Warsong von Ceydrael ================================================================================ Kapitel 2: Der Wachhund des Senats ---------------------------------- In der Wohnung war mindestens ein Eindringling. Marco spürte den mentalen Angriff kommen, das Vibrieren in der Luft, das die nahende Woge aus Magie ankündigte – und er reagierte völlig instinktiv, jahrelang auf solche Situationen trainiert. Es blieb keine Zeit sich zu fragen, warum die KI sie nicht gewarnt oder wie es der Angreifer überhaupt in die Wohnung geschafft hatte. In Marcos Kopf war nur Platz für den Gedanken, seinen Vater zu schützen. Die integrierten Brillengläser seiner Schläfenimplantate glitten über seine Augen und schärften seine Sicht in Verbindung mit den optischen Verbesserungen seiner Netzhäute. Noch währenddessen sprang er auf, zog die silberne Sig Sauer aus dem versteckten Holster unter seiner Anzugjacke und stellte sich schützend vor Whitebeard, die Waffe entsichert, bereit, jeglichem Angreifer eine Kugel zwischen die Augen zu jagen. Die Wucht des unsichtbaren, gedanklichen Angriffes traf Marco wie ein Hammerschlag, darauf ausgerichtet, seine Verteidigung mit nur einem Schlag zu schwächen. Doch die Attacke prallte wirkungslos an seiner mentalen Barriere ab. Marco fühlte die Klauen des fremden Geistes an seinem Schutzschild kratzen und nach einer Schwachstelle suchen. Fremde Gedanken glitten lockend um seinen Verstand und Marco wusste, würde er nur einen hereinlassen, wäre er der Kontrolle des fremden MAGs ausgeliefert - vermutlich ein Cogitokinet, ein Gedankenmanipulator. Der unbekannte MAG schien schnell zu begreifen, dass Marcos Barriere so gut wie undurchdringbar war und stürzte sich auf ein neues Opfer. Der Druck, der auf Marcos Geist gelastet hatte, verschwand und er konnte spüren, wie sich der MAG nun stattdessen auf Whitebeard fokussierte. Marco umschloss auch den Geist seines Vaters mit einer schützenden Hülle, weitete seine eigenen mentalen Barrieren auf Whitebeard aus, sodass der Angreifer auch hier keine Schwachstelle finden würde. Dann bewegte er sich schnell und geräuschlos zur Tür des Arbeitszimmers hinüber, entschlossen, endlich aus der Defensive in den Angriff zu gehen. Er schickte seine eigene Magie aus und fand zwei fremde Präsenzen im Flur vor dem Zimmer. Mit einem Schritt war er herausgetreten und setzte dem Fremden, der ihm am nächsten war, die Mündung der Waffe auf die Stirn, während er in der gleichen Bewegung die andere Sig Sauer unter seiner Jacke hervorzog und auf den zweiten Fremden richtete. »Shanks?!« Marco hielt verblüfft inne, als er sich unvermittelt 'Red Force' Shanks gegenübersah, der ihn lässig angrinste und sich in keinster Weise durch die Waffe, die auf seinen Kopf gerichtet war, beeindrucken ließ. Er trug einen wirklich auffälligen, roten Mantel und ein schwarzes, golddurchwirktes Hemd, das reichlich zerknittert war und sah im Ganzen aus, als wäre er gerade eben erst aus irgendeiner Bar gefallen. Hinter ihm stand ein grimmig aussehender, großer Kerl mit dunklen, von grau durchzogenen Haaren in einem maßgeschneiderten, schwarzen Anzug. Seine Hände steckten in Lederhandschuhen und er trug eine ziemlich deplaziert wirkende Sonnenbrille - das klischeehafte Abbild eines Auftragskillers. »Beeindruckend. Wirklich beeindruckend«, meinte Shanks leichthin, doch die Spur von Anerkennung in seiner Stimme war nicht zu leugnen. »Was soll das, Shanks?!«, knurrte Marco angespannt, doch er löste den Finger vom Abzug der Waffe, auch wenn er sie nicht senkte. »Ist das wieder einer deiner seltsamen Scherze? Die waren irgendwie noch nie lustig...« Shanks tätschelte Marco aufbauend den Oberarm. »Hm, fehlender Humor ist zu deinem Glück keine Sünde, Marco ... du bist inzwischen wenigstens kybernetisch optimiert, wie ich sehe!? Nicht schlecht, sogar eins meiner Modelle«, stellte er überrascht fest, als er Marcos Schläfenimplantate bemerkte. »Und jetzt sei ein gehorsamer, kleiner Soldat und nimm' die Waffe aus meinem Gesicht.« »Ach, mir gefällt sie da eigentlich ganz gut...