Katzenjammer von yamimaru ================================================================================ Kapitel 4: Lektion 4 - Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung ------------------------------------------------------------------- Kaoru duckte sich tief ins Gras, seine Hinterläufe trippelten, der Hintern wackelte, bis er mit einem großen Satz auf seine Beute zusprang. Besagte Beute entpuppte sich als Zikade, die sich von dem Angriff des kleinen Katers nur mäßig beeindruckt zeigte und langsam davon hüpfte. „Mist, schon wieder verfehlt“, murrte Kaoru und trottete zu seiner Begleiterin zurück, die sich die warme Frühlingssonne auf ihren schwarzen Pelz scheinen ließ. Gähnend hockte er sich neben sie, ließ sich zur Seite fallen und rollte sich auf den Rücken. „Mach dir nichts draus. Mit etwas Übung wird schon noch ein richtiger Kater aus dir.“ Kaoru drehte sich zurück auf den Bauch, streckte sich und bemerkte, wie gut ihm dieses, wenn auch nicht sehr offensichtliche Lob tat. Aber … halt mal, er schüttelte nachdrücklich den Kopf, als ihm bewusst wurde, was genau die andere gesagt hatte. „Was redest du da? Ich bin ein Mensch, kein Kater.“ „Ein Mensch, der über die Wiese springt, um Insekten zu fangen?“ „Das …“ Kaoru fehlten die Worte, was die Zauberkatze immens zu belustigen schien. „Erzähl mir lieber mehr von diesen Herzenswünschen, die du erfüllen kannst“, lenkte er ihr Gespräch daher in für ihn wichtigere Bahnen. „Woher weißt du, wann ein Wunsch von Herzen kommt?“ „Ich weiß es einfach.“ Kaoru seufzte und legte sein Kinn auf den Vorderpfoten ab. Diese oder eine Variante dieser Frage hatte er ihr in den letzten Stunden, in denen sie gemeinsam durch die Stadt gestromert waren, bereits öfter gestellt. Leider waren all ihre Antworten, wie auch diese, komplett unbrauchbar. Kaoru wollte wieder ein Mensch werden und das bitte, bevor es ohne ihn doch noch Probleme mit der Band geben würde. Wenn das kein Herzenswunsch war, dann wusste er auch nicht mehr weiter. „Dann beschreib mir wenigstens, wie sich ein Herzenswunsch für dich anfühlt. Gib mir irgendetwas, womit ich arbeiten kann.“ „So funktioniert das nicht.“ „Wieso denn nicht?‘“ Kaoru hätte sich am liebsten die Haare gerauft, so frustriert war er mittlerweile. „Weil die Art von Wünschen, die ich erfülle, nichts mit Logik zu tun hat. Du kannst nicht darauf hinarbeiten oder es erzwingen. Ein solcher Wunsch muss tief aus deiner Seele kommen, dich ganz und gar erfüllen und so stark sein, dass ein magisches Wesen wie ich ihn nicht ignorieren kann.“ „Heißt das, du ignorierst einfach, dass ich mir wünsche, wieder ein Mensch zu sein?“ „Natürlich, Dummerchen. Glaubst du, ich habe nichts Besseres zu tun, als bei allem, was ihr Zweibeiner euch den lieben langen Tag so erbittet, sofort zu springen? Da würde ich ja nie fertig werden.“ Sie stand auf, schüttelte sich und wirkte zum ersten Mal, seit Kaoru sie kennengelernt hatte, tendenziell aufgebracht. „Ich wünsche mir gute Noten, ich wünsche mir, dass er mich auch liebt, ich wünsche mir, dass morgen schönes Wetter ist. Wünsche, Wünsche, Wünsche. Einer banaler als der andere.“ „Ja, aber …“ Kaoru betrachtete sein Gegenüber für einen langen Moment, ohne weiterzusprechen. Langsam kam er ebenfalls auf die Beine, begann, nachdenklich auf und ab zu gehen. „Ich glaube, ich verstehe jetzt, was du meinst.“ „Gut, dann hörst du hoffentlich endlich damit auf, mir ständig diese Fragen zu stellen.