Wetten, dass ...? von yamimaru ================================================================================ Kapitel 13: #13 --------------- „Endlich wieder zu Hause.“ Kaoru atmete erleichtert aus, als er die Tür zu seiner Wohnung öffnete und eintrat. Die hatte all seine Taschen bis auf eine gleich ins Auto gebracht, während Kaoru sich um den Baumschmuck gekümmert hatte. Selbigen parkte er nun unzeremoniell auf dem Sofa und seinen Hintern gleich daneben. Noch einmal entkam ihm ein erleichtertes „Endlich“, bevor er seine Beine ausstreckte und für einen langen Moment die Augen schloss. Die Fahrt zurück hatte sich weitaus weniger stressfrei gestaltet wie die am frühen Morgen, sodass er gerade nur froh war, heute niemanden mehr sehen zu müssen.   „Tut mir leid, dass es jetzt doch so ein Akt war, wieder aus der Stadt herauszukommen. Wir hätten früher losfahren sollen“, rief Die noch im Flur stehend und erinnerte ihn daran, dass es doch einen Menschen gab, an dessen Gesellschaft er sich heute noch erfreuen musste; oder durfte? Er war sich da noch immer nicht ganz sicher. Ächzend erhob er sich und ging in die Küche. Vorhin war es ihm unvernünftig erschienen, noch einen Kaffee zu trinken, aber wenn er jetzt nicht bald etwas Koffein in sein System bekam, würde er an Ort und Stelle einschlafen.   „Schon gut, ist ja nicht deine Schuld. Willst du was trinken? Ich setze Kaffee auf.“ Dies Antwort ließ auf sich warten, also bereitete er alles für eine ganze Kanne vor.   „Hast du eine Cola für mich?“   „Klar.“ Nun gut, Kaffee wurde nicht schlecht, zumindest nicht in seiner Gegenwart. Gerade als er eine Flasche Cola aus dem Kühlschrank nahm und ihm dabei diverse Lebensmittel ins Auge stachen, die er nicht gekauft hatte, wurde die Tür mit Nachdruck zugeschoben.   „Sei nicht so neugierig.“   „Neugierig? Entschuldige, dass ich in meinen Kühlschrank geschaut habe, um für dich eine Cola zu holen, kommt nicht wieder vor. Was ist das überhaupt alles?“   „Entschuldigung angenommen und geht dich nichts an.“ Die grinste ihn frech an, als hätte er im Leben noch nie etwas von Sarkasmus gehört. Kaoru verkniff sich ein Schnauben und einen Kommentar gleichermaßen, drückte ihm die Flasche in die Hand und holte eine Kaffeetasse aus dem Oberschrank. Unbeeindruckt schlurfte sein Freund mit seiner Errungenschaft ins Wohnzimmer, während Kaoru nichts anderes übrig blieb, als ihm unschlüssig hinterherzusehen. Ein kleiner Teil in ihm war neugierig, was sich der andere noch alles einfallen lassen würde, immerhin ließ der Inhalt des Kühlschranks einiges vermuten. Der weitaus größere Teil jedoch wünschte sich, den Nachmittag in Ruhe verbringen zu können. Er hatte die Nase voll von all dem Weihnachtstrubel, er wollte keinen Baum, keine Ornamente, kein Parfüm und auch keinen Die, der ihn so schrecklich verwirrte.   „Kaoru? Kommst du mal?“ Langsam aber sicher musste er davon ausgehen, dass sein Freund doch Gedankenlesen konnte. Wie sonst wäre es zu erklären, dass er immer genau zu wissen schien, wenn Kaoru über ihn nachdachte? Oder – und das war die weitaus logischere Option – es lag schlicht und einfach daran, dass seine Gedanken seit gestern ständig um Die kreisten. „Kaoru!“   „Ja, ich komme ja schon.“ Geschlagen stellte er die Tasse zurück in den Schrank und trabte ebenfalls ins Wohnzimmer. „Was denn? Ich wollte mir gerade einen Kaffee machen.“   „Das kannst du später noch“, bestimmte Die und deutete auf das Kabelgewirr zu seinen Füßen. „Jetzt brauch ich deine Hilfe mit der Lichterkette.“   „Ich hab keine Ahnung von Lichterketten.“   „Brauchst du auch nicht. Das ist ganz normaler Kabelsalat und ich weiß, wie gut du im Entwirren bist.“ Die bückte sich und zog einige der Kabel beiseite, um den Anfang zu finden. Kaoru tat es ihm gleich, aber zu zweit machten sie das Chaos nur schlimmer. „So ein Mist aber auch“, fluchte sein Freund halblaut, „ich hätte die Lichterkette nicht auf einmal aus der Packung holen sollen.“   „Offensichtlich nicht. Nimm bitte deine Finger weg. So hektisch, wie du bist, machst du es nicht besser.“   „Ja, aber …“   „Nichts, aber. Du kannst mir in der Zwischenzeit meinen Kaffee machen, wenn du etwas tun willst.“   „Ja klar, Kaffee! Kommt sofort.