«, meinte Marco eigensinnig. In der Vergangenheit war er für den rothaarigen Konzerner oft nicht mehr als das brave, sittsame Hündchen Whitebeards gewesen. Marcos Pflichtbewusstsein und kontrollierte Art hatten Shanks stets amüsiert. Vielleicht war es an der Zeit, mal die Zähne zu zeigen. Shanks' stiller Begleiter trat einen Schritt nach vorn, offensichtlich bereit, Marco im Notfall auch gewaltsam zu entwaffnen. Marco lächelte ihm grimmig entgegen. Auf den Versuch lass' ich es gern ankommen... »Lass' gut sein, Marco. Er ist auf meinen Wunsch hier. Lass' ihn rein«, forderte Whitebeard aus dem Raum hinter ihnen. Shanks schob die Sig Sauer mit einem selbstgefälligen Lächeln aus seinem Gesicht und betrat das Arbeitszimmer, gefolgt von seinem schweigsamen Schatten. Marco blinzelte verwirrt, dann ließ er die Waffen endlich sinken und schob sie zurück in die Halterung unter seiner Anzugjacke, bevor er den beiden nachging. Er wusste nicht, wie er es finden sollte, dass die zwei Männer hier waren - normalerweise lud sein Vater nie Bekannte oder Geschäftspartner in seine eigenen, vier Wände ein. In der Hinsicht waren sie sich sehr gleich und schätzten die Trennung von Beruf und Privatem. »Du hast wahrlich nicht übertrieben, Edward. Ich kenne nur sehr wenige Mentokineten und keinen einzigen, der seine Fähigkeiten so einsetzen kann wie dein Anhängsel«, sagte Shanks. Marco beschlich ein ungutes Gefühl und er blieb mit ineinander verschränkten Armen am Türrahmen stehen. Warum hatte sein Vater gerade mit Shanks über seine Fähigkeiten gesprochen... und warum wusste er davon nichts? Recht irritiert sah er jetzt dabei zu, wie der rothaarige Konzerner auf seinen Vater zuging und der die beiden Besucher mit einem kräftigen Händedruck begrüßte. »Würdet ihr mich freundlicherweise aufklären, was das Ganze eigentlich soll?«, verlangte Marco misstrauisch zu wissen – immerhin hatte man gerade versucht sein Hirn zu pulverisieren. Er hoffte, dass es zumindest einen guten Grund dafür geben würde. »Heute ist dein Glückstag!«, eröffnete Shanks überzeugt. Marco hob skeptisch eine Braue. »Ach ja?! Dann wärst du aber gewiss nicht hier...« Shanks grinste ihn nur charmant an. Marco und er hatten in der Vergangenheit so ihre Reibungspunkte gehabt, allerdings hatten 'Red Force' und die Newgate Corp. auch schon an einigen Projekten erfolgreich zusammengearbeitet. Shanks war Konzernchef und wie Whitebeard Mitglied des Senats. Er war recht exzentrisch, weswegen sich die Zusammenarbeit mit ihm oft... schwierig gestaltete. Aber er war klug, hartnäckig und seine Firma „Red Force“ war inzwischen einer der Marktführer weltweit was kybernetische Implantate betraf. Diese Sparte boomte verständlicherweise, denn viele NoMAGs wollten hinter den MAGs nicht zurückstehen und fühlten sich genötigt, ihre Körper auf andere Art und Weise zu optimieren. Außerdem waren kybernetische Implantate gerade beim Militär sehr gefragt im Kampf gegen die Scorn. Shanks selbst hatte bei einem Vorfall vor ein paar Jahren - als er ein Kind vor einem Scornangriff beschützt hatte - seinen linken Arm verloren und diesen durch eine kybernetische Prothese ersetzt. Der Vorfall hatte Marco gezeigt, dass Shanks eigentlich kein schlechter Kerl war, aber der konnte das meist ziemlich gut überspielen. »Das ist Ben Beckmann. Mein persönlicher Assistent und Leibwächter«, erklärte Shanks und deutete mit einem metallisch schimmernden Finger auf seinen Begleiter, als würde das bereits alles erklären. Er trat an Whitebeards Schreibtisch heran und betrachtete das architektonische Holomodell dort interessiert, indem er es mit einem Handbefehl drehte. »Hm, du hast sogar das Kanalsystem eingeplant, das ich vorgeschlagen habe, Edward?! Künstliche Gezeiten werden einen großen Teil des Energiebedarfes abdecken«, sinnierte Shanks mit geschäftig funkelnden Augen. »Shanks...«, rief Whitebeard ihn grollend ins Hier und Jetzt zurück. »Deswegen bist du nicht hier, oder?« »Jaja... schon gut«, wiegelte Shanks ab und wies abermals auf seinen Leibwächter, der grimmig und regungslos wie zuvor neben ihm Stellung bezogen hatte. »Ben ist ein Rang B Cogitokinet. Er könnte dir einflüstern, dass du versuchen solltest, aus dem Fenster dieses Penthouses zu springen und du würdest es vermutlich für eine wunderbare Idee halten«, erklärte er und ging nun auf Marco zu. »Aber es hat dich nicht mal angestrengt, seiner Attacke standzuhalten, so als wärst du irgendwie... immun«, wisperte Shanks fasziniert und blieb vor Marco stehen, um ihn eingehend zu mustern. »Und nicht nur das... du kannst deine mentalen Abwehrmechanismen auch auf andere übertragen. Wie hoch ist deine Reichweite?«, fragte er. »Keine Ahnung, es war bisher nicht nötig, genaue Statistiken zu erstellen...«, raunte Marco kühl, antwortete aber widerwillig nach einem kurzen Blickwechsel mit Whitebeard: »Fünfzehn bis zwanzig Meter waren bisher kein Problem.