Warsong von Ceydrael ================================================================================ Kapitel 5: Zeichen ------------------ Der 'Newtech' Slightjet zog einen trägen Kreis um den Newgate-Tower, bevor Curiel zum Landen auf der hauseigenen Plattform ansetzte, die sich seitlich wie ein überdimensionaler, ovaler Balkon an das obere Viertel des Gebäudes schmiegte. Inzwischen war die Sonne über den Horizont gekrochen und die Stadt erwacht. Die Automobile und Menschen huschten von hier oben gesehen wie Ameisen durch die Straßen und wo die Neonbanner der Stadt bei Nacht einen futuristisch geheimnisvollen Hauch verliehen, wirkte Tokio bei Tage geradezu langweilig. Nur eine weitere, übervolle Megametropole, die den Glamour der Nacht abgeworfen hatte und nun ernüchternd kalt und grau und reizlos war. Marco sprang aus dem eben gelandeten Jet und duckte sich unter der dröhnenden Zugluft der horizontalen Turbinen hinweg, die seine Haare und seinen Mantel aufwirbelten. Hinter ihm kam Law dicht auf, der seine Jacke über der Brust festhielt und sich beeilte, dem Blonden zu folgen. Jozu wartete mit verschränkten Armen wie ein unbezwingbarer Felsen bei der Tür zum Fahrstuhl, neben ihm Kalifa, die ihren Rock und die ordentliche Hochsteckfrisur hinter Jozus massiger Gestalt vor dem scharfen Wind zu schützen versuchte. Es war selbstverständlich, dass das Sicherheitsteam am Wochenende arbeitete, aber das Kalifa ebenfalls hier war, überraschte Marco dann doch. Kalifa wirkte erleichtert, als Marco und Law bei ihnen ankamen, Jozu stattdessen musterte den jungen Mann hinter Marco grimmig und mit professionellem Blick, als wollte er das Gefahrenpotenzial abschätzen, das er hier womöglich zu erwarten hätte. »Sie wissen schon, dass Sie eigentlich Wochenende haben...?!«, fragte Marco an Kalifa gewandt, wobei er die Stimme ein wenig hob, um die langsam herabdrehenden Turbinen des Jets zu übertönen. Kalifa schmunzelte leicht. »Ihr Vater bat mich, noch ein paar... organisatorische Dinge zu übernehmen und da konnte ich natürlich nicht Nein sagen. Und so wie ich das hier sehe«, sie musterte Marcos und Laws desolate Erscheinungen über ihre schmale, randlose Brille hinweg, »ist es wohl gut, dass ich da bin. Ich habe ihnen bereits frische Kleidung geordert.« »Sie sind ein Engel«, meinte Marco dankbar und das entlockte der strengen Assistentin ein aufrichtiges Lächeln. Hinter ihnen kamen nun auch Izou und Namur herangetrottet, beide hatten ihre Gewehre geschultert und blieben hinter ihnen in einem unauffälligem, doch präsentem Abstand stehen. Curiel indes war der Letzte, der den Jet verließ, doch er widmete sich noch den routinierten Sicherheits- und Wartungschecks des Flugzeuges. Als ihr bester, hauseigener Pilot war ihm besonders daran gelegen, dass es der Technik an nichts fehlte. Sie betraten nun zu sechst den Lift, wobei Namur und Izou sich wie zufällig rechts und links von Law positionierten. Auf Marcos Anweisung hin hatten sie ihm sein Katana zwar gelassen, doch das hieß natürlich nicht, dass sie dem unbekannten, jungen Mann vertrauten. Jozu hatte seinen Leuten sicher die eindeutige Anweisung gegeben, Law nicht aus den Augen zu lassen. »Ich lasse Ihnen die frische Kleidung in den Freizeitbereich der Mitarbeiter bringen, Phoenix-san. Sicher wollen Sie und Ihr Begleiter erst einmal eine Dusche nehmen. Danach steht auf der Gästeetage ein Frühstück für sie bereit und Mister Force erwartet sie dort. Wir haben eines der Gästezimmer zu einer provisorischen Krankenstation für die junge Frau umgestaltet, die hierher gebracht wurde«, teilte Kalifa Marco geschäftig mit, während sie nebenher ein paar Punkte auf ihrem Digitalpad abhakte. Marco bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Law sich rührte und wahrscheinlich schon etwas sagen wollte... und sofort zuckten Izous und Namurs Hände zu ihren Waffen. Doch im nächsten Moment schien er es sich anders zu überlegen und schwieg, wenngleich ein spöttischer Ausdruck über sein Gesicht huschte, als er die Reaktion der Männer bemerkte. Marco vermutete, dass Law eigentlich schnellstmöglich zu seiner Schwester wollte, doch offenbar schien er einzusehen, das sie so verdreckt vielleicht nicht unbedingt bei dem komatösen Mädchen auftauchen sollten. Sie erreichten die Ebene mit dem Freizeitbereich für die Mitarbeiter, der unter anderem ein gut ausgestattetes Fitnessstudio, eine kleine Saunalandschaft und einen eigenen Sanitärbereich beherbergte. Jozu versuchte noch mit Marco zu diskutieren, da er darauf bestehen wollte, dass Namur und Izou sie begleiten sollten, doch Marco wehrte das entschieden ab, obwohl er Jozus Sorge durchaus verstehen konnte. Unzufrieden musste sich der Sicherheitschef trotzdem geschlagen geben und zog mit seinen Männern und Kalifa ab. Damit waren Marco und Law allein. »Tut mir leid, sie sind ein wenig nervös, wenn Fremde im Haus sind...«, erklärte Marco mit einem nachsichtigen Lächeln. Er selbst machte sich keine sonderlichen Sorgen, dass der junge Mann ihn hinterrücks ermorden könnte - was hätte der auch schon davon? Er hätte in den letzten Stunden wohl mehr als einmal die Möglichkeit gehabt, Marco sein Katana zwischen die Rippen zu jagen. »Das ist schon in Ordnung. Ich würde Fremde in meinem Haus sicher auch nicht aus den Augen lassen...«, räumte Law achselzuckend ein, während er neben Marco herging und sich aufmerksam umsah. Allgemein wirkte der junge Mann stets und ständig wachsam und Marco fragte sich unwillkürlich, ob er seine Deckung eigentlich jemals fallen ließ. Wie versprochen lagen ein paar einfache, aber saubere Wechselsachen für sie bereit, die wahrscheinlich dem Fundus der Arbeitskleidung für die Mitarbeiter entstammten. Es gab getrennte Duschbereiche und sie zogen sich jeweils in einen davon zurück. Marco war mehr als froh, die mit Scornblut getränkten Klamotten endlich los zu werden und quälte sich ein wenig umständlich aus seinem zerfetzten Hemd. Er war gerade dabei den Gürtel seiner Hose zu öffnen, als ihn ein Räuspern unterbrach und er sich umsah. Law stand hinter ihm, barfuß, sonst aber noch völlig bekleidet, und starrte fast ein wenig überrascht auf Marcos nackten Rücken. Doch er besann sich schnell und deutete erklärend auf den provisorischen Verband an Marcos Arm. »Ich... dachte, du brauchst vielleicht Hilfe mit dem Verband, damit du die Wunde mit klarem Wasser auswaschen kannst. Dann sollte das aber definitiv nochmals gründlich desinfiziert werden.« Marco war ein wenig verwundert über die unerwartete Fürsorge, nickte Law aber einwilligend zu und dieser kam zu ihm herüber, um ihm die blutigen Stoffstreifen vorsichtig abzuwickeln. Allein mit einer Hand hätte Marco wahrscheinlich wirklich Probleme damit gehabt. »Ein beeindruckendes Tattoo...«, meinte der junge Mann dann aus heiterem Himmel und Marco blinzelte, bevor er begriff, dass Law wohl deshalb eben so überrascht gewesen war, weil er die riesigen, türkisflammenden Phönixschwingen gesehen hatte, die Marco auf den Rücken tätowiert trug und die seine Schulterblätter überspannten. »Eine unbedachte Jugendsünde...«, erklärte Marco leichthin und Law hob für einen Moment den Blick, um ihn mit leicht schräg gelegtem Kopf forschend und kritisch gehobener Braue anzusehen. »Na schön... so unüberlegt war es nicht. Es hat eine ziemlich theatralische Bedeutung für mich, eigentlich recht albern und banal und wenn ich von einer Jugendsünde rede, klingt's einfach verwegener...