Champ Stories von Platan (Band 1: Endynalos) ================================================================================ Kapitel 5: Wir haben es uns ganz schön umständlich gemacht ---------------------------------------------------------- Delion erteilte Glurak den Befehl zum Abflug, woraufhin dieser so kräftig mit den Flügeln schlug, dass ein wenig Dreck aufgewirbelt wurde. Schwungvoll erhoben sie sich in die Luft, um Kurs auf den Schlummerwald zu nehmen. Innerhalb weniger Sekunden gewannen sie an Höhe und ließen den sicheren Boden hinter sich. „Sag Bescheid, wenn es dir zu viel wird!“, rief Delion gegen den Wind, damit Raelene es hören konnte. So oft, wie Raelene Aufnahmen davon gesehen hatte, wenn Delion und Glurak zum Flug abhoben, wusste sie sofort, dass aus Rücksicht auf sie alles etwas langsamer als sonst ablief. Wahrscheinlich war das ganz gut so, denn auf einem Glurak zu fliegen dürfte doch etwas anderes sein, als gemütlich in einer geschützten Kabine zu sitzen. Daran musste man sich erst mal gewöhnen, konnte sie sich vorstellen – und Delion flog schon regelmäßig auf Glurak, seit er jung war. Hoffentlich fing er sich nicht an zu langweilen, weil er normalerweise ein anderes Tempo bevorzugte. „Alles gut!“, entgegnete Raelene. Der Abend war angebrochen. Ein malerisch orange-goldener Himmel bildete die Kulisse für ihren Flug Richtung Schlummerwald. Sanft strich der Wind über ihre Haut, der immer noch sommerlich warm war, und rauschte leise an ihren Ohren. Unter ihnen zog die nun winzige Landschaft von Galar an ihnen vorbei. Das war ein vollkommen neues Flugerlebnis für Raelene. Auf einem Glurak zu fliegen war wirklich etwas ganz anderes. Ein bisschen wie ein Abenteuer. Sie wagte es, den Blick über die Umgebung schweifen zu lassen. Die Höhe gab ihr ein mulmiges Gefühl, doch ihr Herzklopfen übertraf es mit weitem Abstand. Aufregung siegte über jede Form von Furcht. Wie sie schon geahnt hatte, gab es für Raelene in Gegenwart von Delion keinen Grund Angst zu haben. Vorsichtig richtete sie sich ein wenig auf, um den Ausblick noch besser genießen zu können. Im Nacken spürte sie Delions Blick, doch auch das empfand sie als angenehm. Bald schon flogen sie über Engine City hinweg. Von oben wirkte die Stadt viel kleiner und lag schon bald hinter ihnen. Obwohl Glurak sein Tempo für sie gedrosselt hielt, kamen sie ziemlich schnell vorwärts. Kurze Zeit später erstreckte sich schon die südliche Naturzone unter ihnen. „Es dauert nicht mehr lange!“ Delion deutete nach unten. „Schau, da ist schon der Milza-See!“ Neugierig lehnte Raelene sich ein bisschen zur Seite, weil sie einen genaueren Blick auf den See werfen wollte. Auch der wirkte von ihrer Position aus nur wie ein winziger Wasserfleck, das war seltsam surreal, aber faszinierend. Leider wurde ihr dann doch ein wenig schwindelig, also nahm sie lieber wieder eine sichere Haltung ein und rückte unbewusst dichter an Delion heran. „Ich liebe die Naturzone~“, erzählte sie, zur eigenen Ablenkung. „Pokémon in freier Wildbahn sind immer besonders spannend!“ Man wusste schließlich nie, wie sie reagierten. Manche griffen einen einfach sofort an, andere waren nur neugierig. Kein Wunder, dass sie Victor damals während der Arena-Challenge dort verloren hatten. Plötzlich legte Delion einen Arm um ihre Hüfte, vermutlich damit sie nicht doch noch herunterfiel und weil er gemerkt hatte, dass ihr schwindelig geworden war. Raelene hielt die Luft an. Dass ihr Gesicht bei all der Hitze aus ihrem Inneren noch nicht verglüht war, konnte man als wahres Wunder bezeichnen. Am liebsten würde sie ewig mit ihm so sitzenbleiben, auch wenn sie am Ende aufgrund ihrer explodierenden Emotionen, wegen denen ihr Gehirn aussetzte, ersticken könnte. „Das stimmt!