Das Leben danach von Futuhiro (Magister Magicae 12) ================================================================================ Kapitel 2: Der private Club --------------------------- Es wurde langsam spät. Die Straßenbeleuchtung ging gerade flackernd an, als Waleri vor der unscheinbaren Milchglas-Tür auftauchte und sich suchend umsah. Keine Werbung und kein Klingelschild verrieten, was sich hinter dieser Tür verbarg, aber trotzdem war er sich halbwegs sicher, hier richtig zu sein. Andere Gebäude, die in Frage kamen, gab es jedenfalls weit und breit nicht. Bei genauerem Hinschauen entdeckte Waleri auch endlich die Hausnummer etwas abseits und gut versteckt an der Wand. Ja, hier war es. Und drinnen brannte Licht. Ohne groß zu Überlegen streckte er die Hand nach dem Metallgriff aus und drückte die Tür auf. Drinnen eröffnete sich ihm eine ganz eigene Welt, die er schon viel zu lange hatte missen müssen. Kaltes Neonlicht fiel funkelnd auf sauber geputztes Metall. Überall standen Trainingsgeräte herum. Hantelbänke, Gewichte, schwere Maschinen. Im hinteren Teil tänzelten zwei Sportler in einem Boxring umeinander herum. Irgendwo wurde lautstark ein Sandsack verdroschen. Waleri wurde sofort nostalgisch. Ihm gefiel es hier, auch wenn die weitläufige Lokalität auffallend verlassen wirkte. Es war keiner weiter da. Beim ersten Rundblick zählte Waleri vier Personen zwischen den gefühlt sechzig Geräten. Eine Frau kam von der Seite anspaziert und blieb verwundert stehen, als sie Waleri erblickte. Sie hatte breite Schultern, ein kantiges Gesicht und jede Menge Muskeln, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan als Bodybuilding zu trainieren. Sie hatte ihre schwarz gefärbten Haare zu einem Zopf gebunden und schleppte ein Paar Boxhandschuhe in der Hand mit sich herum. Der Blick ihrer stahlgrauen Augen scannte Waleri eingehend von oben bis unten und wieder hinauf. "Hallo ...", grüßte Waleri sie etwas verunsichert, weil er diesen Blick nicht recht einordnen konnte. Sie deutete kurz mit dem Zeigefinger auf ihn. "Du bist ein Elasmotherium", stellte sie in einem Tonfall fest, als wäre sie verwundert, warum sie ihn nicht kannte. "Ja ... äh ... du kannst Waleri zu mir sagen." Ihre Zungenspitze stocherte deutlich sichtbar in die Innenseite ihrer Wange, was ihr Gesicht neckisch ausbeulte. Sie schien kurz irgendwas abzuwägen. Dann klatschte sie mit einem schiefen Grinsen ihre Boxhandschuhe gegen Waleris Brust, so dass er diese reflexartig auffangen musste. "Zieh die Straßenschuhe aus und komm mit", trug sie ihm auf. "Ich bin übrigens Katerina. Freut mich." Sie drehte sich um, ging voraus und rief lautstark nach einem gewissen Serhii. "Wa-warte mal! So war das nicht gedacht!", protestierte Waleri überfordert, und beeilte sich, die Schuhe loszuwerden, um ihr nacheilen zu können. Er fühlte sich wie ein Diener, der seiner Herrin die Ausrüstung hinterhertragen musste. Waleri hätte sich gern verunsichert am Kopf gekratzt, aber die dicken Sparringhandschuhe, in die er eingesperrt worden war, verhinderten es. Er wusste gar nicht mehr, wann er das letzte Mal Boxhandschuhe getragen hatte. Von dieser überflüssigen Erfindung hatte er schon in seiner Jugend sehr schnell Abstand genommen. Zumindest die Zahnschiene war ihm erspart geblieben. Er hatte keine eigene dabei, und eine fremde stand aus hygienischen Gründen nicht zur Debatte. Ein Typ hüpfte vor ihm herum wie ein euphorischer Flummi. Serhii hieß er. Er hatte ein freundliches Gesicht, dem