«, gestand Marco dann mit einem schiefen Grinsen. Marco hätte es kaum für möglich gehalten, doch ein winziges Schmunzeln zupfte an Laws Mundwinkeln, aber er senkte den Blick rasch wieder auf seine Finger, die geschickt und fliegend den Verband lösten. Eigentlich hätte Marco Law gern nach der Bedeutung seiner Tattoos gefragt, vor allem, als er jetzt die Ausläufer eines weiteren Tattoos auf der Brust des jungen Mannes unter dem runden Halsausschnitt des kaputten Shirts hervorlugen sah, doch vermutlich wäre das schlichtweg unpassend und viel zu privat, immerhin kannten sie sich... wie lang? Vielleicht acht Stunden?! Nachdem Law fertig war, zog er sich auch schon wieder zurück und ließ Marco allein. Nach der längst überfälligen Dusche machten sie sich dann auf in die Gästeetage des Towers. Kalifa hatte Laws Konfektionsgröße mit nur einem Blick beinahe perfekt abgeschätzt, bemerkte Marco erstaunt. Der junge Mann trug jetzt ein einfaches, dunkles Poloshirt und eine lockere Stoffhose, in denen sein schlanker, aber trainierter Körperbau wesentlich sichtbarer war als in den Motorradklamotten zuvor. Sie verließen den Lift und betraten den großen, gemütlichen Aufenthaltsraum, der den Ausgangsbereich zum Gästetrakt des Towers darstellte. Das Zentrum des Raumes bildete ein flaches Podest aus dem Holz der japanischen Zeder. Darauf stand ein langer, niedriger Tisch und darum waren viele, dezent farbige Zabuton drapiert. Es gab eine europäisch angehauchte, gemütliche Sitz- und Leseecke mit einem gut bestückten Bücherregal und einem modernen Flat-Screen an der Wand, in einer weiteren Ecke stand ein kleiner Tisch mit einem Shogi-Brett neben einem herrlich bewachsenen Zimmerbrunnen. Mannshohe, schlanke Bambusstängel dienten als Begrünung und gleichzeitig als Raumtrenner. Eine Seite des Zimmers bestand aus einem riesigen Panoramafenster, gerahmt von kunstvoll und akkurat geschnittenen Bonsai-Bäumen in schlichten Tontöpfen. Die mechanischen Außenjalousien hatten sich dem Stand der Sonne automatisch angepasst und ließen sanftes Morgenlicht herein. Auf dem Tisch in der Mitte war ein üppiges Frühstücksbuffet angerichtet und dort saßen Shanks und eine dunkelhaarige Frau, die jetzt ihr gedämpftes Gespräch unterbrachen, als Marco und Law den Raum betraten. Die beiden erhoben sich von ihrem Platz und kamen zu ihnen herüber. Die unbekannte Frau trug einen einfachen, cremefarbenen Cardigan, darunter einen schlichten Pullover und eine legere, dunkle Hose. Ihr Haar war zu einem zweckmäßigen Zopf gebunden. Sie verbeugte sich höflich, bevor sie ihnen freundlich entgegen lächelte. Ihr Haar hatte einen satten, dunklen Ton mit einem Hauch von Grün darin und ihre Augen strahlten in einem kräftigen Braun. Sie war keine überragende Schönheit, doch ihre warmherzige Aura und ihr offenes Lächeln, das ihr Gesicht zum Leuchten brachte, machten sie durchaus attraktiv. Shanks musterte Law nachdenklich, schien sich in der Hinsicht aber auf Marcos Urteilsvermögen zu verlassen und stellte dessen Hiersein damit auch nicht weiter in Frage. Während ihres Rückfluges hatte Marco Shanks mit einer knappen Chatnachricht auf den aktuellsten Stand der Geschehnisse gebracht. Shanks wandte sich an Marco und meinte ehrlich: »Ich bin froh, dass ihr aus diesem Scornbau in einem Stück rausgekommen seid… ich hätte mir wohl ernsthaft Vorwürfe machen müssen, wenn ich dich schon kurz nach deiner Ernennung verloren hätte. Wie hätte ich das dem restlichen Senat erklären sollen, hm?« Sein Grinsen wirkte nicht ganz so lässig wie sonst und Marco bekam den Eindruck, dass Shanks dies wohl durchaus ernst meinte. Aus dem Augenwinkel bemerkte Marco Laws forschenden Blick und ihm fiel ein, dass er dem jungen Mann ja nicht gesagt hatte, dass er ebenfalls zum Senat gehörte, doch Shanks fuhr bereits fort: »Wir müssen uns sicher so einiges erzählen, aber zuallererst… meine Herren, das ist Makino«, stellte er die Frau an seiner Seite vor. »Meine Haus- und Hofzauberin und...-« »Seine Ärztin«, verbesserte Makino ihn augenrollend. »Manchmal auch sein schlechtes Gewissen, je nachdem, was er gerade braucht...«, meinte sie mit einem schelmischen Augenzwinkern. Marco musste schmunzeln und fand sie gleich sympathisch. »Sie sind sicher Marco Phoenix«, wandte sich Makino an den Blonden. »Es freut mich, Sie endlich persönlich kennen lernen zu dürfen. Shanks hat schon viel von Ihnen erzählt.« »Ach tatsächlich...?«, fragte Marco eher besorgt. »Natürlich nur die guten Sachen«, warf Shanks beschwichtigend ein. »Dass du ein grandioser Langweiler bist und... - Au!« Makinos Ellenbogen traf den rothaarigen Konzerner in die Rippen, während sie Marco ein entschuldigendes Lächeln schenkte. Shanks rieb sich mit vorgeschobener Unterlippe die Seite, doch er hielt die Klappe und beschwerte sich gar nicht, was man als durchaus interessantes Zeichen werten konnte. »Makino ist eine der besten Ärztinnen des Landes und eine Koryphäe in der Transplantationchirurgie. Normalerweise arbeitet sie in meiner Hauptniederlassung in Osaka. Ich habe sie extra einfliegen lassen. Sie wird für die Dauer der Behandlung die körperliche Gesundheit unserer jungen Patientin überwachen«, erklärte Shanks nicht ohne gewissen Stolz in der Stimme und überraschend lammfromm. Makinos kluge, dunkle Augen sahen nun Law an, der bisher merklich angespannt, aber schweigsam ein wenig hinter Marco gestanden hatte. Sie schenkte ihm ein einnehmendes Lächeln. »Sie müssen der Bruder der Patientin sein. Kommen Sie, Sie wollen Ihre Schwester sicher sehen«, sagte sie und wies ihm den Weg mit einer einladenden Handbewegung in Richtung eines der Gästezimmer. Law folgte der Ärztin nach, Marco und Shanks ebenfalls, doch blieben beide im Türrahmen des Zimmers stehen, das man tatsächlich innerhalb kürzester Zeit zu einer passablen, kleinen Krankenstation umgestaltet hatte. Marco musste Kalifa bei Gelegenheit unbedingt für die tadellose Organisation danken, die Frau war einfach unbezahlbar. Law setzte sich an das Bett seiner Schwester und griff behutsam nach ihrer Hand, während Makino ihm mit ruhiger Stimme ein knappes Update über den Gesundheitszustand der jungen Frau gab. Sein Gesicht blieb weitestgehend recht beherrscht, doch er hielt die Finger seiner Schwester so vorsichtig, als hätte er Angst sie zu zerbrechen und strich ihr zärtlich eine Strähne aus dem Gesicht. Eigentümlich gefesselt beobachtete Marco den jungen Mann, der selbst jetzt so kontrolliert wirkte und kaum etwas von dem preisgab, was in ihm vorgehen mochte. Marco fiel etwas ein und er fragte Shanks: »Hast du schon mal davon gehört, dass sich die Augenfarbe ändern kann, wenn ein MAG seine Kräfte benutzt?« Die goldenen Augen des jungen Mannes wollten ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen und er weigerte sich, das, was er bei dem Bunker gesehen hatte, als schlichte Halluzination abzutun. Shanks runzelte die Stirn und wirkte verwundert. Er schüttelte den Kopf. »Nein, noch nie. Warum fragst du?« »Ach, ich hab' da neulich nur mal etwas gelesen...«, wiegelte Marco ab. »Vergiss es, war nicht so wichtig...« »Du weißt schon, dass dein neuer Freund mit ziemlicher Sicherheit auch zum Jokerkartell gehört, oder?«, fragte Shanks nun leise, mit verschränkten Armen an den Türrahmen gelehnt, während seine wachsamen Augen Law keine Sekunde aus den Augen ließen. Allein, wenn er Makino ansah, wurde sein Ausdruck merklich weicher, was Marco interessiert zur Kenntnis nahm. »Er scheint in Ordnung zu sein. Und wenn es nötig ist, dann bürge ich auch für ihn...«, stellte Marco entschieden klar, was Shanks verwundert eine Braue heben ließ. Marco deutete auf das Siegel an seinem Handgelenk. »Das muss ja schließlich zu etwas nütze sein...« Shanks schüttelte nur mit einem Schnauben den Kopf. »Noch immer der unverbesserliche Menschenfreund, hm?! Ich kann dir nur raten, vorsichtig zu sein. Über seine Schwester ist schon wenig bekannt, aber über ihn...