“, erwiderte Delion, auf ihre letzten Worte. „Deswegen bin ich auch gerne dort~.“ Sicherlich war er auch kaum noch dazu gekommen, in Ruhe durch die Naturzone zu streifen, als er selbst noch Champ gewesen war; wegen den Fans, denen man dort schnell mal an jeder Ecke begegnen konnte. Besonders während der Arena-Challenge wurde es meistens besonders schlimm und man musste haufenweise Autogramme geben, statt sich nur um die Pokémon kümmern zu können. Deshalb zog Raelene es inzwischen vor, sich in den Kronen-Schneelanden aufzuhalten. Nach dem Bahnhof der Naturzone zog der Berg über sie hinweg, durch den ein Tunnel nach Brassbury führte. Bei diesem Anblick musste Raelene an ihr Wolly denken, denn es war schon immer mehr eine Bergziege als ein Schaf gewesen. Was für Pokémon wohl dort auf dem Berg lebten? Vielleicht könnte sie irgendwann mal mit Delion eine Tour zu Orten machen, wo sie beide noch nie gewesen waren ... wenn das Gespräch gleich gut verlief. Aber sie saß auf Glurak und Delion hielt sie fest. Warum hatte sie noch die Sorge, dass alles schieflaufen würde? Nur kurze Zeit später waren sie bereits beim Schlummerwald angekommen. Der See war dann nur noch einen Felilou-Sprung entfernt. Da inzwischen keinerlei Bann mehr über dem Wald lag, konnten sie mit Glurak dort einfach landen. Kaum berührten sie den Boden, sprang Delion bereits hinunter und reichte Raelene erneut seine Hand, um ihr herunterzuhelfen. „Oder schaffst du das allein?“ Gewiss würde sie das ohne Hilfe hinbekommen, aber weil Raelene unbedingt nochmal seine Hand nehmen wollte, murmelte sie ein leises „Danke“ und ließ sich von ihm von Glurak helfen. „Ich bin mir sicher, ihr habt euch für mich zurückgehalten, oder?“ Sein Nicken bestätigte ihre Vermutung. „Ja, normalerweise fliegen wir schneller. Aber das ist für die meisten Leute eher ungewohnt. Nicht jeder ist so ein Draufgänger wie ich.“ Sein stolzes Grinsen brachte sie zum Schmunzeln. Da konnte sie ihm nicht widersprechen. Irgendwann könnten sie vielleicht zusammen in einem Tempo fliegen, das Delion normalerweise mit Glurak anstrebte. Allerdings erst, wenn Raelene das auch ein wenig gewohnt wäre, so wie er schon angemerkt hatte. Sie wandte sich Glurak zu und lächelte. „Danke für den Flug~. Ich würde mich freuen, wenn wir das mal wiederholen.“ Glurak brummte zufrieden, dann zog er sich von selbst in den Ball zurück, was Raelene überraschte. Delions Partner war offensichtlich sehr umsichtig. Beschwingt, jedoch mit etwas weichen Knien, drehte sie sich Richtung See und atmete entspannt aus. Die Ruhe dieses Ortes griff förmlich nach ihr und hüllte sie ein, wie in eine warme Decke. Das Wasser war glasklar und schien auf magische Weise die Umgebung zu erhellen. Nur das leise Rascheln der Baumkronen war zu hören, wie ein friedliches Schlaflied. Bald würde es hier ziemlich dunkel werden, sobald die Sonne vollständig untergegangen war. „Jetzt kommt es mir fast so vor, als wäre der Tag heute nur ein Traum gewesen ...“ Prüfend sah sie Delion an und neigte dabei den Kopf. „Bist du echt?“ „Nun, das lässt sich testen.“ Probehalber kniff er sich selbst in den Arm. „Autsch. Ja, kein Traum.“ Schmunzelnd sah er sie an. „Oder willst du mich selbst kneifen?