Die Gefühle, über die wir nicht reden von Evilsmile ================================================================================ Kapitel 8: Gemeinsamkeiten -------------------------- Maries Brief las ich mir mehrmals durch. Weil sich immer wieder meine Konzentration verabschiedete, so dass ich von vorn anfangen musste, so wenig konnte ich ihren geschriebenen Sätzen folgen. Ihre Handschrift war alles andere als ordentlich und es war wirr geschrieben. Ich fasste einen Entschluss: ich würde Marie nie wieder zurückschreiben. Dafür war einfach zu viel passiert an einem einzigen Sonntagabend. Ihr einen Brief zu schreiben, in dem ich die Sache von gestern mit keinem Wort erwähnte, käme schlichtweg einer Lüge gleich. Doch ihr davon zu erzählen, wäre ein einziger Vorwurf, an Gefühle, die wir beide für uns behalten hatten. Das könnte ich noch weniger aufschreiben, und wie überhaupt… Allein der Gedanke, all das, was Sandro in mir ausgelöst hatte, durch eine Kugelschreibermiene zu pressen und auf einem Stück Papier zu verewigen, war absurd. Nein, ich war nicht mehr der, den sie kennengelernt hatte. Diesen Briefwechsel zu beenden, erschien mir der einzig richtige Weg. Die unterste Schublade, in der sich die vorigen Briefe von ihr befanden, öffnete ich und legte diesen dazu, damit er endlich vom Tisch war. Mir blitzte die CD entgegen … die CD, an der Sandros Ex mitgewirkt hatte. Ich öffnete die Datei mit den Texten auf meinem Handy und scrollte noch einmal die Texte durch. Mir fiel auf, dass unter allen Titeln, bis auf Herumgehurt, Oben und unten, und Blaupause, entweder beide Namen darunter oder Florians Name allein stand. Auf dieses Detail hatte ich beim ersten Ansehen gar nicht geachtet. Seinem Ex verdankte er also alle Songtexte bis auf diese drei, das war eine Tatsache, und würde dieser seine Drohung wahrmachen, sie wegen des Urheberrechts zu verklagen, so sähe es beschissen für die Zukunft der Band aus? War das möglich? Leider kannte ich keinen Jura-Studenten, den ich das fragen konnte. Ich textete Simon aus einem Impuls heraus: Wie viele Songs gibt es eigentlich von Gitarrhö, weißt du das? Haben die alle selbst geschrieben und auch alle schon live gespielt? Gab es denn ein öffentliches Social Media Profil von Florian? Ich war neugierig auf das Gesicht zu dieser Stimme, wollte den Mann sehen, dem Sandro mal sein Herz geschenkt hatte. Schien ein richtiger Badboy zu sein: Drama. Ein Entzug. Gerichtsprozess. Eine Drohung. Und wer weiß was noch alles... Da hatte Sandro einiges mitgemacht mit ihm. Verständlich, dass er sich da einfach nur nach Ablenkung sehnte, nach einem langweiligen, ungefährlichen Jemand wie mir, der auf das grüne Ampelmännchen wartete. Das war vielleicht gar kein Spott gewesen von ihm damals. Simons Antwort erwischte mich kalt: Au Cummy, bist du jetzt schon in der Phase, wo du deinen Lieblings-Gitarristen stalkst? Da hab ich was Feines für dich! Aber nicht eifersüchtig werden! Ich klickte mit ungutem Gefühl auf den angefügten Link zu einer Videoplattform, mit dem aufmerksamkeitsheischenden Titel „Gitarrhö LIVE xD(mit KUSS!!1)“. Die Soundqualität von dem Handy, das es aufgenommen hatte, war schrecklich, die Filmqualität ebenfalls und ich spulte immer weiter vor, bis fast zum Ende. Trotz der verpixelten Darstellung erkannte ich Sandro, das war eindeutig er, und der Jemand hinter ihm könnte Tilmann sein. Ich verfolgte mit, wie Sandro mitten im Song innehielt und auf seine Gitarre hinabschaute, als wäre sie plötzlich kaputt gegangen. Der andere Gitarrist mit langen schwarzen