Buchstabensuppe von Pragoma ================================================================================ Kapitel 14: N wie Nostalgie --------------------------- Der Besuch ihrer alten Heimatstadt entpuppte sich langsam zur persönlichen Katastrophe und Lena stand kurz davor, wie ein kleines Kind bitterlich zu weinen. Nostalgie kam nicht wirklich auf. Alles hatte sich verändert, darunter nicht nur ihr liebster Bunker, den sie aufgestockt und neu gestrichen hatten, sondern auch die Straße, in der sie einmal gewohnt hatte. Schöffingstraße elf, mittig ihr Wohnhaus, zwei weiter das geliebter Menschen, die hier schon lange nicht mehr wohnten. Weiße Fassade, die einst rotbraun wirkte, eine Milchglastür, dahinter wenige Stufen und man stand bereits in einem gelb gekachelten Flur, an dem links die Briefkästen hingen. Dahinter zwei Wohnungstüren. Eine dritte gegenüber. Dann die Treppen nach oben, dahinter der Keller, der Lena so machen Schrecken einjagte. Nichts davon war mehr da. Die Eingangstür bestand jetzt aus Glas, der Flur wirkte weiß gestrichen und die Treppen strahlten in einem Gemisch aus Marmor und irgendwas, was Lena nicht kannte. Briefkästen sah sie keine, ebenso war eine der Türen im Erdgeschoss ganz verschwunden. “Willst du hineingehen?”, fragte Tessa vorsichtig, die ihre Freundin nach Frankfurt begleitet hatte und erkannte, wie sehr diese unter den massiven Veränderungen litt. Lena schüttelte den Kopf. “Ich weiß, wie es weiter oben aussieht. Sie haben aus unserer Wohnung eine viel zu teure, groß gemacht. Es waren drei Zimmer, jetzt ist es ein riesiges Loft und nicht mal der Dachboden ist noch da.” Lena seufzte wehmütig, erinnerte sich, wie sie damals in dem viel zu langen Flur Inliner fahren gelernt hatte. Nichts davon würde sie je wiedersehen, aber vielleicht gab es noch die alte Rollschuhbahn am Mainufer und die unzähligen Spielplätze, die aneinander reihten. Hoffnung keimte auf. “Komm, ich muss dir was zeigen.” Freudig zog Lena ihre beste Freundin hinter sich her, die Straße runter, rüber auf die andere Seite und durch einen breiten schlecht betonierten Weg runter zum Mainufer. Kaum hatten sie dieses erreicht, blieb Lena einen Moment stehen, wirkte glücklich und sah einem mittelgroßen Schiff hinterher, welches über den Main schipperte. Immerhin hatte sich das nicht geändert und auch, dass das Mainufer schlecht gesichert war. Einzig waren die Bootsstegs gesichert, mit einer Tür verschlossen, die man doch leicht umgehen konnte. Hinter ihr waren bereits Wiesen, daneben der erste Spielplatz, den sie noch sehr gut kannte. Zumindest den Holzturm mit seiner wackeligen Hängebrücke. Alles andere wurde ersetzt und modernisiert. Immerhin aber eine kleine Kindheitserinnerung und neben dieser musste direkt die Rollschuhbahn sein. “Komm, es ist nicht mehr weit und dann hab ich noch etwas, was du so bestimmt noch nicht gesehen hast.” Lena wirkte wieder wie ein Kind, zurückversetzt in die Vergangenheit und rannte laut lachend ein Stück weit vor. Tessa folgte, hörte den lauten Aufschrei ihrer Freundin und schüttelte ihren Kopf. Offensichtlich gab es diese Bahn noch und weckte weitere nostalgische Momente in Lena. Neugierig kam sie daher näher uns stutzte. “Ein bisschen klein für eine Rollschuhbahn”, stellte sie erstaunt fest. “Hey, sie mag klein sein, aber sie war cool”, murrte Lena, sah weiter auf ihre Erinnerung, die wie ein achter Pool wirkte, nur zweimal so groß und doch irgendwie etwas klein für Frankfurt. Für sie zählte nie Größe, lediglich das Gefühl, welches sich in ihr ausdehnte, sie glücklich machte und daran erinnerte, wie oft sie hier gesessen und den Großen beim Skaten zugesehen hatte. Ein zufriedener Seufzer verließ ihre Lippen. Lena wirkte ausgeglichen und doch hatte sie