«, Shanks machte eine verpuffende Bewegung mit den kybernetischen Fingern, »... quasi gar nichts, flüchtig wie ein Nebelfetzen. Und es gibt Gerüchte, dass Joker einen sehr fähigen, persönlichen Assassine in seinen Reihen beschäftigt, mehr Geist als Mensch, dem selbst ziemlich viele hartgesottene Hunde in Downtown nicht im Dunkeln begegnen wollen...« »Was willst du damit sagen? Soll ich mir etwa Bannsprüche an den Türrahmen nageln!?«, fragte Marco spöttisch. »Ich will gar nichts sagen. Sei einfach nicht so arglos. Im Moment mag er zahm sein, da er etwas von dir will und sicherlich kann er nützlich sein, aber du solltest ihm kein Stück weit über den Weg trauen.« »Danke, aber ich glaube, ich bin alt genug, um zu wissen, was ich tue...«, meinte Marco kühl. Shanks' Blick ließ vermuten, dass er davon weniger überzeugt war, doch er beließ es mit einem Achselzucken dabei. Er wechselte das Thema und nickte zu seiner Ärztin hin, die ihrer jungen Patientin gerade eine Infusion für die künstliche Ernährung setzte. Solange Lamy so apathisch war, konnte sie nur auf diesem Weg versorgt werden. »Makino ist nicht nur wegen dem Mädchen hier...« Marco sah Shanks fragend an und der gab ihm mit einem Wink zu verstehen, dass sie sich ein wenig von dem Zimmer entfernen sollten. Draußen vor der Tür zog er einen kleinen, transportablen Holotransmitter aus der Hosentasche und aktivierte diesen in seiner Handfläche, woraufhin ein Bild projiziert wurde. »Während du mit Jokers Herzbube feucht-fröhliche Abenteuer erlebt hast, habe ich die Überwachungsaufnahmen des Krankenhauses angefordert und nochmal genauer unter die Lupe genommen. Viel brauchbares war nicht dabei, diese Söldner waren eindeutig Profis, die wussten, was sie tun, aber mir ist das hier aufgefallen…« Shanks zoomte einen körnigen, einfarbigen Ausschnitt heran, der eine Handvoll der gut ausgestatteten Söldner eingefroren in der Bewegung zeigte, bis nur noch einer der schwer bewaffneten Gestalten im Fokus war - der Mann zielte mit seinem Sturmgewehr um eine Ecke und entblößte ein Stück seines Halses, knapp unter seinem Ohr, nicht verdeckt vom Helm und auf diesem Stückchen Haut… »Ist das ein Tattoo?!« Marco verengte die Augen und lehnte sich näher. Das Zeichen war klein, fast zu übersehen und schnörkellos. Ein perfekter Kreis, vertikal durchbohrt von einem langen Strich, der nach oben aus dem Kreis ragte und spitz zulief. »Sagt dir dieses Symbol etwas?« Shanks Gesichtsausdruck wurde finster. Jegliche Lockerheit der letzten Minuten war verschwunden und zurück blieb nur die harte Maske des Senatsvollstreckers. »Nein, und ich würde dem wahrscheinlich auch gar nicht so viel Wert beimessen, wenn ich nicht durch Zufall gestern das hier bekommen hätte…« Er schloss die Aufnahme des Krankenhauses und wischte mit der Fingerspitze durch ein paar Unterordner seiner gespeicherten Dateien auf der Holooberfläche, bis er die Gesuchte gefunden hatte. Er tippte sie an projizierte diese ebenfalls über seine Handfläche. Das Bild zeigte jetzt Shanks, der einen dunkelgrauen, schlichten Anzug und eine getönte Brille trug. Er schien sich auf dem Hinterhof eines alten, traditionellen Izakaya mit einer Gruppe ebenso dunkel gekleideter Männer zu treffen - auf dem Bild reichte er einem von ihnen gerade die rechte Hand, in der Linken trug er einen silbernen Aktenkoffer. Die anderen standen um sie in einem Halbkreis und überwachten die Umgebung. Die ganze Szenerie wirkte schon ziemlich klischeehaft zwielichtig. »Weißt du, was das Interessanteste an diesem Bild ist...?«, fragte Shanks. »Dass du aussiehst wie der abgebrannte Abklatsch eines Yakuza?!« »... dass es vorgestern Abend aufgenommen wurde, in Osaka, als ich bereits im Flugzeug nach Tokio saß.« Marco stockte und musterte Shanks ungläubig, dann sah er sich den Bildausschnitt nochmals genauer an. Die gedämpfte Neonreklame beleuchtete die Gesichter zwar nur ungenügend und der dichte Dunst aus der Kneipenküche machte das Bild verwaschen, aber das war eindeutig Shanks - die gleiche legere, doch unterbewusst bedrohliche Ausstrahlung, die unverkennbar roten Haare, selbst das spöttische Grinsen auf den Lippen. »Unglaublich…«, murmelte er fassungslos. »Ja, schrecklich, nicht wahr?! Ich meine, so etwas würde ich nie im Leben anziehen, schau' dir diesen Schnitt nur mal an! Grauenhaft!«, empörte sich Shanks beleidigt. »Wer auch immer mich da nachgeahmt hat, hat keinen Sinn für Ästhetik...«, urteilte er scheinbar gleichmütig, doch seine funkensprühenden Augen straften seine lockeren Worte Lügen. »Aber... spannend ist doch das hier.« Wieder zoomte Shanks einen Ausschnitt des Bildes mit aufgespreizten Fingerspitzen heran, auf dem einer der Männer, mit denen er sich augenscheinlich traf, im Profil gut zu erkennen war. Er hatte das gleiche Symbol auf den Hals tätowiert wie der Söldner im Krankenhaus. »Ich habe bei den Aufnahmen der Klinik dann nochmals genauer nachgesehen… Marco, einige von denen hatten kybernetische Verbesserungen der 'Red Force'.« »Bist du sicher...?«, fragte Marco zweifelnd, denn die Tragweite dieser Wahrheit wäre verheerend. Wurde Shanks' Firma unterwandert? »Ziemlich sicher, ich kenne meine Produkte…«, knurrte der rothaarige Konzerner merklich angefressen. »Und die verkaufe ich für gewöhnlich nicht an terroristische Söldnergruppierungen...« Marco fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und ließ seine Hand im Nacken liegen. Er zog die Stirn düster in Falten. »Also haben wir es vermutlich auch bei den Morden nicht nur mit einem Einzeltäter zu tun. Das scheint eine Organisation zu sein und viel weitreichendere Kreise zu ziehen, als anfänglich angenommen«, fasste er nüchtern zusammen. Shanks pflichtete ihm mit einem knappen Kopfnicken bei. Der Rothaarige wirkte ernsthaft besorgt und das gab wiederum Marco wirklich zu denken. »Ja, zu diesem Schluss bin ich auch gekommen… und das gefällt mir alles immer weniger.« Shanks beendete die Projektion und ließ das kleine Gerät wieder in seiner Hosentasche verschwinden. »Es wusste so gut wie niemand, dass ich auf dem Weg nach Tokio bin, weil es eine Senatsangelegenheit ist. Das ist für mich besonders beunruhigend. Also, wer auch immer das auf diesem Bild war, derjenige ist erschreckend gut informiert über mich, über meinen Tagesablauf, wahrscheinlich auch über meine sonstigen Gewohnheiten. Ich weiß nicht, wie lange das schon geht oder wer dahinter steckt, aber ich muss diese undichte Stelle in meiner Firma finden und bis dahin kann ich niemandem in meinem Umfeld trauen…« Verständlich. Ein ranghoher Gestaltwandler, ein sogenannter Dermamant, konnte nicht nur das Aussehen, sondern unter Umständen auch jegliche genetische Eigenschaften wie die Netzhautbeschaffenheit oder Fingerabdrücke nachbilden... falls er an eine entsprechende Probe seines Originals herankam. Somit wäre Shanks‘ Doppelgänger in der Lage jegliche Sicherheitsvorkehrungen, sei es in seinem Heim oder seiner Firma, zu umgehen. »Woher hast du das Foto eigentlich...«, fragte Marco. Shanks schnaubte und winkte ab. »Eine absurde Geschichte. Ein alter Rivale ist schon seit Jahren davon besessen, mich in einer kompromittierenden Situation zu erwischen, um mir das Leben schwer machen zu können. Er hat diesen Schnappschuss an einen befreundeten Journalisten geschickt und der hat mich informiert, was in diesem Fall ein mehr als glücklicher Zufall war. Mein alter Freund würde sich wahrscheinlich in den Hintern beißen, wenn er wüsste, dass er mir dadurch unbeabsichtigt geholfen hat...