“ Kaoru duckte sich, erkannte den Befehl, der in ihrer Bitte mitschwang. Er musste ihre Geduld in den letzten Stunden wirklich überstrapaziert haben. Leider bedeutete die Tatsache, dass er nun nachvollziehen konnte, weshalb sie nicht jeden daher gesagten Wunsch erfüllen konnte nicht, dass er wusste, wie er wieder ein Mensch wurde. Wie bekam er denn sein Herz dazu, einen Wunsch zu äußern? War ja nicht so, als hätte er es vorgestern Nacht todernst gemeint, als er sich wünschte, eine Katze zu sein. Zumindest dachte er das. Sein Herz schien anderer Meinung gewesen zu sein. So ein Mist aber auch. Er hätte geseufzt, wäre ihm das möglich gewesen, starrte stattdessen nur für einige lange Momente stumpf vor sich hin. „Sag mal“, richtete die Zauberkatze das Wort an ihn und riss ihn damit aus seinen Grübeleien. „Ist das da drüben nicht dein Mensch?“ „Mein Mensch?“, wiederholte er fragend, weil er nicht verstand, wen sie mit dieser Bezeichnung meinte. Interessiert folgte er ihrem Blick und erkannte in der Ferne einen ihm tatsächlich sehr vertrauten, knallroten Haarschopf. „Die?“, maunzte er leise, fragend. Was tat sein Freund denn hier? Und das dort bei ihm waren doch Toshiya, Shinya und Kyo? Hatte er sich mit seiner Begleiterin tatsächlich die ganze Zeit über in dem Park aufgehalten, der gegenüber ihres Studios lag, ohne es zu bemerken? Das war … Er konnte es kaum fassen, wie anders seine Wahrnehmung als Katze war. Sollte er noch länger in diesem Körper feststecken, konnte das zu einem ernsthaften Problem werden. Darüber wollte er lieber nicht zu genau nachdenken. Ohne es wirklich bemerkt zu haben, war er über die Freifläche des Parks gelaufen und hatte die Zauberkatze ohne ein Wort der Verabschiedung hinter sich gelassen, so fixiert war er darauf, zu Die zu gelangen. Er konnte schon den Tabakgeruch der Zigaretten riechen, den unwilligen Gesichtsausdruck Shinyas erkennen, der seine drei rauchenden Kollegen aus einiger Entfernung musterte. Mh, eigenartig, er vermisste es gar nicht, zu rauchen. Dieser Gedanke kam ihm im selben Moment in den Sinn, als Shinya meinte: „Die? Ist das nicht der Streuner, den Miyu und ich gestern aufgegabelt haben?“ Der Drummer deutete auf Kaoru, die Augen zusammengekniffen, als wäre er sich nicht sicher, ob er mit seiner Vermutung richtig lag. „Wie?“ Die drehte sich zu ihm herum und er begrüßte seinen Freund mit einem fröhlichen „Hallo“, was natürlich erneut als Maunzen sein Maul verließ. „Bleib stehen!“, rief Die plötzlich aus und Kaoru war so perplex über die Schärfe in seiner Stimme, dass er tat, was der andere von ihm verlangte. Jetzt erst bemerkte er die Straße, die er beinahe überquert hätte, ohne nach links und rechts zu sehen. Sein Herz hämmerte wie wild in seinem Brustkorb und mit geweiteten Augen sah er dem silbernen Ford Explorer hinterher, unter dessen Räder er ohne Dies Warnung sein frühzeitiges Ende gefunden hätte. „Du darfst doch nicht einfach auf die Straße rennen“, tadelte der Große außer Atem, obwohl er kaum zehn Schritte hatte gehen müssen, um zu ihm zu gelangen. Hände schlossen sich um Kaorus Mitte, hoben ihn hoch und lehnten ihn gegen einen warmen Oberkörper. „Wie zum Teufel bist du überhaupt hierhergekommen?“ „Ist er es denn?