“ Wie ein übergroßer Gummiball sprang Die auf und verschwand so schnell in der Küche, dass es Kaoru nicht gewundert hätte, hätte er Brandspuren auf dem Fußboden hinterlassen. Er schmunzelte, setzte sich auf die Couch und zog das Gewirr aus Lichtern und Kabeln auf seine Beine. Wenn er gewusst hätte, dass es Die so sehr freute, ihm einen Gefallen zu tun, hätte er ihn schon früher um eine Kleinigkeit gebeten. Oder vielleicht auch nicht, denn ihm wurde schon wieder ganz warm ums Herz und das war definitiv eine Gefühlsregung, an die er sich weder gewöhnen wollte, noch sollte.   Es hatte etwas Meditatives an sich, Ordnung in das Chaos auf seinem Schoß zu bringen. Auf dem niedrigen Tischchen vor ihm stand seine dampfende Kaffeetasse, von der er immer mal einen Schluck trank und dabei feststellen musste, dass Die ihn genauso zubereitet hatte, wie er ihn mochte. Er konnte die Gefühle nicht beschreiben, die ihm daraufhin erneut zusetzten, und versuchte lieber, sich von ihnen nicht beeinflussen zu lassen. Dennoch ertappte er sich dabei, dass er seinem Freund den ein oder anderen verstohlenen Blick zuwarf, während dieser es sich mit seinem Handy im Sessel bequem gemacht hatte.   „Fertig“, murmelte er eine Weile später und war beinahe enttäuscht, dass die Lichterkette nun wieder gerade und ohne Knoten vor ihm ausgebreitet auf dem Boden lag. „Was jetzt?“   „Jetzt hast du am besten ein Auge drauf und hältst die Kabel immer schön gerade, damit wir keinen Knoten mehr hineinbekommen, während ich sie um den Baum lege.“   „In Ordnung, das sollte ich hinbekommen.“   Die grinste ihn breit an und die offensichtliche Freude darüber, dass Kaoru für einmal einfach zugestimmt hatte, statt sich in Gegenargumenten zu verlieren, war so ansteckend, dass sich auch auf seinen Lippen ein schiefes Lächeln zeigte.   Die nahm das eine Ende der Kette, steckte den Stecker ein und begann, sie von unten nach oben um den Baum zu winden. Hier und da korrigierte er die Lage eines Stranges, hob die ein oder andere Schlaufe auf einen höheren Ast, bis er schlussendlich zufrieden und nichts mehr von der Lichterkette übrig war. Nach welchem Plan sein Freund dabei vorgegangen war, war ihm bis zum Schluss ein Rätsel, aber als Die die beiden Enden der Lichterkette miteinander verband und den Stromkreis schloss, musste selbst er zugeben, dass der Baum bereits jetzt sehr festlich aussah. Was so ein paar Lichter nicht alles ausmachten.   „Und? Wie findest du es?“   „Sieht gut aus“, gab er unverhohlen zu und erwiderte Dies Strahlen mit einem kleinen, deutlich privateren Lächeln.   „Dann musst du ihn jetzt nur noch dekorieren.“   „Ich?“   „Natürlich du, es ist schließlich dein Baum.“   „Aber das Ganze war und ist deine Idee, also machen wir das schön zusammen.“ Kaoru war bereit, Die mit seinem patentierten Leaderblick in Grund und Boden zu starren, doch sein Freund zuckte nur unbeeindruckt mit den Schultern und packte die Schachteln mit Baumschmuck aus. „Warum …“, begann er und musterte den anderen stirnrunzelnd, „werde ich das Gefühl nicht los, dass ich dir gerade in die Karten gespielt habe?“   „Ich weiß gar nicht, was du meinst.“ Den Unschuldsblick hatte Die ungelogen perfekt drauf, allerdings kannten sie sich schon zu lange, als dass Kaoru das freche Funkeln in den dunklen Tiefen verborgen geblieben wäre. Geschlagen seufzte er und wollte gerade eine der Schachteln mit den Eiszapfen vom Sofa nehmen, als ihn Die zurückhielt. „Warte kurz, ich hab noch etwas für dich, bevor wir anfangen.“ Die verschwand im Flur und kam einen Augenblick später mit einem Stoffbündel zurück ins Wohnzimmer. „Zieh deinen Pullover aus.“   „Was? Warum?“   „Weil zwei Pullover übereinander selbst dir zu warm werden.“ Hätte sein Freund keine Ohren besessen, sein Grinsen würde einmal um seinen ganzen Kopf reichen, als er besagtes Bündel hochhielt. Ein schwarzer Pullover kam zum Vorschein, der akzeptabel gewesen wäre, befände sich auf der Vorderseite nicht die Abbildung eines grimmig dreinschauenden grünen Kobolds mit Weihnachtsmütze auf dem Kopf.   „Der Grinch.“ Kaoru erkannte die Figur auch nur, weil er Jim Carrey als Schauspieler schätzte und bislang jeden seiner Filme gesehen hatte. „Was steht da?“   „It’s not so bad afterall.“   „Und das heißt?