« Shanks sah Marco jetzt sehr ernst an, jeglicher Schalk war aus seinen Augen verschwunden. »Deshalb habe ich Makino hierher beordert. Das Mädchen war ein willkommener Vorwand, denn freiwillig wäre diese sture Frau wohl niemals gegangen…«, ein nachsichtiges, fast zärtliches Lächeln zog für einen Augenblick an seinen Lippen, »Marco, sie und das Mädchen, du musst sie beschützen, wenn ich zurück nach Osaka gehe, um Antworten zu finden. Kann ich dich darum bitten? Du und Edward, ihr seid die Einzigen, denen ich im Moment vorbehaltlos vertrauen kann.« »Natürlich, keine Frage,« sagte Marco sofort. »Sie kann hierbleiben, so lang du es für nötig erachtest.« »Danke…«, wisperte Shanks ehrlich erleichtert und legte Marco kurz die Hand auf die Schulter, um diese dankbar zu drücken. Sie mochten in der Vergangenheit nicht immer einer Meinung gewesen sein, doch sie wussten, dass sie sich im Ernstfall aufeinander verlassen konnten. Makino kam nun zu ihnen herüber und als hätten sie sich die letzten Minuten bloß über das Wetter unterhalten, löste sich jegliche Anspannung aus Shanks' Gestalt und machte einem verschmitzten Grinsen Platz, das er seiner Ärztin wie eine Provokation entgegen warf. Makinos Mundwinkel zuckten ebenfalls, doch sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf Marco. »Mister Phoenix, der junge Mann sagte mir, Sie wurden durch eine Scornklaue verletzt. Darf ich mir das bitte ansehen?«, fragte sie freundlich und wies auf die Untersuchungsliege im Raum, bevor sie ihre Einweghandschuhe abzog und sich die Hände am Spender an der Tür desinfizierte. Marco blickte kurz zu Law hinüber, der jedoch am Bett seiner Schwester saß und weiterhin völlig auf die junge Frau fixiert schien. »Oh, das ist wirklich nicht so dring-…« »Nein, lass' es«, hob Shanks eine Hand und unterbrach Marco damit entschieden. »Versuch' gar nicht erst, den starken Mann zu markieren. Sie wird nicht eher Ruhe geben, bis du dich ergibst«, prophezeite er unheilvoll. Makino hob das Kinn. »Männer sollten endlich begreifen, dass keine Heldenhaftigkeit darin liegt, den Helden nur zu spielen…«, wies sie den Rothaarigen keck zurecht. Ihre Augen funkelten vergnügt und Shanks grinste als Antwort. Marco fügte sich, immerhin wollte er sich auch nicht lächerlich machen und wahrscheinlich wäre es tatsächlich besser, die Wunde ordentlich versorgen zu lassen. Er setzte sich auf die Liege und schob den Ärmel seines lockeren Shirts hoch. Makino zog sich frische Handschuhe über und begann die Verletzung nun sanft zu desinfizieren. Dabei meinte sie anerkennend: »Trafalgar Law hat eine gute Erstversorgung geleistet, dadurch hat sich die Wunde nicht entzündet. Sie hatten Glück, ich habe schon ganz andere Scornverletzungen gesehen... und die sahen bei weitem nicht so harmlos aus, das können Sie mir glauben.« »Nun, ich schätze, Blumen sind nicht so sein Ding... vielleicht haben Sie eine Idee, wie ich mich angemessen erkenntlich zeigen kann, dass ich doch noch nicht ins Gras beißen muss?!«, fragte Marco die Ärztin leise und mit einem schrägen Grinsen. Makino sah flüchtig auf und musste ebenfalls schmunzeln. »Ich denke, wenn Sie seiner Schwester wirklich helfen können, wird das bestimmt mehr als ausreichend sein.« Sie sah kurz über die Schulter zu ihrer Patientin. »Sie ist noch so jung, hat ihr ganzes Leben noch vor sich. Sie sollte wirklich nicht in diesem Zustand sein...« Shanks war derweil zu den Geschwistern hinüber getreten. Law sah sofort auf, wie ein Raubtier, das Gefahr witterte. Sein Gesichtsausdruck wurde fast noch verschlossener, als er den rothaarigen Konzerner abschätzend musterte, der mit lässig in den Hosentaschen vergrabenen Händen vor dem Krankenbett stehen blieb. Fast beschützend legte Law eine tätowierte Hand auf die Bettdecke seiner Schwester und jegliche Sanftheit verschwand aus seinem Blick. Zurück blieben nur eine unausgesprochene Drohung, Stahl und Eis und Feuer - eine ungeheuer fesselnde Mischung, wie Marco fand. Einen Moment betrachtete Shanks Law und dessen Schwester nachdenklich, dann verlangte er übergangslos von dem jungen Mann: »Erzähl' mir, was im Krankenhaus passiert ist.« In Laws Augen flammte sofort Widerstand auf. Anscheinend konnte er mit dieser herrischen Art wenig anfangen oder es weckte ungute Assoziationen in ihm. Selbst Marco zog die Brauen missbilligend bei diesem barschen Tonfall zusammen. Vielleicht mochte Law zu Jokers Kartell gehören, doch das war aus Marcos Sicht schlichtweg kein Grund ihn vorzuverurteilen, immerhin hatte sich der junge Mann bisher nichts zu schulden kommen lassen. »Ich glaube, was Shanks gerade eigentlich fragen wollte, bevor er seine Manieren vergessen hat...«, warf Marco bestimmt ein und ignorierte Shanks' spöttisches Schnauben, »... würdest du uns bitte berichten, was aus deiner Sicht im Krankenhaus vorgefallen ist?« Makino grinste verstohlen, während sie Marco den frischen Verband um den Oberarm wickelte. Law schien noch einen Moment mit sich zu hadern und sah seine Schwester an, als könnte ihm das stumme Mädchen eine Antwort auf eine unausgesprochene Frage liefern, bevor er die Geschehnisse knapp und sachlich zusammenfasste: Er hatte Lamy gesucht und herausgefunden, dass sie im Krankenhaus in Shinjuku lag. Dort hatte man ihn selbst als Angehörigen nicht zu seiner Schwester vorgelassen und das hatte ihn misstrauisch gemacht. Er hatte einen Mann bemerkt, der sich ebenfalls nach seiner Schwester erkundigt hatte und weil er diesen nicht kannte, war Law ihm gefolgt, als der das Krankenhaus wieder verlassen hatte. »Der dunkelhaarige Typ mit dem Zylinder und der ungesunden Hautfarbe…?«, vermutete Marco. Law nickte dem Blonden zu. Sein Daumen strich beiläufig über Lamys Handrücken, während er sprach, doch er schien sich dieser beschützenden Geste gar nicht so bewusst zu sein. »Er ist in den gegenüberliegenden Bürokomplex gegangen und ich habe ihn erst auf der Baustelle auf den oberen Etagen wiedergefunden. Er hatte sich dort schon mit seinem Scharfschützengewehr positioniert... und dann zog dieser unnatürliche Sturm auf und er fiel...« Jetzt sah Law Shanks doch an und eher widerwillig sagte er zu dem Rothaarigen: »Ich schätze mal, ich schulde Dir zumindest Dank...« »Woher willst du wissen, dass ich das war?«, fragte Shanks lauernd. »Marco sagte, dass du Senatsmitglied bist und mir ist bekannt, dass der Senat einen Rang A Aeromant in seinen Reihen hat. Es war naheliegend«, meinte Law achselzuckend und Marco wurde unsinnigerweise bewusst, dass Law ihn gerade zum ersten Mal beim Namen genannt hatte. »Dann erfolgte die Detonation im Erdgeschoss des Krankenhauses. Überall brach Panik aus und ich konnte dadurch unbemerkt in die Klinik gelangen. Ebenso wie der Scharfschütze, der seinen Sturz leider überlebt hatte. Ich verfolgte ihn und wollte ihn zur Strecke bringen… und dabei bin ich auf euch gestoßen. Ich dachte, ihr gehört zu diesen Typen«, erklärte er damit wahrscheinlich sein rabiates Verhalten und seinen schonungslosen Angriff auf Marco. Shanks musterte Law ergründend, schien aber zu dem Schluss zu kommen, dass der die Wahrheit sagte. Damit zog er etwas aus seiner Hosentasche und streckte das kleine Stück Metall, das er in der Hand hielt, dem jungen Mann entgegen. »Weißt du, was das ist?« Law beäugte Shanks argwöhnisch mit herabgezogenen Brauen, doch dann griff er zögerlich nach dem Gegenstand und drehte ihn in den schlanken, tätowierten Fingern. Makino war inzwischen mit Marcos Behandlung fertig, der zog sein Shirt wieder zurecht und trat nun neben Shanks, in dem Moment, indem Law den Kopf schüttelte und sachlich meinte: »Das habe ich noch nie gesehen.