« In der Vergangenheit hatten sie es strikt vermieden, das ganze Ausmaß von Marcos Fähigkeiten preiszugeben. Es war immer besser, nicht jedes Ass im Ärmel sofort zu offenbaren, immerhin hatten sie nicht nur Freunde. MAGs konnten lernen sich gegen den Angriff eines MentalMAGs zu schützen, doch am Ende lief es dann stets auf eine Willens- und Kräfteprüfung hinaus. Wenn ein MentalMAG nur eine winzige Lücke in einer geistigen Deckung fand, war man oft verloren. Marcos Fähigkeit dagegen ließ ihn geistige Schilde erschaffen, die undurchdringlich waren. Inzwischen war es wahrscheinlich bekannt, dass er den meisten Gedankentricks widerstehen konnte, doch dass er auch andere zu schützen vermochte, hatten sie bisher geheim gehalten. Genauso wie seine Fähigkeit, heilend auf einen fremden Geist einwirken zu können. Shanks sah ihn eine Weile grüblerisch an und wedelte dann mit dem kybernetischen Zeigefinger belehrend vor Marcos Nase. »Weißt du, es ist nicht nett, so etwas geheim zu halten.« »Was willst du... dass ich demnächst im Zirkus damit auftrete?!«, zog Marco die Brauen missbilligend in die Höhe. »Du solltest diese Kraft definitiv nicht daran verschwenden, einen alten Mann zu beschützen, dessen Zeit schon längst abgelaufen ist.« Marco bleckte die Zähne wütend, doch Shanks wandte sich mit einem Zungeschnalzen ab und meinte lapidar: »Wir sollten etwas trinken.« Marco sah Shanks fassungslos hinterher, wie der mit Ben Beckmann im Schlepptau das Zimmer verließ und der emotionale Teil von ihm wollte den rothaarigen Konzerner gern am Kragen packen, um ihm etwas Anstand einzuprügeln. Der andere - wesentlich rationalere Teil von ihm – wusste, dass Shanks' Worte nicht gänzlich von der Hand zu weisen waren. Whitebeard schaltete die Projektion an seinem Schreibtisch ab und räumte die letzten Dokumente in die Schubladen. »Reg' dich nicht auf... du weißt doch, wie er ist.« Sie kannten sich inzwischen so lang, dass er genau wusste, was in Marco vor sich ging. »Er ist respektlos.« Whitebeard schmunzelte. Er schien sich an solchen Unhöflichkeiten kaum zu stören. »Ja, in der Tat... aber manches Mal braucht es jemanden, der die Wahrheit schonungslos ausspricht und so ganz unrecht hat er ja nicht«, meinte er ruhig und kam nun zu ihm herüber. Marco sah seinen Vater erschüttert an. »Sag' so etwas nicht...« Doch Whitebeard reagierte nur mit einem gelassenen Lächeln und klopfte Marco aufmunternd auf die Schulter. »Komm. Besser, wir lassen ihn nicht länger als nötig allein... wer weiß, was er anstellt.« Marco folgte seinem Vater nach, der nun ebenfalls das Arbeitszimmer verließ. Im Wohnbereich war Shanks schon eifrig dabei die Küchenschränke zu durchforsten, wahrscheinlich auf der Suche nach Gläsern... und ziemlich sicher auf der Suche nach Alkohol. »Komm schon, Edward, wo hast du das gute Zeug versteckt?!«, tönte Shanks gedämpfte Stimme aus dem Inneren eines Schrankes, in dem sein Kopf steckte. Marco holte einmal tief Luft und rieb sich die Nasenwurzel. Das respektlose Verhalten dieses rothaarigen Teufels nötigte ihm jegliches Quäntchen an Selbstbeherrschung ab, das er besaß... und eigentlich besaß er ziemlich viel davon. »Haruta, öffne den Wandschrank«, befahl Whitebeard der KI der Wohnung. Sofort glitt eine Wandvertäfelung des Wohnzimmers beiseite. Dahinter flammte gedimmtes Licht auf und beleuchtete eine exquisite Auswahl an Spirituosen. »Ich nehme an, du bist immer noch ein Freund von Sake, Shanks...?«, fragte er. »Oh und wie ich das bin!« Shanks' roter Haarschopf tauchte aus der Tiefe des Schrankes wieder auf und sein Gesicht hellte sich begeistert auf, als seine Augen die Auswahl erspähten. »Ich hoffe, du hast noch diese exzellente Marke aus Kobe! Erinnerst du dich noch an Kobe, Edward? An die Nacht in diesem Ryokan? Meine Güte, ich glaube, so betrunken war ich niemals wieder in meinem Leben...«, ließ Shanks sich versonnen lachend auf die Couch fallen. »Das wage ich zu bezweifeln...«, murmelte Marco kritisch. Er trat nun selbst in die Küche, um ein paar Sakeschalen aus einem der Küchenschränke zu nehmen, während Whitebeard eine bauchige, dunkle Keramikflasche aus seinem Vorrat wählte. Shanks' schweigsamer Leibwächter positionierte sich neben seinem Vorgesetzten und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Und jetzt... trinken wir und lauschen Shanks' sicherlich pädagogisch sehr wertvollen Eskapaden der Vergangenheit!?