Mein Weg zu Dir von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 21: Mimi ---------------- Eine Stunde später ist die Bar brechend voll und die Jungs haben sich so richtig warm gespielt. Jetzt weiß ich jedenfalls, warum sie sich diesen Auftritt auf keinen Fall durch die Lappen gehen lassen wollten. Und auch Jack schiebt ein Getränk nach dem anderen über die Theke. Also, quasi eine win win Situation. Matt ist fantastisch an der Gitarre. Es scheint fast so, als könne er jeden einzelnen Akkord im Schlaf spielen. Die Musik, die er schreibt, ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen und in jedem Wort, das er singt, kann ich die Leidenschaft hören, die darin liegt. Ich beneide ihn so sehr darum. Wirklich. Er lebt seinen Traum. Auch wenn es eine kleine Bühne ist und die meisten der hier anwesenden Leute ihn wahrscheinlich in ein paar Wochen schon wieder vergessen haben werden - es erfüllt ihn mit Leben. »Er ist der Wahnsinn, oder?«, ruft Jack mir über den Tresen hinweg zu, aber ich verstehe ihn nicht so gut. Der Bass, das Schlagzeug, die Gitarre - die Klänge jagen wie Stromschläge durch meinen Körper und nehmen den Raum ganz für sich ein. »Was?«, rufe ich zurück. Jack lehnt sich etwas weiter zu mir rüber. »Ich sagte, dass die Jungs echt der Hammer sind, oder?« Zweifelnd ziehe ich einen Mundwinkel nach oben und zucke mit den Schultern. »Ich stehe eigentlich nicht so auf Rock Musik.« Jack grinst. »Dafür hampelst du aber ziemlich viel auf deinem Stuhl rum.« Schnell lege ich beide Hände auf meine Beine, damit sie aufhören im Rhythmus der Musik mitzuwippen. »Blondi hat echt Talent, das muss man ihm lassen«, redet Jack weiter. »Matt?« »Klar, sieh ihn dir nur an.« Ich folge seinem Blick und bleibe für einen kurzen Moment an Matt kleben. Er hat die Augen geschlossen und schmettert die Töne heraus, als gäbe es kein Morgen mehr. Seine Stimme klingt rau und unnahbar. Wie aus einer anderen Galaxie. Sie ist wirklich einzigartig. »Ich denke, er hat Potential«, stimme ich etwas defensiv zu, weil ich nicht zugeben will, wie grandios ich ihn auf der Bühne finde. Jack sieht mich nur stirnrunzelnd an, während seine Mundwinkel zucken. »Fragt sich nur für was. Ich habe gehört, er hat viele Talente.« Dann grinst er breit. Ich werfe ihm einen fragenden Blick zu. Bis ich checke, dass das gerade eine sexuelle Anspielung war und empört den Mund aufreiße, ist er schon beim nächsten Gast. Also, so was … Ich schaue wieder zur Bühne. Der Song endet gerade und die Leute applaudieren. Matt umfasst das Mikrofon und ergreift das Wort. »Der nächste Song ist für eine Freundin, die uns heute sprichwörtlich den Arsch gerettet hat.« Seine Augen suchen mich, bis er mich an der Bar entdeckt. Oh, Gott. All eyes on me. So was kann ich gar nicht leiden. »Mimi …« Nein. Nein. Nein. Tu das nicht. Leute drehen sich suchend nach mir um. Wie unangenehm. Ich grinse peinlich berührt und schüttle meinen Kopf, damit mir die Haare ins Gesicht fallen. Dann sehe ich Matt lächeln. » … schäm dich niemals für das, was du bist. Niemals!