“ Shinya war zu ihnen gekommen, legte einen langen Finger unter Kaorus Kinn und drückte es leicht nach oben, um sein Gesicht mustern zu können. Er mochte es nicht, so manipuliert zu werden, und wandte sich ab. Den Kopf schüttelnd krabbelte er auf Dies Schulter höher, weg von den starrenden Blicken des Drummers. „Mh, er sieht dem Streuner zum Verwechseln ähnlich.“ „Das ist Kao, kein Zweifel“, murmelte Die und begann, sanft durch Kaorus Fell zu kraulen. „Ich begreife nur nicht, wie er aus der Wohnung gekommen ist. Ich hatte alle Fenster geschlossen, da bin ich mir sicher.“ „Kao, wie in Kaoru?“ Kyo grinste offen, während Toshiya sein breites Lächeln hinter einer Hand versteckte. Dies Wangen färbten sich in einem nicht allzu attraktiven Rot, das sich ziemlich mit seiner Haarfarbe biss, Kaoru jedoch überaus belustigte. Tja, das hatte der Gute nun davon, ihn so genannt zu haben. „Nein, wie in Kakao“, maulte Die ertappt, trat auf seine fallengelassene Zigarette und entsorgte sie in dem Pappbecher, der den dreien als temporärer Aschenbecher diente. Sein Freund war wirklich noch nie ein guter Schauspieler gewesen. „Das ist die offensichtlichste Ausrede, die ich je gehört habe“, bestätigte Kyo seinen Gedankengang, während Die beharrlich so tat, als würde er den Sänger nicht hören. „Jetzt stellt sich nur die Frage, ob Die das kleine Kerlchen nach unserem Leader benannt hat, weil es genauso kratzbürstig ist wie er, oder ob es dafür womöglich einen ganz anderen Grund gibt?“ Toshiya wackelte kichernd mit den Augenbrauen und Kyos Grinsen wurde nur noch breiter. ‚Ey, was heißt hier, ich wäre kratzbürstig? Das ist ja wohl die Höhe!‘, maulte Kaoru in Gedanken und hätte seinem unverschämten Kollegen zu gern genau diese und noch einige andere Fragen an den Kopf geknallt. ‚Was zum Geier findest du gerade so witzig? Welcher andere Grund? Verflixt, warum redet niemand Klartext hier?!‘ „Was für ein Pech, dass ihr zwei das nie erfahren werdet“, konterte sein Freund. Kaoru sah ihn vorwurfsvoll an, aber Die war zu sehr damit beschäftigt, sich nicht weiter von Kyo und Toshiya vorführen zu lassen, um seinen Blick zu bemerken. ‚Na, schönen Dank auch. Das nenne ich einen Freund. Willst du mich denn gar nicht verteidigen oder wenigstens nachfragen, wovon Toshiya redet, damit ich nicht dumm sterbe?“ „Kommt jetzt, Takabayashi wartet sicher schon.“ Tja, wohl nicht, denn das war alles, was Die zu diesem Thema noch zu sagen hatte. Sein Unvermögen, sich bemerkbar zu machen, regte Kaoru mit jedem Augenblick mehr auf und Enttäuschung nagte an ihm, weil sein Freund nicht für ihn in die Bresche gesprungen war. Aber was hatte er auch anderes erwartet? Vermutlich war er in den letzten Wochen wirklich etwas zu aufbrausend gewesen und das war nun die verdiente Retourkutsche dafür. „Nur, weil du Kao halb über der Schulter hängen hast, brauchst du dich nicht als Leader aufzuspielen.“ „Toshiya~“, knurrte Die und zeigte mit dem Daumen hinter sich auf die Tür zum Studio. „Wolltest du nicht pünktlich Schluss machen, weil du noch ein Date hast?“ „Ich treffe mich mit einer Freundin, das ist kein Date!“ „Ach, nein? Und warum guckst du dann plötzlich so verlegen?