kaum später Hummeln im Hintern und sprang auf. Tessa beobachtete das Ganze mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie hatte es aufgegeben irgendwas zu sagen, folgte aber neugierig und war gespannt, was Lena ihr noch zeigen wollte. Weit laufen mussten sie dafür nicht, nur einige Meter und doch erkannte Tessa sofort die maßlose Enttäuschung ihrer Freundin. “Es ist weg”, murmelte Lena und schaute auf die Stelle, die mit Platten belegt war. “Was ist weg?”, wollte Tessa wissen, setzte sich auf die Holzbank und sah ihre Freundin auffordernd an. “Mein Glockenspiel ist weg.” Tränen liefen Lena über die Wangen, brannten sich tief ein und erzeugten Bilder aus glücklichen Kindertagen. Eine kleine Lena hopste aufgeregt auf einigen Platten herum, erfreute sich an den Tönen, an der Musik, die diese machten und anregten einfach ausgelassen zu tanzen. Jetzt waren sie weg, die Musik verstummt, die Platten ersetzt, die Ecke still und leblos. Lena fühlte sich schutzlos, wie in einer Blase, die platzte und alles mitnahm, was ihr einmal lieb und wichtig war. Schluchzend setzte sie sich zu ihrer Freundin, ließ sich trösten, erzählte ihr von dem Glockenspiel und gemeinsam sahen sie sich ein Video dazu an, um die Vorstellung greifbarer zu machen. Tessa war genauso angetan wie Lena, grinste immer wieder und seufzte schließlich auf. “Das klang wirklich schön. Schade, dass es sowas nur noch selten gibt.” Lena nickte bestätigend. “Können wir bitte in Google gucken, ob mein Lieblingsschwimmbad noch da ist? Ich will nicht noch eine Enttäuschung erleben.” “Klar, machen wir”, stimmte Tessa zu, schloss YouTube und rief stattdessen Google auf, um nach dem berühmten Rebstockbad zu suchen. Lange suchen musste sie nicht. Der erste Beitrag jedoch riss Lena den Boden endgültig unter ihren Füßen weg. Abgerissen. Kein Stein stand mehr auf dem anderen und wo einst das Wellenbad zu sehen war, klaffte nun ein riesiges Loch. Alles war dem Erdboden gleichgemacht, sollte modernisiert und aufregender gemacht werden. Die alte Tunnelrutsche hatte ausgedient, lag zwischen Stahlträgern und anderem Bauschutt. Lena zerriss es beinahe das Herz, die blaue Röhre so lieblos weggeworfen zu sehen. “Wie konnten sie nur? Meine ganze Kindheit ist zerstört, ausgelöscht und wegradiert.” Lena schluchzte erneut auf, weinte bitterlich, trauerte um verloren gegangene Dinge, die ihr so wichtig waren. Nichts davon würde wiederkommen. Keine Musikplatten, keine blaue Rutsche und auch ihr Bunker sah aus, wie jedes beschissene moderne Haus. Er hatte schlicht seinen Charme verloren, wirkte neu, wie aus diesem Zeitalter und aus seiner Geschichte gerissen. Die Reise zurück nach Frankfurt war ein Desaster, ein Reinfall und am liebsten würde Lena nachhause fahren, alles hinter sich lassen und vergessen. Jedoch hatte sie noch eine Sache auf ihrer Liste und die gab ihr Hoffnung. “Lass uns zum Museum und Dinos angucken. Sofern sie die nicht auch wie Müll einfach weggeworfen haben.” Tessa nickte, stand auf und folgte ihrer Freundin zur U-Bahn. Gemeinsam fuhren sie eine Weile, dann stiegen sie aus und Lena sah bereits von weitem das Senckenberg Naturkundemuseum. Freude stieg in ihr auf, innerlich jubelte sie und daran konnten auch kein vor dem Museum stehenden Dinosaurier etwas ändern. Sie waren neu, das Gebäude jedoch immer noch gleich, weckte Erinnerungen und auch der Eingangsbereich hatte sich nicht geändert. Im ersten Abschnitten stand noch immer ihr geliebter Tyrannosaurus Rex. So, als hätte er all die Jahre auf sie gewartet, nur um ihr wenigstens eine ihrer Kindheitserinnerungen zurückzugeben. Lena lächelte und sah an den impulsiven Knochen hoch. “Danke, Rexi. Du hast meinen Tag gerettet.” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)