ein Pony fransig ins Gesicht hing. Er trug eine schnurgerade geschnittene Trainingshose, die jegliche Silhouette kaschierte, und ein ärmelloses Oberteil. Im Gegensatz zu Waleri trug er auch eine Zahnschiene. Der Mann wirkte hellauf begeistert, ein neues Gesicht hier zu sehen, und hampelte wohl deshalb so enthusiastisch herum. Dennoch schien er zu wissen, was er tat. Der Kerl hatte augenscheinlich schon öfter im Ring gestanden. Zwei weitere Kerle und die Frau, allesamt Elasmotherium wie er selber, lehnten auf den Ringseilen und grinsten sensationslüstern. Die wollten den Gast unbedingt kämpfen sehen. Dabei hatte der nichtmal Sportsachen dabei. Waleri war völlig unvorbereitet hier aufgeschlagen. Er hatte schließlich nur quatschen wollen, nicht trainieren. "Los, tu schon was! Greif mich an!", nuschelte Serhii durch sein Gummigebiss. Waleri ließ lustlos die Schultern hängen. "Ernsthaft jetzt? Ich bin ja noch nichtmal aufgewärmt." "Hast du Schiss?" "Schon, ja. Aber nicht vor dir, sondern um dich, Kollege." "Jetzt mach schon! Quatsch hier keine Opern!", verlangte Serhii wieder und puffte Waleri mit seinen großen Polsterglocken von Boxhandschuhen an. Er hielt das wohl für einen harten Schlag. Für Waleri, der beileibe anderes gewöhnt war, fühlte es sich an wie ein kameradschaftlicher Schulterklopfer. Waleri kassierte abermals einen wattegepolsterten Schlag, gleich einem schlechten Rempler. Er rollte seufzend mit den Augen. Die hatten ihm noch nicht einmal gesagt, was die hier überhaupt trainierten. Boxen, Kickboxen, Wrestling, MMA, es gab da durchaus Unterschiede. Und er wollte nicht schon nach dem ersten Schlagabtausch als unfairer Kämpfer dastehen, der Regeln brach. Aber dann entschied er, dass es ihm eigentlich auch egal war. "Na schön. Wenn du denn drauf bestehst ..." Waleris Rechte schnappte nach vorn. Kerzengerade. Ohne Schwung zu holen. Ohne zu zielen. Aber sie schlug in Serhiis Gesicht ein wie ein Rammbock. Serhii fiel baumstammgleich nach hinten um. - Und blieb liegen. In den Ringseilen war ebenfalls übergangslos Ruhe. Katerina hatte erschrocken die Hände vor den Mund geschlagen, einer der Kerle fuhr sich erschüttert und überfordert durch die Haare. Der andere kletterte nach kurzem Hadern in den Ring, um Serhii wieder auf die Beine zu helfen. Waleri schüttelte unterschwellig den Kopf. "Hört mal, Freunde, wollen wir uns nicht lieber irgendwo hinsetzen und uns erstmal unterhalten?" Mit den Zähnen zerrte er den Klettverschluss eines seiner Boxhandschuhe auf, bevor noch jemand auf die Idee kam, ihn in Kämpfe verwickeln zu müssen. Keine zwanzig Minuten später saßen sie tatsächlich in einer dunklen, verrauchten Kneipe um die Ecke und hatten Getränke vor sich auf dem Tisch stehen. Soeben gesellte sich noch eine Frau dazu, die heute nicht mit im Club trainiert hatte, aber nun mittels eines Handyanrufs noch herbeizitiert worden war. Sie war jünger, hatte etwas weichere Gesichtszüge, und ihre Statur war noch nicht so aufgepumpt wie die von Katerina. Dennoch sah man auch ihr die Elasmotherium-Abstammung deutlich an. "Das hier ist Olha", stellte Serhii ihm die junge Frau vor. "Jetzt sind wir vollzählig. Hier siehst du meine ganze Truppe." Er gestikulierte einmal rund um den Tisch. Waleri nickte leicht. "Und du bist der Chef?" Der K.O. gegangene Fighter, von dem Waleri inzwischen wusste, dass er der Besitzer des Fitness-Studios war, konnte sich ein kurzes Lächeln nicht verkneifen. "Vermutlich. Jedenfalls behaupten das immer alle." "Du