Wetten, dass ...? von yamimaru ================================================================================ Kapitel 14: #14 --------------- Die ließ nicht zu, dass er in seinen trüben Gedanken versank. Mit beneidenswertem Elan und nahezu kindlicher Begeisterung verteilte er die Schneeflocken am Baum, während sich Kaoru ganz genau überlegte, an welchen Ast er den nächsten Eiszapfen hing. Im Prinzip sollte ihre komplett unterschiedliche Herangehensweise nicht zueinander passen, aber binnen kürzester Zeit sah das Bäumchen richtig gut aus; fast wie eingefroren. Die Lichterkette ließ die Glasornamente wie kleine Prismen funkeln und vor den Fenstern hatte es erneut zu schneien begonnen. Alles in allem ein nahezu anheimelndes Bild, wie Kaoru unverhohlen zugeben musste. Er stand ganz still, für einige Herzschläge gefangen im Moment, der ihm vorkam, als wäre er aus der Zeit gefallen. Die hing gerade seine letzte Schneeflocke an einen Ast, während noch immer Weihnachtslieder das Wohnzimmer erfüllten. Kaoru konnte nicht anders, als ihn zu beobachten; das funkeln in den dunklen Augen, die roten Strähnen, die ihm etwas wirr ins Gesicht hingen, die vollen Lippen, die sich zum Gesang bewegten. Erst jetzt realisierte er, dass sein Freund mitsang. Vielleicht probte er schon für seinen nächsten Auftritt mit Decays? Kaoru schmunzelte, während Die textsicher den Refrain des Liedes begleitete, an anderer Stelle nur summte und sich rhythmisch zum Takt der Musik bewegte. Er konnte sich das ein oder andere Lachen beim besten Willen nicht verkneifen, besonders als der andere auch noch begann, um den Baum herumzutänzeln. Gerade legte Kaoru eine weitere, nun leere Schachtel zurück in die Tüte und holte sich die mit dem großen Stern für die Spitze – die letzte, wie er erstaunt feststellte – als er plötzlich eine Berührung an der Hand spürte. „Tanz mit mir!“, rief Die halb lachend aus und zog ihn mit sich. „Was? Nein! Die …“ Kaoru versuchte, sich aus der lockeren Umarmung zu befreien, in die sein Freund ihn gezogen hatte, musste aber so heftig lachen, dass es ihm nicht gelang. Die bewegte sich wie ein verrückt gewordenes Eichhörnchen um ihn herum, hielt seine Hände und schubste ihn immer wieder an, um ihn zum Mitmachen zu animieren. Das Lied wechselte zu einer Rocknummer, die der andere mit viel zu viel Energie und Freude sogleich mitschmetterte. „Rockin' around the Christmas tree, have a happy holiday. Everyone dancing merrily, In the new old fashioned way.“ „Die, hör auf“, bat er lachend und nach Luft schnappend. „Ganz bestimmt nicht.“ „Ich bin ein alter Mann, hab Mitleid.“ „Zehn Monate, Kaoru, du bist gerade einmal zehn Monate älter als ich. Das ist kein Grund.“ „Hast du eine Ahnung.“ „You will get a sentimental feeling, when you hear, voices singing let's be jolly, deck the halls with boughs of holly!“ Er hatte keine Ahnung, was Die genau sang, aber er tat es mit einer Inbrunst, dass Kaoru beinahe die Luft wegblieb, so heftig musste er lachen. Er krallte sich an den Schultern seines Freundes fest, die Stirn gegen seine Brust gelehnt und war gerade ehrlich froh, um die Arme, die sich mit einem Mal fest um seine Mitte legten. „Oh Die, du bist so herrlich verrückt.“ „Genau das liebst du doch so sehr an mir, nicht wahr?