Das Leben danach von Futuhiro (Magister Magicae 12) ================================================================================ Kapitel 3: Der nächste Tag -------------------------- Olha ließ sich mit ihrer leeren Kaffeetasse auf einen Stuhl fallen und grüßte in die Runde. Sie wirkte hellwach, obwohl sie die letzte war. Nicht wie jemand, der verschlafen hatte, weil er den Schlaf nötig hatte. "Schläft der Neue noch?" "Ja. Ist auch besser so. Wir müssen reden." Ein einstimmiges Nicken machte die Runde um den Tisch, gleich einer abgespeckten Laola Welle. Einer der Männer griff nach der Kaffeekanne und goß Olha ein. "Also. Was haltet ihr von dem Kerl?", fragte Serhii in die Runde. Sie alle waren Elasmotherium Sibiricum, drei Männer und zwei Frauen, darunter keine Pärchen. Sie lebten als loser "Herdenverband" in dieser großen Wohnung zusammen. Keiner von ihnen hatte damit gerechnet, dass hier plötzlich noch ein weiteres Elasmotherium auftauchen und Anschluss suchen könnte. Waleri war gestern völlig unangekündigt in ihr Fitness-Studio hereingeplatzt. Sie hatten ihn aus Sympathie mittrainieren lassen und waren danach noch in eine Kneipe eingerückt. Es war ein verdammt langer Abend geworden und sie hatten viel geredet. Letztlich war es zu spät - und zu alkoholhaltig - gewesen, um Waleri noch nach Hause gehen zu lassen. Immerhin hatte er angegeben, am anderen Ende von Moskau zu wohnen, sein Heimweg wäre also weit gewesen. So hatte er einfach in ihrer Wohnung übernachtet. Platz gab es hier ja genug. Olha pustete in ihren kochend heißen Kaffee. "Er ist sehr selbstbeherrscht, ruhig und gutmütig. Ich mag ihn total. Und, hey, er scheint ein Familienmensch zu sein", ergriff sie als erste das Wort. "Oder ... Familien-Genius in unserem Fall." Ihre Tischnachbarin gab ein zustimmendes Brummen von sich. "Für ein Elasmotherium ist er ziemlich clever. Er hat was im Köpfchen. Seine Ansichten sind vernünftig." "Ich schätze, das ist seinem Riesenhaufen Lebenserfahrung geschuldet", fand Serhii etwas unglücklich. "Zumal er offensichtlich auch noch kämpfen kann. Und zwar nicht nur in Trainingssituationen. Der Mann hat Praxiserfahrung, der kennt ernste Kämpfe auf der Straße bestens. Und wenn man einmal in den Lauf einer Waffe geschaut hat, sieht man bestimmt viele Dinge anders. Wir mögen uns zwar im Ring unter Trainingsbedingungen und den klaren Vorgaben von Regelwerken prügeln. Aber keiner von uns hat die Erfahrung, die er hat." Kurz setzte Schweigen ein, als jeder für sich das Resumee zog, das niemand laut aussprechen wollte: Wenn sie Waleri erlaubten, hier zu bleiben, gab es zu ihm als neuem Herdenführer keine Alternative mehr. Wollten sie das wirklich? Wollte er das? Die Tür ging geruhsam auf. Waleri wischte sich noch mit dem Handrücken den Schlafsand aus den Augen als er, wesentlich später als gedacht, in die Küche eintrat. Die anderen fünf saßen schon gemeinsam am Frühstückstisch und unterhielten sich. Der Kopf der Truppe sah lächelnd auf, als er Waleri bemerkte. "Morgen, Jungs und Mädels", warf Waleri etwas verschlafen in die Runde. "Morgen, Kumpel. ... Kaffee?" "Oh ja, das wäre super." "Dann setz dich mit her", schlug einer der Männer vor und sprang selbst von seinem Stuhl auf, um ihm eine Tasse aus dem Hängeschrank zu holen. Waleri warf einen schnellen Blick in die Runde. Alle Gesichter sahen ihn freundlich an oder lächelten sogar. Keinerlei Feindseligkeiten. Nachdem man gestern von Wasser auf Bier umgestiegen war, hatten sie aus Waleri wesentlich mehr herausgeholt, als er ursprünglich hatte erzählen wollen. Sie schienen ihn aber trotzdem nicht perse als Gefahr für ihre alteingesessene "Herde" eingestuft zu haben. Das war gut. Dennoch setzte ein auffälliges Schweigen ein. Was auch immer gerade besprochen worden war, wurde in seiner Anwesenheit nicht weiter