« »Wir fanden es in den Sachen deiner Schwester«, erklärte Shanks und nahm den kleinen Gegenstand von Law wieder entgegen, um ihn nun an Marco weiterzureichen. Es war eine etwa handtellergroße, metallische Platte, mit herausstehenden Gravuren und gezackten, ungleichen Rändern, fast wie ein abstraktes Puzzlestück. Shanks wandte sich an Marco. »Du erinnerst dich sicher daran, dass Yamamoto Ashitaka die Sicherheitssysteme seiner Wohnung vor seinem Tod deaktivierte. Allerdings habe ich mir die Aufnahmen einige Stunden vor dem Abend noch einmal angesehen und siehe da, ich fand Ashitaka, wie er das da...«, er wies mit einem Fingerzeig auf die kunstvolle Metallplatte in Marcos Hand, »... aus dem Safe in seinem Büro nimmt, gut sichtbar und offen für alle Kameras, als wollte er, dass er dabei gesehen wird. Als hätte er gewusst, dass er den Abend unter Umständen nicht überleben würde. Leider sieht man nicht, wohin er es brachte. Den Safe fand die Spurensicherung aufgebrochen und irgendetwas sagt mir nun, dass diese Typen im Krankenhaus exakt danach gesucht haben.« Das Metall in Marcos Hand bekam eine fast bedrohliche Schwere und schien sich zu winden und zu wispern, wie ein lebendiges, uraltes Wesen. Unbehaglich hob er es mit spitzen Fingern vor die Augen und betrachtete es von allen Seiten. »Aber... was ist das?« Besonders wertvoll sah es nicht gerade aus, eher wie ein zerbrochenes, antikes Erbstück und Teil von etwas viel größerem. »Oh, viel wichtiger ist doch gerade die Frage... wieso hatte es deine Schwester bei sich?«, fragte Shanks Law und es war eindeutig eine schlecht verhüllte Anklage, die in seiner Stimme schwang. »Keine Ahnung...«, erwiderte der junge Mann eisig. Marco konnte förmlich zusehen, wie er die Mauern um sich wieder in die Höhe zog. Wahrscheinlich hielt er sein Entgegenkommen der letzten Minuten schon für einen Fehler. »Was wollte deine Schwester an diesem Abend dort bei Yamamoto?«, hakte Shanks unerbittlich nach. »Ich weiß es nicht«, kam die scharfe Antwort zurück. Shanks hob zweifelnd eine Braue. »Du weißt irgendwie überraschend wenig, dafür, dass du ihr Bruder sein willst... Du bist dir hoffentlich im Klaren darüber, dass der Fund dieses Dings in den persönlichen Sachen deiner Schwester recht verdächtig ist, oder?« »Shanks... wir sind hier nicht im Gerichtssaal und das ist kein Verhör...«, versuchte Marco den Rothaarigen mit warnender Stimme zu bremsen. Selbst Makino runzelte missbilligend die Stirn, war aber klug genug, sich nicht einzumischen, als sie den Blutdruck ihrer Patientin überprüfte. Laws Hände ballten sich zu Fäusten und sein Gesicht nahm einen fast mörderischen Ausdruck an. Die dunklen Schatten unter seinen Augen verstärkten das bedrohliche Funkeln seiner stahlgrauen Iriden nur noch. »Das ist absurd. Meine Schwester hat niemanden umgebracht«, stellte er mit gefährlicher Ruhe klar. Shanks verschränkte die Arme vor der Brust. »Oh, das habe ich auch nicht behauptet... aber sie wird sicher nicht umsonst wegen Diebstahls und Betrugs in mehreren Fällen gesucht, nicht wahr!? Ich vermute, sie war an diesem Abend nicht nur dort, um nette Konversation zu betreiben, oder!?« Law presste die Lippen zu einer dünnen, blutleeren Linien aufeinander. Die beiden maßen sich über das Bett hinweg mit finsteren Blicken und die Luft zwischen ihnen schien förmlich vor Anspannung zu knistern. Marco wusste, dass er langsam einschreiten musste, denn weder würde Shanks einlenken und auch wenn er Law noch nicht lange kannte... der junge Mann wirkte nicht gerade wie jemand, der freiwillig nachgeben würde. Marco trat zwischen die zwei Männer und wandte sich an Shanks, eine Hand beschwichtigend gehoben. »Das führt doch jetzt zu nichts, sich in vagen Vermutungen zu verstricken. Wir sollten Laws Schwester einfach selbst fragen, wenn sie wieder ansprechbar ist«, schlug er diplomatisch vor und blickte nun auch Law halb über die Schulter hinweg an, der gefährlich nah an einer innerlichen Detonation schien. »Ich zumindest glaube ihm, wenn er sagt, dass er nichts darüber weiß...« »Ach Herrgott... ich hasse es, wenn du recht hast«, Shanks warf den Kopf frustriert in den Nacken und stieß ein ergebenes Seufzen aus, dann klopfte er Marco nachsichtig auf die Schulter. »Du bist eindeutig zu gut für diese Welt, Marco...« Er ließ sich jetzt auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Krankenbettes fallen. Law ließ ihn nicht aus den Augen, lockerte seine angespannte Haltung aber ein wenig. Marco schob eine Hand in seine Hosentasche und betrachtete erneut das metallische Fundstück in der anderen, bevor er es Shanks zurück reichte. »Am hilfreichsten wäre jetzt vielleicht einfach, wenn wir aufklären könnten, was das ist und warum diese Söldner dahinter her waren. Es gibt Gerüchten zufolge einen Informationshändler, einen Cyberkineten hier in Tokio, vielleicht kann der etwas herausfinden oder weiß etwas über dieses Ding. Doch er soll seinen Standort regelmäßig wechseln und ist dadurch ziemlich schwer zu finden…-« »... nicht, wenn man weiß, wo man suchen muss…«, murmelte Law. Wahrscheinlich hatte er rein aus Reflex heraus gesprochen und bemerkte seinen Fehler nun selbst, als Marco ihn abwartend ansah. Er biss sich auf die Zunge und stieß die Luft resigniert aus. »Es gibt jemanden, der seinen Standort kennt und gegen eine entsprechende Gegenleistung auch ein Treffen vereinbaren kann«, erklärte er Marco dann. »Und du weißt, wo dieser besondere jemand zu finden ist, nehme ich an?«, hakte Shanks interessiert nach. Er hatte die Beine überschlagen und trommelte abwartend mit den kybernetischen Fingern auf der Stuhllehne. Law zuckte leicht mit den Schultern, sein Blick wirkte verschlossen. »Möglicherweise…«, antwortete er dem rothaarigen Konzerner kurz angebunden, ohne ihn wirklich anzusehen. Er schien nicht gerade sonderlich viel Lust zu haben, ihnen zu helfen. Shanks stieß ein ungläubiges Schnauben aus. Seine Augen verengten sich. »Möglicherweise ist mir doch etwas zu wenig. Dir scheint nicht bewusst zu sein, um was es hier geht…-« »Es interessiert mich auch nicht. Ich will mit euren Senatsangelegenheiten nichts zu tun haben«, stellte Law mit schneidender Stimme klar. »Oh... aber du willst sicher, dass wir deiner Schwester helfen, nicht wahr?!, fragte Shanks gefährlich lässig und stützte das Kinn auf seine Faust, während er Law berechnend ansah. »Vielleicht sollten dich unsere Angelegenheiten dann doch ein klein wenig interessieren, findest du nicht auch?« In Laws Augen flackerte Unsicherheit, die jedoch schnell von kalter Wut abgelöst wurde. Sein Blick suchte Marco und wurde daraufhin fast anklagend. »So sieht also die selbstlose Freundlichkeit des Senats aus... ich hätte es wissen müssen«, zischte er ernüchtert. Marco sah Shanks empört an. »Ich knüpfe meine Hilfe nicht an irgendwelche Bedingungen!«, wehrte er ab, denn das hätte jeglicher seiner Moralvorstellungen widersprochen. Marco vermutete - hoffte! - dass Shanks hier nur hoch pokerte und in gewisser Weise konnte er sein Handeln sogar verstehen, doch es widerstrebte ihm merklich, als ein solch kalkulierter Mistkerl zu erscheinen. Shanks allerdings ignorierte ihn völlig und war gänzlich auf Law fixiert. »Hör mir jetzt gut zu, Law…«, begann er mit bedrohlich ruhiger Stimme. »Deine Schwester hat genug Vorstrafen auf dem Kerbholz, dass ich sie nach ihrer Genesung sicher mindestens ein paar Monate in Untersuchungshaft belassen könnte, ganz zu schweigen von eurer sehr offensichtlichen Verbindung zu Joker. Außerdem ist solch eine medizinische Behandlung, die deine Schwester benötigt, ziemlich teuer... also solltest du vielleicht ein wenig entgegenkommender sein, denkst du nicht?