«, fragte Marco ironisch, als er die Trinkschalen auf den Wohnzimmertisch stellte. Ein sich aufbäumender, detailreicher Wal aus Kristall bildete dessen Standfuß, die aufspritzende Gischt hielt die gläserne Platte. Das einzig wirklich auffällige, annähernd extravagante Möbelstück der Wohnung. »Glaub' mir, dabei könntest du sicher noch was für's Leben lernen«, grinste Shanks und breitete die Arme lässig über der Rückenlehne aus, als wäre er selbst Herr des Hauses. Marco verbiss sich wirklich krampfhaft einen Kommentar und appellierte geistig an seine gute Erziehung. »Setz dich«, bat Whitebeard an Marco gewandt, als er nun ebenfalls auf der blütenweißen Wohnlandschaft Platz nahm und die Schälchen, die Marco gebracht hatte, mit dem kostbaren Sake zu füllen begann. Der glasklaren, golden schimmernden Flüssigkeit entströmte der Duft von wilder Kirsche und Jasmin. Shanks klopfte auffordernd auf das Polster neben sich und schenkte Marco dabei ein unheimlich freundliches Lächeln. »Ich glaube, ich stehe lieb-...« »Ich habe beschlossen, dass du die Leitung der Firma übernimmst, Marco. Ich werde diese Entscheidung nächste Woche bekannt geben. Du wirst der nächste CEO«, eröffnete Whitebeard aus heiterem Himmel und bot seinem Ziehsohn die Sakeschale jetzt mit einem gehobenen Mundwinkel an. Marco blinzelte ungläubig und brauchte ein paar Sekunden, um diese Nachricht sacken zu lassen. »Oh...« Er setzte sich nun doch und nahm den den angebotenen Alkohol eher mechanisch als wirklich bewusst entgegen. »Aber... ich dachte, die rechtlichen Aufwände wären zu hoch?! Und ich habe doch überhaupt keinen Anspruch-...« »Du hast mehr Anspruch, als du selbst glaubst«, urteilte Whitebeard entschieden. Marco öffnete die obersten beiden seiner Hemdknöpfe, der Kragen war ihm plötzlich zu eng, dann kippte er den Sake in einem Zug herunter. Normalerweise trank er kaum Alkohol, er mochte ihn einfach nicht, doch jetzt hieß er die kurzzeitige Betäubung willkommen. Das Brennen in der Kehle war angenehm und erdete ihn ein wenig, half, die vielen Gedanken in seinem Kopf zu sortieren. »Pops, willst du Weevil nicht zumindest eine Chance geben?«, begann er vorsichtig. »Ich meine-...« »Weevil kann die Firma nicht leiten, Marco!«, unterbrach Whitebeard ihn mit donnernder Stimme. In seine Augen trat eine kalkulierte Härte, allerdings auch der schlecht verhüllte Funke maßloser Enttäuschung. »Du weißt das. Ich weiß das. Jeder hier in der Firma weiß das, es ist ein offenes Geheimnis! Und bei Gott, ich wünschte, es wäre anders, aber mein Sohn ist niemand, dem ich die Macht über solch eine Firma in die Hand geben kann! Er würde die Newgate Corp. entweder zu Grunde richten oder in eine Richtung entwickeln, die nie mein Ansinnen war!« Whitebeard biss die Zähne aufeinander und verschränkte die Arme. Marco konnte förmlich sehen, wie er innerlich mit seiner Frustration kämpfte, als er den Blick abwandte und aus dem Fenster sah. Noch immer regnete es. Die Tropfen schlugen einem monotonen Trommeln gleich gegen die großen Fensterfronten und liefen in schillernden Bahnen daran herab. In der Ferne drehte ein Hubschrauber seine Kreise über der Stadt, vielleicht lieferten sich die Kartelle in Downtown mal wieder eine Schießerei. Betretenes Schweigen folgte nach Whitebeards Offenbarung. Shanks hatte die Beine locker überschlagen und beobachtete die Szene aufmerksam, fast ein wenig amüsiert über den Rand seiner Sakeschale hinweg, während sein Leibwächter mit steinernem Gesicht neben ihm stand und genauso eine Statue hätte sein können, die man nur zufällig dort positioniert hatte. Seinen Alkohol rührte er nicht an. Marco wandte sich unbehaglich und suchte nach den richtigen Worten. Er mochte Weevil wirklich nicht, aber es lag einfach in seiner Natur, das Beste in den Menschen sehen zu wollen und er wusste auch, dass Whitebeard die Entwicklung seines Sohnes doch insgeheim belastete. Ein etwas versöhnlicheres Ende dieser ganzen Sache würde dem alten Herrn sicher gut tun. Vorsichtig sah er hinüber zu Shanks. Es erschien ihm irgendwie seltsam, das vor dem anderen diskutieren zu wollen, aber Whitebeard schien es nicht zu kümmern, also versuchte sich Marco auch nicht daran zu stören. »Ich könnte ihn anleiten, ihn führen, so wie du es bei mir getan hast. Vielleicht wird er doch das Richtige tun...«, versuchte Marco diplomatisch zu vermitteln. Doch selbst in seinen eigenen Ohren hörten sich diese Worte lahm und hohl an. »Das Richtige, ja?!