Wetten, dass ...? von yamimaru ================================================================================ Kapitel 7: #7 ------------- Er hätte wissen müssen, dass ihm das kleine bisschen Zuversicht früher oder später zum Verhängnis werden würde. Sie hatten sich in der Hütte nicht nur mit Skiern und Skischuhen, Stöcken und dicken Handschuhen ausrüsten können, sondern sich auch Schneehosen geliehen. Gerade für Letztere war Kaoru mehr als dankbar, als er zum unzähligen Mal unsanft auf dem Hintern landete. Ihm war bewusst, dass er in den letzten Jahren an Ausdauer und Gelenkigkeit eingebüßt hatte und dass es höchste Zeit wurde, regelmäßigen Sport wieder in seine Routine zu integrieren, aber, dass er sich so dämlich anstellte, hatte er nicht vorhersehen können. Im Gegensatz zu ihm hatte Die die Zeit seines Lebens. Kaoru hatte aufgehört, zu zählen, wie oft sein Freund schon an ihm vorbeigerauscht war und mit jedem Mal sah es halsbrecherischer aus. Mit ausreichend Sicherheitsabstand kam Die auch jetzt, begleitet von einer eindrucksvollen Fontaine aus Eis und Schnee, einige Meter vor ihm zum Stehen. Lachend nahm er seine Sonnenbrille ab und schob sie sich in die Haare. Sein strahlendes Lächeln blendete Kaoru mehr als das ihn umgebende Weiß und spätestens jetzt war er sich sicher, dass irgendwer heute einen gehörigen Groll gegen ihn hegte. Wie sonst wäre es zu erklären, dass Die sein Talent komplett unangestrengt zur Schau stellen konnte und dabei noch so unverschämt gut aussah? Kaoru presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Wenn jeder zukünftige Kater zur Folge hatte, dass seine Hormone verrücktspielten und ihm Dinge vorgaukelten, mit denen er vor weit über zwei Jahrzehnten abgeschlossen hatte, würde der gestrige Abend das letzte Mal gewesen sein, dass er etwas getrunken hatte, das schwor er sich hier und jetzt. „Du hast dir da aber ein eigenwilliges Plätzchen für eine Pause ausgesucht.“ „Haha, Angeber“, murrte er in seinen Bart und versuchte vergebens, wieder auf die Beine zu kommen. „Hast du dir was getan?“, erkundigte Die sich, plötzlich etwas besorgt wirkend, und kam im Watschelgang näher. Kaorus Mund formte sich zu einem kleinen Schmunzeln. Na schön, er musste zugeben, dass ihn die alles andere als elegante Fortbewegungsweise seines Freundes wieder etwas mit der Welt versöhnte. Dennoch brummte er unzufrieden mit der Gesamtsituation, als er die ihm hingehaltene Hand ergriff und sich aufhelfen ließ. Breitbeinig wie ein neugeborenes Reh versuchte er, sich auf den Skiern zu halten, aber nach all den Stürzen fühlten sich seine Knie wie Gelee an und seine rechte Hüfte schmerzte leicht. „Warum kannst du das so gut?“, wollte er etwas eingeschnappt wissen und konnte sich gerade noch davon abhalten, die Arme vor der Brust zu verschränken. Es war aber auch unfair, oder etwa nicht? Immerhin hatte Die ähnlich viel um die Ohren wie er, wann also fand er die Zeit, neben den Stunden, die er ohnehin im Fitnessstudio zubrachte, auch noch Skifahren zu gehen? „Ich bin hier schon öfter gewesen. Hab letztes Jahr sogar einen Snowboardkurs gemacht, aber ich muss zugeben, dass das nichts für mich ist. Mit Skiern ist man doch irgendwie flexibler.“ „Ja, ich fühle mich unglaublich flexibel.“ Die gluckste und legte ihm einen Arm um die Schultern. „Ach komm, dir fehlt nur die Übung.“ Kaoru bezweifelte das ganz stark und sein Gesichtsausdruck musste Bände sprechen, denn Dies nächste Worte klangen eindeutig beschwichtigend. „Aber jetzt lass uns erst einmal die Ski zurückgeben und uns Schneeschuhe ausleihen, dann können wir uns etwas die Gegend ansehen. Hinter der Piste soll es ein Weihnachtsdorf geben, da müssen wir unbedingt hin.“ „Müssen wir das?“ „Natürlich müssen wir das. Ich muss dir schließlich beweisen, dass ich meinen Plan nicht aus den Augen verloren habe“, trällerte Die gut gelaunt und wackelte mit den Augenbrauen. Kaoru hingegen seufzte nur. Wieder einmal biss ihn eine seiner Aussagen in den Arsch, schönen Dank auch. Am liebsten hätte er nun auf stur geschalten und sich so lange mit den Skiern herumgeplagt, bis er es endlich schaffte, den Idiotenhügel in einem Rutsch nach unten zu fahren. Er hasste es, zugeben zu müssen, dass er etwas nicht konnte. Doch Die hatte ihm in den letzten beiden Stunden kein einziges Mal das Gefühl gegeben, versagt zu haben, und vielleicht war das der Grund, weshalb er schließlich nickte. Vielleicht lag es aber auch an Dies Arm, der noch immer erdend um seine Schultern lag und dessen Wärme er selbst durch ihre dicke Kleidung hindurch zu spüren glaubte. Kaoru räusperte sich und zog sich unauffällig aus ihrer halben Umarmung zurück. „Das wird wohl das Beste sein, bevor ich mir doch noch etwas breche.