Haaren und knöchellangen dunklen Mantel, der rechts von ihm stand, drehte den Kopf zu ihm, registrierte, was geschehen war, und machte einen Satz auf ihn zu. Er kam seinem Gesicht nah, die Kamera folgte ihm, zoomte heran, bis ihre Gesichter nur noch Pixelmatsche waren, doch es war unverkennbar ein Kuss. Und was für einer. Gegröle im Hintergrund; undefinierbar, ob es Rufe des Protestes waren oder des Anfeuerns; während die beiden wild auf der Bühne knutschten und das Video abrupt endet. Ich sprang nochmal eine halbe Minute zurück und schaute es noch einmal an. Diese Gitarre, auf der Flo spielte… War das nicht dieselbe rote Gitarre, mit der Sandro immer aufgetreten war? Sandro hatte also die ganze Zeit auf der Gitarre von seinem Ex gespielt? Warum das denn? Noch eine Nachricht, aber nicht von Simon, sondern von Jo: Wo warst du denn gestern? Auf einem Date, schrieb ich, um ihn zu schocken. WTF??? Dazu Emojis, denen fast die Augen heraus kullerten und ich musste lachen. Ja, das war so abwegig, dass ich so schnell nach Marie wieder ein Date hatte. Aber ich kann dich beruhigen: Es lief scheiße. Warum? Na am Ende ist der Ex aufgetaucht. Oha, Drama! Und was gibt es bei dir? Nichts Besonderes. Sicher? Ich bin neulich Marie begegnet. Oh. Ich wartete darauf, dass er weiter schrieb, doch das tat er nicht. Er schien es sich genüsslich aus der Nase ziehen lassen zu wollen. Doch diesen Gefallen tat ich ihm nicht. Schön. Also bis dann. Willst du denn gar nicht wissen, wo? Und wen sie dabei hatte? Kommst du nie drauf. Interessiert mich nicht mehr. Hm, wie war das, dass ihr wieder zusammen kommt? Kümmere dich um deinen Kram! Keine Sorge, mach ich schon. Ich begegnete Sandro die restliche Woche nicht. Und auch nicht die darauffolgende. Ich wüsste auch gar nicht, wie ich ihm gegenübertreten sollte. Einmal setzte mein Herz aus, als ich am Balkon vorbeiging und eine schwarze Gestalt dort rauchen sah. Doch beim zweiten Blick stellte es sich als meine Kollegin heraus. Fast schon hörbar atmete ich erleichtert aus machte kehrt. „Na, was ist los, Junge?“, sprach mich Frau Spinnler an, in die ich fast hineinlief. „Die ganze Zeit schon eine Leichenbittermiene, wer ist denn gestorben?“ „Tun Sie doch nicht so. Sie wissen doch genau, was Sache ist“, gab ich zurück. „Ich weiß von gar nichts?“ Ich fauchte sie bloß an. „Vergessen Sie nicht, für das Adventskonzert zu proben.“ „Alles zu seiner Zeit!“ Als ich nach Hause kam, fand ich im Briefkasten eine Postkarte von Mama vor. Aus den Niederlanden. Bloß ein Einzeiler, wie immer, signiert mit In Gedanken immer bei euch, eure Mutter. Ich spürte Wut. Enttäuschung. Diese ewigen Postkarten, mit ihrem nichtssagenden Inhalt im Telegrammstil. Als würde pro Buchstabe abgerechnet! Nie einen längeren Brief oder einen Anruf! Malt euch doch gefälligst selbst aus, was ich mache und wie es mir geht, ich habe es nicht nötig, es euch mitzuteilen, weil ihr mich mal kreuzweise könnt. Als Bestrafung für was auch immer. Das erinnerte mich an Davids Reisefotos, die er mir in der Eisdiele gezeigt hatte. Eine blutleere Diashow, bei der man die persönliche Note schmerzlich vermisste. Gerade dieses Fehlen machte es so verdächtig. Mit Missmut dachte ich an jenen Tag zurück. Ich hatte mich wie ein kompletter Idiot verhalten. Schon zückte ich mein Handy, tippte, korrigierte, überlegte, und schickte dann die Nachricht ab: Hey David, ich weiß du bist nicht gut auf mich zu sprechen. Ich wollte deine Fotos wirklich nicht schlechtreden. Hör bloß nicht auf mich, okay? Ich war schließlich nicht dabei gewesen