“ Die wusste haargenau, dass sein Englisch zu wünschen übrig ließ, warum also hatte er es nicht gleich übersetzt? Ah ja, deshalb, sein anhaltendes Grinsen sprach Bände.   „Es ist ja doch nicht so schrecklich.“   „Was?“   „Weihnachten, natürlich.“   „Natürlich. Und du willst nun, dass ich den Pullover anziehe?“   „Ganz genau.“   „Um in Weihnachtsstimmung zu kommen.“   „Das auch.“   „Und warum noch?“   „Weil wir dann perfekt zusammenpassen.“ Die deutete vielsagend auf seinen eigenen Weihnachtspullover, den er bereits seit heute Morgen trug. Er war grau mit einem pausbäckigen Santa auf der Vorderseite und darunter stand in roten Lettern „Ho ho ho!“ geschrieben. Alles in allem also ein Design, das so anders war, dass Kaoru es nicht als perfekt zusammenpassend bezeichnen würde. Seine Skepsis musste ihm quer übers Gesicht geschrieben sein, denn mit dem Einfallsreichtum der Verzweiflung setzte Die noch ein Argument obenauf. „Außerdem ist er ganz warm und flauschig, genauso, wie du es magst.“ Die wippte mit den Augenbrauen und streichelte vielsagend über den Stoff. „Ga~anz weich.“   „Dumpfbacke“, murrte Kaoru und rollte mit den Augen, aber zog sein Oberteil über den Kopf und streckte die Hand nach dem Pullover aus. „Gib schon her.“ Sicher klang er mürrischer, als er war, aber er konnte ja schlecht zugeben, dass er Dies Idee gar nicht so übel fand. Noch immer hatte er den Arm ausgestreckt, aber keinen Pullover erhalten. „Was ist jetzt?“ Den Kopf leicht geneigt musterte er Die, der ihn wiederum mit einem eigenartigen Blick betrachtete. Zugegeben, Kaoru hatte heute Morgen vergessen, sich ein T-Shirt unter seinen Pullover zu ziehen und stand seinem Freund nun etwas freizügig gegenüber, aber das war längst kein Grund, ihn so anzustarren. Die hatte ihn schon mit weitaus weniger Stoff am Leib gesehen. „Die?“   „Ehm ja, hier, entschuldige.“   Manchmal war sein Freund wirklich eigenartig. Kaoru verbarg sein Schmunzeln, indem er sich den Pullover über den Kopf zog und anschließend die Arme ausbreitete. „Zufrieden?“   „Da bin ich mir gerade nicht sicher“, nuschelte Die und in seinem Blick lag nicht nur die Wärme, die Kaoru so vertraut war, sondern noch etwas anderes. Ein eigenartiges Gefühl der Aufregung machte sich in seinem Magen breit und ließ seine Handflächen feucht werden.   „Was …?“   „Der Pulli passt perfekt.“ Die reichte ihm die erste Schachtel mit Eiszapfen und tat so, als wäre gerade überhaupt nichts passiert. Kaoru war bereit, den Vorfall als Hirngespinst abzutun, wäre da nicht noch immer dieses Feuer in Dies Blick. Es reizte ihn, zog ihn wie magisch an, weil er wissen wollte, was es zu bedeuten hatte. „Ich schlage vor, du fängst mit dem Dekorieren an, während ich für Stimmung sorge.“   Stimmung? Kaoru brauchte keine Stimmung. Stimmung war das Letzte, was er gerade wollte. Wie wäre es mit Ruhe, Einsamkeit, Gelassenheit? Ja, das wären Worte, mit denen man ihn gerade glücklich machen könnte, aber sicher nicht mit Stimmung. Die ging zu seiner Musikanlage hinüber und er ertappte sich dabei, wie er ihn am liebsten zurückhalten und zur Rede stellen wollte. Was war das gerade gewesen? Kaoru wollte Erklärungen und wollte sie doch nicht. Vermutlich hatte er sich diese Hitze in Dies Blick nur eingebildet. Wunschdenken nannte man das, wobei er sich fragte, wo dieser Wunsch so plötzlich hergekommen war. Hatte er ihn nicht längst beerdigt, gemeinsam mit seinem Traum, irgendwann mehr für Die zu sein, als nur ein Freund?   „Kaoru? Ist alles in Ordnung mit dir?“ Eine Berührung an der Schulter riss ihn aus seinen ungewollten Überlegungen und erneut waren es Dies dunkle Augen, in denen er zu ertrinken drohte. Es wäre so einfach, er müsste sich nur etwas vorbeugen …   „Ja, alles in Ordnung. Ich habe mich nur gerade mental darauf vorbereitet, mir von Britney Spears die Gehörgänge putzen zu lassen.“   „So schlimm?“   „Schlimmer.“   „Soll ich die Musik wieder ausmachen?“   „Nein, nein. Ist Weihnachten nicht auch das Fest, an dem man die eigenen Wünsche hintanstellt und tut, was andere glücklich macht?“   „Du lernst schnell, ich bin stolz auf dich.“   „Ja.“ Kaoru nickte und begann, die ersten Eiszapfen an den Baum zu hängen. ‚Ich bin auch sehr stolz auf mich.‘ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)