so blass aus.“ Die war in die Küche gekommen. Fort war die wilde Rockerfrisur, die langen Strähnen waren in einem Pferdeschwanz gebändigt und bis auf einen dünnen Kajalstrich, der seine Augen betonte, war auch jegliches Make-up verschwunden. „Es ist nichts.“ „Bist du dir sicher?“ Die kam näher, legte ihm eine Hand auf den Unterarm und schien kurz davor zu sein, seine Temperatur fühlen zu wollen. Kaoru zauberte von irgendwoher ein schiefes Lächeln auf seine Lippen und nickte. „Ja, ich bin mir sicher. Hast du schon nachgesehen, ob die Straßen frei sind? Ich will nicht hören müssen, dass du auf halbem Weg zu deinen Eltern im Schnee stecken geblieben bist.“ „Och, würdest du dir dann Sorgen um mich machen?“ „Um jeden, aber nicht um dich.“ „Das wollte ich hören.“ Die lachte und zog das Glas aus Kaorus Fingern, um einen Schluck zu trinken – alter Schmarotzer. „Aber es sieht gut aus, ich will nur gleich los, damit ich ankomme, bevor es dunkel wird.“ „Sehr vernünftig.“ Wieder zog es in seinem Herzen und kein Leugnen der Welt hätte ihm vorgaukeln können, dass dieses Gefühl etwas anderes als Sehnsucht war. Er wollte Die nicht gehen lassen, nicht jetzt, wo er sich endlich an seine Gegenwart gewöhnt hatte. „Du könntest mitfahren“, schlug Die vor und fast glaubte Kaoru, so etwas wie Hoffnung in den dunklen Tiefen erkennen zu können. „Meine Mutter würde sich freuen, dich mal wiederzusehen.“ „Das ist keine gute Idee.“ Kaoru schüttelte den Kopf, um seine Worte zu verdeutlichen. „Stell dir nur vor, meine Mutter würde herausbekommen, dass ich mit zu dir gefahren bin, statt sie zu besuchen.“ „Hast du denn vor, zu ihr zu fahren?“ „Nein, das ist es ja. Und du weißt, wie Mütter sind, die kriegen alles raus.“ „Damit hast du allerdings nicht ganz unrecht.“ Die grinste, aber diesmal blieb das vertraute Funkeln in seinen Augen aus. „Dann mache ich mich mal auf den Weg, aber vorher …“ Er stellte das Glas auf die Arbeitsplatte und holte eine kleine Schachtel aus der Kängurutasche seines Hoodys. „Frohe Weihnachten, Kaoru.“ Überrumpelt starrte Kaoru auf das hübsche Päckchen in Dies Händen und fühlte sich plötzlich heillos überfordert. „Wir haben uns noch nie etwas geschenkt.“ „Ich habe dir vorher auch noch nie ein perfektes Weihnachten versprochen, oder?“ „Nein, hast du nicht.“ Kaoru griff nach dem Geschenk. Es war leicht, passte in beide seiner Handflächen und war in tannengrünes Geschenkpapier gewickelt. „Danke“, murmelte er, während sein Blick unschlüssig zwischen Die und dem Päckchen hin und her huschte. „Willst du es nicht aufmachen?“ „Ehm ja, doch.“ Die goldene Schleife löste sich ohne merklichen Widerstand und das Papier klappte fast von allein auf. Offensichtlich war es von jemandem eingepackt worden, der Ahnung davon hatte, was Kaoru wiederum an das Parfüm erinnerte, das noch immer sicher in seiner Jacke verstaut lag. Ob er es holen sollte? Wie war noch gleich die Etikette des Geschenkegebens? Oder sollte er erst nachsehen, was Die ihm geschenkt hatte und es dann holen? „Spannst du dich und mich absichtlich auf die Folter?“ „Was? Nein, ich hab nur überlegt, ob …“ Kaoru unterbrach sich und schüttelte den Kopf. „Sorry, ich bin wohl etwas eingerostet, was das angeht.“ „Wäre mir nicht aufgefallen.“ Kaoru erwiderte Dies Grinsen ein wenig verlegen, bevor er sich endlich überwinden konnte, den Deckel der weißen Schachtel zu öffnen, die unter dem Papier zum Vorschein gekommen war. Zunächst konnte er nichts erkennen, weil eine dicke Lage Watte den Blick auf den Inhalt versperrte. Aber erst einmal in Fahrt gekommen stellte auch sie kein Hindernis mehr dar und keine Sekunde später hatte er freie Sicht auf sein Geschenk. Seine Mundwinkel zuckten und zuckten noch einmal, bevor ihm ein überraschtes Auflachen über die Lippen kam. „Die sind perfekt“, murmelte er und strich mit dem Zeigefinger über den Hals der kleinen roten Gitarre aus Glas. Ihr Zwilling war in Lila gehalten und auch hier zeichnete er den geschwungenen Körper nach, bevor er seinem Freund ins Gesicht sah. „Unsere Gitarren, hu?“ „Ich hab die beiden gesehen und musste sie einfach mitnehmen.