“ Nicht unbedingt kneifen, aber … Bedeutungsvoll hob sie eine Hand und tippte mit dem Zeigefinger sacht gegen seine Schulter. Dann nochmal ein Stück versetzt, und ein weiteres Mal. Raelene ging um ihn herum und tat das gleiche bei seinem Rücken, bis sie schließlich wieder vor ihm stand. Verlegen grinste sie ihn an. „Du bestehst aus fester Materie und löst dich nicht auf. Also hab ich wohl Glück.“ Delion erwiderte ihr Grinsen. „Tja, nachdem wir das jetzt geklärt haben ...“ Da kehrte die Verlegenheit mit aller Macht wieder zurück. Nicht nur bei Raelene, sondern auch beim ihm, so wie er eine Hand wieder in seinen Nacken legte. „Also, sollen wir jetzt darüber reden?“ Unsicher senkte Raelene den Blick und verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Nun war es also so weit. Der Moment, den sie sich so oft schon vorgestellt hatte. Im Traum war es oft gut ausgegangen, aber in ihrer Vorstellung endete es meistens katastrophal. Egal, was am Ende dabei herauskam, sie wollte Delion nicht verlieren. Auf keinen Fall. „Kannst du mir vorher etwas versprechen?“, fragte sie nervös, und hob den Blick wieder. „Falls das Gespräch irgendwie ... unangenehm ausgeht, können wir trotzdem Freunde bleiben? Wobei ... es würde mir schon reichen, wenn du mich nicht einfach ignorierst.“ Auf ihre Worte hin machte Delion ein sichtlich besorgtes Gesicht, was zum Ausdruck brachte, dass er keinen unangenehmen Gesprächsverlauf wollte. Einige eigene Ängste und Befürchtungen schienen ihm gerade durch den Kopf zu gehen. Irgendwann schüttelte er leicht den Kopf, als wolle er seine tragischen Gedanken abschütteln. „Ich verspreche dir, dass ich dich auf keinen Fall ignorieren werde, egal wie dieses Gespräch ausgeht. Und dass wir Freunde bleiben.“ Beruhigt atmete Raelene auf und nickte sich selbst zu. Bevor sie dieses Gespräch startete, hatte sie einfach nur nochmal sichergehen wollen. Sicher-sicher, sozusagen. Vor Nervosität wollte sie den Kopf abermals senken, hielt sich aber dazu an, ihm offen in die Augen zu schauen. „Also, da ich mit der ganzen Sache angefangen habe, dass du gut schmeckst und ... nun, ich uns so in eine seltsame Situation gebracht habe, ist es wohl nur fair, wenn ich anfange.“ Ihr Herz wollte ihr aus der Brust springen, wegwehen, wie von einem Wirbelwind erfasst. Warum konnte sie dieses Gefühlschaos nicht endlich ordnen? Inzwischen war sie doch kein Kind mehr. Genau, sie konnte das schaffen! „Bevor ich doch noch wie ein Abra kneife, rede ich nicht lange drum herum sag es dir direkt. Bist du bereit?“ Delions Körper zuckte verdächtig, als wolle er sie packen und durchschütteln, damit sie ihn nicht länger auf die Folter spannte. Er ballte sogar die Hände zu Fäusten, so sehr stand er wohl unter Druck. Dabei hatte sie ihn nicht derart quälen wollen, sie war nur furchtbar in solchen Dingen. Im Geiste entschuldigte sie sich mehrmals dafür. Entschlossen hielt Delion den Blickkontakt aufrecht und nickte. „Ich bin bereit.“ Raelene nickte ebenfalls und sammelte nochmal all ihren Mut zusammen, den sie auftreiben konnte, um es endlich laut auszusprechen. Nach so langer Zeit. Sie hatte schon viele schwierige Situationen gemeistert, also gelang ihr das hier auch. Raus damit! „Ich bin schon lange wahnsinnig verliebt in dich!“, schrie sie es heraus – ihre Stimme hallte zwischen den Bäumen des Schlummerwaldes nach. Raus war es. Nur nicht aufhören, direkt weitermachen. Auch Raelene ballte die Hände zu Fäusten und hob sie an ihre Brust, weil sie glaubte, diesmal würde ihr Herz wirklich herausspringen. Wie so oft war ihr Gesicht wieder knallrot. Wenn ihre Nervosität sie nicht noch in die Knie zwang, dann spätestens diese enorme Hitze. „Deshalb kann ich nicht klar denken, wenn du da bist.