“ Kaoru blendete das neckende Hin und Her der beiden aus und musterte über Dies Schulter hinweg die schwarze Katze. Sie saß auf der gegenüberliegenden Straßenseite, fixierte ihn mit leicht schief gelegtem Kopf, bevor sie davonsprang und hinter einer Reihe parkender Autos verschwand. ~*~ Kaoru fragte sich, ob die Zauberkatze es absichtlich so eingefädelt hatte, dass er nun gemeinsam mit seinen Kollegen ihrem Manager zuhören konnte, der sie gerade über den Stand der Vorbereitungen für ihre anstehende Tour informierte. Es waren nur noch drei Wochen, bis es losgehen sollte, und wie immer war unglaublich viel zu organisieren. Nicht zuletzt deswegen hatte Kaoru mit dem Gedanken gespielt, Die entweder dazu zu bringen, ihn ins Studio mitzunehmen oder sich irgendwie heimlich einzuschleichen. Allerdings war das sicher kein Herzenswunsch gewesen, den seine magische Bekannte nicht hätte ignorieren können. Weshalb also wurde er den Gedanken nicht los, dass sie ihm dennoch geholfen hatte? Verfolgte sie eine eigene Agenda, von der er nichts wusste, oder war sie generell unberechenbar, wie man es Katzen so oft nachsagte? Kaoru erhob sich von seiner eingerollten Position auf dem Stuhl neben Die, schüttelte sich kräftig und lugte über die Kante des Besprechungstischs, um die Anwesenden mustern zu können. Ursprünglich hatte er seinen pelzigen Hintern auf der Tischplatte geparkt, aber das war nicht ganz so gut angekommen. Vor allem Shinya hatte darauf bestanden, dass man ein Tier bereits in jungen Jahren gut erziehen müsse, sonst würde es später nur Probleme geben. ‚Wenn du wüsstest‘, hatte sich Kaoru im Stillen gedacht und hatte wenig begeistert seinen jetzigen Platz eingenommen. Erneut fuchste es ihn maßlos, nicht mitreden zu können oder Takabayashi anzuspornen, sich kürzerzufassen. Allerdings hatte er auch feststellen müssen, dass seine Kollegen deutlich konzentrierter bei der Sache waren und die richtigen Fragen stellten, als er je gedacht hätte. Besonders Die. Er musterte seinen Freund von der Seite und so etwas wie Stolz zog an seinem Herzen. Er hatte seinem Freund unrecht getan. Die war nicht heillos überfordert, nur ungeübt, was kein Wunder war, schließlich hatte Kaoru in den letzten Jahren sämtliche Verantwortung an sich gerissen. Eine Schande, dass ihm das jetzt erst auffiel. Er sprang kurz auf den Boden, nur um gleich wieder nach oben auf Dies Schoß zu hüpfen. Der Große sah kurz verwundert auf ihn herab, lächelte dann aber und begann, über sein Fell zu kraulen. Genau dieses Lächeln hatte er sehen wollen. Zufrieden begann Kaoru zu schnurren und blendete für die nächste Zeit alles und jeden aus. Nun gut, nicht alles; Dies geschickte Finger hatten seine Aufmerksamkeit mehr als verdient. ~*~ „Bringst du ihn nach Hause?“ Kyos Stimme riss ihn aus dem Dämmerschlaf, in den er die letzten Stunden über gefallen war. Er blinzelte kurz, als sich sein warmes Bett plötzlich bewegte und er hochgehoben wurde. So dösig, wie er noch immer war, streckte er sich nur gähnend und kuschelte sich gegen das erneut so schön warme Ding, gegen das er gelehnt wurde. „Ist vermutlich das Sinnvollste. Er langweilt sich sicher nur und zu futtern hab ich für ihn auch nichts hier.“ Das war Die, bemerkte er und allein die Stimme seines Freundes veranlasste ihn, leise zu schnurren. Oder waren es doch die Finger, die ihn hinter dem rechten Ohr kraulten? Irgendwie fühlte sich das anders an, als er es gewohnt war. Beinahe unwillig öffnete er ein Auge, dann das Zweite, bevor er für einen langen Moment einfach nur starrte. Kein Wunder, dass sich das anders anfühlte. Es war nicht Die, der ihn kraulte. Stünde sein Leben nicht ohnehin bereits kopf, er würde sich wie im falschen Film fühlen. Kyo kraulte ihn! Kaoru hatte mittlerweile akzeptiert, dass er als Kater eigenartig verschmust war und solange sich diese