« Laws Gesicht wurde weiß vor Zorn. Seine Hände krallten sich angespannt in die Bettdecke und ein goldener Funke flammte in den grauen Augen des jungen Mannes auf. Makino fasste erschrocken nach dem Vitaldatenmonitor, als die umstehenden Geräte und Schränke zu zittern und zu wackeln begannen und der stählerne Medizinschrank in der Ecke des Raumes sich quietschend zusammenfaltete, als wäre er nichts weiter als eine dünnwandige Coladose. Die Luft lud sich statisch auf und die Lampe an der Decke flackerte bedrohlich. Shanks zog die Brauen hoch und setzte sich aufrechter hin. »Oh, interessant… du bist also auch ein MAG, na komm, lass' mal sehen, was du drauf hast...«, raunte er provozierend. Seine eigene Macht erwachte wie ein brüllender Tiger zum Leben. »Hey... Shanks, das reicht jetzt! Lass' gut sein!«, erhob Marco die Stimme, bevor sich die beiden wirklich noch an die Gurgel gehen konnten. Zwei völlig entfesselte MAGs waren wohl das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, vor allem, da sich sein kranker Vater nur ein paar Etagen über ihnen im Tower befand. Law schien ebenfalls zu bemerken, dass es vielleicht keine gute Idee wäre, sich hier auf ein offenes Kräftemessen mit dem Senatsmitglied einzulassen, wo doch seine Schwester in diesem Zimmer lag. Ruckartig stand er auf und stürmte aus dem Raum, als bräuchte es deutlich mehr als nur gutes Zureden, um sich zu beherrschen. Marco warf Shanks einen bösen Blick zu, bevor er sich beeilte, dem aufgewühlten, jungen Mann zu folgen. Einerseits befürchtete er einen unkontrollierten Wutausbruch des Telekineten, auf der anderen Seite allerdings machte er sich tatsächlich ein wenig Gedanken um Law und wollte die ganze Sache auch nicht so ungeklärt stehen lassen. Er fand den jungen Mann draußen im Aufenthaltsraum, wo er unruhig vor der Fensterfront auf und ab tigerte, das Gesicht kalt und hart. Sein Kopf ruckte herum, als er Marcos Schritte hörte. Er wirkte nicht gerade erfreut, aber auch nicht so, als würde er ihm im nächsten Moment den Kopf abreißen wollen. »Das eben tut mir wirklich leid...«, begann Marco vorsichtig und steckte die Hände in die Hosentaschen, als er langsam zu Law hinüber ging. »Shanks hat es eindeutig übertrieben. Niemand will dich zu irgendetwas zwingen, es ist nur so, dass wir deine Hilfe wohl durchaus gebrauchen könnten. Ich werde deiner Schwester aber so oder so helfen und wegen dem Geld musst du dir auch keine Gedanken machen, ich kann erst einmal für die Behandlung aufkom...-« »Läuft das für gewöhnlich so bei dir? Du wedelst mit deinem Geld und all deiner Macht und dann lösen sich all deine Probleme in Luft auf?«, fuhr Law Marco eisig an und bedachte ihn mit einem Blick, der einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte. Marco verzog den Mund und wich einen Schritt zurück, ein Stück weit ehrlich gekränkt über diesen Vorwurf. »Es scheint dir schwer zu fallen, das zu glauben, aber ich will nur helfen...«, erwiderte er verhalten. Er versuchte es nicht allzu persönlich zu nehmen, dass Law so dachte, denn immerhin konnte der gute Gründe haben, so misstrauisch zu sein. »Oh bitte«, schnaubte Law höhnisch. »Niemand will einfach nur helfen. So selbstlos ist keiner...«, sein analysierender Blick glitt von oben bis unten über Marcos Gestalt, während er die Arme abwehrend verschränkte, »... nicht mal du. Jeder will irgendetwas. Also, was willst du?« Er hob das Kinn herausfordernd. Marco hielt seinem Blick ungerührt stand, denn er hatte so die leise Ahnung, das ein Zögern oder Unsicherheit in diesem Moment alles verderben konnte. »Ich schwöre dir, dass ich keine Gegenleistung für meine Hilfe erwarte und ebenso, dass deiner Schwester freies Geleit zugesichert wird, wenn sie genesen ist, sobald sie uns gesagt hat, was sie weiß und es nicht mit dem Gesetz kollidiert. Ihre Vorstrafen werden nicht herangezogen, um sie festzusetzen. Euch wird niemand aufhalten und ihr könnt gehen, wohin ihr wollt, selbst, wenn du uns nicht hilfst«, versprach er fest, während er das Handgelenk drehte und Law entgegen streckte, um ihm damit das Siegel des Senats zu offenbarten. Das Wort eines Senatsmitgliedes war bindend und unumstößlich. Marco war bewusst, dass er sich mit solchen Versprechungen ziemlich weit aus dem Fenster lehnte und er das vielleicht vorher mit Shanks hätte abklären sollen, aber... nun, er trug das Siegel des Senats ja wahrscheinlich nicht nur zur Zierde und außerdem musste er sich eingestehen, dass der junge Mann etwas an sich hatte, was ihn unbestreitbar faszinierte. Law war wie ein ungezähmtes Raubtier, dass die helfende Hand wahrscheinlich eher abbeißen würde, als sich füttern oder berühren zu lassen - vermutlich hatte Shanks nicht ganz unrecht und er war gefährlich, aber irgendwie spürte Marco auch, dass der junge Mann in seinem Leben bisher wahrscheinlich wenig Freundlichkeit oder gar Selbstlosigkeit erfahren hatte. Er selbst wäre heute auch nicht hier, wenn Whitebeard ihm damals nicht eine Hand gereicht hätte und vielleicht war es an der Zeit, dass er diese Gefälligkeit jetzt einem anderen erwies. Law wirkte für einen Augenblick beinahe irritiert und starrte ungläubig auf das Senatssiegel, bevor er Marco wieder ansah und offenbar versuchte, aus diesem schlau zu werden. Eine tiefe Falte grub sich zwischen seine Augenbrauen, als er diese ergründend zusammenzog und die Augen nachdenklich verengte. Dann verlangte er tonlos: »Ich will ein Zimmer hier, damit ich für die Dauer der Behandlung meiner Schwester in ihrer Nähe sein kann.« Marco nickte sofort. »Natürlich, kein Problem«, sagte er ruhig. Ihm war klar, dass Law ihn auf die Probe stellte und auszutesten versuchte, wie weit seine Hilfsbereitschaft wirklich reichte. Er hätte fast geschmunzelt, als Law die Stirn fast ungläubig furchte und die Verschränkung seiner Arme endlich fallen ließ. »Dann werde ich ein paar Sachen holen gehen.« »Willst du vorher noch etwas essen?« »... was?« »Frühstück?!« Marco deutete auf den noch immer viel zu vollen Tisch. Kalifa hatte offensichtlich vorgehabt, halb Tokio verköstigen zu wollen. »Es wäre eine Verschwendung, das alles wegwerfen zu müssen.« Law haderte sichtlich mit sich und eigentlich rechnete Marco schon fest damit, dass er die Gastfreundschaft ablehnen würde... doch der junge Mann nickte stumm und setzte sich tatsächlich, um sich folglich auch zögerlich zu bedienen. Marco fiel auf, dass er sich bevorzugt an das traditionelle, japanische Frühstück hielt und von westlichem Brot gänzlich die Finger ließ. Er notierte dies gedanklich und rief Kalifa an - während er sich selbst eine Tasse Kaffee eingoss - um das Herrichten eines weiteren Zimmers zu organisieren und um eine Telefonschaltung zum Verteidigungsminister zu planen, denn irgendjemand sollte sich wahrscheinlich um diesen Scornbau in Yamanashi kümmern. * Law betrat die Wohnung, die er sich mit Lamy teilte und schob die Tür hinter sich geräuschvoll ins Schloss, bevor er sich entkräftet mit dem Rücken dagegen lehnte. Er jetzt, erst hier in den eigenen vier Wänden, gestattete er sich seine Erschöpfung zu zeigen. Er schloss einen Moment die Augen und versuchte dem Zittern Herr zu werden, das seinen Körper überrollen wollte. Er war müde und ausgelaugt, die Anspannung der letzten Stunden forderte nun ihren Tribut und zu allem Überfluss meldeten sich die hämmernden Kopfschmerzen hinter seiner Stirn gleich mit doppelter Härte… Mit einer kraftlosen Bewegung warf er sein Katana und die schwarze Sporttasche - die er mit seinem Motorrad eben noch aus Shinjuku geholt hatte - auf die kleine, aber gemütliche Wohnlandschaft, die unweit hinter der Tür stand, da der Eingangsbereich der Wohnung auch gleichzeitig ihre Küche und ihr Wohnzimmer darstellte. Davon zweigten die Türen zum Bad und zu ihren beiden Schlafzimmern ab, alles übersichtlich, aber dennoch geräumiger gestaltet, als es wohl in den meisten Wohnungen hier in Downtown der Fall