ausdiskutiert. In seinen langen Jahren bei der Motus hatte Waleri ein feines Gespür für Geheimniskrämerei entwickelt. Aber er sagte nichts. "Hier, bedien dich einfach", bot Serhii ihm irgendwann an, um die verdächtige Stille zu unterbrechen, und schob ihm Brot und in Scheiben geschnittene Wurst hin. Olha kam mit Jacke und Tasche in die Küche marschiert, ihren Wohnungsschlüssel bereits in der Hand. Inzwischen war es Nachmittag und sie war sichtbar in Aufbruchstimmung. Sie hatte einen Kellner-Job in einer Kneipe, die erst abends öffnete. "So. Ich muss los. Und? Hast du dich schon entschieden, ob du bleiben wirst?", wollte sie hoffnungsvoll wissen. Waleri schaute aus dem Laptop hoch, den einer der Männer ihm geliehen hatte. "Ich habe es euch doch erklärt", meinte er zwischen geduldig und bedauernd. "Ich habe gerade kein laufendes Einkommen. Seit mein Schützling tot ist, muss ich erstmal sehen, wie es bei mir weitergeht. Ich könnte euch nichtmal meinen Anteil an der Miete zahlen." "Dann zahl eben erstmal keinen. Das ist doch egal. Wir alle sind einverstanden damit. Wenn du finanziell wieder besser aufgestellt bist, kannst du ja später immer noch anfangen, was zur Haushaltskasse beizusteuern." "Ach, Olha ..." Etwas ermattet fuhr sich Waleri mit den Fingerspitzen über die Stirn. Er mochte die fünf Sportler sehr und würde auch weiter engen Kontakt zu ihnen halten. Aber er hatte sich WIRKLICH vorgenommen, hier nicht als mittelloser Bettler in deren Wohnung einzuziehen, ohne etwas beitragen zu können. Doch sein Willen bröckelte langsam ernsthaft, wenn er von allen Seiten immer wieder das Gegenteil bekundet bekam. Die wollten ihn hier. Das gab ihm zwar ein tolles Gefühl, machte ihm aber auch ein schlechtes Gewissen. Sein Entschluss, hier NICHT direkt einzuziehen, geriet immer mehr ins Wanken. "Das ist nicht der Anspruch, den ich an mich selber habe, euch als Schmarotzer auf der Tasche zu liegen." "Also, ich geh jetzt! Und ich werde nicht 'tschüss' sagen. Wehe, wenn ich wiederkomme und du bist nicht mehr da!", scherzte sie. Dann deutete sie breit grinsend ein Winken an und verschwand zur Küchentür hinaus. Damit war sie schon die vierte. Die beiden Kerle und Katerina hatten die Wohnung bereits mit ähnlich klaren Worten verlassen. "Schon gut, schon gut!", rief Waleri ihr hinterher. Olhas Kopf erschien fragend wieder im Türrahmen. "Wenn ihr allesamt es denn unbedingt wollt, wäre es wohl unhöflich, das abzulehnen. Ich bleibe. Okay?" Die junge, blonde Frau lächelte wieder breit. "Ich freu mich!" Dann sah sie auf die Uhr und hechtete mit einem "Also lauf nicht weg!" eilig davon. "Euch ist aber schon klar, dass ich wenigstens noch meine Sachen aus der alten Wohnung holen muss, oder?", grummelte Waleri in sich hinein, auch wenn nur noch Serhii als letzter Übriggebliebener ihn hörte. "Hör mal ...", begann Serhii, als er mit Waleri endlich unter vier Augen war. Er klang sehr selbstbewusst und gewichtig, aber nicht bedrohlich. "Du sagtest, du willst eine Familie gründen und Kinder haben." "Vielleicht. Irgendwann mal. Warum? Ist das in eurer Herde nicht gern gesehen?" "Im Gegenteil. Die beiden Mädels fahren alle beide total auf dich ab und prügeln sich fast darum, welche dich zuerst drauf ansprechen soll. Welche würde dir denn besser gefallen? Oder könntest du es dir überhaupt mit einer der beiden vorstellen?" "Jetzt mal langsam!" Waleri kniff überfordert die Augen zu und fuhr sich diesmal mit der ganzen Hand über den kahlrasierten Schädel. "Ich bin neu hier und freu mich, überhaupt von euch angenommen zu werden. Es wird definitiv nicht meine erste Amtshandlung seine, eure Mädchen für mich zu beanspruchen. Gib der Sache mal noch etwas Zeit. Wir kennen uns ja gegenseitig noch gar nicht." Serhii lächelte erleichtert. "Das ist anständig", pflichtete er ihm bei. "Aber