“ Sie kniff die Augen zusammen. „Es tut mir leid, falls das ein Grund war, dass es für dich so gewirkt hat, als hätte ich etwas gegen dich ...“ Einige Sekunden lang herrschte Stille. Durch die geschlossenen Augen konnte sie seine Reaktion nicht sehen, dabei hatte sie bis zum Schluss standhaft bleiben wollen. Jede weitere Sekunde, die verstrich, fühlte sich wie ein Bodyslam an, der sie zu Boden reißen und paralysieren wollte. Aus heiterem Himmel fing Delion dann an zu lachen und griff sie mit beiden Händen an der Hüfte, um sie hochzuheben. Einen furchtbaren Moment lang befürchtete sie, ihre gesamte Welt würde zusammenbrechen. Raelene dachte, er würde sich nur über sie lustig machen und sie nun auch noch geradewegs in den See werfen wollen. Champ time over! „Das ist großartig!“, jubelte Delion erleichtert. Begeistert wirbelte er Raelene durch die Luft, während er sich mit ihr um die eigene Achse drehte. Dann ließ er sie wieder runter und drückte sie liebevoll an sich. „Ich bin auch in dich verliebt!“, offenbarte Delion, sanft und doch immer noch zu aufgeregt. „Schon ewig!“ Hunderte Smettbos flatterten gerade im Schwarm durch Raelenes Körper. Hatte sie das richtig gehört? Drückte er sie wirklich gerade an sich? Alleine seine Wärme, die er ausstrahlte, sollte ihr diese Frage eigentlich schon beantworten. „Wirklich?“, hakte sie nach. Überwältigt vergrub Raelene das Gesicht in seiner Brust und schlang die Arme um ihn. „Ganz im Ernst?“ „Absolut wirklich“, versicherte er, gefolgt von einem verträumten Seufzen. „Aber ich dachte, du könntest mich nicht leiden, weil du in meiner Anwesenheit immer so seltsam warst. Ich hab nicht einmal im Traum daran gedacht, dass es daran liegen könnte, weil du auch in mich verliebt bist.“ „Und ich dachte, du kannst mich nicht leiden, weil ich deinen Titel geklaut habe. Und dir im Kampfturm auf die Nerven gegangen bin ...“, murmelte sie, in seine Brust hinein. Diese Tatsache hatten sie zwar bereits geklärt, doch sie konnte nicht an sich halten. „Dabei hatte ich nur Sehnsucht und wollte dich sehen. Ich hab mir keine Chancen bei dir ausgemalt.“ Damals war sie aber auch noch ein Kind gewesen. Ihr war erst später bewusst geworden, dass sie Delion nicht nur bewunderte, sondern liebte. Nun wollte sie ihn erst mal nicht mehr loslassen, aus Angst, dieser Moment könnte doch noch zerbrechen. „Ich war am Anfang wirklich ziemlich sauer auf dich“, sagte Delion, während er über ihr Haar strich. „Aber irgendwann hat sich das dann in ein anderes Gefühl gewandelt. Ich war erst so verwirrt darüber ... bis mir bewusst wurde, dass ich einfach nur verliebt in dich bin.“ „Oh Mann ...“ Raelene lachte leise. „Wir haben es uns ganz schön umständlich gemacht.“ Es beruhigte sie aber, dass auch Delion solche Sorgen gehabt hatte. Also waren sie sich in dem Punkt ziemlich ähnlich. Einen absolut perfekten Menschen, dem alles auf Anhieb gelang, gab es nun mal nicht. Trotzdem war Delion das in ihren Augen: Perfekt. „Ich weiß gar nicht, wie ich damit jetzt umgehen soll.