Das Leben danach von Futuhiro (Magister Magicae 12) ================================================================================ Kapitel 1: Das neue Leben ------------------------- Waleri trat in die Stripper-Bar ein, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben, und blieb im Eingang stehen. Er ließ lange den Blick schweifen. Er war sich noch nicht so sicher, ob das hier wirklich der Ort war, an dem er gerade sein wollte. Aber ihm fiel auch nichts Besseres ein, um den Kopf abzuschalten. "Darf ich dir Gesellschaft leisten?", wurde er unvermittelt von der Seite angequatscht. Waleri schaute fragend herum. Neben ihm war ein Mädchen aufgetaucht, natürlich kleiner als er selber, und ziemlich süß. Sie gehörte offenkundig zum Personal dieser Titten-Bar, aber sie wirkte im Moment eher besorgt als verführerisch. Ihr Blick erweckte den Eindruck, als wisse sie mehr über Waleris momentanes Innenleben als ihm lieb war. Sah man ihm seine Laune so deutlich an? "Danke, ich hab heute kein Interesse an Mädchen. Ich will mich eigentlich nur in aller Ruhe betrinken", wiegelte er sie gutmütig ab. Sie nickte. "Das ist in Ordnung", gab sie ruhig zurück. "Aber trotzdem siehst du aus, als könntest du jemanden zum Reden brauchen." Mit einem innerlichen Seufzen warf Waleri nochmal einen Blick in die Runde. Es war niemand hier, den er kannte. Alles nur anonyme, namenlose Gesichter. Genau darum hatte er sich ja für diese Lokalität entschieden. Und Herrgott nochmal, sein Schützling war gestern gestorben. Hatte er nicht gerade andere Probleme? "Na, meinetwegen", gab er sich geschlagen. Eigentlich hatte die Dame ja Recht. Allein sein wollte er wirklich nicht. Waleri hob das Glas, um sich den vierten Vodka hinterzuhauen. Da sie hier nicht stogram ausschenkten, sondern nur Fingerhüte, würde er sicher noch einige brauchen. Er hatte sich gleich mehrere bestellt. Drei weitere standen noch vor ihm. Diese Stripperin, die sich als Chantal vorgestellt hatte, saß ihm gegenüber, hatte das Kinn in die Hand gestützt, und beobachtete ihn besorgt. Sicher war 'Chantal' nur ihr Arbeits-Pseudonym. In diesem Gewerbe verriet man den Kunden nie seinen bürgerlichen Namen. Waleri war inzwischen der Meinung, dass sie auch kein Mensch war, sondern irgendein Genius. War ihm aber auch egal. "Kommst du hier aus Moskau? Oder bist du nur zu Besuch?", wollte Chantal wissen. Zuvor hatte sie sich als niederschwelligen Einstieg mit völligen Belanglosigkeiten begnügt, aber langsam hatte sie den Eindruck, dass er auftaute. Jedenfalls antwortete er nicht mehr so einsilbig wie zu Anfang. "Nein, ich wohne in Moskau. Mal sehen, wie lange noch. Bei mir orientiert sich gerade alles um, sowohl beruflich als auch privat." "Was ist das eigentlich für ein bekloppter Fluch, mit dem du da rumläufst?", wollte sie wissen, nachdem Waleri den vierten Vodka in Gänze intus hatte. "Was für ein Fluch?" Sie deutete mit dem Zeigefinger völlig ungeniert zwischen seine Beine. "Wenn du dich kastrieren willst, gibt es doch weiß Gott geeignetere Methoden." Waleri verengte skeptisch die Augen, weil er immer noch nicht glauben wollte, dass sie wirklich das gleiche meinte wie er. "Was willst du damit sagen?" In Zeitlupe, geradezu vorsichtig, stellte er das Schnapsglas ab. "Du bist doch auf magische Weise unfruchtbar gemacht, oder nicht?" "Das ist nur ein Fluch!!!???", erwiderte Waleri fassungslos. Er schnappte erneut nach dem leeren Glas und begann fahrig damit zu spielen, einfach nur weil er sonst nicht wusste wohin mit seinen Händen. "Ich dachte immer, in meinem Körper wäre organisch irgendwas