« Das Scheinwerferlicht schwenkt um und mit einem mal steht er allein im Rampenlicht. Alle anderen Bandmitglieder versinken im Dunkeln. Wow, wird das etwa eine Akustikversion? Meine Finger tippen unruhig aneinander, während ich wie alle anderen die ersten Töne erwarte. Und dann … hauen sie mich um. »Do you ever feel like a plastic bag drifting through the wind wanting to start again Do you ever feel, feel so paper thin like a house of cards one blow from caving in …« »Oh, verfickte Scheiße«, entfährt es mir, weil ich völlig sprachlos bin. Singt er da etwa gerade eine eigene, wunderschöne Version von Katy Perry's »Firework«? »… Do you know that there's still a chance for you 'cause there's a spark in you You just gotta ignite the light and let it shine …« Ich hänge förmlich an seinen Lippen, sauge jedes Wort in mir auf. Seine Finger gleiten über die Gitarre, bis im Hintergrund die Violine einsetzt. Ich habe keine Ahnung, wer sie spielt, weil ich es nicht sehe. Aber es ist wunderschön. »… You don't have to feel like a waste of space you're original, cannot be replaced if you only knew what the future holds after a hurricane comes a rainbow maybe you're reason why all the doors are closed so you could open one that leads you to the perfect road …« »Ich sagte doch, er hat's drauf.« Ich zucke zusammen, weil ich so sehr in Matt's Musik vertieft bin, dass ich gar nicht bemerkt habe, wie Jack sich über die Theke zu mir rüber lehnt. »Du hast nicht untertrieben«, sage ich und lächle. »Ich glaube, er steht auf dich.« Mein Kopf fährt herum. »Was?« Jack zuckt lediglich die Schultern, als wäre es keine große Sache. »Na ja, er spielt jetzt schon seit ein paar Jahren in dem Schuppen hier. Und seit ich ihn kenne, hat er noch nie für eine Frau einen Song gesungen.« »… So don't let them take your life for granted you're the only one who needs to rule your world when life leave you feel empty handed light on and show what you're worth …« Ich starre Matt an, kann mich jedoch kaum noch auf seine Worte konzentrieren. Er steht auf mich? So ein Blödsinn. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das, was da neulich zwischen uns passiert ist, ein Versehen war. Im Grunde war ich selbst dran schuld. Er hat mit mir gespielt, hat mich provoziert, mich herausgefordert. Und ich hatte das Spiel verloren. Mehr war doch da nicht, oder? »… 'cause baby you're a firework come on show 'em what your worth make 'em go "Oh, oh, oh!" as you shoot across the sky-y-y …« Unsere Blicke treffen sich. Seine raue Stimme geht mir direkt unter die Haut und ich weiß nicht mehr, was ich denken oder fühlen soll. Obwohl der ganze Raum voller Menschen ist, fühlt es sich so an, als wären wir allein. »… 'cause baby you're a firework.« Der letzte Ton erklingt, dann verstummt alles. Bis der Applaus einsetzt. Die Leute jubeln ihm zu und ich höre, wie einige neben mir anfangen zu schwärmen. Auch ich klatsche in die Hände, immer noch benommen von diesem wunderschönen Lied. Ich kann echt nicht fassen, dass er das für mich gesungen hat. Es war der letzte Song des Abends. Die Jungs bedanken sich, aber ich bleibe nach dem Auftritt trotzdem noch eine Weile an der Bar sitzen. Bis sich von hinten zwei Hände auf meine Schultern legen. Ich drehe mich um. Es sind Tatsuya und Koichi. »Hey, Mimi«, flötet Tatsuya mir ins Ohr. Ich grinse schief. Mein Gott, ist er etwa beschwipst? »Hey, Leute. Toller Auftritt«, sage ich, während sie sich rechts und links neben mir niederlassen. Tatsuya bestellt sich ein Bier, Koichi eine Cola und wir stoßen gemeinsam an. »Danke, für deine Hilfe heute. Ohne dich wäre der ganze Auftritt ins Wasser gefallen. Wortwörtlich«, sagt Tatsuya. »Das stimmt. Und wahrscheinlich hätten wir nie wieder einen Auftrag hier bekommen. Wobei …« Er legt den Kopf schief und sieht zur Decke, als würde er nachdenken. » … wäre das wirklich ein Verlust gewesen? Wir werden es nie erfahren.