Mein Weg zu Dir von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 34: Mimi ---------------- Die letzten zwei Wochen habe ich wie in einer Art Trance erlebt. Ich war gar nicht richtig da. Ich bin aufgestanden, zur Arbeit gegangen, bin wieder nach Hause gegangen und habe geschlafen. Das Essen habe ich meist ausfallen lassen, weil mir eh nicht danach war. Und auch so hat sich die letzte Zeit wie ein Traum angefühlt - wie ein Albtraum. Nichts, was einmal wichtig war, ist noch von Bedeutung. Als wäre da plötzlich ein Loch, das nicht gefüllt werden kann. Nein, das ist so nicht ganz richtig. Ich hatte es geschafft, dieses Loch zu füllen, und war es auch nur für einen kurzen Augenblick. Das war der Abend, an dem ich mit Matt zusammen war. Sein Körper, der sich an meinen geschmiegt hat und diese Nähe, die sich so sehr nach Wärme angefühlt hat, hat dieses Loch für eine kurze Zeit verschwinden lassen. Doch als ich dann Tai über den Weg gelaufen bin, war es sofort wieder da. Und mit ihm der ganze, verdammte Schmerz. Ich kann nicht sagen, wie ich es geschafft habe, mich nicht wieder Tagelang in meiner Wohnung einzuschließen und zu weinen. Vermutlich, weil ich es diesmal einfach nicht zugelassen habe. Ich habe mich so mit Arbeit überschüttet und jede Schicht geschoben, die ich kriegen konnte, dass ich fast darin erstickt wäre. Viel Arbeit - keine Zeit für Herzschmerz. Wenn das die Lösung ist, sollte ich wahrscheinlich zum Workaholic werden. Heute ist der erste Tag, an dem ich nach zehn Tagen Arbeit frei habe und ich fühle mich super elend. Nicht nur, weil ich total übermüdet bin und ein Blick in den Spiegel mir das Ausmaß meiner ungesunden Arbeitsmoral verdeutlicht, sondern auch, weil mich die Ruhe zu Hause erschlägt. Mit einem grimmigen Gesichtsausdruck stehe ich vor dem Spiegel und versuche, die dunklen Schatten mit eiskalten Teelöffeln aus dem Kühlschrank wegzuzaubern, aber so recht will es mir nicht gelingen. Ich lege die Dinger weg und betrachte mich seufzend. Ich sollte wirklich etwas mehr schlafen. Länger als fünf Stunden zumindest. Aber ich will nicht. Ich will nicht träumen, weil ich ständig von Tai träume. Ich will nicht einschlafen, danach aufwachen, auf mein Handy gucken und mich dazu zwingen, Tai nicht anzurufen. Das tut verdammt weh. Wahrscheinlich ist es einfach die Angewohnheit. Wir hatten immer sehr viel Kontakt und mit einem Mal gar nicht mehr. Das ist echt scheiße. Tai hat sich auch nicht bei mir gemeldet - aber warum sollte er auch? Auch Matt meldet sich nicht mehr, was ich äußerst verdächtig finde. Ich habe ihm mehrere Nachrichten geschickt, aber er hat auf keine davon reagiert. Super. Ich werde nicht nur von meiner großen Liebe ignoriert, sondern auch noch von dem Kerl geghostet, mit dem ich einen One-Night-Stand hatte. Ich würde sagen, ein neuer Tiefpunkt ist erreicht. War ich wirklich so mies im Bett? Ach, egal. Wer braucht die schon? Zumindest rede ich mir das ein, um nicht völlig den Verstand zu verlieren. Eigentlich sollte ich auf direkten Wege ins Bett gehen, aber ich entscheide mich anders und ziehe stattdessen meine Schuhe an. Ich brauche dringend Ablenkung. Und Dad hat schon lange nichts mehr von mir gehört. Kurze Zeit später komme bei meinem alten Familienhaus an. Als ich in der Einfahrt stehe, erdrückt mich sofort diese Aura, die seit der Trennung meiner Eltern einfach alles hier umgibt. Es ist, als würde ein Fluch auf dem Grundstück liegen. Ich sehe mich im Vorgarten um, sehe die verdorrten und verwelkten Blumen. Früher hatte Mom den Garten gehegt und gepflegt, als wäre es ihr