kaputt gemacht worden. Also irreparabel." "Ist dir das etwa gegen deinen Willen angetan worden?", hakte sie, nicht minder perplex, nach und wirkte plötzlich selbst sehr betroffen. Waleri ließ das Glas klirrend auf die Tischplatte zurückfallen, faltete die Hände auf der Nasenspitze, konnte sein breites Grinsen aber dennoch nicht dahinter verbergen. Ihm schossen unvermittelt Tränen in die Augen, bei denen er sich gar keine Mühe gab, sie zu verbergen. Freudentränen. "Wenn das wirklich nur ein Fluch ist ... hast du mich gerade komplett wiederhergestellt und mir mein Leben zurückgegeben! Danke!", hauchte er und spülte das Bedürfnis, noch mehr zu weinen, mit einem weiteren Schnaps herunter. "Ich wollte immer Kinder. Schon immer! Immer, immer, immer. Aber zuerst haben meine Lebensumstände es nicht hergegeben, und dann war ich nicht mehr in der Lage dazu", erzählte er mit vielsagendem Deut auf seinen Unterleib. "Aber wenn das nur ein Fluch ist, kann man den ja brechen und das Problem damit beheben." Das Mädchen lächelte ihn begeistert an. Sie freute sich sichtlich, dass sie ihm hatte helfen können. "Ich glaube, du hast viel zu erzählen. Wollen wir nicht doch lieber in eins der Hinterzimmer gehen, wo es ruhiger ist?" "Oh, Ralf!", grüßte sie begeistert, als ihnen im Gang ein Security entgegen kam. Genau der, den sie gerade brauchte. "Du kennst dich doch mit Flüchen aus. Kannst du dir das hier mal kurz ansehen? Bekommst du das gelöst?" Der Angesprochene war schlank aber sportlich, hatte schwarze, wuschelig nach oben gegeelte Haare, und ein hautenges, ebenso schwarzes T-Shirt mit dem sehr fragwürdigen Aufdruck: [x] fuck me [ ] fuck you [ ] fuck off Er trat mit einem einverstandenen Schmunzeln näher und fuhr suchend mit der Handfläche über Waleris Bauchmuskulatur, ohne ihn vorher um Erlaubnis zu fragen. Aber Waleri war gerade zu glücklich, um zu protestieren. "Hm. Das ist ein ganz schön alter Fluch. Den trägst du schon länger mit dir rum, oder?" Waleri wollte gerade bestätigen, als eine Schmerzexplosion zwischen den Beinen ihn mit dem gesamten Oberkörper nach vorn knicken ließ. Als hätte ihm jemand in die Eier getreten. Schockiert schnappte er nach Luft. "Ach ja, ich hätte dazusagen sollen, dass es ein bisschen wehtun kann, so alte Flüche zu brechen", meinte Ralf schief grinsend. "Aber es geht gleich wieder." "Danke", strahlte die Stripperin ihn fröhlich an. "Ja ... danke ...", presste auch Waleri hervor. Er versuchte mühsam, sich wieder aufzurichten und seine Schnappatmung unter Kontrolle zu bekommen. Der Sicherheitsmann klopfte ihm bekräftigend auf die Schulter. "Nimm von jetzt an Gummis, Kumpel. Nicht, dass du mir meine Mädchen schwängerst", scherzte er und ging dann einfach weiter, wohl wissend, dass sich die Freudenmädchen so oder so nicht auf ungeschützten Verkehr eingelassen hätten. Er hatte offensichtlich zu tun und hatte sich wohl nur aus Kulanz kurz aufhalten lassen. Waleri atmete nochmal tief durch, dann war der Schmerzreiz tatsächlich auch schon wieder gänzlich verflogen. Der Mann hatte nicht zuviel versprochen. Trotzdem stemmte er die Hände in die Seiten und legte kurz den Kopf in den Nacken, um sich wieder in den Griff zu kriegen. "Was zur Hölle!?", konnte er sich nicht verkneifen. "Der Typ wusste sofort, worum es geht, oder? Ohne, dass ihm jemand ein Sterbenswörtchen sagen musste?" "Japp. Für Fluch-Magier sind Flüche so leicht zu erkennen und zu lesen, als hätte es dir jemand groß in Leuchtschrift auf die Brust geschrieben. Ob sie dir helfen können, ist eine andere Frage. Aber auslesen können sie Flüche