hast ne ganz schön große Mucki-Bude für fünf Leute." "Wir waren mal mehr. Viel mehr", meinte Serhii nur sentimental und setzte seine Kaffeetasse an, um sie in einem Zug halb zu leeren. "Was ist passiert?" "Elasmos dürfen hier in Russland nicht mehr in der Profi-Liga kämpfen, DAS ist passiert. Wir sind anderen körperlich überlegen." Waleri zog ein irritiertes Gesicht. Seit er all seine Aufmerksamkeit der Motus gewidmet hatte, hatte er die Szene ziemlich aus den Augen verloren. Aber er glaubte, dass er sowas Gravierendes schon trotzdem irgendwo aufgeschnappt hätte. "In welchen Sportarten?" "In allen. ... Zumindest in den Kampfsportarten. Im Bodybuilding auch. Naja, wenigstens Golf spielen dürfen wir noch." "Hab ich gar nicht mitbekommen. Seit wann?" "Seit ein paar Jahren erst. Aber das hat einigen Kämpfern echt den Boden unter den Füßen weggezogen. Viele unserer Kämpfer haben ihren Lebensunterhalt damit verdient. Sie standen plötzlich ohne Existenzgrundlage da. Und wenn nicht das, dann hat es ihnen zumindest die Motivation fürs Weitertrainieren geraubt." "Wir sind einfach zu stark und kloppen alles weg, was sich uns in den Weg stellt, wenn wir gut trainiert sind. Gerade wenn es Wettkampf-Regeln gibt, was erlaubt und was verboten ist. Die schränken das Spektrum an Angriffstechniken, mit denen man uns schlagen könnte, ziemlich ein", erklärte Katerina. "Man hat es irgendwann als unlauteren Wettbewerb eingestuft, uns gegen Menschen oder andere Genii um Titel kämpfen zu lassen." Waleri brummte unzufrieden. Diese Entwicklung gefiel ihm gar nicht. Er hatte eigentlich gehofft, selbst wieder im professionellen Kampfsport Fuß fassen zu können. Was hätte er beruflich auch sonst anderes tun sollen? Weiter kriminell bleiben? "Auf der Straße gibt es keine Regeln ..." "Nein, aber auch keine Titel." "Aber Preisgelder. Und zwar nicht zu knapp." Serhii zog eine unschlüssige Flunsch. "Die allermeisten von uns bevorzugen es, legal zu bleiben. Wir Elasmos haben eh schon keinen hohen Stand. Es liegt uns fern, unseren Ruf auch noch damit zu schädigen, dass wir in den Untergrund gehen und jede Woche irgendwo eine unserer Veranstaltungen von der Polizei aufgelöst wird." Waleri überlegte kurz. "Okay. Warum gründen die Elasmotherium dann nicht ihre eigene Liga? Eine legale, meine ich. Wurde das auch verboten?" Serhii gab einen belustigten Laut von sich. "Nein, das nicht. Aber würdest du dir diesen Schuh anziehen wollen? Ich nicht. Das ist ne Nummer zu groß für uns. Keiner von uns hat die nötige Kohle oder die nötigen Connections dafür. Für sowas braucht man Sponsoren und das Wohlwollen der Medien. Beides haben wir verloren, als wir aus dem Profi-Sport verbannt wurden. Und vor allem braucht man Geschäftssinn. Du weißt, dass wir Elasmos nicht als übermäßig intelligent gelten. Ein Fitti zu haben und von den Einnahmen neue Sportgeräte zu kaufen, ist das höchste der Gefühle. Einen Dachverband samt PR-Abteilung zu managen, ist eine ganz andere Hausnummer." Waleri deutete eine sonderbare Kopfbewegung, halb Nicken, halb nachdenkliches Wiegen, an und ließ den Blick auf der Tischplatte ruhen. Er hätte sich das schon zugetraut. Verdammt, er hatte gemeinsam mit Vladislav ein internationales Verbrecher-Kartell geleitet, und zwar in einer so cleveren Weise, dass die Polizei ihnen nichts konnte. Und Vladislav hatte beileibe nicht alles selber machen müssen, weil Waleri zu dumm dazu gewesen wäre. Waleri wusste sehr gut, wie man eine Organisation aufbaute und am