zweites Kind. Er erstrahlte in einem Glanz, der einem immer, wenn man nach Hause kam, sofort gute Laune bereitet hat. Alles war bunt und freundlich und duftete nach Rosen. Heute ist er nur noch grau und kalt und wie das Haus, ein Schatten seiner selbst. Ich möchte nicht hier sein. Zu viele Erinnerungen an früher kommen hoch und machen mich traurig. Aber ich will wirklich wissen, wie es meinem Vater geht. Seit er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, habe ich ihn nur ein Mal besucht, um ihn zum Arzt zu begleiten, als sein Verband abkam. Ich habe ihm was zu essen gekocht und ein wenig das Haus aufgeräumt - das, was ich immer tue. Danach brauchte ich ein wenig Abstand. Er erzählte mir, dass er keine Ahnung hätte, wie es nun weiter gehen soll, aber so, wie es im Moment aussieht, würde er wohl bald das Haus verlieren. Ein weiteres Stück seines Lebens, dass einfach so verschwinden würde. Dabei wollte ich nicht zusehen. Ich weiß, was es aus ihm macht. Trotzdem, er ist und bleibt mein Vater und ich fühle mich für ihn verantwortlich. Schweren Herzens stecke ich den Schlüssel ins Schloss und betrete den Flur. Mein Herz rutscht in den Keller und für einen Moment stehe ich einfach nur regungslos da, während ich den Anblick der vielen gestapelten Kartons auf mich wirken lasse. Es stimmt also tatsächlich. Dad wird das Haus verlieren. Er wird ausziehen müssen. Ich schlucke den dicken Kloß hinunter, der sich in meinem Hals gebildet hat und versuche, stark zu sein und jetzt nicht los zu heulen. »Mimi?«, höre ich Dad’s Rufen aus dem Wohnzimmer. Er muss wohl gehört haben, dass ich gekommen bin und da ich die Einzige bin, die einen Schlüssel hat … »Ja, ich bin's«, antworte ich, streife mir die Schuhe ab und gehe zu ihm. Er sitzt gerade auf dem Sofa und studiert die Zeitung. Seine Lesebrille sitzt tief auf der Nase, als er sich zu mir umdreht und mich zu sich winkt. »Hallo, Liebes. Komm, setz dich.« Ich öffne den Reißverschluss meiner Jacke, mache mir aber nicht die Mühe, sie auszuziehen. In diesem Haus ist es eiskalt. Geht die Heizung etwa schon wieder nicht? Oder haben sie sie ihm abgestellt? Dad scheint das jedoch nicht zu kümmern, er liest weiter eifrig die Anzeigen durch und markiert hin und wieder eine Stelle. »Was tust du da?«, frage ich, als ich mich neben ihm setze und über seine Schulter schaue. »Ich suche nach einem Job, wie immer. Du glaubst gar nicht, wie schwer es ist, heutzutage einen zu finden.« Ich ziehe andächtig eine Augenbraue in die Höhe. »Dad, es gibt da etwas, das nennt sich Internet. Kein Mensch liest heute noch Zeitung. Bis du dich auf eine Jobanzeige in der Zeitung beworben hast, haben sich schon längst zwanzig andere Menschen per Mail beworben - und zwar fünf Tage früher.« Dad zuckt nur mit den Schultern. Meine Weisheiten scheinen ihn ziemlich kalt zu lassen. »Würde kein Mensch mehr Zeitung lesen, würden diese Jobs ja nicht hier drin stehen, oder?« Er markiert eine weitere Anzeige und ich schaue noch irritierter drein. Eine Stellenausschreibung als Pizzalieferant? So was machen doch sonst nur Studenten. »Dad, das willst du machen?« »Es ist besser als nichts, oder?« Ich nicke widerwillig. »Mmh, damit hast du nicht unrecht.« »Das ist eine doppelte Verneinung, Mimi«, sagt Dad tonlos und rückt seine Brille zurecht. »Besser ist, du sagst: du hast recht.« Ich schnaufe und schlage ihm gegen die Schulter. »Siehst du. Du bist viel zu intelligent, um Pizza und Pasta auszuliefern.« Aus Gewohnheit stehe ich nun doch auf und beginne, im Wohnzimmer Ordnung zu schaffen. Außerdem muss ich mich bewegen, weil mir kalt ist. »Ich bin vor allem ein Alkoholiker, der sein Leben nicht mehr im Griff hat.