“ „Ich auch nicht so genau“, gab Delion zu. Womöglich war er in seinen Vorstellungen auch nicht wirklich so weit gekommen. Keiner von ihnen hatte sich wohl gedacht, dass der jeweils andere irgendwann die eigenen Gefühle erwidern würde. Nun standen der Liga-Präsident und der Champ von Galar mitten im Schlummerwald vor dem Altar und wussten nicht so recht, wie es nach einem erfolgreichen Liebesgeständnis weiterging. Zum Glück waren sie unter sich, jeder andere hätte sich vermutlich mit der flachen Hand vor die Stirn geschlagen. „Vielleicht“, setzte Delion zögerlich an, „sollten wir uns einfach nur freuen. Und uns darüber unterhalten, ob wir jetzt ein Paar werden wollen.“ Raelene löste sich von seiner Brust und sah ihn mit glänzenden Augen an. Ihr Gesicht war nach wie vor rot, doch das störte sie nun nicht mehr. Nicht in diesem Moment. Ein Paar ... das klang so schön. Zu schön, um wahr zu sein. „Willst du denn?“, fragte sie hoffnungsvoll. „Also, ich hätte absolut nichts dagegen ... ich will aber nicht zu gierig wirken.“ Sonst verschreckte sie Delion am Ende doch noch, weil sie ihm zu sehr auf die Pelle rückte. Das wollte sie lieber vermeiden. Wenn sie aber sah, wie rot auch Delions Gesicht war und er sie trotzdem gerade ohne jede Verlegenheit verliebt anlächelte, konnte sie wohl davon ausgehen, dass ihre Sorge unbegründet war. Nicht zum ersten Mal. „Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen“, meinte er aufrichtig. „Aber nur, falls du nichts dagegen hast, dass ich kein Geheimnis aus unserer Beziehung machen werde.“ Könnte es Probleme geben, wenn der Champ mit dem Liga-Präsident zusammen wäre? Bescheuerte Gerüchte wurden sowieso täglich in die Welt gesetzt, vollkommen egal, was Raelene tat. Wegen so etwas würde sie nicht davor zurückschrecken, offiziell Delions feste Freundin zu sein. Vor einigen Jahren hatte Raelene bereits auf die harte Tour gelernt, dass sie nicht auf das negative Gerede anderer Leute hören durfte. „Ich bestehe sogar darauf!“ Verträumt erwiderte sie sein Lächeln. „Ich denke, wir haben uns beide lange genug zurückhalten müssen. Das werde ich nicht mehr aushalten.“ Vor allem nicht, da sie nun wusste, dass Delion ihre Liebe erwiderte. Der Smettbo-Schwarm in ihr flatterte immer noch vor Freude herum und verbreitete zusätzliche Wärme in ihrem Körper. „Ich ... werde so eine Klette sein.“ Erleichtert tippte Delion seine Stirn gegen ihre. „Das ist gut, denn sonst müsste ich die Klette sein. Es hat so lange gedauert, da möchte ich nicht mehr so viel auf dich verzichten.“ Glücklich schmiegte Raelene sich wieder an ihn, so dicht wie möglich. Seine Körperwärme und sein Geruch ... endlich durfte sie das alles in sich aufnehmen. Bis sie das wirklich als Realität wahrnahm, würde wahrscheinlich etwas Zeit ins Land ziehen müssen. „Oh!“ Bittend sah sie ihn an. „Kannst du mich nochmal hochheben und herumwirbeln? Vorhin dachte ich, du wirfst mich in den See, weil du meine Liebeserklärung so lächerlich findest, deshalb konnte ich das gar nicht richtig genießen.“ Darum musste sie Delion nicht zweimal bitten. „Aber klar~.“ Er löste sich von ihr, ein wenig widerwillig, und griff sie wieder an den Hüften. Dann wirbelte er sie noch einmal herum. Das kostete ihn kein bisschen Kraft, darum konnte Raelene das ohne schlechtes Gewissen auskosten. Als Delion sie diesmal absetzte, nutzte er die neue Gelegenheit aber auch direkt, um sie küssen. Raelene blinzelte überrascht. Die Smettbos gigadynamaximierten sich schlagartig. Stimmt, sie hatten herausfinden wollen, wie der jeweils andere schmeckte. Sie schloss die Augen und legte eine Hand auf seine Wange, während sie den Kuss erwiderte. Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Fast wie in einem überfüllten Stadion, auf dem Höhepunkt eines Pokémon-Kampfes. Nur noch besser. Ihr Atem wurde schwerer. Spätestens jetzt wurde jeder Zweifel fortgespült, dass Delion es nicht ernst meinen könnte. Von diesem Tag an wären sie nicht mehr unglücklich ineinander verliebt, sondern ein richtiges Paar. Besser konnte es gar nicht mehr werden. Alles war perfekt. Eine Weile später löste Delion seine Lippen wieder von ihren und musste erst mal selbst tief durchatmen, woraufhin die Verlegenheit zu ihm zurückkehrte. „Tut mir leid, vielleicht hätte ich erst fragen sollen.“ Raelene schüttelte den Kopf. „Dafür sind wir ja eigentlich hergekommen, oder?“ Halbherzig klatschte sie sich mit einer Hand gegen die Wange, die sich ziemlich heiß anfühlte. Wenn Liberlo in Gigadynamax-Form hinter ihr stand, war das nicht ohne, doch das kam ihr im Vergleich gerade um einiges harmloser vor. War es normal, dass man die ganze Zeit so von innen heraus glühte, wenn man mit der Person zusammen war, die man liebte? „Aber wenn ich deinetwegen Fieber bekomme, musst du mich pflegen~“, forderte sie lachend. Was keine üble Vorstellung war, musste sie zugeben. Dann bekäme sie so viel Aufmerksamkeit von ihm, wie sie sich immer gewünscht hatte. Andererseits würde sie ihm auch Sorgen bereiten, was weniger schön wäre. Prüfend legte Delion eine Hand auf ihre freie Wange, um selbst festzustellen, wie heiß sie sich anfühlte. „Ich kümmere mich dann aufopferungsvoll um dich“, versprach er lächelnd. „Sofern du dich um mich kümmerst, wenn ich stattdessen krank werden sollte.“ „Natürlich~.“ Wie würden wohl die anderen auf diese Nachricht reagieren? Was die Fans oder Kritiker denken könnten, darüber machte sie sich keine großen Sorgen. Aber was, wenn einer ihrer Freunde oder die Familie etwas dagegen hätte? Oder sogar ihre Pokémon? „Wir sollten dann wohl auch bald dafür sorgen, dass sich unsere Pokémon gut vertragen, wenn wir jetzt öfter Zeit zusammen verbringen werden.“ „Das ist eine wirklich hervorragende Idee. Dafür sollten wir uns einen ganzen Tag Zeit nehmen, dann können wir auch beim PokéCamping gleich Curry zusammen essen.“ „Perfekt!“, stimmte Raelene begeistert zu. „Fliegen wir dafür dann in die Kronen-Schneelande.“ In der Naturzone war leider zu viel los, auch außerhalb der Arena-Challenge. Da kämen sie nicht wirklich zur Ruhe. Sie war gespannt, was für ein Curry Delion und seine Pokémon wohl bevorzugten. Gleichzeitig hätten die Babys dann zumindest ein bekanntes Gesicht unter all den neuen Freunden. Zum Glück waren sie beide eher nicht der Typ für Dates in einem feinen Restaurant … das konnte sie sich einfach nicht allzu spaßig vorstellen. Erwartungsvoll starrte Raelene ihn an. „Wann hast du Zeit?“ Gedanklich schien Delion seinen Terminkalender durchzugehen. Ein neuer Cup stand erst nächstes Jahr an, also war er vielleicht nicht sonderlich verplant – genau das teilte er ihr auch direkt mit. „Abgesehen von morgen kann ich erst einmal immer.“ Morgen war eine kleine Konferenz, in der einige Dinge mit Sponsoren besprochen werden sollten, erklärte er Raelene. Ein Glück, dass Delion abgesehen davon aber erst mal reichlich Zeit für sie hätte. Es wäre kaum auszuhalten, wenn sie sich ausgerechnet nach diesem Tag nur selten zu Gesicht bekämen. Dafür sollte sie dem Universum und Arceus danken. „Können wir uns dann direkt übermorgen treffen?“ Raelene lächelte entschuldigend. „Ich hab ja gesagt, dass ich jetzt eine Klette sein werde.