Laufen hielt. Das einzige, was er vielleicht an Wissen und Fertigkeiten noch gebraucht hätte, waren ein paar gesetzliche Regelungen aus dem Steuerrecht, um die Buchhaltung so zu führen, wie die Ämter sich das wünschten. Aber das sagte er natürlich nicht. Es war noch zu früh für solche Details aus seiner Vergangenheit. "Erzähl doch mal!", wechselte Olha interessiert das Thema. "Wir dachten, wir würden alle Elasmotherium in der Gegend kennen. Wo hast du die ganze Zeit gesteckt? Bist du erst neu nach Moskau gezogen?" "Nein. Ich bin nur daran gehindert worden, im Kampfsport aktiv zu werden. Ich war bis vor Kurzem noch ein gebundener Schutzgeist und mein Schützling hatte einfach eine andere Lebensphilosophie." "Schützling?" Alle sahen ihn mit riesigen Augen an. "Du warst an einen magisch begabten Menschen gebunden?" "Er ist tot", meinte Waleri sachlich. Dann nahm er ruhig einen Schluck von seinem Wasser und stellte das Glas dann bedächtig zurück. "War es ein Unfall?" Der Hühne spielte mit den Fingerspitzen am Rand seines Glases herum, ohne dabei unruhig zu wirken. "Nicht direkt. Er hat sich mit den falschen Leuten angelegt. Da konnte selbst ich als sein Schutzgeist nichts mehr tun." Er musste kurz amüsiert schmunzeln, als er in die großen, fragenden Augen seiner Gesprächspartner schaute. Sie hingen an seinen Lippen als wäre er ein Märchenerzähler. "Na schön, ich will ehrlich zu euch sein", gab er dem stummen Drängen nach. "Mein Schützling ist erschossen worden. Er hat einigen, kriminellen Scheiß angestellt und sich damit Feinde gemacht." "Und dich haben sie am Leben gelassen? Obwohl du sein Genius Intimus warst?" Waleri nickte ruhig. Wich den Blicken nicht aus. "Weißt du, wer es war?" "Ja. Ich war ja dabei." "Und bist du nicht auf Rache aus, oder sowas?", wollte Serhii vorsichtig wissen. "Nein." Er schob sein Wasserglas mit den Fingerspitzen ein paar Zentimeter weiter. "Ich hatte die Pistolenmündung schon auf der Stirn. Aber ich bin am Leben gelassen worden. Das ist schon mehr als ich erwarten durfte. Alles was für mich noch zählt, ist, was ich jetzt aus diesem Leben mache, das mir geschenkt wurde." "Ich bin echt beeindruckt, wie umsichtig du mit deiner ganzen Situation umgehst. Die meisten anderen wären in die eine oder andere Richtung durchgedreht." Katerina verschränkte die Arme auf der Tischplatte und lehnte sich nach vorn. "Und was wirst du mit deinem Leben jetzt anstellen?", wollte sie wissen. Waleri musste sich ein Schmunzeln verkneifen. Wenn er jetzt erzählte, dass er sich endlich den Kinderwunsch erfüllen wollte, hätte das sicher wie die billigste Anmache auf Erden gewirkt. "Erstmal wäre es schön, überhaupt wieder Kontakt zu anderen Elasmos zu haben. Das wäre schon eine große Bereicherung. Der Rest wird sich ergeben." "Hast du denn keine Familie?" "Ich hätte wahnsinnig gern eine. Aber, nein, hab ich nicht", gab Waleri ruhig zurück, ohne Katerina oder Olha dabei zu direkt anzusehen. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, gleich hier und jetzt mit der Brautschau zu beginnen. "Mein menschlicher Schützling und seine menschliche Familie waren die einzige Familie, die ich je kannte und hatte. ... Er ... Er hatte einen wirklich ganz bezaubernden Sohn." Besonnen hob Waleri sein Wasserglas wieder an die Lippen und trank. Trotzdem zeigte seine Körpersprache deutlich genug, dass er die Vergangenheitsform ganz bewusst gewählt hatte und auch genau das damit sagen wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)