Buchstabensuppe von Pragoma ================================================================================ Kapitel 20: Tschechische Schuhe und Linzer Gebäck ------------------------------------------------- Neugierig nuckelte die einjährige Alice an einem Keks, während ihre Mutter leise Last Chrisams mitsang und Lena damit den letzten Nerv raubte. "Jitka bitte hör auf zu singen. Entweder sing richtig oder lass es bleiben. Das klingt so grauenhaft und deine Tochter guckt auch schon ganz verstört", meckerte die Brünette, ehe sie die Teigrolle an sich nahm und weiteren Teig ausrollte. Jitka lachte, hörte aber auf mit ihrem schiefen Gesang und knuddelte lieber ihr kleines Mädchen. Quietschend sabberte diese ihren Keks an und ließ diesen sofort fallen, als sie ihren Vater erblickte. Freudig riss sie die Arme hoch und noch ehe sich der blonde Mann versah, wurde ihm seine Tochter in die Arme gedrückt. "Was macht ihr denn hier?" Erstaunt sah Thomas sich die Küche an, entdeckte ausgerollten Teig, einige Gläser Marmelade und einen Berg an Rosinen. "Ah, Vorbereitungen auf Štědrý den, den schönsten aller Weihnachtsfeiertage." Neugierig wie der blonde Mann war, naschte er vom Keksteig, leckte sich genüsslich den Finger ab und fing sich mit dem Topflappen eine ein. "Hey", lachte er, wich seiner Freundin Jitka aus und versteckte sich hinter der Küchentür. Kopfschüttelnd sah Lena dem Schauspiel zu, widmete sich dann aber wieder ihren Plätzchen zu und seufzte leise. "Kann mir jemand helfen? Ich kenn' mich mit Wespennestern echt nicht aus." Sofort übergab Thomas seine Tochter in die liebevollen Hände ihrer Mutter und trat zu Lena in die Küche. "Mit unserem Weihnachtsgebäck hast du es wohl noch nicht ganz, was?" Lena verneinte. "Damit nicht und was eure Bräuche angeht, da steh' ich auch auf dem Schlauch", gab sie leise zu. Thomas nickte verstehend und sah sich suchend in der Küche um. "Hat Jakub Kochbücher?" "Bestimmt", erwiderte Lena und half bei der Suche. "Ansonsten geh' ich raus und frag ihn." "Nicht nötig, ich hab es", grinste Jitka frech und reichte Thomas ihr Handy. "Danke, Schatz." Ihr einen Kuss auf die Wange drückend nahm er es entgegen und legte es auf die Anrichte. "Also schön, dann gucken wir mal nach dem Rezept oder aber wir fangen mit etwas Leichtem an. Ganz, wie du willst." "Etwas Leichteres wäre mir gerade lieber. Mich überfordern schon diese Schuhe", seufzte Lena abermals und blickte verwirrt drein, als Jitka anfing laut zu lachen. Sogar Alice lachte mit und selbst Thomas konnte sich ein dickes Grinsen nicht verkneifen. "Was ist?" Lena sah die drei an und verstand nicht, warum sie wegen eines paar Schuhen lachten, die man sich über den Rücken werfen sollte. Wozu war das überhaupt gut? In Deutschland war Weihnachten ganz anders, einfacher und keiner warf einen Schuh. Höchstens aus Frust, wenn das Geschenk nicht passte oder der Partner zu viel Glühwein hatte. "Komm mal her, Lena." Jitka setzte sich zusammen mit Alice auf die Couch, stellte die Musik leiser und zündete eine nach Zimt duftende Kerze auf dem Tisch an. Lena kam der Aufforderung nach, setzte sich in das weihnachtlich geschmückte Wohnzimmer und reichte Alice ihren Beißring. Sofort biss und kaute die Kleine fleißig und die beiden Frauen hatten Zeit zu