« Whitebeard schnaubte aufgebracht und zog ein Stück Papier aus seiner Hosentasche, das er Marco provokativ gegen die Brust drückte, der instinktiv danach griff. »Sieh, was er als Das Richtige betrachtet. Er hat noch nicht einen Tag auch nur einen Finger für dieses Unternehmen krumm gemacht und mir schon die Namen der Mitarbeiter aufgelistet, die er entlassen will, wenn er CEO ist, um die Effizienz zu erhöhen...«, höhnte er bitter. Marco entfaltete das Papier langsam und überflog die Zeilen mit wachsender Bestürzung. So viele Namen standen dort auf Weevil Liste, viele gute, langjährige Mitarbeiter, die dieser Kerl einfach aus einer Laune heraus auf die Straße setzen wollte. Als Marco auch noch Kalifas und Dadans Namen entdeckte, knüllte er das Papier aufgebracht zusammen. »Ich hatte ja keine Ahnung... dieser Mistkerl«, meinte er fassungslos. Bis zum Schluss hatte er gehofft, dass Weevil seine Vernunft entdecken würde - leider hatte der sich dazu entschieden, weiterhin ein Arschloch zu sein. Whitebeard suchte Marcos Blick und sprach beschwörend: »Weevil darf nicht führen. Er kann es auch nicht. Für ihn ist jeder, der keine Waffe benutzen oder herstellen kann, unnützer Ballast. Er begreift nicht, was diese Firma ist. Wir sind kein Schwert, wir sind das Schild. Du verstehst das, Marco.« Seine Haltung entspannte sich etwas und der Ansatz eines Schmunzelns zupfte an seinen Mundwinkeln. »Außerdem haben die Mitarbeiter eine Petition gestartet... sie haben sich eindeutig dafür ausgesprochen, dass du mein Nachfolger wirst.« »Was... wirklich?!« »In der Tat. Sogar Dadan hat ihre Unterschrift geleistet. „Wenn er seinen Hintern nicht in den Chefsessel bewegt, dreh' ich dem Bengel den Hals um“ waren so ungefähr ihre Worte. Und Thatch hat mit wirklich sehr kreativen Schimpfwörtern um sich geworfen – Thatch! - und hat mir gedroht, dass er geht, wenn er unter Weevil arbeiten soll.« Marco rieb sich überrascht, fast verlegen den Nacken. Für einen Moment war er wahrlich sprachlos. Er hätte nie erwartet, dass sich die Mitarbeiter so entschieden für ihn einsetzen würden. Er fühlte sich durch dieses Vertrauen unheimlich geehrt. Natürlich war der Posten des CEO nie sein Wunsch gewesen… aber er schuldete Whitebeard wahrscheinlich weit mehr, als nur sein Vermächtnis zu schützen, also würde er sich dieser Aufgabe auch stellen. Vor allem, da anscheinend so viele ihre Hoffnung in ihn setzten. »Tja, nun… es sieht aus, als wäre die Sache eh längst entschieden«, meinte Marco dann mit einem schrägen Lächeln. »Ich werde mich deiner Entscheidung natürlich nicht widersetzen und mich nach Kräften bemühen, deinem Erbe gerecht zu werden, Vater«, versprach er entschlossen. Allerdings gab er zu bedenken: »Aber das wird Weevil nicht gefallen und er wird diese Entscheidung anfechten, das ist dir hoffentlich klar? Er ist immerhin dein Erbe...« Shanks kicherte. Marco hatte schon fast verdrängt, dass er ja auch noch da war. »Oh... das Nächste wird ihm dann wahrscheinlich noch viel weniger gefallen«, verkündete der rothaarige Firmenchef belustigt und schenkte sich großzügig vom Sake nach. »Es wird ihn vermutlich richtig ankotzen«, meinte er schadenfroh. Marco blickte verwirrt zwischen seinem Vater und Shanks hin und her. »Das Nächste...?!«, fragte er vorsichtig, nicht sicher, ob er die Antwort wirklich wissen wollte. Eigentlich gab es für seinen Geschmack genug Überraschungen an diesem Abend. »Dachtest du, ich bin hier nur schmückendes Beiwerk? Wegen eurer Familienprobleme bin ich sicher nicht hergekommen«, erklärte Shanks spöttisch und gab seinem Begleiter jetzt einen fordernden Wink. »Ben, die Dokumente.« Sofort zauberte der schweigsame Leibwächter einen Umschlag hervor, zog einige Papiere heraus und legte diese auf den gläsernen Wohnzimmertisch. Shanks präsentierte in einer ausladenden Geste die schrecklich hoch offiziell aussehenden Dokumente und wirkte dabei so selbstzufrieden, als hätte er gerade die anhaltende Dürre in Westindien persönlich bekämpft. Vielleicht wäre er dazu sogar im Stande, immerhin war er ein Rang A Aeromant und konnte Luftströme beeinflussen. Marcos Brillengläser aktivierten sich und er lehnte sich vor, schob die Schriftstücke mit den Fingern auseinander und überflog sie rasch. Das Siegel des Senats sprang ihm förmlich ins Auge. Jedes hochtrabende Wort ließ seinen Mund trocken werden und sein Herz schneller schlagen. Er begann den gleichen Satz viermal, ohne die Bedeutung wirklich zu begreifen... sein Kopf war mit einem Mal wie leergefegt. »Ich werde mich auch aus dem Senat zurückziehen und ich möchte, dass du meinen Sitz einnimmst, Marco«, enthüllte Whitebeard seelenruhig. »Dazu wirst du offiziell als mein Nachfolger und Erbe anerkannt. Damit bist du Weevil rechtlich völlig gleichgestellt.