« Ich kichere. »Wo ist Jingle?« »Oh, der ist schon nach Hause gegangen. Er wohnt in einem Studentenwohnheim auf dem Campus und dort werden um 24 Uhr die Pforten geschlossen. Wer dann nicht da ist, kann unter der Brücke pennen. Oder sonst wo«, erklärt Koichi, während Tatsuya mitleidig mit dem Kopf nickt. »Ich dachte, seine Eltern wären reich. Zumindest hat Matt mir das gesagt. Warum wohnt er dann auf dem Campus?«, frage ich interessiert. »Er will auf eigenen Beinen stehen. Na ja, das stimmt nicht so ganz. Seine Eltern sind solche Snobs, dass sie ihm gesagt haben, entweder er hört mit der Musik auf, oder sie streichen ihm die Kohle.«, antwortet Tatsuya und kippt sein Bier runter. Dann wischt er sich mit dem Ärmel den Schaum vom Mund und bestellt sich noch eins. Ich sehe ihn schräg an. »Das ist bitter«, sage ich. Gut zu wissen, dass nicht nur ich eine Mutter habe, die mit dem Leben ihres Kindes unzufrieden ist. »Wo ist Matt? Ist er auch schon nach Hause gegangen?« Koichi grinst mich von der Seite her an. »Der … wollte nur noch kurz was erledigen. Müsste gleich zu uns stoßen.« Tatsuya prustet los und spuckt fast sein ganzes Bier zurück ins Glas. »Zu uns stoßen … bist du bescheuert?« Ich runzle nur die Stirn, weil ich den Witz offenbar nicht verstanden habe. Was soll’s. Jungs unter sich sind echt komisch. »Okay, ich gehe mal für kleine Mädchen«, verkünde ich und schlüpfe vom Barhocker. »Tu das, Matt hat uns dazu verdonnert, die Instrumente bis Mitternacht zurückzubringen. Also, werden wir gleich mit dem Abbau beginnen«, sagt Koichi. »Na, dann … Seid schön vorsichtig damit.« Warnend hebe ich einen Zeigefinger in die Luft und grinse. Ich denke, die Jungs haben ihre Lektion gelernt. So etwas wird ihnen ganz sicher nicht noch mal passieren. Ich gehe zur Toilette und mache mich noch ein mal vor dem Spiegel frisch. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was der Abend noch bringen wird. Matt hat nur gesagt, ich soll mir das Konzert ansehen. Theoretisch könnte ich jetzt nach Hause gehen und … was sind das für Geräusche? Als ich die Damentoilette verlasse, höre ich eindeutig … ist das ein Stöhnen? Oh mein Gott. Ich drehe mich in die Richtung, aus der das Geräusch kommt. Dann erstarre ich in meiner Bewegung. In der hinteren Ecke des Flurs, lehnt eine Frau mit dem Rücken gegen die Wand. Vor ihr steht ein Kerl, der gerade dabei ist, ihren Hals abzulecken, während die Frau den Kopf in den Nacken geworfen hat und genüsslich aufstöhnt. Ihr Bein schlingt sich um seine Taille. Seine Hand liegt auf ihrem Arsch, während die andere ihren Busen knetet. Ich schlucke schwer. Das ist Matt. Mit irgendeiner wildfremden Frau. Wobei … ich weiß ja nicht einmal, ob die zwei sich nicht vielleicht doch kennen. Was für seltsame Gedanken schießen mir denn hier durch den Kopf, während sie ihm vor meinen Augen in den Schritt langt? Sie stöhnt lustvoll auf, als er weiter an ihrem Hals saugt. Mit einem Mal wird mir ganz heiß. Viel zu heiß. Das ist schlimmer und besser als jede Piep-Show. Oh, Gott. Was mache ich hier? Die beiden werden sicher gleich vögeln. Ich sollte mich schleunigst verpissen. Spätestens jetzt, als er ihren Minirock hochschiebt, sollte ich mich einfach … Unter meinen Füßen knackt eine Diele. Die beiden fahren hoch. »Scheiße«, murmle ich fluchend und beiße die Zähne zusammen, als könnte ich so meinen Fehltritt irgendwie ungeschehen machen. »Sorry … ach, fuck«, rufe ich halbherzig und will schon auf dem Absatz kehrt machen, als Matt mich erkennt. »Mimi?