Ein Fall von Black'schem (Un-)Verständnis von Coronet ================================================================================ Kapitel 1: Ein Fall von Black'schem (Un-)Verständnis ---------------------------------------------------- Nehmen Sie Ihr Kind in den Sommerferien mit zu Arbeit. So eine wahnwitzige Idee konnte nur ein Spinner haben, dessen Besen ein paar Mal zu oft von einer Mauer gebremst worden war. In vollem Flug. Mit dem Kopf voran. Anders konnte Orion Black sich das zartviolette Faltblatt, das ihm eines Morgens unschuldig von seinem Schreibtisch entgegenleuchtete, nicht erklären. Angesichts der plakativen silbernen Worte drängten sich ihm ungebetene Visionen des Grauens auf. Er sah Horden verwöhnter Bälger, die in seine Mysteriumsabteilung einfielen, mit ihren Griffeln nach seltenen magischen Gegenständen von höchstem Wert langten und zum großen Finale in das Becken mit den Gehirnen fielen. Die daraus resultierenden Verletzungen hätten die Gören sicherlich verdient, die Eltern würden solch einen Zwischenfall aber kaum unterhaltsam finden. Orion korrigierte sich – die Idee war nicht nur wahnwitzig, sie gehörte geradewegs verboten. Kinder, allen voran die eigenen Familienangehörigen, hatten in den heiligen Hallen der Unsäglichen nichts zu suchen. Seine Arbeit als Leiter der Mysterienabteilung war Orions letzter Rückzugsort, ein Quell von Ruhe und Frieden – wenn man von den gelegentlichen Explosionen und ‚Unfällen‘ absah. Lieber würde er auf Drachenjagd gehen, statt einen seiner Söhne mit ins Ministerium zu schleifen. Das wäre weder für ihn, noch für die Jungen eine Freude. Zum Glück war Regulus ohnehin nicht alt genug und Sirius ... er dachte lieber nicht zu viel über seinen ältesten Sohn nach. Reiner Selbstschutz. Das ministerielle Faltblatt landete zuunterst in Orions Papierkorb und mit einem Rülpsen war es verschwunden. Sollte ihn jemand darauf ansprechen, würde er einfach vorschützen, von nichts zu wissen. Das wäre für alle Beteiligten das Beste. Glaubte er.   Natürlich wusste Walburga trotzdem Bescheid. Woher, das war Orion schleierhaft. Sie erwartete ihn, ganz entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, kaum dass er sich am Abend in den dunklen Hausflur schlich, obwohl er gekonnt den hässlichen Trollbeinständer (ein unerfreuliches Hochzeitsgeschenk vom alten Malfoy) umging. Ihre Miene war finster, ihre Stimme schrill, das wartende Abendessen allein dem kriecherischen Hauselfen zu verdanken. Alles wie immer, nur, dass Orion es für gewöhnlich schaffte, sich an ihr vorbei in die oberen Stockwerke, in sein Arbeitszimmer, zu schleichen, wo er bis spät in die Nacht über seinen Büchern saß. Zu seinem Verdruss fand Walburga die Idee des Ministeriums großartig. Als hätte es einen weiteren Beweis gebraucht, dass sie beide nichts außer dem Nachnamen gemein hatten. Genau wie sie den zwielichtigen Riddle einen aparten jungen Mann genannt hatte oder eine Unterhaltung mit Abraxas Malfoy nicht unerträglich fand. Und das waren nur die ersten Beispiele, die ihm in den Sinn kamen. Das selbstzufriedene Lächeln, mit dem Walburga ihm über Zwiebelsuppe und Elfenwein bedeutete, dass es ihrem Ältesten durchaus guttäte, einen Einblick in ehrenwerte Arbeit zu bekommen, ließ jegliche von Orions Hoffnungen platzen wie eine große Blase von Bubbels bestem Blaskaugummi. Sich ihr zu widersetzen, laut zu werden, all das hätte doch nichts geändert, nur seinen Abend endgültig ruiniert. Walburga hatte ihn offenbar dazu ausersehen, dem Jungen eine Lektion zu erteilen, nachdem ihre fragwürdigen Erziehungsmethoden sich schon seit Jahren so effektiv wie ein zahnloser Drache erwiesen, was nicht zuletzt durch eine eindrucksvolle Akte voller schulischer Missetaten belegt wurde. Sirius hingegen