auf der Reise, die dir viel bedeutet hat, zu so einer Wanderung könnte man mich nie im Leben überreden. David, ich könnte es verstehen, wenn du deswegen nichts mehr von mir wissen willst. Zeitig kam auch eine Antwort von ihm: Ach, das trage ich dir doch nicht nach. Eine andere Meinung zu haben, das sollte eine Freundschaft aushalten. Das waren richtig nette Worte von ihm! Da stand es schwarz auf weiß: Freundschaft. Erleichtert, ja ich war wirklich erleichtert, als ich das las, und schrieb zurück: Lass uns doch bald wieder etwas unternehmen. David stimmte zwar zu, doch er schlug auch nichts Konkretes vor. ~ Samstagabend, und ich war allein zu Hause, als es zaghaft an der Tür läutete. Wer mochte das sein? Ich ging auf die Tür zu und öffnete sie. Niemand da? Doch erst auf den zweiten Blick sah ich die Gestalt, die aus den Schatten trat. Einen schwarzen Parka mit Fellbesatz an der Kapuze. Ihre blonden Locken trug sie offen, ein Stück kürzer, der dunkelblonde Ansatz war ein Stück herausgewachsen, warum hatte sie aufgehört mit dem Blondieren? Ich musste dastehen wie ein angefahrenes Reh. „Hey“, sagte Marie leise. Stumm starrte ich eine peinliche Ewigkeit lang meine Ex an, die vor der Tür stand, ich war total aus dem Konzept gebracht. „Schau mal, ich habe dir was mitgebracht.“ Marie drückte mir ein Buch in die Hand und trat ein, ohne meine Einladung abzuwarten. „Ich kann doch nicht nach so langer Zeit mit leeren Händen ankommen. Und da ich ja an der Quelle sitze…“ „Die besten Salate der Welt“, las ich den Titel vor, während sie begann, ihren Mantel auszuziehen. Stumm schaute ich ihr dabei zu. Sie hing ihn an die Garderobe, dann winkelte sie ihr Bein an und öffnete den Reißverschluss ihrer Stiefelette, die sie neben meine abstellte. Die elfenhaften Schuhe in Größe 37 waren so klein neben meinen in 42. Sie stand vor mir in einem knielangen schwarzen Pulloverkleid und dunkler Strumpfhose, die ihre Beine noch schmaler wirken ließen und kam mir plötzlich so erwachsen vor, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen. Seit wann trug sie eigentlich von Kopf bis Fuß Schwarz? Sie war doch immer so ein Farben-Mensch gewesen. Immer hatte sie immer mindestens zwei, drei Bonbonfarben miteinander kombiniert und dabei echten Stil bewiesen. Marie war auch nicht mehr dieselbe… „Hat es dir die Sprache verschlagen?“ „Äh, ich schau mal, ob ich noch schwarzen Tee dahabe.“ Ich war froh, dem spärlich beleuchteten, engen Flur zu entkommen. „Ist lieb von dir. Aber ich trinke ihn eigentlich nicht mehr. Eigentlich lieber Kaffee, so wie alle im Büro, die haben mich angesteckt mit ihrer Koffeinsucht. Aber mach dir keinen Stress. Ich brauche jetzt nichts.“ Sie folgte mir leichtfüßig und nahm auf dem Küchenstuhl Platz, wie nur sie Platz nehmen konnte: Statt sich normal hinzusetzen, immer die Beine angezogen und die Fersen auf die Sitzfläche abgesetzt. Anfangs hatte es mich fasziniert, dass sie zu jeder Gelegenheit demonstrierte, wie biegsam und sportlich sie war, doch dann kam ich bald dahinter, dass das einfach der Lifestyle war, den sie seit Kindesbeinen pflegte ohne darüber nachzudenken. Ich setzte mich ihr gegenüber, setzte das Kinn auf die Hände. „Marie. Es sind doch erst zwei Wochen vergangen seit deinem letzten Brief.“ „Ach, darum geht es mir doch gar nicht.“ „Worum dann?“ Sie seufzte, senkte den Blick. „Habe ich dieses Jahr Abitur gemacht, oder nicht?“ „Was ist das für eine Frage?“ „Ich bin einfach die dümmste Azubine, die es je gab!“ „Hör auf, Nägel zu kauen und erzähle mir, was du angestellt hast.