ich sag´s dir trotzdem. Die Mädels mögen dich. Also nur keine falsche Scheu. Und von Beanspruchung kann wohl auch keine Rede sein. Die beiden haben schon ein Mitspracherecht, wen sie wollen und wen nicht." "Ich nehm das so zur Kenntnis", schmunzelte Waleri amüsiert zurück. Er stand vom Tisch auf, zog die Tür des Geschirrspülers auf und machte Anstalten, diesen ausräumen zu wollen. Er hatte gerade das Bedürfnis, sich nützlich zu machen. "Aber noch was anderes ..." "Hm?" "ICH mag dich ja auch. Aber machen wir uns nichts vor: Ich bin dir nicht gewachsen. Du wärst der bessere Herdenführer von uns beiden." "Jetzt reicht´s aber", schnappte Waleri, schon nicht mehr so amüsiert. Er richtete sich wieder zu voller Größe auf. Der Geschirrspüler war schlagartig vergessen. "Das meine ich ernst", stellte Serhii klar, lehnte sich mit dem Hintern gegen eine Arbeitsflächenkante, verschränkte die Arme und ließ der sehr ernsten Stimme einen nicht minder ernsten Blick beikommen. "Du hast mehr Stärke, sowohl körperlich als auch geistig. Und wesentlich mehr Erfahrung." "Das schmeichelt mir, wenn du das so siehst. Und frag mich meinetwegen auch um Rat, wenn du es für nötig hältst. Aber behalte deinen blöden Herdenführer-Posten für dich. Ich WILL den gar nicht." Serhii verengte ein wenig die Augen, als er versuchte, den emotionalen Abstand zwischen sich und Waleri neu auszuloten. "Bist du beleidigt?" "Nein!?", blaffte Waleri entrüstet und strafte diese Negierung damit Lügen. "Ich frag mich nur, wofür ihr mich haltet! Wenn ihr mir gleich am ersten Tag die Mädchen und den Alpha-Status antragen wollt, ohne dass ich selber die geringsten Andeutungen in diese Richtung gemacht habe, gibt mir das arg zu denken." "Ah", machte Serhii verstehend. "Du hattest in deinem Leben offensichtlich noch nicht sehr oft mit anderen Elasmotherium zu tun", stellte er fest. "Du bist den Umgangston innerhalb unserer Art nicht gewohnt. Wir neigen dazu, sehr direkt zu sein und Grenzen sofort zu klären, BEVOR jemand sie überschreitet. Ich will dir meine Frauen und meine Herde nicht aufdrängen. Ich will nur wissen, welche Ambitionen du hast, und worauf ich gefasst sein muss. Wenn du keinen Wert auf irgendwas davon legst, soll mir das Recht sein. Ich will nur nicht, dass irgendwann plötzlich Konkurrenz-Gerangel zwischen uns beiden aufkommt, ohne dass ich weiß, wie mir geschieht. Gerade WEIL du im Ernstfall eine Gefahr für mich wärst." Ein spontanes Schmunzeln lockerte die Stimmung plötzlich spürbar auf. "An diese Art Umgangston wirst du dich übrigens auch bei den Mädchen gewöhnen müssen. Nicht, dass du sie am Ende noch für unhöflich hältst, nur weil du es nicht besser weißt." Waleri winkte genervt ab. "Mal´n anderes Thema. Ich hab über diese Dachverband-Sache nachgedacht. Eine eigene Kampfsport-Liga für Elasmotheriums, du weißt schon", begann er zu erzählen und drehte ihm den Laptop hin, um ihm zu zeigen, was er gerade recherchierte. "Ich denke, wir sollten das durchziehen. Ich kann das. Und ihr seid nicht so blöd, wie ihr denkt. Wenn ich euch ordentlich instruiere, könnt ihr das auch. Ihr müsst nur wissen, was zu tun ist, das ist alles." Serhii wollte betont skeptisch erscheinen, konnte sein Interesse aber dennoch nicht ganz verbergen. Mit leicht zusammengezogenen Augenbrauen überflogen er zunächst den Text auf dem Bildschirm, bevor er sich dazu durchrang, etwas zu sagen. "Du meinst das ernst, oder?" "Eure 5´er-Truppe hier ... dieses eingeschworene Team ... ist zu mehr bestimmt als in einem insolventen Gym zu verrotten und ohne Murren zu akzeptieren, dass der Weg in den Profi-Sport futsch ist. Lass uns das ändern! Wir sind Elasmotherium, Serhii", meinte er eindringlich. "Der Profi-Sport ist unser Leben. Ich weiß das. Ich bin selber eins." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)