reden. "Wir nennen den Heiligen Abend auch den Tag von Adam und Eva. In vielen Haushalten wird der Weihnachtsbaum geschmückt und dieser besondere Abend ist mit vielen Aberglauben verbunden. Die meisten drehen sich um das Leben, die Liebe und das Schicksal, welches einen im nächsten Jahr erwartet. Einer tschechischen Weihnachtstradition zufolge muss man den ganzen Tag fasten, um dann am Abend das „goldene Schweinchen" (zlaté prasátko) sehen zu können." Goldenes Schweinchen? Lena sah aus, als hätte sie den Weihnachtsmann bereits gesehen und verstand nicht ein Wort von dem, was ihre Freundin erzählte. "Und was hat das jetzt mit dem Schuh zu tun?" "Das ist ganz einfach", hörte Lena, drehte sich um und sah im Türrahmen ihren Freund stehen. "Du stellst dich mit dem Rücken zur Tür", sprach er weiter, grinste dabei und irgendwie war ihr, als würde er sie auf den Arm nehmen. "Und weiter?" verlangte sie neugierig zu wissen. "Du wirfst ihn über den Rücken und wenn die Spitze zur Tür zeigt, steht nächstes Jahr deine Hochzeit an." Bitte was? Hochzeit? Lena blinzelte einige Male, schüttelte danach energisch den Kopf und sah Jakub ernst an. "Soweit sind wir doch noch gar nicht. Jitka sollte den Schuh werfen und nicht ich." "Ich werfe keinen", lachte es neben ihr und empört drehte sich Lena um. "Wieso nicht? Thomas und du, ihr habt ein Kind und ihr seid schon lange zusammen." Wieder lachte sie. "Lass uns darüber nicht reden, okay. Wichtig ist, dass du weißt, was an Heiligabend auf den Tisch kommt." Einen Moment schmollte die Brünette, seufzte und spitzte gleich wieder die Ohren. Das Essen wurde hier tatsächlich erst nach Sonnenuntergang serviert und traditionell sollte es sogar nicht serviert werden, bevor die ersten Sterne sichtbar waren. Es bestand aus Karpfen und Kartoffelsalat, manchmal ging diesem noch ein Gang mit Pilzen, Sauerkraut oder einer Fischsuppe voraus. Die Weihnachtskarpfen wurden außerdem in Hand-ausgehobenen Teichen großgezogen und einige Tage vor Weihnachten auf den Straßen und Marktplätzen in großen Bottichen verkauft. Das Essen endete mit einem Dessert, einem Apfelstrudel. Lange Zeit gab es ein spezielles Weihnachtsbrot, vánočka, welches sehr ähnlich dem jüdischen Challa war, das ein fester Bestandteil des Weihnachtsessens war, aber heute seine weihnachtliche Besonderheit größtenteils verloren hatte und das ganze Jahr über gekauft werden konnte. Also wie mit Osterbrot in Deutschland, dachte Lena. Das bekam man auch fast zu jeder Jahreszeit und doch wollte sie lernen genau dieses von Hand zu backen. Zuerst standen aber Wespennester auf dem Schirm oder hatte Thomas nicht gesagt, erstmal etwas Leichteres? "Muss ich noch etwas wissen?" Kleinlaut kam ihr diese Frage über die Lippen und sie fühlte sich wie ein kleines Kind, welches eine mehr als peinliche Frage an die Eltern gestellt hatte. "Geh erstmal wieder zu Thomas in die Küche. Ich glaube, er wollte dir tschechische Pfefferkuchen und Linzer Küchlein zeigen." Linzer Küchlein kannte Lena. Das waren diese mit Marmelade gefüllten Plätzchen oder klebte man die Kekse damit zusammen? Lena war überfragt, stand gleichzeitig auf und drückte sich an Jakub vorbei, der noch immer in der Tür stand. "Nächstes Mal hänge ich einen Mistelzweig auf." "Hör auf zu brummeln, Lena muss