“ Sofort nahm sie die Hand vom Mund, knetete sie mit der anderen Hand, bog dann ihre Finger fast im Neunziggradwinkel nach hinten. War ihre Optik auch anders, ihr Parfüm auch; hier war sie durch und durch Marie. „Naja, weißt du, ich mache im Büro seit kurzem die Zeitschriften-Belieferung selbstständig. Da bekommen die Zeitschriften ein beschriftetes Etikett zum Aufkleben, eigentlich simpel, aber ich habe das total vermasselt! Ich habe, frag mich nicht wie, die falschen Etiketten auf die falschen Zeitschriften geklebt. Später haben viele Kunden angerufen und sich beschwert, und mein Ausbilder hat mich dann zur Rede gestellt. So peinlich!“ Sie verzog das Gesicht. „Da hast du natürlich keine Heldentat vollbracht, aber es gibt Schlimmeres“, versuchte ich sie zu beruhigen. „Ärgerlich eben, aber nichts, was einen Rausschmiss rechtfertigt. Nächstes Mal schaust du ein zweites Mal hin und gut ist.“ „Ich weiß nicht, ob ich am Montag wieder zur Arbeit gehen kann! Vielleicht bin ich da fehl am Platz. Ich hab den ganzen Laden aufgehalten. Sogar die nette Kollegin war genervt, weil sie meinen Fehler ausbügeln musste. Dabei hab ich das doch nicht mit Absicht gemacht.“ „Jetzt übertreibe mal nicht. Du darfst Fehler machen, du lernst ja noch. Halte einfach die drei Jahre durch, und studier dann Literatur, oder so.“ Dazu sagte sie nichts, schaute mich nur mit großen Augen an. „Mein Kopf ist wie ein Karussell. Ich kann mir nichts merken, wie soll das denn später in der Berufsschule werden? Meine Kollegin weiß so viele Nummern auswendig und bei mir bleibt einfach nichts hängen. Wie macht die das? Ich bin so doof! Total hohl in der Birne!“ Ich seufzte, schüttelte den Kopf. „Du bist nicht doof, aber du bist scheinbar nicht ganz bei der Sache, weil dein… sagen wir mal, Arbeitsspeicher, vollgestopft ist. Weil du dir immerzu einredest, was alles schiefgehen kann, wovor du Angst hast; dass du nie Pokale gewonnen hast, und, was war noch… Ach ja. Dass deine Mutter nicht mehr mit dir redet. Dein letzter Brief war so wirr, sorry, ich habe den nicht kapiert.“ „Dann schmeiß ihn einfach weg. Ist egal.“ „Ich werde niemals einen Brief von dir wegschmeißen. Wieso sagst du so etwas?“ Wir schwiegen gemeinsam, ich beobachtete sie und den Inhalt ihrer letzten Briefe Revue passieren. „Marie. Langsam wird mir klar, wieso du Schluss gemacht hast! Du hast mich provisorisch kaltgestellt, bevor ich das tun konnte. Weil dir alles im Leben gerade entgleitet und du es nicht verkraftet hättest, auch noch mich zu verlieren. Ist es nicht so?“ Sie schaute mich nur mit großen Augen an. „Weil ich der Einzige war, über den du noch Macht hattest.“ Sie senkte den Blick und atmete tief durch. „Du kennst mich wohl besser, als ich mich selbst. Nicki. Ich war echt dumm, mich so lange nicht blicken zu lassen.“ Da war dieser Moment. Die Option, sie wieder zurück zu gewinnen. Ihre Haare zurückstreichen, sie küssen. Ihr gestehen, wie sehr ich sie vermisst hatte. Sie mit in mein Zimmer nehmen und den ganzen Schwulenkram hinter mir lassen, bevor es zu spät war. Alles würde wie früher werden. Das Traumpaar Nicki und Marie forever. Warum wäre sie wohl sonst herkommen? Das, was sie mir erzählt hatte, war doch bloß ein Vorwand. Sie schob das Kinn trotzig vor, als sie fragte: „Sag mal. Hast du jemanden kennengelernt? Sei ehrlich.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ich lerne viele Leute kennen in letzter Zeit.“ „Nicki“, sagte sie auf diese ganz bestimmte Art. Ihre blauen Augen schienen mich zu röntgen. „Ich weiß, wie du aussiehst, wenn du lügst. Du hast jemanden kennengelernt! Ich weiß es aus sicherer Quelle.