fand die Idee freilich ‚beschissen‘. Seine Wortwahl, nicht Orions. Ausnahmsweise musste dieser allerdings seinem ältesten Sohn zustimmen. Das Vorhaben war fauler als ein Haufen Trollscheiße. Ein Tag in der Mysterienabteilung würde einen dreizehnjährigen Regelbrecher wohl kaum davon überzeugen, nie wieder die Zutaten für den Zaubertrankunterricht gegen etwas Explosiveres auszutauschen oder dergleichen. Er hegte ehrliche Zweifel, dass es überhaupt irgendetwas in dieser Welt gab, das Sirius Manieren beibringen würde. Die meisten Briefe aus der Schule überließ Orion genau deshalb seiner Frau, deren Temperament sich wiederum in einem oder mehreren Heulern entlud. Damit betrachtete er diese Angelegenheiten für erledigt. Nichtsdestotrotz sah er sich nun gezwungen, seinen Sohn zu diesem unfreiwilligen Ausflug zu verpflichten. Des lieben Friedens wegen. Entgegen seiner reizenden Frau wusste er, dass der Weg des geringsten Widerstands gelegentlich zum Ziel führte.   Am Morgen jenes unsäglichen Tages hätte Orion sich am liebsten wieder auf dem dunkelgrünen Sofa in seinem Arbeitszimmer umgedreht, das er dem Ehebett mit Walburga vorzog, und wäre nicht zur Arbeit erschienen. Für gewöhnlich gehörte er zu den Ersten, die am Morgen aus den Kaminen sprangen, doch heute musste er gezwungenermaßen darauf warten, dass sein Sohn sich zunächst aus dem Bett und dann aus dem Bad herausbequemte. Orion war nicht bewusst gewesen, wie verdammt eitel Sirius war. Das Schlimmste aber war, dass der Junge sich nicht einmal wie ein vernünftiger Zauberer kleiden konnte, sondern in Muggelkleidung am Frühstückstisch auftauchte. Wo hatte er die überhaupt her? Seine Miene alleine war eine stille Provokation und Orion froh, dass Walburga so früh nicht einmal daran dachte, aufzustehen. »So kannst du nicht gehen«, stellte er nüchtern fest. »Warum?« »Du würdest auch nicht in deinem Schlafanzug aus dem Haus gehen, also los, zieh dir einen Umhang an.« »Nein.« Orion presste die Zähne fester aufeinander und verfluchte die Kopfschmerzen, die sich gefälligst erst am späten Abend zu melden hatten, wenn er viel zu lange an einem neuen Zauber experimentiert hatte und der schreckliche Elfenwein sein Übriges tat. Durchatmen, erneut versuchen. Diplomatisch, in der Hoffnung, der Junge wäre dann zugänglicher. »Willst du, dass man dich für einen Landstreicher hält?« Er musterte den fadenreichen Saum der grässlichen hellblauen Hose und die schwarze Jacke – irgendein minderwertiges Leder, sicher keine Drachenhaut –, die seinem Sohn zu allem Überfluss viel zu groß war. »Is‘ mir egal«, entgegnete Sirius flapsig und vergrub die Hände tief in den Hosentaschen. »Muggel finden das cool.« »Mag sein, aber wir gehen nicht auf einen ... Muggelbasar, sondern ins Zaubereiministerium.« Orion mühte sich, den Blick möglichst gleichgültig auf die morgendliche Ausgabe des Tagespropheten zu richten. Durchatmen, erinnerte er sich. »Wär‘ mir neu, dass meine Kleidung da verboten ist.« Da hatte Sirius sogar recht. »Der Anstand gebietet es, dass du einen Umhang anziehst. Keine Diskussion.« Aus dem Augenwinkel nahm Orion wahr, wie sich die Augen seines Sohnes gefährlich verengten. Das black’sche Temperament lag ihm ebenso im Blut. »Oder soll ich deine Mutter wecken, damit du das mit ihr klären kannst?« Sirius funkelte ihn wütend an, hielt seinen Mund aber zu einem schmalen Strich gepresst. Er wusste genau, was das für ihn bedeuten würde. Dass Orion eine leere Drohung aussprach, weil er genauso wenig Lust hatte, sich den Morgen zu ruinieren, musste er hingegen nicht wissen. »Schön«, murrte der Junge augenrollend und verließ die Küche, nicht ohne seiner zweifellos schlechten Laune mit einem Tritt gegen die Tür Ausdruck zu verleihen. Orion seufzte und wünschte sich zum ersten Mal an diesem Tag, er wäre das Verbot des albernen ‚Bringen Sie Ihr Kind mit zur Arbeit‘-Tags doch angegangen. Es hätte ihm einiges an Kopfschmerzen erspart.   