« Er bringt diese Worte so selbstverständlich über die Lippen, dass ich in meiner Bewegung erstarre. Er sieht nicht einmal dabei auf. »Du, sag mal …«, beginne ich deshalb zaghaft, während ich Plastiktüten mit Essensresten einsammle. » … wo willst du eigentlich hin, wenn du … na ja, hier ausziehen musst?« »Keine Ahnung«, sagt er und blättert zur nächsten Seite um. Als wäre es ihm total egal. »Ich habe ja immerhin noch drei Wochen Zeit, mir das zu überlegen.« Hmpf! Das ist nicht die Antwort, die ich mir erhofft habe. »Und was ist mit deiner Therapie? Machst du die noch?« »Hmm?«, macht Dad, als würde er mir gar nicht richtig zuhören. Dann sieht er kurz zu mir auf und winkt ab. »Ja, ja natürlich.« Warum habe ich nur das Gefühl, dass das nicht stimmt? Ich lege die Tüten ab und gehe vor ihm auf die Knie. Er lässt die Zeitung sinken und sieht mich fragend an. Ein besorgtes, aber aufrichtiges Lächeln legt sich auf meine Lippen. »Dad, ich mache mir wirklich Sorgen um dich. Willst du nicht für eine Weile zu mir kommen? Du könntest auf dem Sofa schlafen und ich auf einer Luftmatratze. Dann müsstest du hier nicht frieren.« Dieser sanftmütige Blick legt sich auf sein Gesicht, den ich noch von früher kenne. Hinter diesen gütigen Augen, die so müde und erschöpft sind, erkenne ich immer noch meinen alten Dad. Und manchmal lässt er noch etwas von seiner alten Stärke durchblicken, so wie jetzt. »Ach, Mimi«, sagt er und streicht mir liebevoll über die Wange. »Mein Schatz, ich weiß, du würdest alles für die Menschen tun, die du liebst, auch wenn das bedeuten würde, deine eigenen Bedürfnisse zurückzustellen. Ich weiß, dass du dir Sorgen machst und ich schätze es, dass du dich um mich kümmerst. Aber damit muss Schluss sein, hörst du? Du kannst dich nicht noch mehr für mich aufopfern, als du es eh schon getan hast. Ich bin so dankbar und stolz, dass du meine Tochter bist und genau das sollst du auch immer bleiben - meine Tochter, mein Kind. Lass mich nicht noch armseliger dastehen, als ich es eh schon tue. Ich bin dein Vater und du bist mein Kind, nicht umgekehrt.« Ich bemerke erst, dass ich weine, als er mir mit dem Daumen die Träne von der Wange wischt. Schnell reibe ich mir mit dem Ärmel über die Augen. »Tut mir leid.« Dad lächelt mich an. »Du bist mir viel zu ähnlich«, sagt er. »Nie willst du Schwäche zeigen, nicht einmal vor dir selbst. Aber, wenn mich das Leben eins gelehrt hat, dann, dass man durchaus auch mal schwach sein darf. Dass man sich verloren fühlen darf. Wichtig ist nur, dass man wieder zu sich selbst zurück findet. Du bist stark, Mimi. Wahrscheinlich bist du stärker als ich es je sein werde.« Ich schniefe und wische mir weitere Tränen aus dem Gesicht. Wieso kann ich nicht aufhören zu weinen? »Ich kann stark für uns beide sein.« Dad schüttelt den Kopf. »Das musst du aber nicht«, flüstert er und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. Dann steht er auf und geht hinüber zum Regal in der Ecke. Er greift nach einem Brief und gibt ihn mir. Ich setze mich wieder aufs Sofa und er sich daneben, während ich den Brief lese. Meine Augen weiten sich. »Du hast einen Platz in einem stationären Therapiezentrum.« Ich lese die Sätze immer und immer wieder, weil ich es nicht glauben kann. Dann sehe ich ihn an. »Willst du das wirklich machen?« Dad zuckt mit den Schultern und schenkt mir ein zuversichtliches Lächeln. »Habe ich eine andere Wahl, wenn ich meine Tochter irgendwann wieder haben will?