Zutraulichkeit auf Die beschränkte, war alles in Ordnung. Aber das war Kyo! Der zugegebenermaßen mindestens einen ebenso guten Draht zu Tieren besaß wie Shinya, aber der eben nicht Die war. „Wir können ihm doch Futter vom Konbini mitbringen und ein wenig mit ihm spielen. Fördert sicher unsere Kreativität“, erklärte Toshiya im Brustton der Überzeugung, während sich auf Shinyas und Dies Gesicht ähnlich skeptische Ausdrücke zeigten. Wieder schlossen sich Hände um Kaoru, diesmal jedoch die des Bassisten, und nur die Aussicht darauf, hierbleiben zu dürfen, hielt ihn davon ab, seine Krallen auszufahren. Gott, wie er es verabscheute, ständig so manipuliert zu werden. Er war doch kein Kuscheltier. „Seht ihn euch an, er hat doch Spaß.“ „Er sieht eher so aus, als würde er dich umbringen wollen.“ „Sei nicht immer so makaber, Kyo, ich hab ein Händchen für Miezen.“ „Sicher, aber deine Art Miezen ist deutlich weniger behaart.“ „Och, du Süßer.“ Toshiya schien den Einwand des Sängers nicht gehört zu haben oder war geübt darin, diese Dinge einfach zu ignorieren. Kaoru würde beides nicht wundern. „Aber apropos behaart …“ Okay, da war Kyos Kommentar wohl doch beim richtigen Adressaten angekommen. Kaoru hatte kaum Zeit, sich darüber zu amüsieren, da wurde er auch schon unter den Vorderläufen gepackt und nach oben gestreckt hochgehalten. Diese Haltung war alles andere als bequem, aber die nächsten Worte Toshiyas waren es, die seinen Geduldsfaden endgültig reißen ließen. „Habt ihr schon diese niedlichen, haarigen Eierchen gesehen?“ Kaoru wand sich so heftig, dass der Bassist ihn überrumpelt losließ. Kaum hatten seine vier Pfoten den Boden berührt, sauste er davon und hielt erst in sicherer Entfernung wieder an. Vorwurfsvoll musterte er den zu groß geratenen Perversen, der sich jedoch keiner Schuld bewusst zu sein schien. „Jetzt hast du ihn verschreckt“, tadelte Shinya, während sich Kyo und selbst Die ein Lachen nicht verkneifen konnten. Verräter! „Ach Quatsch, das war doch ein Kompliment.“ „Na ja, wie man es nimmt“, murmelte Kyo und rieb sich übers Kinn. „Hä? Wie meinst du das?“ Toshiya schlich näher an Kaoru heran, aber anders, als der Bassist glaubte, war er nicht blöde und sprang davon, als erneut große Hände nach ihm haschten. „Lang wird der gute Kao keine Freude mehr an seinen haarigen Eierchen haben. Oder hast du vergessen, dass Die bereits eine Katze hat?“ Das Fang-die-Katz-Spiel, welches Kaoru mit Toshiya mehr oder weniger freiwillig zu spielen begonnen hatte, fand ein abruptes Ende, als sie beide nahezu zeitgleich erstarrten. Zwei identisch entrüstete Blicke trafen Die und Kaoru konnte ein Knurren nicht unterdrücken. ‚Ich schwöre dir, ich mach dir dein Leben zur Hölle, wenn du auch nur an einen Tierarztbesuch denkst.‘ „Holla die Waldfee, da könnte man ja fast auf den Gedanken kommen, der Kleine hat verstanden, was du gesagt hast, Kyo.“ Shinya schüttelte eindeutig amüsiert den Kopf, auch wenn Kaoru nicht sagen konnte, ob sich die Belustigung des Drummers an ihn oder mehr an Toshiya richtete, der noch immer wie ein Fisch auf dem Trockenen den Mund öffnete und wieder schloss. „Das kannst du dem Armen doch nicht antun!“, brach es schließlich aus ihm heraus, bevor sich Kaoru vollkommen überrumpelt an die Brust des Bassisten gedrückt wiederfand. Mh, vielleicht musste er Toshiyas Solidarität noch einmal überdenken, denn wenigstens er schien auf seiner Seite zu sein. „Ich glaub das nicht“, Die fuhr sich durch die Haare und schüttelte grinsend den Kopf. „Ist dir bewusst, dass du gerade Partei für eine Katze ergreifst?