war. Allein schon getrennte Schlafzimmer waren ein Luxus, ebenso wie eine Aussicht - hinter der Wohnlandschaft befanden sich zwei Fenster, die zwar nur den Ausblick auf einen dreckigen Hinterhof und ein schmutzig graues Wohnblockdach boten, aber immerhin… der Himmel war durch die Häuserschluchten zu erahnen. Für Lamy war diese Wohnung ein Palast, Law war sie schon immer wie ein goldener Käfig vorgekommen, ein Gefängnis, finanziert durch Jokers Blutgeld. Denn genau das waren sie für Doflamingo am Ende - hübsche Vögel, die für ihn zu singen hatten, wann auch immer er es wollte... Mit einem unwilligen Laut schleuderte Law seine Stiefel von den Füßen und lief mit energischen Schritten zum Kühlschrank hinüber, um sich eine Flasche Wasser daraus zu nehmen - viel mehr gab das alte Ding mit dem flackernden Licht eh nicht mehr her. Aber zumindest war das Wasser kalt. Er stützte sich auf die kleine, aber gut ausgestattete Kochinsel, während sein Blick durch die Wohnung schweifte und seine Augen plötzlich überall die Spuren seiner Schwester wahrnahmen - in den dahingeworfenen, bunten Socken auf dem Sofa, den offenliegenden Kochbüchern auf dem Küchentresen, der alten Violine, die er extra für Lamy besorgt hatte und mit deren schrägen Tönen sie ihn regelmäßig in den Wahnsinn trieb, dem pinken Lippenabdruck ihres Kussmundes auf dem zerkratzten Spiegel neben der Eingangstür, worunter sie mit Lippenstift einen albernen Smiley für ihn gemalt hatte… Laws Augen brannten und er rieb sie mit Daumen und Zeigefinger. Sie ist nicht tot, reiß dich zusammen…, ja, Lamy war nicht tot, doch er hätte besser auf die aufpassen müssen. Das war einfach seine Pflicht als großer Bruder und dabei hatte er kläglich versagt. Er hatte seine Familie schon einmal verloren, nochmal würde er das vermutlich nicht überstehen… Er öffnete eine Schublade der Küche, um sich die Kopfschmerztabletten herauszufischen. Er nahm gleich zwei und spülte sie mit einem weiteren, großen Schluck Wasser herunter. Er hätte seine telekinetischen Kräfte nicht benutzen sollen, immerhin wusste er, welche Nebenwirkungen das meist nach sich zog, aber... wenn er es nicht getan hätte, wären Marco und er wohl inzwischen Scornfutter. Marco… Laws Gesicht verzog sich, teils aus Ärger über sich selbst, teils aus einem Anflug von Reue. Vielleicht hatte er sich vorhin ein wenig zu viel herausgenommen, als er den Blonden so angefahren hatte, aber wenn es um seine Schwester ging, wurde er erschreckend dünnhäutig und die ganze Situation war einfach furchtbar anstrengend. Es war untypisch für ihn, so die Fassung zu verlieren. Mit dem rothaarigen Kerl würde er wahrscheinlich nie warm werden, aber Marco… der schien ja prinzipiell wirklich kein so arroganter Arsch wie die meisten Upper Class Schnösel zu sein. Law hätte ihm diese ungerechtfertigten Dinge wirklich nicht an den Kopf werfen sollen, immerhin meinte er seine Freundlichkeit offenbar wirklich ernst… und verflucht, er hatte sich immerhin zwischen ihn und einen Scorn gestellt! Aber es fiel schwer, den Argwohn abzustellen, denn Laws Erfahrung nach bekam man im Leben eher selten etwas ohne Gegenleistung geschenkt. Er warf die Tablettenpackung wieder in die Schublade und knallte diese zu, dann blieb sein Blick an Lamys Datenpad hängen, das auf dem Couchtisch lag und auf dem seine Schwester unter anderem auch ein Abo dieser albernen High Society Klatsch-News hatte. Einer plötzlichen Eingebung folgend ging Law hinüber, stellte seine Wasserflasche auf den Tisch und ließ sich dann mit dem zeitschriftgroßen Pad von Lamy auf die Couch fallen. Seine Schwester sperrte ihr Pad fast nie, was im Moment zwar praktisch war, aber Law würde sie abermals daran erinnern müssen, dass sie nicht immer so leichtfertig mit ihren Daten umgehen sollte. Er wischte durch die vielen bunten Icons und fand das Boulevard-Abo nach ein wenig Suchen. Mit einem Tippen öffnete er die App und blätterte rasch durch die unendlichen Seiten bunter und dämlicher Belanglosigkeiten. Auf einer Seite allerdings stoppte sein Finger… Ein drei Monate altes Ranking der begehrtesten, männlichen Junggesellen Tokios ploppte auf und auf Platz Drei von Zwanzig befand sich tatsächlich… Marco Phoenix. Law starrte das recht körnige Foto des Blonden paralysiert an - offensichtlich hatten sie keinen besseren Schnappschuss gefunden, da der Mann laut Artikel keinen Medienrummel zu mögen schien-, dann schnaubte er ungläubig aus. Marco war nicht einfach nur ein Mitarbeiter der Newgate Group, nein, er war die verdammte rechte Hand von Edward Newgate höchstpersönlich und wurde in einigen Kreisen sogar als der nächste CEO gehandelt! Das erklärte auch die förmliche Anrede und warum dort alle nach seiner Pfeife getanzt hatten. Aber für so einen privilegierten Kerl war er erschreckend normal und fast schon... sympathisch. Law warf das Pad neben sich. Nun, Lamy würde sicher ganz aus dem Häuschen sein, wenn sie endlich wieder bei sich war und bemerkte, wer sich da eigentlich um sie kümmerte... Die Holokonsole auf dem Couchtisch vermeldete durch einen unaufdringlichen Ton den Eingang eines Anrufes und das kleine, rot blinkende Lämpchen am Fuß des Terminals verriet, dass es wahrscheinlich nicht der Erste seiner Art war. Law war versucht es klingeln zu lassen, einfach nur, um dem Anrufer zu zeigen, dass er sich nicht wie ein räudiger Köder herbeirufen ließ, doch... vermutlich würde dann in den nächsten Minuten jemand vor ihrer Tür stehen und darauf hatte er gerade noch weniger Lust. Er schöpfte tief Atem und strich sich durch die schwarzen Haare, schob alle Emotionen und Geschehnisse der letzten Stunden weit von sich, bevor er den Anruf durch einen Knopfdruck entgegen nahm und sich mit einer Lässigkeit auf die Couch fläzte, die er ganz sicher nicht empfand. Sein Gesicht wurde gleichgültig und komplett ausdruckslos. Innerlich verspannte sich alles in ihm, als das Bild des Anrufers als Holoprojektion über dem Tisch aufflackerte und seine Finger ballten sich unkontrolliert zu einer Faust, was sein Gegenüber zum Glück nicht sehen konnte, da er einen Arm lässig über die Sofalehne geworfen hatte. Trebol bekam nur den dezent gelangweilten, jungen Mann zu sehen, der das Kinn hob und ihn mit einem abwesenden Blick aus halb geöffneten Augen bedachte. Kein Hallo, kein Wort des Grußes, keine Demutsbekundungen. Law schlug die langen Beine gelassen übereinander und starrte den älteren Mann abwartend an. »Law...«, begann Trebol dann mit seiner typisch nasalen Art zu sprechen, zog die Nase schniefend hoch und musterte ihn, als wäre er nichts weiter als ein nerviges Insekt, mit dem er sich herumschlagen musste, »... Doffy wartet auf deinen Bericht. Du hast dich nicht gemeldet, dabei bist du doch schon eine Weile wieder in Tokio«, wies er ihn mit einem weiteren Schniefen zurecht. »Du weißt genau...-« »Doflamingo wird seinen Bericht bekommen. Das hat er bisher doch immer, oder etwa nicht?!«, unterbrach ihn Law respektlos und sah Trebol dabei weiter emotionslos an. Der dunkelhaarige Mann mit der Sonnenbrille schnaufte aufgebracht. »Unterbrich' mich gefälligst nicht, Balg! Warst du wenigstens erfolgreich?« Law zog eine Braue überheblich in die Höhe, als wäre allein die Frage schon eine Beleidigung. »Ich bin nicht derjenige, der neulich die Nerven verloren und diesen ach so wichtigen Job versaut hat...«, antwortete er mit einem kleinen, eisigen Lächeln. Trebol war der persönliche Wächter und Mentor für Sugar, das neueste Mitglied ihrer reizenden Familie. Sugar mochte vielleicht wie ein harmloses Mädchen aussehen, doch sie war ein rachsüchtiges, unbeherrschtes, kleines Miststück. Sie hatte ihre Emotionen schlecht unter Kontrolle und ihren ersten Auftrag für Doflamingo in den Sand gesetzt, nur, weil sich jemand über ihr kindliches Aussehen lustig gemacht hatte. Trebol hatte dann hinter ihr aufräumen müssen. »Du spielst ein gefährliches Spiel, Law...