“ „Jo hat dir geschrieben?! Der soll sich mal um seinen Kram kümmern“, schimpfte ich. „Wer ist es?“ „Niemand, den du kennst. Und es war auch nur ein einziges Treffen. Wiederholungen wird es nicht geben.“ „Ging ja schnell.“ „Marie.“ Ich musste schlucken. „Es ist nicht so, wie du denkst. Du musst wissen… Ich hätte nie gedacht, dass ich…“ „Boah. Hör doch auf, dich zu rechtfertigen.“ „Ich meine…“ „Ist halt so. Vielleicht hast du sie einfach gebraucht.“ Dieses kleine Wörtchen Sie war wie ein Tritt in den Magen, und ich haute die Fäuste auf den Tisch. Sollte ich sie an dieser Stelle korrigieren? Alles auf den Tisch bringen? Sie redete weiter: „Und es wundert mich nicht. Ich meine, im Bett war es doch immer voll scheiße gewesen.“ Ich war sprachlos, dass mir der Mund offen stand. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Scheiße im Bett? „Na schau mich doch nicht so an. Wenn dem nicht so gewesen wäre, hättest du dir ja auch keine andere gesucht, oder?“ „Es war aber keine Sie!“ Nun war der Geist aus der Flasche. „Äh…Sondern?“ „Ein Er.“ Marie schluckte und starrte mich an. „Du hast dir einen Kerl gesucht?!“ Ihre Stimme überschlug sich. „Nein, er hat mich gefunden... Ich habe das noch keinem gesagt.“ „Du hast mich betrogen“, sagte sie ganz nüchtern. „Nein, habe ich nicht.“ „Oh doch, und ob. Auch wenn es ein Kerl war. So tolerant solltest du schon sein.“ „Ich meine, du hast doch eh Schluss gemacht, wie kann ich dich da technisch gesehen betrügen?“ „Schluss?! Ich habe eine Pause gemacht, nicht Schluss!“, korrigierte sie mich. „Das ist doch dasselbe!“ Doch sie brauste nun so richtig auf, schüttelte voller Unverständnis den Kopf. „Ist es nicht! P-A-U-S-E, habe ich am Telefon gesagt, erinnerst du dich nicht mehr? Kapierst du jetzt, warum so viele Leute per SMS Schluss machen? Damit der andere es schriftlich hat, und einem hinterher nicht die Worte im Mund herumdrehen kann!“ Mit überschlagenen Beinen saß sie auf dem Stuhl, und kippelte damit, was halsbrecherisch aussah, auch damals in der Schule schon, und zwirbelte ihre Haare. „Wunderbar. Du hast dich also dafür entschieden, eine Pause zu machen, oder wie auch immer du es nennen willst, mit allem, auch bei deinem Sport. Ich habe aber keinen Pauseknopf, wie eine Serie, ja? Mein Leben geht weiter, und du solltest damit klar kommen, dass auch dein Leben weiter geht.“ Die Ärmel krempelte ich hoch, ich stand auf und nahm die große Pfanne aus dem Schrank und knallte sie auf die Herdplatte, lauter als es meine Absicht gewesen war. „Und ich mache jetzt Pfannkuchen, weil ich Hunger habe. Du hast wahrscheinlich keinen Hunger, wie immer?“ Im Gegensatz zu mir nahm Essen und Kochen einen geringen Stellenwert in Maries Leben ein. Sie mochte es zwar, wenn ich für sie kochte, hatte aber meistens nie viel Hunger, dafür spielte sie gern mit dem Essen. Ich hatte fest damit gerechnet, dass sie hinausrennen würde. Aber sie war nur vom Stuhl aufgestanden, kam jetzt zu mir, lehnte sich gegen die Arbeitsfläche, nagte an ihrer Unterlippe. „Nicki. Seit wann magst du Kerle? Schon immer?“ Der Ton in ihrer Stimme ließ erkennen, dass sie das wirklich interessierte. Ich zuckte die Achseln. Keine Lust auf so ein Gespräch. „Hör zu, als ich mit dir zusammen gewesen war, habe ich noch nicht einmal im Traum an einen Kerl gedacht! Und ich fand es nie scheiße mit dir! Warum hast du nie etwas gesagt? Warum haben wir nie geredet?