« »Äh … nein?«, sage ich zwar, aber erkannt wird er mich wohl trotzdem haben. »Scheiße, wer ist das?«, ruft die Tussi. Ich verdrehe die Augen. Na, großartig. »Ich wollte gerade gehen«, sage ich peinlich berührt, lasse meinen Worten jedoch keine Taten folgen, weil ich wie versteinert bin. Warum bewegen sich meine verdammten Beine nicht? »Was machst du hier?«, fragt Matt und ich sehe ihn verständnislos an. »Ich musste pinkeln, was sonst?« Ganz sicher wollte ich keine private Pornovorstellung haben. Matt’s Augen mustern mich eingehend, dann richtet er seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Eroberung. Wie hat er die eigentlich so schnell nach dem Auftritt klar gemacht? Scheint wohl einer der Vorzüge zu sein, wenn man Musiker ist. Irgendwo steht immer ein Groupie, der bereit und willig ist. »Ich denke, wir lassen das besser«, sagt Matt zur Überraschung aller Anwesenden. »Mach's gut.« Mach's gut? Er wollte die Tussi eben noch vögeln und jetzt kriegt sie ein liebloses ‘Machs gut’ vor die Füße geschmissen? Die Kleine wirkt ein wenig enttäuscht, nickt dann jedoch. Anscheinend weiß sie, dass es keinen Sinn macht sich aufzudrängen. Endlich lässt sie von ihm ab. Erst jetzt fällt mir auf, wie angespannt ich die ganze Zeit über dagestanden habe. Als sie an mir vorbei geht und uns allein lässt, werde ich lockerer. »Das war ziemlich … interessant«, sage ich und räuspere mich verlegen, weil ich nicht weiß, was ich sonst sagen soll. Von mir aus könnte sich auch jetzt der Boden auftun und mich verschlucken. Dabei bin ich noch nicht mal diejenige, die beim Beinahe-Sex ertappt wurde. Matt kommt auf mich zu. »Interessant?« »Ja, ich …«, sage ich und streiche mir eine Haarsträhne hinters Ohr. » … wollte eigentlich gerade nach Hause. Tut mir Leid, ich wollte euch nicht stören. War keine Absicht.« Er macht noch einen Schritt und lässt mich dabei nicht aus den Augen. »Das macht gar nichts.« Ich schlucke schwer, als ich seinen Blick auf mir spüre. Er sieht mich genauso durchdringend an wie vorhin, als er den Song gesungen hat. Nur … auf eine andere Art und Weise. Der Song. Plötzlich werde ich sauer. Was soll das hier alles, diese ganze Show? Ist das wieder nur ein Spielchen von ihm? Ich stemme die Hände in die Hüfte und recke das Kinn. »Machst du das häufiger?« »Frauen auf der Toilette vögeln? Oooh ja!« Wow. Äh … Ich muss mich zusammenreißen, nicht puterrot anzulaufen. Irgendwie schaffe ich es sogar, seinem vielsagenden Blick standzuhalten. Seine Mundwinkel zucken, weil er genau weiß, dass er mich damit aus der Reserve locken kann. »Ich meine, für Frauen auf der Bühne einen Song singen und dann eine andere auf dem Kloflur ficken?« Ficken? Habe ich gerade wirklich »ficken« gesagt? Das tue ich sonst nie, weil ich finde, dass es bessere Wörter für Sex gibt. Aber diese kleine Pornoeinlage hat mich wohl übermütig werden lassen. »Ach, das«, sagt er und legt den Kopf leicht schief, als hätte er nicht mit so einer Frage gerechnet. Überraschung und Verwirrung flackern in seinen Augen auf. »Nein, eher nicht. Wieso? Stört es dich?