“ Kaoru erstarrte innerlich und registrierte erst jetzt, dass Die tatsächlich aufgehört hatte, sich zu bewegen. Da war kein Schieben und Ziehen mehr, kein Wiegen zum Takt der Musik oder in die Luft gereckte Arme. Nein, Dies Arme lagen warm an seinem Rücken und sein Kopf leicht gegen den seinen gelehnt. Verdammt, was taten sie hier? Wie hatte er sich nur so gehenlassen können und warum machte der andere auch noch mit? Sah er mittlerweile so einsam und verbittert aus, dass sein Freund glaubte, er hätte eine Umarmung nötig? Kaoru fühlte, wie sich alles in ihm verkrampfte. So etwas hätte nicht passieren dürfen. Fest presste er die Lippen aufeinander, zog sich von dieser unerträglichen Nähe zurück, nahm Abstand von der Wärme, die sich bis in den letzten Winkel seines Körpers schleichen wollte. Den Blick starr auf einen Punkt rechts über Dies Schulter gerichtet, trat er einen Schritt zurück und brachte dringend nötige Distanz zwischen sie. „Nur noch der Stern fehlt, dann haben wir es endlich geschafft.“, murmelte er, bückte sich nach der Verpackung, die ihm aus der Hand geglitten sein musste, und reichte sie Die. „Mach du das, du bist größer.“ Er drehte sich weg, kaum hatte der andere nach der Schachtel gegriffen und verließ das Wohnzimmer. Er glaubte noch, seinen Namen gehört zu haben, aber da hatte er bereits die Badezimmertür hinter sich geschlossen. Das Geräusch des Schließmechanismus hallte viel zu laut in seinen Ohren wider, als er sich gegen das kühle Holz lehnte und die Augen schloss. Noch immer gaukelten ihm seine Synapsen vor, Dies Wärme spüren zu können und seinen Duft in der Nase zu haben. Wie konnte sich etwas, das so fundamental falsch war, so unendlich gut anfühlen? Er wollte noch einmal so gehalten werden, wollte sein Gesicht gegen Dies Hals verbergen, wollte … Genau das liebst du doch so sehr an mir. Liebst du an mir. Liebst du. Liebst. „Schluss jetzt“, zischte er seinen unsinnigen Gedanken zu, drückte sich ab und ging zum Waschbecken hinüber. Das kalte Wasser klärte seinen Geist, vertrieb den rosaroten Schleier vor seinen Augen und rückte die Realität erneut in den scharfen Fokus, der typisch für seine Art zu denken war. Die hatte sich nichts bei dieser Umarmung gedacht. Genauso wenig wie er mehr als nur jahrelange Freundschaft in all seine Berührungen und Gesten legte. Sein einziges Ziel war es, die Wette zu gewinnen und dabei vielleicht noch Zeit mit ihm zu verbringen – als Freund, nicht mehr. Die konnte nichts dafür, dass seine Emotionen verrücktspielten und mehr in harmlose Taten und Aussagen hineininterpretierten! „Du reißt dich jetzt zusammen, ist das klar?“ Finster funkelte er sein Spiegelbild an, rieb sich das Gesicht trocken und straffte die Schultern. Es war egal, welche Motive Die verfolgte. Fakt war, dass er seit gestern Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um Kaoru eine schöne Zeit zu bereiten. Den Teufel würde er also tun und ihm nun die Laune vermiesen. Ja, er mochte Weihnachten nicht und ja, sein Herz war ein dummes, nutzloses Ding, das nur Probleme machte, aber Die hatte die faire Chance verdient, die er ihm versprochen hatte, und daran würde er sich halten. Als Kaoru das Bad wieder verließ, war es still in seiner Wohnung. Die musste die Anlage abgeschaltet haben und ein schneller Blick ins Wohnzimmer und in die Küche zeigte ihm, dass von seinem Freund keine Spur zu sehen war. Selbst die Verpackungen des Baumschmucks waren wieder ordentlich in der Tüte verstaut und Dies leere Flasche Cola stand neben dem Spülbecken. War er etwa gegangen? Nein, sein Mantel hing noch immer an der Garderobe, nur die Schuhe fehlten – da ging Kaoru ein Licht auf. Erleichtert atmete er aus, nahm seine Schachtel Zigaretten von der Kommode und quetschte sich im Wohnzimmer am Baum vorbei, um die Balkontür öffnen zu können. „Hey.