“ Die grinste nur, drückte mit einem seiner Stecken in den Schließmechanismus der Skibindung und stieg vom Brett. Mit dem zweiten Ski verfuhr er auf gleiche Weise und dann half er auch ihm, sich von diesen Todesinstrumenten zu befreien. Die Ski über ihre Schultern gelegt stapften Sie den Hügel hinunter und wenig später standen sie erneut in der Verleihhütte. „Wollen wir uns erst noch mit einer Tasse Glühwein aufwärmen, bevor wir uns wieder hinaus in die Kälte wagen?“ Kaoru hatte schon ein tief empfundenes „Ja, bitte“ auf den Lippen, als er sich an seinen Schwur von eben zurückerinnerte. Den Teufel würde er tun und in seiner unberechenbaren Verfassung Alkohol trinken. „Lieber nicht, ich hab keine Lust auf aufgewärmte Kopfschmerzen.“ „Mh, das ist ein Argument.“ Für den Bruchteil einer Sekunde huschte so etwas wie Enttäuschung über Dies Gesicht, aber der Ausdruck war so schnell wieder verschwunden, dass er sich fragte, ob er sich das nicht nur eingebildet hatte. Warum auch sollte Die deswegen enttäuscht sein? „Der Heidelbeerpunsch ist ohne Alkohol …“ „Ja? Na, dann.“ Kaoru schob sich an seinem Freund vorbei zum Ausschank, bevor Die erneut auf die Idee kommen konnte, alles bezahlen zu wollen. Kurz darauf hielt er die dampfenden Tassen in beiden Händen und steuerte auf einen rustikalen Stehtisch zu, von dem aus Die ihm gewunken hatte. „Hier.“ Eine der Tassen über den Tisch schiebend zog er sich die dicken Handschuhe aus und wärmte erst einmal seine Eispfoten wieder auf. Aus Lautsprechern, die irgendwo über ihnen angebracht sein mussten, dudelten leise Weihnachtslieder und Kaoru war selbst erstaunt darüber, dass ihn diese Tatsache weit weniger nervte, als sonst. Vielleicht lag es daran, dass ihm die Melodien für einmal nicht aggressiv in die Gehörgänge plärrten, wie es um diese Jahreszeit in sämtlichen Kaufhäusern üblich war. Vielleicht lag es aber auch an der heimeligen Umgebung. Unweit von ihnen brannte ein Feuer in einem kleinen Schwedenofen, hinter Die war ein Fenster, von dem aus er auf die schneebedeckte Piste sehen konnte und selbst die Kinder, die hier und da herumhuschten, waren für einmal nicht unerträglich laut und lästig. Oder – und Kaoru befürchtete stark, dass dies der wahre Grund für seine derzeitige Zufriedenheit war – es lag einzig und allein an Die. Er hatte es Kaoru gleichgetan und sich von den Handschuhen befreit, nur mit dem Unterschied, dass er seinen Punsch auch trank, statt ihn nur anzustarren und den Sinn des Lebens in der roten Flüssigkeit zu suchen. Schon wieder Rot, diese Farbe verfolgte ihn, oder? Kaoru ertappte sich dabei, wie er mit einem Mal ganz still wurde, als Die begann, leise das aktuelle Weihnachtslied mitzusummen. Seine Finger griffen die Tasse fester und er zwang sich, endlich auch einen Schluck zu trinken, bevor ihn diese sanfte Stimme noch mehr einlullen würde. „Und? Bist du jetzt wieder etwas versöhnlicher gestimmt?“ „Wie?“ Beinahe hätte er sich an seinem Getränk verschluckt. Was musste Die auch aus heiterem Himmel beschließen, ihre Unterhaltung fortsetzen zu wollen? Ging das nicht mit Vorankündigung? „Dafür hätte ich in erster Linie unversöhnlich sein müssen, was ich nicht war.“ „Na ja, aber etwas eingeschnappt warst du schon, weil es mit dem Skifahren nicht so geklappt hat, wie du es dir vorgestellt hast, oder?“ „Erwischt.“ Kaoru versteckte sein schiefes Grinsen hinter der Tasse und ließ sich den restlichen Punsch schmecken. Die schüttelte nur deutlich amüsiert den Kopf, tat es ihm gleich und nahm die Pfandmarken, um ihre Tassen zurückzubringen. „Also, bereit für ein weiteres Abenteuer?“ „Wenn du mich so fragst, nein.“ „Denk an die faire Chance, die du mir geben willst“, trällerte Die, nahm ihre Schneeschuhe, die sie sich vorhin schon geliehen hatten, und trabte voran aus der Hütte. „Womit habe ich das nur verdient?“, fragte er niemanden im Speziellen und auch keine höhere Macht sah sich beflissen, ihm darauf eine Antwort zu geben. Und so kam es, wie es kommen musste – keine fünf Minuten später hatte er erneut etwas an den Füßen, an das er sich erst einmal gewöhnen musste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)