« Ein Zischen kommt mir über die Lippen. Als ob! Es ist mir so was von egal, wann und wo und mit wem er es tut. Als Antwort verschränke ich die Arme vor der Brust und verdrehe demonstrativ die Augen. Warum bin ich plötzlich so auf Krawall gebürstet? Ist das der Alkohol? »Wenn du denkst, es würde mich interessieren, was du so treibst, dann …« Mit einem Mal macht er einen weiteren großen Schritt auf mich zu und drängt mich somit zurück gegen die Wand. Ich spüre die Kälte der Mauer hinter mir und die Hitze vor mir, die sich zwischen uns ausbreitet, als er mit seinen blauen Augen auf mich hinab sieht. Seine Arme landen rechts und links neben mir, so dass er mich einkerkert und ich keine Chance habe zu entkommen. »Ich weiß, dass es dich nicht interessiert«, sagt er mit rauer Stimme. »Aber ich weiß, dass es dich angemacht hat.« Woah. Gänsehaut. Meine Haut beginnt vor Aufregung zu kribbeln und es zieht in meinem Unterleib. Du verräterisches Miststück! Scheiße, Mimi! Hör auf damit! Stell das ganz schnell wieder ab! »Was würde dich wohl noch anmachen …?« Er drückt sich noch näher an mich heran. »Vielleicht, wenn ich dich hier berühre?« Ich zucke zusammen, als seine Hand auf meinem Po landet, genau wie bei der Frau zuvor. Dann fährt er an meinem Oberschenkel hinab, packt mit festem Griff zu und schlingt mein Bein um seine Taille. Diese Position ist perfekt, um mir zu zeigen, wie ernst er es meint, denn ich kann nun deutlich spüren, wie erregt er ist. Ich ziehe scharf die Luft ein. Mein Innerstes vibriert vor hoffnungsvoller Erwartung. Oder zittere ich nur am ganzen Körper? Wie erstarrt lehne ich gegen die Wand, unfähig mich zu bewegen oder irgendetwas zu tun. Würde die Mauer hinter mir mich nicht stützen, ich schwöre, meine Beine hätten längst nachgegeben. Mein Atem geht schwer und viel zu schnell, weil ich ihn nicht mehr unter Kontrolle habe. So wie alles andere. Mein Körper reagiert mal wieder ganz instinktiv auf ihn und es gibt keinen Weg, das zu verhindern. Ich kann ihn riechen. Er duftet nach Zigarettenrauch, gepaart mit Lust. Eine gefährliche Kombination. Die mich unwahrscheinlich anturnt. Er packt noch etwas fester zu, als er meinen flehenden Blick sieht, während seine andere Hand immer noch neben mir gegen die Wand drückt. Er ballt sie zur Faust. Ein kaum hörbares Knurren dringt aus seiner Kehle, ehe er sich weiter zwischen meine Beine schiebt. Noch näher. Noch fester. Seine Härte wird mir nur allzu deutlich bewusst. Scheiße. Ich bin so was von am Arsch. Wenn er diesmal ernst macht, schaffe ich es nicht, ihn von mir zu weisen. Nicht diesmal. Nicht so. Nicht, wenn ich spüre, wie sehr er mich will und wenn es mich gleichzeitig so wahnsinnig macht, dass ich ihm am liebsten alle Klamotten vom Leib reißen würde. Beinahe hätte ich aufgestöhnt, weil ich diese Distanz zwischen uns nicht länger ertrage und trotzdem weiß, dass ich sie nicht überbrücken darf. Nicht schon wieder. Nun beugt er sich langsam zu mir hinab, verharrt kurz vor meinen Lippen. Er kommt mir so nah, dass ich seinen Atem auf meinem Mund spüren kann, so, als würde er mich jeden Moment küssen wollen. Doch er tut es nicht. Stattdessen wandern seine Lippen hinab zu meinem Hals, streifen sanft meine Haut, ohne sie dabei richtig zu berühren. Ich bekomme eine Gänsehaut am ganzen Körper und spüre, wie heftig meine Halsschlagader pulsiert, als er mit seinen rauen Lippen darüber fährt. Ich hebe einen Arm und vergrabe meine Finger in seinem Haar, während ich leise und vor Verlangen aufwimmere. Warum