« »Das ist ein Scherz...?«, wisperte Marco wie betäubt. Immer wieder las er die Worte auf dem Papier, aber an dessen Inhalt änderte sich deshalb auch nichts. »Keineswegs.« Marco lehnte sich nach vorn, faltete die Hände vor den Lippen und schüttelte den Kopf. Überwältigt stieß er die Luft aus. »Heilige Scheiße...« Er persönlich hätte nie ein Papier gebraucht, um sich Whitebeard voll und ganz zugehörig zu fühlen. Über viele Jahre wusste er sehr genau, wen er seinen Vater nennen wollte - aber nun bekannte sich Whitebeard öffentlich zu ihm und setzte damit ein sehr deutliches Zeichen... vor allem Weevil gegenüber. Das war eine Ehre, die Marco niemals für sich erhofft hatte. »Gott - Pops, wie konntest du das alles stillschweigend planen und nicht ein verfluchtes Wort sagen?!« Whitebeard sah ihn mit einem nachsichtigen, väterlichen Lächeln an. »Nun, wo wäre da die Überraschung gewesen, hm? Eigentlich ist es doch eh nur noch eine reine Formalität, Marco. Dieser Schritt war schon längst überfällig. Du weißt, dass du längst mein wahrer Sohn bist. Der Sohn, den ich mir immer gewünscht habe, egal, ob Blut uns verbindet oder nicht.« Marco räusperte sich und schluckte den Kloß im Hals hinab. Da waren gerade ziemlich viele Gedanken und Gefühle, die er sortieren musste. »Aber gleich noch der Senat...!? Ich weiß nicht, ob ich dem überhaupt gerecht werden kann...«, sagte Marco und fuhr sich mit beiden Händen recht überfordert durch die Haare. Politiker zu werden hatte nun wirklich nicht auf seiner Liste gestanden. »Allein schon, dass du das in Frage stellst, qualifiziert dich unheimlich für diesen Posten«, mischte sich Shanks ein. »Glaub' mir, wenn du keine Ambitionen hast, bist du perfekt für den Job.« »Aber was ist mit der Prüfung?«, fragte Marco verwirrt. Jeder Anwärter für den Senat wurde auf die Stärke seiner Fähigkeiten getestet und wenn man diese nicht bestand, war es fast ausgeschlossen, im Senat aufgenommen zu werden. Shanks erklärte mit einem Achselzucken: »Na, die hast du vorhin bestanden, herzlichen Glückwunsch übrigens«, wies er mit einem Fingerzeig auf seinen stillen Begleiter. »Ein etwas beschleunigtes Verfahren sozusagen, ohne das ganze zeremonielle Tamtam«, meinte er wegwerfend und völlig beiläufig, als wäre das alles nichts weiter als eine Lappalie. »Aber warum gerade ich?! Es gäbe doch sicher genügend andere Anwärter...?!«, hakte Marco unverständig nach. »Oh, sicher, zum Beispiel dein eben gewonnener Stiefbruder, der bestimmt schon ganz heiß auf diese Stellung war, aber sein wir mal ehrlich...«, Shanks legte den Kopf schief und hob bezeichnend eine Braue. »... das wäre, als würde man einem Kleinkind eine Waffe in die Hand drücken. Manche Menschen sollten einfach keine Macht bekommen. Niemand will das verantworten. Du bist zwar eine staubtrockene Spaßbremse, aber ich muss Edward recht geben – du bist verlässlich, ehrlich, bedacht und hast ein gutes Herz. Du bist eindeutig die richtige Wahl für so ein Amt.« Wow, das war wahrscheinlich das Netteste, was Shanks je zu Marco gesagt hatte. Da tat es ihm ja fast leid, dass er den rothaarigen Kerl vorhin noch erwürgen wollte... zumindest ein bisschen. »Aber ich will auch ehrlich zu dir sein...«, begann Shanks und lehnte sich nach vorn, um die Ellenbogen auf die Knie zu stützen. Er verschränkte die Hände und sah Marco eindringlich an. »... es ist nicht nur Edwards wirklich überzeugenden Argumenten zu verdanken, dass du diesen Sitz erhältst. Deine Fähigkeiten spielen ebenso eine Rolle und haben den Senat in diesem Fall eine ungewöhnlich schnelle Entscheidung treffen lassen. Mentokineten sind sehr selten und deine Fähigkeiten beachtlich. Du könntest dem Senat gute Dienste leisten... in vielen Belangen«, deutete er kryptisch an. Shanks langte in die Tasche seines Mantels und holte ein goldenes Etui hervor, aus dem er eine Zigarette klopfte. Er steckte sie zwischen die Lippen und aus einem seiner mechanischen Finger schoss eine Flamme hervor, an der er seinen Glimmstengel entzündete. »Kommen wir also zum eigentlich wichtigen Teil des Abends...« Er lehnte sich wieder zurück, legte einen Arm über die Sitzlehne und betrachtete Marco mit einem scharfen Blick über die Glut seiner Zigarette. »Edward hat dir sicher schon erzählt, das meine Position im Senat... etwas spezieller ist?!