« Ich lege eine Hand auf sein Bein. »Aber du hast mich doch. Ich werde immer für dich da sein.« Seine Hand ergreift meine und drückt sie ganz fest. »Ich weiß. Aber ich habe auch gemerkt, wie sehr es dich kaputt macht, mich so zu sehen. Ich weiß gar nicht, wann du das letzte Mal gelacht hast. Früher warst du immer so fröhlich und heute … heute scheint es, als würden alle Probleme nur auf deinen Schultern lasten. Und ich weiß, dass das mit ein Grund ist, warum du nicht mehr glücklich sein kannst. Ich vermisse die alte Mimi.« Ich sehe zu Boden. Ja … ich vermisse die alte Mimi auch. »Aber ich weiß, dass das nicht alles ist«, fügt er noch hinzu, was mich aufsehen lässt. Mein Dad wirft mir einen wissenden Blick zu und mir ist sofort klar, dass es keinen Sinn macht, es abzustreiten. »Geht es um Tai?«, fragt Dad mich frei heraus und ich zucke kaum merklich zusammen. »Ist er der Grund dafür, dass du nicht mehr lächelst?« Ich schlucke die Bitterkeit hinunter, die in mir aufsteigt, als ich an ihn und Sora denke. »Woher weißt du davon?« »Nun …«,meint Dad legt einen Finger ans Kinn, während er sich zurück in die Sofakissen sinken lässt. »Deine Mutter hat mir gegenüber erwähnt, dass dich so ein Kerl auf einem Motorrad vor dem Krankenhaus abgeholt hat und dass er auch da war, als du nach dem Unfall zu mir wolltest.« Ein spöttisches Lachen dringt aus meiner Kehle. »Was? Sie hat dir von Matt erzählt?« Wow, er scheint ihr ja echt ein Dorn im Auge zu sein. Wie wunderbar! Dad schnippt mit dem Finger, als hätte er eine Erleuchtung gehabt. »Ah, ja, richtig. Matt war sein Name. Na jedenfalls, als sie mir das erzählt hat, habe ich mir nur eine Frage gestellt: wo war Tai?« Überrascht sehe ich ihn an. Seit wann kombiniert er so schlau? Dad legt einen fragenden Blick auf. »Wo war Tai, als du ihn gebraucht hättest? Normalerweise seid ihr beide doch unzertrennlich. Er war immer an deiner Seite, wenn es nötig war, war immer für dich da. Es kam mir unwahrscheinlich vor, dass er dich nicht ins Krankenhaus fahren würde, wenn dein Vater einen Unfall hatte. Stattdessen fährst du auf einem Motorrad durch den strömenden Regen. Wieso solltest du das tun, wenn ihr euch nicht gestritten habt?« Mit weitaufgerissenen Augen haftet mein Blick an ihm, während mir der Mund aufklappt. »Nicht schlecht, Sherlock«, sage ich anerkennend und Dad grinst. »Ja, oder?« »Ich sage ja, als Pizzalieferant wärst du wirklich überqualifiziert.« »Lenk nicht vom Thema ab«, antwortet Dad. Ich seufze und falte die Hände im Schoß, weil es mir unangenehm ist, mit ihm darüber zu reden. Wobei … »Du hast recht«, gebe ich leise zu. »Wir haben uns gestritten. Ziemlich schlimm sogar. Aber eigentlich … es war kein richtiger Streit, es ist nur … es ist kompliziert.« Gott, wie soll ich ihm das erklären? Wie soll ich das JEMALS JEMANDEN erklären? Das glaubt mir doch kein Mensch. Mein Leben gleicht einem absolut schlechten, kitschigen Liebesfilm, der nicht mal ein Happy End hat. »Magst du ihn noch?«, fragt Dad. Ich muss nicht lange überlegen und nicke. »Ja, sehr.« »Und mag er dich auch noch?« »Das hoffe ich«, entgegne ich traurig, weil ich ehrlich keine Ahnung habe, was wirklich in Tai vorgeht. Unser Ende kam so abrupt, so unerwartet, dass ich nicht mehr weiß, woran ich überhaupt noch glauben soll. »Und … magst du diesen Matt?«, will Dad plötzlich wissen, was mich stirnrunzelnd aufsehen lässt. »Wir sind nur Freunde.« Dad zieht eine Augenbraue in die Höhe und betrachtet mich mit einem andächtigen Blick, was mir verrät, dass das eben genau die falsche Reaktion war. »Das war nicht meine Frage.