tut er es nicht endlich, Gott verdammt? »Mimi«, haucht er nun und seine Muskeln, sein ganzer Körper spannen sich an. Als würde er gegen etwas ankämpfen wollen. Seine Stimme hat einen seltsamen Unterton. Unausgesprochenes lastet darin. Ich bemühe mich, keine Reaktion zu zeigen, doch das ist kaum mehr möglich. Ich will dich! Doch in dem Moment, als mir das ein weiteres Mal bewusst wird, kommt die Angst hinzu. Ich öffne den Mund, doch noch bevor ich etwas sagen kann, lässt Matt gequält den Kopf sinken. »Fuck!«, flucht er leise, krallt noch einmal kräftig seine Finger in meinen Oberschenkel, ehe er ihn dann loslässt. Mein Bein sinkt zu Boden. Er tritt einen Schritt zurück und ich atme aus. Endlich. Aber mein Herz hämmert immer noch wie wild. Und meine tiefste Sehnsucht bleibt wie immer unbefriedigt. Verflucht noch eins. Was war das eben? Irritiert sehe ich ihn an, während mir tausend Fragen durch den Kopf schießen. Matt erwidert meinen Blick ebenso verwirrt. Doch eins scheint für ihn ganz klar zu sein: er wird es nicht tun. Nicht mit mir. Nicht heute. Erleichterung, aber auch Enttäuschung breiten sich in mir aus. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Das Knistern zwischen uns ist immer noch allzu deutlich spürbar, während wir uns in die Augen sehen. »Es tut …« Er schluckt hart und fährt sich durchs Haar. »… tut mir leid. Manchmal … wenn du in der Nähe bist … habe ich mich nicht mehr im Griff. Das ist doch verrückt oder? Eigentlich will ich das gar nicht.« Benommen schüttle ich den Kopf. »Das muss dir nicht leid tun.« Wie könnte ich sauer auf ihn sein? Mir geht es doch ganz ähnlich. Auch ich fühle mich zu ihm hingezogen, obwohl ich es nicht sollte. »Wir können das einfach vergessen«, schlage ich kleinlaut vor. Meine Wangen glühen immer noch und auch das Ziehen in meinem Unterleib hat noch nicht nachgelassen. Aber ich muss mich einfach zusammenreißen. Genauso wie er. »Und den Kuss neulich auch, wenn du das möchtest.« Matt hebt die Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln. »Das wäre mir eigentlich ganz lieb. Ich habe da nämlich jemanden ein Versprechen gegeben.« Ein Versprechen? Wieso schießt mir bei diesem Satz sofort das Bild von Tai in den Kopf? Hat er etwa …? Ich würde zu gerne wissen, was er damit meint, aber ich stelle diese unausgesprochene Frage nicht. Ich will ihn nicht noch mehr quälen. Stattdessen nicke ich, gleichermaßen frustriert wie erleichtert. Der Gedanke, dass wir uns beim letzten Mal geküsst haben und heute beinahe Sex im Hinterflur einer Bar gehabt hätten, erschreckt mich. Was, um alles in der Welt, geschieht, wenn wir uns das nächste Mal über den Weg laufen? Fallen wir dann gleich übereinander her und reißen uns die Klamotten vom Leib? Was für eine verrückte Vorstellung. Und doch gar nicht so abwegig. Oh, nein. So weit darf es nicht kommen. Deshalb grinse ich und hebe versöhnlich die Hand. »Freunde?« Matt sieht hinab auf meine Hand, als müsste er überlegen, was zu tun ist. Doch zu meiner Erleichterung lächelt er und schlägt ein. »Freunde.« Ich schnaube zufrieden. »Gut. Fährst du mich vielleicht nach Hause?