« Marco nickte zögerlich und rieb sich angespannt die Schläfe. »Mehr oder weniger. Ich weiß zumindest, dass dich manche auch den Wachhund des Senats nennen. Ich hoffe allerdings nicht deshalb, weil du mehr bellst als wirklich beißt...« Shanks grinste wölfisch. »Gesetze erlassen ist nicht so mein Ding. Ich bin eher die... ausführende Gewalt. Mich schicken die feinen Herren und Damen, wenn sie sich nicht die Hände schmutzig machen wollen - nichts für ungut, Edward«, zuckte er beschwichtigend mit den Schultern. Whitebeard schnaubte und sagte an Marco gewandt: »Und manchmal schicken sie ihn auch einfach los, weil sie ihn und sein Geschwafel nicht ertragen und ihnen die Ohren bluten...« Shanks fuhr gespielt betroffen zusammen und griff sich ans Herz. »Wie gemein!« Marcos Mundwinkel bogen sich leicht nach oben und er meinte sogar in Ben Beckmanns steinernem Gesicht eine verräterische Zuckung zu erspähen. »Was ich damit aber eigentlich sagen will...« Shanks stieß eine Rauchwolke durch die Nase aus, dann deutete er mit der Zigarette zwischen den kybernetischen Fingern auf Marco. »Ich brauch' die Hilfe deiner speziellen Fähigkeiten. Also verabschiede dich erst mal von dem Gedanken an schicke Cocktailpartys und stundenlanges Debattieren und das obligatorische Honig-ums-Maul-Geschmiere, dafür hast du nämlich keine Zeit und...-« »Ja ja, schon klar. Ich verstehe.« Marco rollte mit den Augen. All das war ihm nun wirklich nicht wichtig. »Nun, das solltest du zumindest wissen, bevor du deine Entscheidung trifft.« »Ich war mir gar nicht bewusst, dass ich überhaupt noch eine Wahl habe...«, grummelte Marco mit einem flüchtigen Seitenblick zu seinem Vater. Er nahm ihm all das nicht wirklich übel, aber über ein Mitspracherecht hätte er sich doch gefreut. »Hast du auch nicht, immerhin willst du deinem Großmaul von Bruder ja so richtig gehörig den Mittelfinger zeigen... aber rein formell für's Protokoll, du verstehst...?« Es war Marco zwar ein wenig unangenehm, doch so ganz unrecht hatte Shanks nicht. Bei der Vorstellung von Weevils dummen Gesicht verspürte Marco eine unpassende, aber perfide Genugtuung. Er hatte es ja wahrlich nie darauf angelegt, Weevil aus dem Rennen zu drängen, der hatte allerdings aber auch nie etwas getan, um dem aktiv entgegen zu steuern. Weevil hatte sich stets einfach auf seinem Status ausgeruht und auf die Gutmütigkeit seines Vaters gehofft. Er trat seine Privilegien mit Füßen, dumm und unwissend, wie glücklich er sich doch eigentlich schätzen konnte. Marco hatte ganz und gar nicht das Glück gehabt, mit einem goldenen Löffel im Mund geboren zu werden, geschweige denn, eine normale Kindheit zu erleben. Er hatte sich jeden Fortschritt bis hierher, jedes Quentchen Erfolg, jedes Stück Normalität hart erarbeiten müssen. Als er Whitebeard vor so vielen Jahren kennengelernt hatte, war er eine Waffe gewesen, aber kein Mensch.... Er schüttelte die düsteren Gedanken ab. Das lag hinter ihm und rückwirkend betrachtet war dieser Weg sein Schicksal – er war daran gewachsen und zu dem Mann geworden, der er heute war. Probleme waren für ihn stets Herausforderungen, für die er die passende Lösung nur noch nicht gefunden hatte. Marco straffte sich, wechselte einen Blick mit Whitebeard und nickte dann. »Na schön, wie läuft das jetzt ab... muss ich einen Eid leisten? Auf die Bibel schwören?« Shanks streckte eine Hand aus und wackelte mit den nackten Fingern. »Du darfst mir den Ring küssen«, grinste er überheblich. Marco verzog den Mund. Ja, sicher... nicht. Ben Beckmann trat plötzlich völlig überraschend nach vorn und deutete eine vage Verbeugung an. »Der Senat gibt dem Gesuch von Edward Newgate hiermit statt, Marco Phoenix als seinen legitimen Erben und Nachfolger anzuerkennen und ihn zu einem Mitglied des Senats zu machen«, verkündete der schwarz gekleidete Leibwächter zeremoniell. Marco sah ihn irritiert an, selbst Whitebeard wirkte verwundert – immerhin hatte Shanks' Schatten bisher kein Wort gesagt. Der rothaarige Konzerner blickte seinen Helfer frustriert an. »Also ein bisschen Spaß hättest du mir ruhig lassen können, Ben...«, beschwerte er sich unzufrieden. Der Assistent holte eine schwarze Schatulle aus seiner Anzugjacke, stellte diese auf den Couchtisch und öffnete sie. Ein goldener Zylinder, ähnlich eines Stempels, kam zum Vorschein, gebettet auf schwarzem Samt. Darauf war in verschnörkeltem Latein eingestanzt: „Friede' und Gerechtigkeit verpflichtet.