«, schniefte der dunkelhaarige, alte Kerl mit zorniger Stimme und bleckte die gelben Zähne. Trebol ging es schon immer gehörig gegen den Strich, dass Doflamingo so große Stücke auf Law und Lamy hielt und ihnen trotz ihres jungen Alters ziemlich viel durchgehen ließ. »Irgendwann wird Doffy vielleicht nicht da sein, um...-« »Willst du sonst noch etwas?«, fragte Law herablassend. Er bot das perfekte Abbild eines genervten Jugendlichen, der es leid war, der Standpauken der Älteren zu lauschen und er wusste ganz genau, dass es Trebol auf die Palme bringen würde. Trebol rang sichtbar um Fassung, sein Gesicht lief puterrot an und er schnauzte bissig: »Wo ist deine Schwester?« Law zuckte knapp mit den Schultern. »Keine Ahnung, hier jedenfalls nicht. Habt ihr Lamy etwa schon wieder einen Job gegeben, obwohl ich nicht da war?«, hinterfragte er eisig und fast verrutschte die Maske seiner gelassenen Arroganz. Er mahnte sich innerlich zur Ruhe und krallte die Fingernägel unsichtbar für Trebol in das Polster der Couch, um sich davon abzuhalten, dem Impuls nachzugeben und den Holoprojektor vom Tisch zu fegen. Er war diese ständigen Maskeraden wirklich so leid... Trebol hob das Kinn und grinste schmal. Er witterte besseres Fahrwasser, immerhin kannte er Laws Schwäche für seine Schwester sehr gut. »Du bist leider nicht in der Position immer alles zu erfahren, Law...«, höhnte er schniefend. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck und mit harter Stimme verlangte er: »Sie soll sich melden, wenn sie wieder da ist. Und schick' uns die Daten von deinem Auftrag. Jetzt.« Law verspannte sich unmerklich und sein Blick huschte zu der schwarzen Tasche auf dem Sofa neben ihm. Er hatte noch keine Zeit gehabt die Daten abzugleichen und zu überprüfen, ob ihm die beiden Wissenschaftler wirklich etwas brauchbares im Austausch für ihr Leben gegeben hatten... »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit...«, bemerkte Trebol ungeduldig, bevor ein hinterhältiges Grinsen seine fleischigen Lippen teilte. »Oder soll ich dir Vergo vorbei schicken?« Law fröstelte und beinahe wäre seine gleichgültige Maske gefallen. Er hasste sich für diese Schwäche, für dieses irrationale Unbehagen, das er in der Nähe von Vergo nie ganz abstellen konnte, nicht nachdem, was der und Doflamingo getan hatten... »Du willst doch nicht wirklich Vergo wegen so einer Lappalie hierher bemühen…«, meinte er mit einem geisterhaften Lächeln. »Er hat sicher wichtigeres zu tun, als deinen Laufburschen zu spielen, Trebol.« Er begann ungewollt zu schwitzen, als er die schwarze Tasche heran zog und den kleinen Datenstick herausnahm, den ihm die beiden Wissenschaftler ausgehändigt hatten. Bemüht, sich seine Unruhe nicht anmerken zu lassen, steckte er den Stick in das Holoterminal und aktivierte die Übertragung. Law sah voller Anspannung dabei zu, wie der Ladebalken Stück für Stück voran kroch und sich füllte. Als der Transfer vollendet war, öffnete Trebol die Daten und überflog deren Inhalt, während Law mit nervös wippender Fußspitze die Mimik des anderen beobachtete. Doch zu seiner Erleichterung nickte Trebol dann knapp und meinte gönnerhaft: »Das sieht gut aus. Doffy wird sehr zufrieden sein.« Damit beendete er den Anruf und sein Bild verblasste. Law stieß den angehaltenen Atem aus und sackte erschöpft auf der Couch zusammen. Er griff nach der Wasserflasche auf dem Tisch und betrachtete mit kruder Faszination seine zitternden Finger. Trotzdem glitt ein düsteres Lächeln über seine Lippen, immerhin hatte er Doflamingos Plänen gerade wieder erfolgreich entgegen gearbeitet. Die beiden Wissenschaftler - ein junges Ehepaar - die er mehrere Tage lang verfolgt hatte, hatten es gewagt, sich aus Doflamingos Gefolgschaft loszusagen und zu fliehen. Die zwei hatten in Caesar Crowns Labor gearbeitet und mit dem zusammen für den Kartellkönig an der Verbesserung von Beta geforscht, denn Crown war schon immer besessen davon, Dr. Vegapunk nachzueifern und das Alpha Serum auf künstlichem Wege nachzubilden. Dafür schreckten Crown und Doflamingo auch nicht vor der Entführung von elternlosen Straßenkindern zurück. Die zwei neuen Wissenschaftler hatte schnell erkannt, dass in dieser Arbeit kein Ruhm lag und sie waren mit ihren Forschungsergebnissen rechtzeitig geflohen, bevor Crown diese wertvollen Daten in die Hände hätten bekommen können. Doflamingo hatte Law als seinen Vollstrecker auf sie angesetzt. Er hätte die beiden eigentlich töten sollen. Law hatte sie nach Tagen gefunden, das junge Ehepaar mit den beiden Kindern, ein Junge und ein Mädchen, die ihn mit großen, ängstlichen Augen angesehen hatten, als er plötzlich in der Unterkunft der Geflohenen aufgetaucht war. Ihre Eltern hatten sich todesmutig vor sie gestellt, bereit, für ihre Kinder zu sterben. Er hatte auf ein erschreckendes Zerrbild seiner eigenen Vergangenheit geblickt und obwohl seine Entscheidung schon längst vorher festgestanden hatte, hatte dieser Moment seine Entschlossenheit nur noch mehr gefestigt. Er hatte die beiden nicht getötet… stattdessen hatte er ihnen geholfen, außer Landes zu kommen und sie hatten ihm als Ausgleich dafür ein paar Daten zur Verfügung gestellt, die bedeutend genug waren, um kein Misstrauen zu erwecken, aber harmlos genug, um Caesar Crowns Forschung nicht wirklich voranzutreiben. Es war tatsächlich ein gefährliches Spiel, das Law hier bereits seit Jahren spielte… seitdem er als Jugendlicher hatte mitansehen müssen, wie Doflamingo seinen eigenen Bruder Corazon umgebracht, nein, förmlich hingerichtet hatte - Corazon, ohne den Law inzwischen wahrscheinlich auch nicht viel mehr wäre als nur eine weitere, tödliche Waffe in Doflamingos Arsenal, seelenlos, skrupellos und zerfressen von Zorn und Hass auf die ganze Welt. Doflamingo wusste es nicht - er wusste nicht, dass Law anwesend gewesen war und zugesehen hatte, wie er seinen Bruder mit Vergo zusammen gestellt und gerichtet hatte, weil Corazon ihn verraten hatte, weil er sich insgeheim von seinem Bruder losgesagt und mit der Polizei und dem Geheimdienst gegen ihn gearbeitet hatte, um den gefährlichen und verbrecherischen Machenschaften seines Bruders Einhalt zu gebieten. Law hätte die Chance gehabt, nach Corazons Tod zu fliehen… wenn Doflamingo nicht plötzlich Lamy nach Tokio gebracht hätte. Es war die pure Ironie des Schicksals - der Mann, den er am meisten verabscheute, brachte ihm seine totgeglaubte Schwester zurück, als Geschenk für seine tadellose Entwicklung… oder um Law noch mehr an sich zu binden und sich seiner Gefolgschaft und Treue absolut sicher zu sein. Aber Law hatte Corazons Vorhaben nie vergessen und sich geschworen, dessen Werk fortzusetzen und ihn zu rächen. Also arbeitete er seit vielen Jahren den Plänen des Kartellkönigs heimlich entgegen. Und wenn Doflamingo eines Tages Schachmatt gesetzt war, dann könnte Lamy ein selbstbestimmtes und glückliches Leben führen, frei von Doflamingos Einfluss, von Verbrechen und dieser zwielichtigen, gefährlichen Welt, in die sie einfach nicht gehörte. Law kippte den Kopf in den Nacken, breitete die Arme über die Lehne der Couch und starrte an die Decke. Er glaubte schon längst nicht mehr, dass er am Ende dieser Geschichte noch aufrecht stehen würde. Er würde wahrscheinlich in diesem Sumpf untergehen... aber er würde Doflamingo mit sich in den Abgrund reißen. Und Lamy wäre dann frei und sicher. Ein durchaus vertretbares Ende, wie er fand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)