« Matt nickt und wir gehen zu seinem Motorrad, was hinter der Bar parkt. Es ist besser so, definitiv. Wir hätten es ohnehin später bereut und es wäre nur peinlich geworden. Was, um alles in der Welt, ist nur in uns gefahren? Ich könnte ihm allein die Schuld geben, weil er mit der ganzen Sache angefangen hat. Vorzuschlagen, ich solle mich mit ihm von Tai ablenken - welch blöde Idee. Und gleichzeitig so verlockend. Deshalb kann ich ihm nicht allein die Schuld daran geben. Das wäre unfair. Ich wollte es eben genauso wie er. Dass wir es nicht getan haben, ist ein Gewinn für uns beide. Als wir vor meinem Wohnblock anhalten, steige ich ab und gebe ihm den Helm zurück. »War gar nicht so schlimm, auf diesem Monstrum mitzufahren«, lächle ich unsicher und streiche mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Auch sein Mundwinkel verzieht sich zu einem zaghaften Lächeln, dann zuckt er mit den Schultern. »Jederzeit wieder.« Ich nicke und drehe mich um, doch er ruft noch ein mal meinen Namen. »Mimi?« Fragend sehe ich ihn an. »Haben wir nicht was vergessen?« Dann wedelt er mit seinem Handy vor meiner Nase. »Ich halte meine Versprechen, immer.« Ich grinse und gehe zu ihm zurück, um mich vor ihm zu positionieren. Er legt einen Arm von hinten um mich und zieht mich an sich. »Meine Mom wird ausrasten«, lache ich nur und freue mich jetzt schon über ihr Gesicht, wenn sie das sieht. Amüsiert schnaubt Matt an meinem Ohr. »Das will ich doch wohl hoffen.« Mein Grinsen wird noch breiter, als er den Kopf etwas hinabsenkt und so tut, als würde er mir gleich einen Kuss auf die Wange geben wollen. Dann drückt er ab. Sofort entferne ich mich wieder von ihm, während er sein Handy angrinst. »Warte, ich schicke es dir.« Mein Handy vibriert in meiner Hosentasche und ich zwinkere ihm zu. »Ist angekommen. Vielen Dank dafür. Wir sehen uns.« »Ja, bis dann«, verabschiedet er sich, setzt seinen Helm wieder auf und fährt davon. Ich sehe ihm nicht mehr nach, sondern gehe nur breit lächelnd nach oben in meine Wohnung. Doch erst, als ich im Bett liege, öffne ich das Foto, das er mir geschickt hat. Mir wird warm, als ich es etwas zu lange betrachte. Ehe ich es mir anders überlegen kann, schicke ich beide Fotos an meine Mom und freue mich innerlich über ihren Tobsuchtsanfall. Ob das gesund für Schwangere ist, sich so aufzuregen? Na ja. Da das Baby sich nun mal diese Frau als Mutter ausgesucht hat, wird es sich so früh wie möglich daran gewöhnen müssen. Nachdem ich es abgeschickt habe, schreibe ich Matt noch eine Nachricht. »Habe mich noch gar nicht für den Song bedankt … und dass du mir ins Gewissen geredet hast. Du hast recht. Ab jetzt mache ich nur noch das, was ich will :P« Ich sehe, wie zwei blaue Haken erscheinen und er sofort eine Antwort eintippt. Wenige Sekunden später verschwinden die Punkte allerdings wieder. Bis sie kurz darauf wieder auftauchen. »Freut mich, dass ich helfen konnte ;-) Schlaf gut.« Ich runzle die Stirn. Wollte er eben noch etwas anderes schreiben? Egal. Es war ein schöner Abend, mit vielen neuen Erkenntnissen, wofür ich sehr dankbar bin. Ich lege das Handy weg und drehe mich auf die Seite. Beinahe hätte ich aufgelacht. Was ist nur in mich gefahren? Wildes Knutschen auf einer Party? Motorrad fahren? Rummachen in einer Bar? Unwillkürlich frage ich mich, ob Matt nun das Beste oder das Schlechteste in mir zum Vorschein bringt. All das habe ich vorher noch nie getan. Als Tochter meiner Mutter wäre ich nicht einmal auf den Gedanken gekommen. Aber das Gefühl, was es mir verschafft, ist einmalig. Es ist befreiend. Es ist echt. Wahrscheinlich ist es toxisch. Aber irgendwie ist es auch befriedigend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)