Sanctuary - 聖域 [OiKage] von Mina_Tara ================================================================================ Kapitel 3: III.*~* ------------------ Seit dem Gespräch mit Iwaizumi waren inzwischen weitere fünf Tage ins Land gezogen. Laut Kalender war schon der 15. Dezember. Oikawa hatte in der Zwischenzeit eine Menge Zeit zum Nachdenken. Sehr viel Zeit – sogar so viel Zeit, dass es ihn schon schier verrückt machte. Kageyamas Abwesenheit traf ihn härter als vermutet und mit seiner Geburtstagsgeschenkidee kam er auch nur schleppend voran. Tief in Gedanken versunken, saß der Brünette vor seinem Schreibtisch und versuchte mit seinem Kugelschreiber etwas zu Papier zu bringen.   „Nein…“, murmelte der junge Mann vor sich hin.   „Das auch nicht…“, wieder flog ein zusammengeknülltes Stück Papier in hohem Bogen in den Mülleimer, der neben dem Schreibtisch stand.   „Komm schon, Tooru… du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen… Lass dir was einfallen! Denk nach!“, raufend fuhr sich der Setter durch die braunen Locken.   Er stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Ihm fiel einfach nichts ein. Dabei hatte er sich doch fest vorgenommen Kageyama einen ganz besonderen Geburtstag zu bescheren. Da gleichzeitig auch noch Weihnachten vor der Tür stand, wollte er beides miteinander kombinieren. Schließlich musste diese Zeit, die der Besinnlichkeit und Liebe diente, doch für etwas nütze sein. Aber Oikawa war ratlos – nichts sagte ihm zu. Egal was ihm in den Sinn kam – es war nichts gut genug!       Wozu einen Weihnachtsmarkt besuchen? Soviel er mal mitbekommen hatte, hasste Kageyama größere Menschenmengen! Ob er wohl an Platzangst litt? So weit wollte es der Brünette erst gar nicht kommen lassen!   Plätzchen backen? Verdammt nochmal – der Setter der Karasuno war ein Süßigkeiten-Banause! Er hatte keinen Sinn für Geschmack! Allein bei dem Gedanken daran, dass Kageyama Schokolade hasste! Da blutete schon Oikawas von Zuckerguss übergossenes Herz!   Blumen oder Schmuck schenken? So etwas zog vielleicht beim weiblichen Geschlecht, aber doch nicht bei einem Kerl, der selbst der Eiszeit emotional Konkurrenz machen konnte! Diese schwarze Krähe raubte ihm noch den letzten Nerv!   Eine Weihnachtsaufführung ansehen? Da würde nicht nur Kageyama langweilig werden, sondern ihm auch. Bei der letzten Theateraufführung war er mitten im Finale eingeschlafen! Das konnte nur in die Hose gehen!       Langsam, aber sicher gingen dem Brünetten die Ideen aus. Warum war das schwarzhaarige Genie bloß so ein Hinterwäldler?! Warum musste er sich so sehr von anderen unterscheiden? Wie sollte man diesem Kerl bloß gerecht werden?   Es war das erste Mal, dass sich der Setter so den Kopf über etwas zerbrach. Er hatte überall Informationen beschafft - sei es im Internet oder nach der Schule im Shopping-Center. Ideen waren genug vorhanden, es scheiterte an der Umsetzung. Wenn Oikawa ehrlich zu sich selbst war, hatte er sich zuvor noch nie für solche Sachen interessiert. Klar, lagen ihm die Frauen zu Füßen und ja, er hatte auch schon die eine oder andere Beziehung mit dem weiblichen Geschlecht gehabt. Er hatte auch diesbezüglich schon intime und sexuelle Erfahrungen gesammelt, aber irgendwie fühlte es sich anders an – nicht erfüllend. Die ganze Zeit hatte er es auf sein Hobby geschoben. Es gab genug Menschen, denen eine solche Bindung einfach nicht wichtig war und Oikawa war die ganze Zeit in dem Glauben gewesen, genauso zu sein.   Als er aber mit Kageyama anbandelte, änderte sich alles von Grund auf. Zum ersten Mal hatte der Brünette das Gefühl angekommen und vor allem vollkommen zu sein. Es waren Emotionen, bei denen er zuvor nie darüber im Klaren war, dass er sie empfinden konnte. Dass ihm eine Person so wichtig werden könnte. Dass ihn ausgerechnet die Nähe zum eigenen Geschlecht mehr ansprach, als die hübschen Schülerinnen, mit denen er zuvor zusammen war. Lag es daran, dass er und Kageyama dasselbe Hobby teilten? Dass sie einander besser verstehen konnten? Fragen über Fragen tummelten sich in seinem Gehirn, das bereits vor dem nächsten Schmorbrand stand. Seufzend warf der braunhaarige Setter seinen Kopf in den Nacken und starrte die Decke über sich an.   „Ich bin sowas von geliefert!“, verzweifelt ließ Oikawa daraufhin seinen Kopf auf den Schreibtisch knallen. Es war hoffnungslos – ihm blieb nur noch eine Woche Zeit, um eine erfolgreiche Idee auszutüfteln.       Am darauffolgenden Tag fand nach der Schule ein Meeting des Volleyballclubs statt. Es war die Abschlussbesprechung für dieses Jahr und danach verabschiedeten sich alle Mitglieder in die wohlverdienten Ferien. Wobei ihnen nicht wirklich viel Freizeit blieb, in weniger als einem halben Jahr standen die Abschlussprüfungen vor der Tür. Gähnend wohnte Oikawa der Besprechung bei und versuchte seinem Trainer so gut es ging zu folgen, aber seine Gedanken waren in eine ganz andere Richtung abgedriftet. Die Tatsache, dass er dieses Wochenende wieder allein verbringen musste, behagte ihm überhaupt nicht. Es war schon das zweite Wochenende in Folge, wo er den Jüngeren nicht sah. Sein Herz tat inzwischen schrecklich weh und seine Laune war auch auf dem Nullpunkt angelangt. Er hatte auf nichts mehr Lust. Nicht einmal seine Teamkameraden konnten ihn für ein Game motivieren. Stattdessen saß er teilnahmelos auf der Bank und starrte ins Leere. Er erwischte sich auch immer wieder dabei, wie er sein Handy kontrollierte.   //Tzz… was mache ich hier überhaupt… dämlich//   Genervt seufzte der Brünette aus, als er zur Hallendecke hochsah. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hoffte er innig, dass Kageyama sich bei ihm melden würde. Doch seit dessen Ankunft in Tokyo, folgten seitdem keine weiteren Nachrichten. Oikawa fand aber auch nicht selbst den Mut den Jüngeren einfach anzuschreiben. Was sollte er ihm denn überhaupt schreiben? Er war nicht einmal in der Lage eine ordentliche Nachricht zu verfassen. Das Letzte, was er dem Jüngeren geschrieben hatte, war, dass er weiterhin auf sich Acht geben sollte. War das etwa die falsche Antwort gewesen? Sollte er ihm vielleicht vermitteln, dass er ihn vermisste? Ging es dem Schwarzhaarigen genauso und konnte nur nicht wieder aus seiner Komfortzone heraus? Erst als Oikawa die darauffolgenden Worte von Herrn Irihata vernahm, befand sich der Brünette wieder im Hier und Jetzt.   „Nun gut, das wars auch schon! Ich hoffe, euch alle erholt wieder im neuen Jahr hier wiederzusehen. Ach ja, denkt bitte an die Weihnachtsfeier, die am kommenden Montag stattfindet. Der Volleyballverband von Sendai lädt jede Oberschule zu dieser Veranstaltung ein. Die Shiratorizawa und auch die Karasuno werden ebenfalls vor Ort sein. Also benehmt euch und zeigt euch von euerer besten Seite!“, der Blick des älteren Mannes galt insbesondere dem Kapitän, der mehr als entgeistert dasaß. Verdammt, die Weihnachtsfeier hätte er ja beinahe vergessen!   Das Gelächter und Getuschel, das um ihn herum ausbrach, ignorierte er. Er dachte schon an den besagten Montag. War das nicht sogar der Tag, an dem Kageyama aus Tokyo zurückkehren sollte? Oikawa spürte, wie sein Herzschlag sich bei dem Gedanken beschleunigte, ohne dass er dagegen etwas tun konnte. Es war hoffnungslos. Aber wie sollte er dem Jüngeren an diesem Tag gegenübertreten? Wie sollte er ihm in die Augen schauen können? Er musste das ganze irgendwie geregelt bekommen. Er musste sein emotionales Chaos in den Griff bekommen! Dass er auch noch Wakatoshi Ushijima über den Weg laufen sollte, machte die Lage umso schlimmer. Wie sollte er mit dessen Annährungsversuchen umgehen? Sein Kopf drohte bereits zu explodieren - es waren zu viele Informationen, die sein bereits überfordertes Gehirn fluteten.   //Shit, was mache ich nur?! Das wird im totalen Chaos enden!!