“ Bei einer passenden Gelegenheit sollte sie ihm sagen, dass er es ihr notfalls ruhig offen mitteilen konnte, wenn er mal doch wieder etwas Zeit für sich alleine und seine Pokémon bräuchte. Für den Moment wollte sie aber die schöne Stimmung nicht ruinieren. „Aber klar doch~.“ Er küsste sie auf ihr Haar. „Ich will so viel Zeit wie möglich mit dir verbringen, nachdem wir es uns so lange nicht sagen konnten.“ „Ich auch~. Und wir müssen über so viele Dinge reden ... du musst mir ausführlich dein Zimmer zeigen und erklären! Oder mir Geschichten aus deiner Zeit als Arena-Challenger erzählen. Wir können auch zusammen trainieren! Also, wenn du das alles auch willst, versteht sich.“ „Alles, was du willst~“, sagte Delion froh. „Auf all das freue ich mich auch.“ Mit Schwung drückte Raelene sich wieder an ihn und seufzte dabei glücklich. Sie hätten schon viel früher miteinander reden sollen. „Aber das mit meinem Zimmer mache ich nur, wenn du mir dafür auch deines zeigst.“ „Du weißt, wie man richtig verhandelt“, bemerkte Raelene. „Aber das wäre nur fair, also abgemacht~.“ Außerdem bedeutete das, Delion wollte ebenfalls mehr über sie erfahren, was schön war. Zudem hatte sie seines wenigstens schon ein paar Mal flüchtig sehen können, weil sie von klein auf mit Hop befreundet war, aber er war nie wirklich bei Raelene zu Hause gewesen. Vorher sollte sie nur ihre Mutter darum bitten, keine peinlichen Geschichten zu erzählen, wenn er zu Besuch da war. „Dann haben wir ja erst mal eine Menge zu tun. Mach dich auf was gefasst!“ Lachend strich er ihr über den Rücken. „Ich bin gespannt. Und froh, dass wir heute allein im Hort waren.“ „Wir sollten uns wohl bei Gloria für die Einladung bedanken“, meinte Raelene schmunzelnd. Sonst würden sie wohl noch lange weiter heimlich füreinander schwärmen und vielleicht niemals zueinander finden. Der Gedanke kam ihr aber gerade so abwegig vor, weil sie viel zu glücklich war. Sie sah Delion wieder an. „Du schmeckst übrigens nach dem Picknick. Vielleicht sollte ich auch eher mal deine Haare probieren~.“ Ihre Aussage ließ ihn wieder ein wenig mehr erröten, was dazu führte, dass sie selbst erneut von ihrer Verlegenheit aufgesucht wurde. Manchmal sollte sie erst nachdenken, bevor sie anfing zu sprechen. Wenigstens schien Delion vielmehr amüsiert darüber zu sein. „Tu dir keinen Zwang an. Ich fürchte aber, das schmeckt bei weitem nicht so gut. Außer für Pichu.“ „Hmmm ...“ Für einen Augenblick sah sie Delion an, als würde sie ernsthaft darüber nachdenken, dann lachte sie aber. „Ich glaube, das überlasse ich doch lieber weiter Pichu. Außerdem … kann ich ja ab jetzt noch öfter probieren, wie du schmeckst.“ Es klang immer noch etwas komisch, aber dank dieser Sache waren sie letztendlich aufgetaut. Lächelnd drückte Delion sie noch einmal an sich. „Und ich bitte darum, dass du öfter probierst. Willst du jetzt eine Weile hierbleiben?“ Solange sie zusammen waren, wäre es sogar egal, wenn sie mal gar nichts taten, sondern nur hier saßen, die Anwesenheit des jeweils anderen genossen und auf den See blickten – oder sich gegenseitig anstarrten. „Ja, bitte.“ Raelene wollte gerade einfach nur in seiner Nähe sein. Übermorgen würden sie sich zwar schon wiedersehen, aber sie wollte sich trotzdem nicht schon wieder von ihm trennen. Seinen Geruch und das Gefühl, wie seine Körperwärme auf sie überging, sollte sie sich so gut wie möglich einprägen. Daher schloss sie die Augen und hielt ihn weiter fest, als könnte er sonst verlorengehen. Dieser Tag war, ohne Übertreibung, einer der schönsten in ihrem ganzen Leben. 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