« Ich stöhne auf. »Natürlich mag ich ihn. Er ist ein guter Freund.« »Das mit dem Freunde-Ding sagst du ein bisschen zu oft. Mich musst du nicht davon überzeugen.« Ich funkle ihn böse an. Was soll dieses Verhör? Ich komme mir vor, wie in einer Gerichtsverhandlung. Vielleicht, weil ich mich verdammt schuldig fühle, denn ich habe mit Matt geschlafen, obwohl er vermutlich der einzige Mann auf diesem Planeten ist, der tabu für mich sein sollte. »Was ich damit sagen will«, setzt Dad seine kleine Rede fort. »Es spielt überhaupt keine Rolle, für wen du welche Gefühle hast. Wichtig ist nur, dass sie echt sind. Wenn sie echt sind, wirst du wissen, was zu tun ist.« Ein unsicheres, schiefes Grinsen legt sich auf meine Lippen. »Toll. Das hilft mir jetzt so gar nicht weiter.« Dad lacht. »Keine Sorge, irgendwann wirst du es verstehen.« »Äh, danke, für deine Weisheiten, Dad.« »Nicht dafür.« Er klopft mir auf die Schulter, wie einem guten Kumpel. Dann erhebt er sich, um in die Küche zu gehen, während ich ihm verwirrt hinterher starre. Ich bin keinen Deut schlauer als vorher. Da ich heute den ganzen Tag frei habe, bleibe ich noch ein wenig länger bei Dad und putze das Haus. Auch, wenn er eh bald ausziehen wird. Ich möchte, dass er es trotzdem so schön hat, wie es nur geht. Danach gehe ich noch einkaufen und koche Pasta für uns. Dad schaufelt sich das Essen rein, als wäre er komplett ausgehungert, weshalb ich ihm sogar noch den Rest von meiner Portion gebe, die ich eh nicht schaffe. Wenigstens das darf ich noch für ihn tun. Ich bin wirklich stolz auf ihn, dass er jetzt endlich diesen Schritt gehen wird. Es ist das einzig Richtige, die einzige Lösung, wenn er irgendwann sein Leben wieder haben will. Als wir uns verabschieden, verspreche ich, in der nächsten Woche nach ihm zu sehen und ihm beim Packen zu helfen. Er sagt, seine ganzen Sachen werden erst einmal eingelagert, bis er eine neue Unterkunft hat. Aber bis zum Start der Therapie sind es noch sechs Wochen. Darauf zu hoffen, dass sich schon irgendwas ergeben wird, genügt mir nicht. Ich weiß, ich sollte das nicht tun … alle haben es mir gesagt … Tai, Matt, meine Mom, sogar Dad sagt ich soll aufhören, mich so sehr um ihn zu kümmern, aber … eine allerletzte Sache kann und muss ich noch für ihn tun. Ich mache mich zu Fuß auf den Weg in die Stadt, während ich mein Handy aus der Tasche hole und die Nummer meiner Mutter wähle. Es dauert nicht lange, bis sie abhebt. »Mimi, hallo? Wie schön, dass du anrufst«, begrüßt sie mich überschwänglich, weil wir uns seit unserem Streit im Krankenhaus nicht mehr gesehen haben. Ich brauchte definitiv Abstand von ihr - mal wieder. Aber jetzt brauche ich ihre Hilfe. »Hi Mom, kannst du gleich ins Blue Bottle Café kommen? Ich bin gleich da und warte dort auf dich«, komme ich direkt zur Sache. »Oh, ähm …«, überlegt sie. Mir ist klar, dass ich sie gerade ziemlich überfalle. »Ich denke, wir müssen reden, Mom«, füge ich hinzu, weil ich nicht will, dass sie absagt. Wenn sie wüsste, warum ich sie wirklich sehen will, hätte sie ganz sicher keine Zeit. »Okay, Liebling, ich komme. Gib mir eine halbe Stunde.« »Ist gut, bis gleich.« Ich lege auf und seufze. Auch wenn ich sie nicht sehen möchte, um mit ihr zu reden, wäre es vermutlich keine schlechte Idee. Zwischen uns kriselt es gewaltig und ich habe ein wenig Sorge, dass sich unser schlechtes Verhältnis auf die Beziehung zu meinem kleinen Bruder auswirken wird. Das möchte ich auf keinen Fall. Vielleicht sollte ich ihr geben was sie will, dann ist sie sicher auch bereit, mir zu helfen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)