“ „Er ist ein Kater. Ein Männchen. Wir Kerle müssen zusammenhalten! Wie KANNST du nur an so … so … DAS halt denken?“ „Ich finde es sehr weitblickend von dir, dass du den Tieren deine Stimme gibst“, schaltete sich Shinya ein und Kaoru fragte sich für einen Moment wirklich, ob der Drummer Toshiya gerade nur veräppeln wollte oder ob er das Gesagte ernst meinte. „Ehm, danke, Shinya.“ „Gerne.“ Eigenartige Stille legte sich über den Raum, während derer sie sich alle nur der Reihe nach anschauten, bis Toshiyas Griff um seine Mitte zu fest wurde, und er sich erneut aus seinen Händen wandt. Automatisch wollte er zu Die hinübertrotten, hielt jedoch auf halbem Wege an und strafte ihn lediglich mit einem erneut sehr vorwurfsvollen Blick. „Nun schau nicht so, Kao“, versuchte sein Freund ihn zu beschwichtigen und kam langsam auf ihn zu. Kaoru wich zurück, spielte mit dem Gedanken, sich hinter dem Sofa zu verstecken, bis Die die Geduld mit ihm verlor und ihn zurückließ. Er würde sich tausendmal lieber allein durch den Großstadtdschungel schlagen, als die Alternative über sich ergehen zu lassen. Himmel, allein der Gedanke ließ ihn schneller atmen und Panik in ihm aufsteigen. „Hey, was hast du denn plötzlich?“ Toshiyas Blick lag noch immer mitfühlend auf ihm, Shinya sah ihm eher neutral und Die verständnislos entgegen. Nur in Kyos Augen hatte sich ein Ausdruck geschlichen, den er nicht zuordnen konnte. Erst jetzt bemerkte er, dass sich seine Nackenhaare aufgerichtet hatten, sein Schwanz kerzengerade in die Höhe ragte und in seiner Brust ein tiefes Knurren vibrierte. „Die?“ Mit langsamen Schritten näherte sich Kyo und ging knapp einen halben Meter vor Kaoru in die Hocke. „Hast du nicht mal erzählt, dass Diva kastriert ist, weil die Züchterin das so wollte?“ „Ehm, ja, kann sein.“ „Und deine Mieze ist doch gerade sowieso bei deiner Nichte.“ Shinya hatte verstanden, was Kyo versuchte und langsam schien auch Die ein Licht aufzugehen. „Ja, bis zum Ende der Ferien. Es gibt also überhaupt keinen Grund, in nächster Zeit über einen Tierarztbesuch nachzudenken.“ Das Knurren, das stetig in Kaorus Kehle gekitzelt hatte, wurde schwächer, bis es nicht mehr zu hören war. Er sengte den Schwanz, schüttelte sich kurz, ließ seine Kollegen jedoch für keine Sekunde aus den Augen. Zwei Schritte ging er rückwärts, bevor er sich blitzschnell umdrehte und sich einen erhöhten Platz auf dem Regal am anderen Ende des Raums suchte. Alle vier betrachteten ihn mit unterschiedlichen Stadien der Verblüffung auf den Gesichtern. „Ob er verstanden hat, worüber wir geredet haben?“, fragte Toshiya wispernd, als wären Kaorus Ohren nicht hundertmal besser als die eines Menschen. „Quatsch, wie sollte er? Er ist ein Kater. Vermutlich war er nur genervt von dir, weil du ihm hinterhergerannt bist.“ Die winkte ab, aber Kaoru erkannte so etwas wie Sorge in seinem Blick. Gut so, sollte der große Dummkopf nur befürchten, dass er es sich jetzt mit ihm verscherzt hatte. „Mmmh.“ Kyo brummte nur, kam wieder auf die Beine und zog seine Jacke von der Stuhllehne. „Wer kommt mit zum Konbini? Mir hängt der Magen in den Kniekehlen.“ Mit dieser Ansage des Sängers war die eigenartige Stimmung gebrochen, die sich über den Raum gelegt hatte. Nur Die machte Anstalten, auf ihn zuzugehen, bevor Shinya ihn zurückhielt. „Lass ihn. Er kommt schon, wenn er es für richtig hält.