“ Ben Beckmann nahm das metallische Siegel auf und streckte eine behandschuhte Hand zu Marco aus. »Ach je, er steht wirklich auf diesen offiziellen Scheiß...«, murmelte Shanks kopfschüttelnd, sah Marco dann aber sachlich an und hob seine eigene Rechte, um auf sein Handgelenk zu tippen. »Du bekommst das Siegel des Senats eingeprägt«, erläuterte er. »Ist wie eine Dienstmarke, die man aber weniger einfach verlegen kann und die dir sämtliche Vorzüge und Rechte des Senats gewährt. Kostenloses Bahnfahren und Treuepunkte beim Besuch im Bordell und so Kram...-«   Marco blinzelte irritiert, doch zum Glück fuhr Ben Beckmann mit seiner Rede fort und unterbrach Shanks damit: »Bist du willens, dich und deine Kraft in den Dienst des Senats zu stellen, ein Wächter für Ordnung und Recht zu werden? Bist du willens, alles zu tun, um die Schutzlosen zu schützen und die Gesetzlosen zu richten?« Marco blickte noch einmal versichernd zu seinem Vater, doch Whitebeard nickte ihm nur bekräftigend zu. Also erhob er sich von der Couch und öffnete den Knopf an seinem Hemdsärmel, um den Stoff nach oben zu schieben und damit sein Handgelenk zu entblößen. Dann streckte er Ben Beckmann seinen Arm entgegen und meinte nach einem tiefen Luftholen: »Nun, ich werde tun, was in meiner Macht steht...« Shanks' Assistent drehte Marcos Handgelenk so, dass er auf die Innenseite das traditionelle Zeichen der stilisierten, von einem Lorbeerkranz eingerahmten, Waage auf der Haut aufbringen konnte. Ein kurzer, brennender Schmerz durchzuckte Marcos Arm, dann war die Prozedur auch schon vorbei und er betrachtete sein Handgelenk fasziniert. Im richtigen Winkel schimmerte das Siegel silbern auf, doch für einen flüchtigen Blick war es beinahe unsichtbar. Vorsichtig fuhr Marco mit den Fingerspitzen über die kaum spürbaren, verblassenden Linien, dann zog er den Hemdsärmel wieder zurecht. »Tja, das der Tag so endet... hab ich ehrlich nicht erwartet«, murmelte er kopfschüttelnd, noch immer etwas neben sich. Es würde wohl eine Weile dauern, das ganze Ausmaß des eben Geschehenen zu verdauen. Whitebeard erhob sich und trat vor Marco. »Du hast dir das wirklich verdient, Sohn«, meinte er aufrichtig und ergriff ihn bei den Schultern. »Mir fällt jetzt ehrlich ein Stein vom Herzen, wo ich die Firma in deinen Händen weiß. Danke, Marco.« Whitebeards Lächeln war gelöst und die Spitzen seines imposanten Bartes berührten fast die Falten um seine stolz glänzenden Augen. »Nein, ich hab' dir zu danken, Vater... für alles«, raunte Marco mit ergriffener Stimme. »Herzlichen Glückwunsch, Mister Phoenix«, erschien Harutas Hologramm in der Mitte des Raumes und lächelte ihn freundlich an. »Ich habe Sie bereits als legitimen Erben von Edward Newgate abgespeichert und werde Ihnen gern in Zukunft in vollem Umfang zur Verfügung stehen.« »Na schön Shanks, bei was soll ich dir nun helfen?«, verlangte Marco schließlich zu wissen. Wahrscheinlich war es besser, das alles nicht auf die lange Bank zu schieben. »Oh gut, dass du fragst!« Shanks war sofort auf den Beinen, blickte sich kurz suchend um, dann drückte er seine halb aufgerauchte Zigarette in einer der leeren Sakeschalen aus, was ihm einen bösen Blick der KI einbrachte. Ben Beckmann war so umsichtig, die Sauerei wortlos im Abfalleimer zu entsorgen. »Du darfst eine Jungfrau in Nöten retten. Das ist doch sicher die perfekte Aufgabe für einen ehrenhaften Kerl wie dich. Ich erklär' dir alles im Wagen.« »... im Wagen?! Wie... jetzt?!«, fragte Marco und sah Shanks irritiert dabei zu, wie dieser schon auf dem Weg zur Tür war. Irgendwie hatte er gehofft, dass er zumindest eine Nacht bekommen würde, um sich in Ruhe an all die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen – immerhin hatte sich sein Leben gerade gefühlt um hundertachtzig Grad gedreht. »Du weißt doch, Zeit ist Geld, mein Freund. Und in diesem Fall kann Zeit vielleicht sogar über Leben und Tod entscheiden«, fügte er ungewöhnlich ernsthaft an und blieb neben dem künstlichen Wasserfall des Penthouse stehen. »Also... kommst du?«, fragte er auffordernd. Eine Dringlichkeit war in Shanks' Stimme getreten, die Marco bei ihm gar nicht kannte. Plötzlich sah ihm ein gänzlich anderer Mann entgegen – ein Mann mit Prinzipien, der seine Ziele wie ein Wolf verfolgte und keine Ruhe geben würde, bis er seine Aufgabe erfüllt hatte. Die ungewöhnliche Besorgnis in Shanks' Augen ließ Marco nach seinem dunklen Regenmantel greifen, der noch immer auf einem der Küchenstühle hing. »Dann lass' uns gehen.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)