“ Diese Antwort konnte sie mir auch nicht geben. Stattdessen lenkte sie davon ab. „Erzähl mir von ihm. Wo hast du ihn kennen gelernt? Wie alt ist er? Ist es der, den du im Brief erwähnt hast, mit dem uralten Handy?“ Ich schüttelte bloß den Kopf, doch konnte nicht verhindern, dass sich Sandro vor meinem inneren Auge materialisierte, und mir wurde warm dabei. Zwei Wochen hatte ich ihn nicht gesehen. Doch schon in der nächsten Sekunde spannte sich alles in mir an. „Oho. Du hast aber ganz schön gegrinst eben! Wie weit bist du mit ihm gegangen?“ „Gib mir mal die Schüssel aus dem Schrank“, forderte ich sie auf, um sie auf andere Gedanken zu bringen, denn darauf würde ich ihr niemals eine Antwort geben. Das tat sie auch, und ich nahm Milch und Eier aus dem Kühlschrank, schnappte mir einen Schneebesen und eine Schüssel. „Wie sieht es jetzt eigentlich mit deinem Sport aus?“, fragte ich sie, bevor sie mich weiter über Sandro ausquetschen konnte. „Montag hab ich ein Probetraining.“ „Was, wirklich? Für welche Sportart?“ „Kickboxen.“ „Wow, das komplette Gegenteil!“ Die Vorstellung von dieser zierlichen Elfe in Boxhandschuhen war bizarr. Ich nahm sie in Augenschein, ihre zierliche Gestalt von knapp eins sechzig, kein Gramm Fett zu viel, vielleicht halb so schwer wie Sandro. Ich wusste beim besten Willen nicht, wie Sandro bei mir landen konnte. Marie und er hatten absolut nichts gemeinsam. „Ja, ist etwas anderes. Aber ich probiere es mal.“ „Klar. Wieso solltest du nur für den einen Sport geschaffen sein?“ Ja, sie hatten doch etwas gemeinsam, und das war ihre Leidenschaft für Sport. Aber sonst… „Mutter meinte, sie wird sich an keinen Kosten beteiligen. Tja, aber ich verdiene jetzt mein eigenes Geld.“ „Richtig, Marie. Zeig es ihr. Was ist eigentlich aus deinen Umzugsplänen geworden?“ „Naja. Ich warte wohl noch bis zum dritten Lehrjahr, wenn ich mehr verdiene.“ „Hm. Verstehe. Würdest du mir gerade mal die Tüte Mehl aus dem Schrank da geben?“ Das tat sie, doch bevor ich sie entgegen nehmen konnte, griff sie hinein, nahm eine Handvoll Mehl und rieselte es über mich. Zuerst schockiert, tat ich es ihr gleich und wir lachten zusammen, während Mehlstaub den Küchenboden benetzte. „Weißt du noch“, begann sie, sich schüttelnd von der Lachsalve, „als wir uns hier vor Lachen am Boden gewälzt haben?“ „Ja. Lange ist es her… Ich weiß gar nicht mehr, weswegen“, sagte ich und wurde wieder ernst. Hätten wir doch mehr geredet. Dann wäre sie wohl nicht aus meinem Leben verschwunden! Menschlich stimmte die Chemie mit ihr, und ich wollte sie nicht verlieren. Das mit Sandro hatte sie ziemlich gut aufgenommen. Ob wir nicht einfach Freunde bleiben konnten? Das würde mir nie wieder passieren, nahm ich mir vor. Lieber wollte ich zehnmal zu viel reden und nerven, als dass mir so eine Situation nochmal passierte. Als würde sie genau das gleiche in diesem Moment denken, sagte sie: „Nicki, ich hab übrigens mein Digital Detox beendet. Ab jetzt kannst du mir wieder texten. Zu jedem Scheiß, der dir gerade im Kopf herumgeistert. Auch, wenn es um IHN geht.“ Verschwörerisch lächelte sie mir zu, und da konnte ich nicht anders, als sie in den Arm zu nehmen. Das löste in mir nicht mehr das gleiche aus wie früher, aber das war in Ordnung. Sie war ja jetzt meine Ex. „Das mit dem Literaturstudium… darüber habe ich auch schon nachgedacht, aber ich habe mir das nicht zugetraut…“, sagte sie ganz leise. „Vielleicht ist das ja eine Option, nach der Ausbildung…“ Literatur. Noch eine Gemeinsamkeit der Beiden. War das nicht gruselig? „Das solltest du auf jeden Fall im Hinterkopf behalten.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)