“ ~*~ Kaoru hatte sich fest vorgenommen, Die und seinen Kollegen zu zeigen, wie nachtragend ein Kater sein konnte. Leider war sein Katzengemüt entweder sehr harmoniebedürftig oder der frische Fisch, den sein Freund ihm mitgebracht hatte, zu verlockend. Was auch immer der genaue Grund war, er hatte erst den Fisch restlos verputzt und dann Dies Entschuldigung in Form von ausgiebigem Bäuchleinkraulen angenommen. Der Feierabend hätte nicht später kommen dürfen, denn sobald seine Kollegen zum Aufbruch bliesen, hatte er gewartet, bis Shinya die Tür geöffnet hatte und war so schnell hindurchgeflitzt, dass niemand ihn aufhalten konnte. Endlich an der frischen Luft schaute er sich nur kurz um und verschwand hinter der Hausecke, um sich zu erleichtern. ‚Puh, das wäre beinahe schiefgegangen.‘ „Kao! Kao, wo bist du?“ Die Stimme seines Freundes riss ihn aus seiner glückseligen Erleichterung und wäre ihm ein solcher Gesichtsausdruck möglich gewesen, hätte er Die schief angegrinst, als er zu ihm zurück trottete. ‚Sorry, aber das war mehr als dringend gewesen‘, maunzte er und schmeichelte als Entschuldigung dafür, seinem Freund einen Schrecken eingejagt zu haben, um dessen lange Beine. „Deinetwegen bekomme ich noch einen Herzinfarkt“, maulte Die, hob ihn hoch und drückte ihn kurz an sich. „Du bist wirklich ein ganz spezieller Kater.“ ‚Oh ja, ganz speziell‘, echote Kaoru und leckte über Dies Nase, was seinen Freund zu einem kurzen Auflachen verleitete. „Vermutlich bin ich selbst schuld, ich hätte dich längst mal rauslassen sollen, nicht wahr?“ Kaoru hatte schon genickt, noch bevor ihm einfiel, dass das eine sehr schlechte Idee gewesen war. Augenblicklich bemerkte er seinen Fehler, als Die ihn leicht blass um die Nase und mit großen Augen anstarrte. „Hast du gerade genickt?“ Kaoru zwang den desinteressiertesten Ausdruck auf sein Gesicht, zu dem er in der Lage war, obwohl ihm das Herz gerade bis zum Hals schlug. Mist. So ein Mist aber auch. Ob er sich damit nun verraten hatte? Einige Sekunden verstrichen in gefühlter Totenstille, bevor Die den Kopf schüttelte und sich mit einem schnaubenden Lachen durch die Haare fuhr. „Shinya hat recht, ich sollte deutlich öfter raus gehen und Spaß haben, wenn ich schon anfange, kohärente Antworten von meinem Kater zu erwarten.“ Kaoru wand sich ein wenig im Griff seines Freundes, bis dieser locker ließ und er auf Dies Schulter klettern konnte. Dort machte er es sich, so gut es eben ging, bequem, während er sich wieder und wieder einredete, verdammt noch mal wie eine Katze zu handeln, solange er in diesem Körper gefangen war. Seine Unvorsichtigkeit jedoch einmal beiseitegeschoben, stellte sich Kaoru eine weitaus spannendere Frage. Warum hatte Shinya seinem Freund den Ratschlag gegeben, wieder mehr zu unternehmen? Sie wussten alle, dass Die der geborene Partyboy war. War so ein Rat dann nicht überflüssig? Die schien sich in den wenigen Tagen, die er bei ihm verbrachte, mehr und mehr zu einem Enigma zu entwickeln und Kaoru würde verdammt sein, würde er dieses Rätsel nicht knacken können. Er war ein Kater mit einer Mission, die mittlerweile nicht mehr nur daraus bestand, wieder ein Mensch zu werden. Und wenn Kaoru Niikura sich etwas in den Kopf setzte, dann war die Welt gut daran beraten, ihm nicht im Weg zu stehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)