//   Als die Besprechung zu Ende war, trat der Setter zusammen mit Iwaizumi den Heimweg an. Gemeinsam liefen sie die Straße entlang. Inzwischen schneite es täglich und tiefe Spuren zierten den Bürgersteig, auf dem sie entlangliefen. Die Bäume waren bereits geschmückt. Überall hingen bunte Lichter und Girlanden an den Straßenlaternen und erleuchteten den Weg. Da die Tage wieder kürzer wurden, dämmerte es bereits am späten Nachmittag. Dicke Schneeflocken rieselten vom Himmel.   Die beiden Volleyballspieler rasteten auf einem Kinderspielplatz, der auf ihrem Weg lag. Oikawa saß auf der Schaukel, während sich das Ass der Seijoh am Außengeländer angelehnt hatte. Der Schnee rieselte weiterhin leise vom Himmel hinunter und durch die Kälte konnte man schon den eigenen Atem sehen, der wie weißer Rauch emporstieg.   „Na? Bist du schon mit deinem Vorhaben vorangekommen?“   „Nein…“, antwortete der Brünette wahrheitsgemäß und ließ die Schultern sinken. Iwaizumi sah seinen Kindheitsfreund an, der wie ein Häufchen Elend auf der Schaukel saß und ins Leere starrte.   „Da scheint es ja jemanden ordentlich erwischt zu haben. Weißt du? Ich finde du machst es viel zu kompliziert... aber so bist du nun mal eben. Da seid ihr beide gleich… zwei Holzköpfe, die nicht mit ihren Gefühlen umgehen können, tz…“   „Du machst es nicht gerade besser, Iwa-Chan… Ich weiß, dass ich ein Versager bin!“   „Hör auf damit dich selbst fertig zu machen! Im Selbstmitleid baden bringt dich auch nicht weiter, du hohle Nuss!“   Der Setter sah auf und blickte zu Iwaizumi, der sich neben ihm auf der Nachbarschaukel niedergelassen hatte. Nun saßen sie beide da und schauten geradeaus. Es herrschte Stille. Es war untypisch, dass Oikawa so ruhig war. Die Situation behagte dem Schwarzhaarigen überhaupt nicht. Nachdenklich ließ er seine Hände in der Jackentasche verschwinden und erhob sich schließlich. Das braune Augenpaar folgte ihm.   „Ich geb dir mal einen Tipp, Tooru.“, danach drehte sich der Außenangreifer zu seinem Kumpel um, der immer noch zusammengekauert die Schaukel hin und her wippte. Danach wand Iwaizumi seinen Kopf wieder Richtung Himmel.   „Ich hatte die letzten Jahre viel Zeit Kageyama zu beobachten. So unantastbar und unnahbar ist er nicht, auch wenn er gerne so rüberkommen möchte. Ich denke eher, dass es eine Fassade ist, die er um sich herum errichtet hat. Er versucht sich auf diese Weise selbst zu schützen. Und nun, da er aktuell mit den besten Junior-Sportlern konfrontiert wird, wird auch der Druck in ihm weiter anwachsen. Alle haben aufgrund seines Könnens große Erwartungen an ihn, die er zu erfüllen hat und ich denke, dass er momentan einfach jemanden braucht, der für ihn da ist. Du weißt selbst, wie erdrückend dieses Gefühl sein kann. Du hast mich und auch deine Familie, die hinter dir stehen. Tobio allerdings kommt aus strengem Hause. Als Kind von zwei hochangesehenen Rechtsanwälten hat man es nicht leicht. Es mag zwar sein, dass er sich alles leisten könnte, wenn er denn wollte. Aber Geld ist nicht alles. Soviel ich weiß, sind seine Eltern viel geschäftlich unterwegs und er ist oft allein. Es ist also kein Wunder, dass der Junge so sehr in sich gekehrt ist und kaum jemanden an sich heranlässt.“, schließlich sah das olivgrüne Augenpaar auf den Setter herab.   „Dass er ausgerechnet zu dir Vertrauen gefasst hat, wundert mich dafür umso mehr. Du musst etwas in ihm ausgelöst haben. Ansonsten hätte er sich nie auf diese Zweckbeziehung eingelassen.“   Bei dem Gedanken zog sich Oikawas Herz schmerzlich zusammen. Der Druck seiner Hände, die die Ketten der Schaukel festhielten, nahm zu. Seine Finger bohrten sich fester in das kühle Metall der Ketten. Die Kälte, die von dem Metall ausging, ignorierte er. Es stimmte, er hatte oft genug in diese Augen sehen können, die die Einsamkeit widerspiegelten. Wie kalt und emotionslos sie ihn anfangs angesehen haben. Wie oft Kageyama auf Abstand gegangen war, nur um seine verletzliche Seite zu verbergen. Erst seit kurzem hatte der Kapitän der Seijoh das Gefühl, dass Kageyama sich vorsichtig an ihn herantastete – dass er seine Nähe gesucht hatte. Er konnte nach und nach den gewissen Funken in dessen blauen Augen sehen. Wie sie ihn angesehen haben, so herzlich. Auch als sie sich vor fast einer Woche vor seiner Haustür geküsst hatten – Kageyama hatte sich regelgerecht an ihn geklammert. Es hatte den Anschein, als ob der Jüngere an diesem Abend gar nicht gehen wollte. Dass er bei ihm bleiben wollte, Schutz und Geborgenheit gesucht hatte. Und natürlich musste Oikawa es mal wieder versauen. Hätte er ihn doch nur bei sich behalten – stattdessen hatte er ihn unbewusst von sich gestoßen.   