noch viel lernen und ich denke, den Mistelzweig kennt sie bereits." Breit grinste Jitka, ehe sie Alice den Mund säuberte und die Reste vom weich gelutschten Keks abnahm. Jakub erwiderte darauf nichts, ging rüber in die Küche und sah lieber seine Freundin über die Schulter, wie sie bereits gekonnt Teig ausrollte. Das Nudelholz hatte sie gut im Griff, ebenso das Ausstechen und selbst die Pfefferkuchen nahmen Formen an. Jakub war stolz, küsste Lena auf die Wange und ließ sich vorerst wieder in Ruhe. "Will jemand Glühwein?" "Ich nehm einen", antwortete Thomas, während er überlegte, welche Marmelade er nutzen wollte. Pfirsich oder doch Kirsch? Erdbeere gab es auch noch und ebenso Quitte. "Nimm sie alle. Quitte ist zwar Geschmackssache, aber ich esse die verdammt gerne", merkte Lena an, siebte den Puderzucker durch und erlaubte sich damit einen kleinen Spaß. Wie Schnee rieselte dieser plötzlich herunter, legte sich auf Jakubs dunkelbraune Haare und auch Thomas sah aus, als hätte er den Kopf in einen Mehlsack gesteckt. Beide Jungs sahen sich kurz an, dann griffen sie blitzschnell zum Mehl und bewarfen Lena. Eine wilde Mehl- und Puderzuckerschlacht begann, lautes Lachen drang bis zu Jitka vor, die verwirrt die Küche betrat und den Kopf schüttelte. "So kommt aber kein Baby Jesus zu euch und bringt Geschenke", tadelte sie verspielt. "Baby Jesus?" Lena hielt inne, sah ihre Freundin skeptisch an, ehe sie einer Ladung Mehl auswich, sich duckte und Jitka diese stattdessen abbekam. Hustend klopfte sie sich das Mehl von ihrem Pullover und sah Thomas mit undefinierbarem Blick an. "Wahnsinnig witzig. Genauso witzig wie diese komische Trulle, die dich seit Wochen nervt." "Trulle?" Jakub sah zwischen den beiden Hin und Her, dann zu seiner Freundin, die offensichtlich mehr wusste. "Die unmögliche Person, die allesamt nervt." "Richtig und besonders nervt sie Thomas." "Okay?" Jakub zuckte mit der Schulter, aber wie es schien, war das Thema noch nicht vom Tisch. "Hat sich die Gestörte auf Instagram noch mal gerührt oder lässt sie dich endlich in Ruhe?" "Öhm ..." Thomas sah zu Lena, die seufzte und schließlich mit dem Kopf schüttelte. "Alles blockiert, aber scheint ohnehin so zu sein, dass sie endlich das Interesse verloren hat", klärte Lena ihre Freundin auf, die sich langsam beruhigte. "Glühwein?" "Glühwein", wiederholte Jitka, nahm die gereichte Tasse dankend an und sah sie schockiert in der Küche um. "Das alles sieht Baby Jesus und dann bekommt keiner ein Geschenk." Kurz darauf brachen alle vier in Gelächter aus, tranken ihren Becher Glühwein und Thomas stellte das Radio lauter, als Wonderful Dream von Melanie Thornton anlief. Alice schlief bereits, hatte einen tiefen Schlaf und bekam von dem Tohuwabohu in der Küche nichts mit. Ausgelassen wurde getanzt, noch ein Glühwein getrunken und doch war es Lena, die plötzlich stoppte, sich umsah und zu lachen begann. "Wir sollten dieses Tohuwabohu beseitigen und das backen auf morgen verschieben." "Erst will ich noch wissen, ob du den Schuh wirfst?" Jitka grinste, blickte interessiert Lena an, die durch den Glühwein bereits rote Wangen hatte. "Mal gucken. Ich überlege es mir noch und mache mich noch ein wenig mit den Traditionen vertraut." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)