problemlos." Waleri war einen Moment lang sauer auf Victor, der jahrelang mit ihm zu schaffen gehabt und nie einen Kommentar zu diesem Fluch verloren hatte. Der war auch Fluch-Magier. Und noch dazu ein dermaßen begnadeter, dass er heutzutage angeblich sogar irgendwo unterrichten sollte. ... Aber dann entschied Waleri, dass er jetzt wahrlich anderes zu tun hatte, als sich über Victor zu ärgern. Das Leben war zu schön und gerade so voller Freude, dass alle negativen Gedanken schnell wieder verblassten. "Bist du auch ein Fluch-Magier, wenn du das so schnell erkennen konntest?" "Nein, ich bin Wahrsager. Ich sehe Tatsachen, die andere nicht wissen." Sie hatte ihren Kopf auf seiner Schulter geparkt und kuschelte sich gemütlich an ihn an. Ihre Hand lag lose auf seiner Brust. Waleri starrte die Decke an. Er genoss einfach nur die zärtliche Nähe und die ruhige Zeit. Er glaubte nicht - und hatte es eigentlich auch nicht vor - dass hier noch was Ernstes zwischen ihnen beiden passierte. Sie lagen wirklich nur zum Reden und mangels anderer Sitzplatzalternativen im Bett. "Also!", hob sie irgendwann an. "Ich gebe mal einen Tipp ab." "Ich höre." "Bei deiner Statur hast du es höchstwahrscheinlich erstmal mit einer Sportler-Karriere versucht. Ich schätze Wrestling, oder Boxen, oder irgendein anderer, körperbetonter Zweikampfsport. Wahrscheinlich war das zu diesem Zeitpunkt auch das Einzige, was du konntest." "Hm", machte Waleri nur. Noch war er amüsiert darüber, wie richtig sie lag. "Die Sport-Karriere hast du vermutlich in den Sand gesetzt." "Wem sagst du das ..." "Wie ging es weiter? Hattest du einen Plan? Oder hast du dich mit Gelegenheits-Jobs über Wasser gehalten, bis dir eine zündende Idee kam?" Waleri starrte weiter nachdenklich zur Decke hoch und sagte nichts mehr. In den Bordellen, in denen er früher verkehrt hatte, hatte er den Mädchen alles erzählen können. Sie hatten sowieso gewusst, wer er war, und waren trotzdem verschwiegen gewesen. Aber in diesem Club hier war er noch nie zuvor gewesen. Er kannte die Mädchen hier nicht. Den Besitzer ebenso wenig. Er würde sich hüten, auch nur ein Wort über seine kriminelle Vergangenheit zu verlieren. Oder überhaupt über seine Vergangenheit. Auch dass er einen Schützling gehabt hatte, der jetzt tot war, musste sie nicht wissen, ganz gleich wie vehement sie ihm Redebedarf unterstellte. Hätte er reden wollen, hätte er sich andere Gesprächspartner gesucht. Chantal bohrte auch nicht weiter. Eine Weile schwieg sie ebenfalls. "Hast du schon ein liebes Mädchen ins Auge gefasst, wenn du sagst, dass du Kinder willst?", versuchte sie irgendwann ein neues Thema. "Klingt ja stark nach Familiengründung." Waleri seufzte leise. "Würde ich schon gern. Aber Elasmotherium sibiricum sind selbst hier in Russland nicht sehr verbreitet. Und wenn, dann hausieren sie nicht damit, was sie sind. Ich wüsste nichtmal, wo ich suchen soll. Ich kenne jedenfalls keine." "Elasmos ...", überlegte die Stripperin laut. Sie nahm ihren Kopf von seiner Schulter, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Man sah förmlich die Zahnräder hinter ihrer Stirn rattern, während sie überlegte. "Ja, ich glaube, am Roten Platz gibt es eine kleine Mucki-Bude, die von drei oder vier Elasmos betrieben wird, in die aber sonst keiner reingelassen wird. Wie so´n Privatclub. Aber vielleicht kann man zumindest mal mit ihnen reden. Die könntest du ja als Ausgangspunkt für deine Suche nehmen." Waleri zog die Stirn in Falten. "Echt? Dann werde ich das mal tun. Danke für den Tipp!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)