“ Die strahlte übers ganze Gesicht und allein ihn so zu sehen, wäre Kaoru schon genug des Geschenks gewesen. Trotzdem konnte er nicht verhehlen, dass er sich riesig über Dies Aufmerksamkeit freute. „Und ich dachte mir, wenn du in den nächsten Jahren vielleicht mutiger wirst und auch mal einen bunten Weihnachtsbaum aufstellst, hast du schon die ersten beiden Ornamente dafür.“ „Du denkst an alles.“ Kaoru rollte gutmütig mit den Augen, bevor er wieder ernst wurde und sich räusperte. „Vielen Dank, ehrlich.“ „Sehr gern.“ „Ich hab auch etwas für dich.“ „Wirklich?“ Er ersparte sich eine Antwort und ging stattdessen lieber in den Flur, um das kleine Päckchen zu holen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er wenig später zurückkehrte und es seinem Freund hinhielt. „Es ist nichts Besonderes. Ich hab es nur gesehen und musste an dich denken, also ich meine, daran, was du alles organisiert und bezahlt hast und dachte mir, es würde dir vielleicht gefallen und …“ „Kaoru.“ „Ja?“ „Darf ich es haben?“ „Ehm ja, natürlich, es ist ja für dich.“ Gerade so schaffte er es, das unbehagliche Kichern herunterzuschlucken, das mehr als untypisch für ihn gewesen wäre. Seine Finger jedoch dazu zu bringen, das Päckchen auch loszulassen, war eine ganz andere Herausforderung. Kaoru fühlte sich, wie in Watte gehüllt, während er dabei zusah, wie Die die Schleife von seinem Geschenk zog und es langsam entpackte. Der Drang, davonzulaufen und so zu tun, als wäre dieser Moment nie geschehen, wurde mit jeder verstreichenden Sekunde stärker. Er war für so etwas einfach nicht gemacht. Er brauchte Strukturen und einen Plan in der Hinterhand und nicht diese verfluchte Ungewissheit. Geschenke waren immer ein Risiko. Was, wenn es dem Beschenkten nicht gefiel? Was, wenn er das Geschenk schon besaß? Was, wenn es keinen angemessenen Wert hatte? „Kaoru“, hauchte Die gerade und so Angehauchter wäre am liebsten tot umgefallen. „Ja?“ „Wo hast du das her? Ich suche schon seit Jahren nach diesem Duft. Den haben sie doch vom Markt genommen, oder? Wow, das ist … Dass du dich überhaupt noch daran erinnern konntest …“ Noch bevor Kaoru eine von Dies Fragen hatte beantworten oder auf eine andere Weise auf das Gesagte reagieren können, fand er sich in einer so festen Umarmung wieder, dass ihm gleich aus mehreren Gründen die Luft wegblieb. „Vielen Dank. Du weißt gar nicht, was mir das bedeutet.“ Nein, das wusste er tatsächlich nicht, aber er wusste gerade ohnehin so einiges nicht. Wie man atmete, beispielsweise, oder wie er sein Herz jemals wieder dazu bringen konnte, ruhig und gleichmäßig zu schlagen. Die hob den Kopf, um ihn ansehen zu können, und ihm blieb nichts weiter übrig, als in den glänzenden Augen zu versinken. Da war sie wieder, die Wärme und Zuneigung, die ihn schon vor sechsundzwanzig Jahren hoffnungslos an diesen Mann gebunden hatte. „Die“, hörte er sich wispern. Seine Rechte hob sich ohne sein Zutun, Finger legten sich an Dies Wange, schoben sich sacht in sein Haar. „Sag mir, dass ich spinne, dass ich mir alles nur einbilde … bevor es zu spät ist.“ „Es ist längst zu spät, Kaoru, das war es schon vor sechsundzwanzig Jahren.“ Mit jedem Wort war Die ihm näher gekommen, bis er die letzten beiden nicht mehr hören, sondern nur noch als warmen Hauch auf seinen Lippen spüren konnte. Wie an Bleischnüren geführt fielen ihm die Augen zu, kaum hatten sie gemeinsam auch noch die letzte Distanz zwischen ihnen überwunden. Kaoru hatte sich immer vorgestellt, dass Die zu küssen, einem Feuerwerk gleichkommen würde. Hitze, Feuer, Explosionen und ein schwindelerregender Rausch an Emotionen, der ihm den Verstand raubte. Die Realität war jedoch eine vollkommen andere. Die zu küssen, war wie nach einem langen Tag in der Kälte nach Hause zu kommen und sich unter eine warme Decke zu kuscheln. Es war süß, wie nur das erste Stück einer Tafel Schokolade sein konnte, wärmte ihn, wie seine Lieblingsstrickjacke und war so befreiend wie der erste Sonnenstrahl nach einem ganzen Tag im Studio. Die zu küssen, war alles, was er sich je gewünscht hatte und noch so vieles mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)