Dann die Tatsache, dass der Setter der Karasuno oft allein war. Er selbst war schon oft genug an der Villa vorbeigejoggt, aber jedes Mal überkam ihn ein Schauder. Das Gemäuer mag zwar groß sein, wies aber keinerlei Schmuck, Deko oder sonstige Auffälligkeiten auf, die an ein Zuhause erinnerten. Die Mauern waren kahl, der Garten in Perfektion geschnitten. Alles in allem strahlte dieses Gebäude Kälte aus. Und meistens waren die Zimmer dunkel, was darauf hinwies, dass selten jemand zu Hause war. Wie oft war er eifersüchtig auf den Jüngeren gewesen, da er anfangs dachte, dass der Schwarzhaarige ein reicher und verwöhnter Schnösel sei. Kageyama konnte sich glücklich schätzen noch beide Elternteile zu haben. Er hingegen hatte nur noch seine Mutter. Seine Schwester und Takeru wohnten im Nachbarort. Sein Vater hatte die Familie früh verlassen und wenn Oikawa ehrlich zu sich selbst war, konnte er sich kaum noch an das Gesicht seines Erzeugers erinnern. Dennoch wurde er in einem Haushalt mit viel Liebe und Wärme aufgezogen. Etwas, was Kageyama all die Jahre verwehrt blieb. Der Jüngere hatte sogar mal erwähnt, dass er überwiegend mit Kindermädchen groß geworden war. Inzwischen bereute Oikawa sein Fehlverhalten zutiefst. All diese Dinge werden ihm jetzt im Augenblick erst richtig bewusst. Aber warum ausgerechnet jetzt? Weil er kurz davor war sein Herz endgültig an den jungen Setter zu verlieren? Seine rechte Hand wanderte langsam an seinen Brustkorb.   „Ich weiß…“, traurig sah das nussbraune Augenpaar daraufhin zu Boden, während sich Iwaizumi wieder zu ihm gesellte und seine Hände auf dessen Schultern ablegte.   „Mach dir keinen Kopf. Ich glaube, dass Kageyama keinen großen Wert auf materielle Dinge legen wird. Sei einfach für ihn da – redet miteinander. Ich werde dafür sorgen, dass ihr an der Weihnachtsfeier einen Moment für euch habt“, nach diesen Worten zwinkerte das Ass ihm zu.   Oikawa spürte, wie sich Freudetränen in seine Augen sammelten. Manchmal konnte er den liebenswürdigen mürrischen Vollidioten einfach nur umarmen.   „Danke, Iwa. Was würde ich manchmal bloß ohne dich machen?“   „Den Alltag nicht überleben!“   „Oh Iwa… warum musst du bloß wieder den Moment zerstören?!“   „Heul nicht rum! Beweg deinen Arsch! Es ist kalt, sonst fängst du dir vor deinem ersten Liebesgeständnis noch eine Grippe ein!“   Diesem Argument hatte der Brünette nichts entgegensetzen. Ergebend seufzte er aus und erhob sich ebenfalls von der Schaukel. Zuvor klopfte er sich noch den bereits angestauten Schnee von der Jacke.   „Ich mach ja schon…“   „Hm, an diese Seite von dir könnte ich mich glatt gewöhnen. Mal keine Widerworte!“   „Schnauze!“, murrte Oikawa und schritt hinter dem Schwarzhaarigen her, der wenige Meter vor ihm herlief. Während der Setter dem Ass der Aoba Johsai folgte, schlich sich ein zärtliches Lächeln auf seine Lippen.   //Danke… Iwa-Chan~//         Nun hatte der Brünette wieder Mut gefasst. Es war schließlich Weihnachten und hieß es nicht, dass da bekanntlich Wunder geschehen sollen? Waren das nicht Kindereien, die man kleinen Kindern erzählte, damit sie brav und artig sind? War er denn jemals artig? Hatte er das Ganze überhaupt verdient oder war es eine gerechte Strafe? Nein! Oikawa wusste nicht so recht, wie er dieses Gefühl einordnen sollte, dass sein Innerstes erhellte. Er hoffte tatsächlich auf ein kleines Wunder – sein eigenes Weihnachtswunder.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)