“ Die lächelte ihn an, eine brennende Zigarette in der Hand, auf die er mit der anderen deutete. „Ich hätte gefragt, aber wollte dich nicht stören.“ „Alles gut.“ Er winkte ab, zog die Tür hinter sich zu und stellte sich neben Die. „Seit wann rauchst du wieder?“ „Ich hab nicht wieder damit angefangen, wenn du das meinst. Es überkommt mich nur noch ab und an. Zum Glück aber eher selten.“ Kaoru schluckte die Entschuldigung herunter, die ihm auf der Zunge lag. Er war sich sicher, dass sein alles andere als eleganter Abgang gerade eben dazu beigetragen hatte, dass Die das Verlangen nach einer Zigarette überkommen hatte. Gut nur, dass sie nie über so etwas wie Gefühle sprachen und großzügiges Ignorieren von unangenehmen Geschehnissen zwischen ihnen zum guten Ton gehörte. „Ich hoffe, das bleibt auch so, sonst sehe ich mich schon einem erbosten Toshiya gegenüber, weil er denkt, ich hätte schlechte Gewohnheiten in dir geweckt.“ „Mit ihm wirst du doch locker fertig.“ „Mh, er ist in den letzten Jahren ziemlich gut darin geworden, anderen ein schlechtes Gewissen einzureden. Das kann auf Dauer recht nervenzehrend werden, was ich mir gern ersparen würde.“ „Verstehe, dann verspreche ich, es bei einer sporadischen Ausnahme zu belassen.“ „Das wollte ich hören.“ Kaoru schmunzelte und irgendetwas in Dies Augen veränderte sich. War es Erleichterung, die er dort lesen konnte? Aber wieso? Kaoru drehte den Kopf zur Seite und sah interessiert hinunter auf die Straße, wo sich der Schnee in einer dünnen Schicht auf dem Grünstreifen niedergelassen hatte. Alles war interessant, wenn er so nur Dies Blicken entgehen konnte. „Ich würde deine Küche für zwei Stunden oder so in Beschlag nehmen, wenn dir das recht ist.“ „Mh?“ Kaoru sah auf und legte fragend die Stirn in Falten. „Warum das denn?“ „Muss ich dir wirklich erklären, was man in einer Küche macht?“ „Nein, aber …“ „Siehst du.“ Die tätschelte seine Schulter, als wäre er ein kleines Kind, dem man die Welt erklären musste. Kaoru schnaubte und schob die frechen Finger beiseite, was von einem von Dies berühmten, albernen Kichern begleitet wurde. Oh, Himmel, warum machte er es ihm nur so verdammt schwer? „Du hast sicher etwas zu tun, oder? Deinen Roman lesen, zum Beispiel.“ „Und du erwartest allen Ernstes von mir, dass ich dich unbeaufsichtigt in meiner Küche weiß Gott was tun lasse?“ „Genau das. Sie wird sich freuen, dass in ihr mal anständig gearbeitet wird und sie nicht nur fürs Kaffeekochen oder Nudelsuppe aufwärmen herhalten muss.“ „Ich kann mir auch Reis kochen.“ „Wow, da tun sich gleich ganz neue, kulinarische Welten auf.“ „Hau schon ab, bevor ich es mir anders überlege.“ „Geht klar, Chef.“ Die schob sich an ihm vorbei und war so schnell in der Wohnung verschwunden, als befürchtete er, Kaoru würde doch noch seine Meinung ändern. Viel mehr, als geschlagen den Kopf zu schütteln, blieb ihm jedoch nicht übrig. Seine Zigarette war bereits heruntergebrannt und so zündete er sich eine Weitere an, während er alles daran setzte, nicht erneut in seinen Gedankenspiralen zu versinken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)