Am Ende trug Sirius immer noch diese schreckliche Hose mit dem Saum, der im Inbegriff war, sich aufzulösen. Sehr zu Orions Verdruss blieb dieser Umstand äußerst sichtbar, denn sein Sohn hatte sich entschieden einen denkbar kurzen Umhang aus der hintersten Ecke seines Kleiderschranks zu fischen, dem er eigentlich seit 1 ½ Jahren entwachsen war. Er mutete an wie einer von den Weasleys, die nie genug Geld für vernünftige Roben hatten, aber zumindest war es ein kleiner Sieg, dass er überhaupt einen Umhang trug und nicht mehr die übelriechende Lederjacke. Erst einmal im Büro angekommen, würde Orion schon dafür sorgen, dass niemand seinen Sohn zu Gesicht bekam. Der Weg durch das Atrium erwies sich dennoch als Hindernislauf. Dem ein oder anderen Kollegen wich er Haken schlagend aus, um unbequemen Fragen zu entgehen. Wenigstens war er nicht der einzige unglückliche Troll, der sich mit einem widerspenstigen Kind an den Hacken herumschlagen musste. Mit einer gewissen Befriedigung stellte er fest, dass es eine Menge Jugendlicher gab, die augenrollend hinter ihren Elternteilen herschlichen. Oder im Falle von Malfoys Jungen stolzierten. Orion würde sich hüten, es zuzugeben, aber in dieser Hinsicht war ihm sein widerwilliger Sohn eindeutig lieber. In seinem Büro, das leider nicht länger unmittelbar an die Mysterienabteilung anschloss, wies er auf den einzigen und äußerst unangenehmen Besucherstuhl, der niemanden dazu einladen sollte, länger als wenige Minuten auf ihm Platz zu nehmen. »Setz dich einfach da hin und rühr nichts an, verstanden?« Sirius zuckte ergeben mit den Schultern und fläzte sich auf den Stuhl, die Beine von der Armlehne baumelnd. »Suuuper«, murmelte er leise. »Ich lerne ja sooo viel.« Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte Orion ihn und mit einem Achselzucken besann Sirius sich darauf, das Regal voller seltener Bücher über experimentelle Transfigurationen hinter ihm zu studieren. Solange er nichts anrührte, war das seinem Vater genau recht. Raschelnd zog er sich seine neuste Arbeit heran – ein schnöder Antrag für neue Forschungsmittel, den es zu begründen galt – und versuchte, die Gedanken an den Jungen möglichst weit fortzudrängen. Lange hielt der Frieden jedoch nicht. Orion tauchte gerade seine Feder in das Tintenfass, um den Antrag zu unterzeichnen, da landeten Sirius Füße geräuschvoll auf dem Boden und er lehnte sich zu seinem Vater vor, die Augen auf die wartenden Berge an Pergamentbögen gerichtet. »Ist das alles, was du den ganzen Tag machst?« In seiner Stimme schwang etwas Lauerndes mit. »Pergament verschönern?« Der unausgesprochene Vorwurf kratzte erfolgreich an Orions Ehre. »Natürlich nicht.« Er zog den nächsten Schwung Pergamentrollen zu sich. »Mhm«, murmelte Sirius und lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück. Orions Mund wurde schmal. »Pflicht vor der Kür, mein Sohn.« »Irgendwie hab ich erwartet, dein Job wäre wenigstens etwas spannender. Immerhin wird Mutter nicht müde, zu betonen wie unglaublich wichtig und großartig dein Dienst für die magische Gesellschaft ist ...« »Oh, meine Arbeit ist sehr spannend.« Sirius brauchte gar nichts sagen, so wie er auf die Pergamentstapel sah und die Augenbrauen hob. Die lästigen Verpflichtungen, die mit der Leitung einer Ministeriumsabteilung einhergingen, waren genauso ermüdend wie eine Doppelstunde Zaubereigeschichte bei Professor Binns, das war nicht zu leugnen. Mit einem Seufzen ließ Orion die Feder sinken. »Steh auf.« Vermutlich würde er diese Entscheidung noch bereuen, aber jetzt reichte es ihm. Er konnte unmöglich den ganzen Tag an seinem Schreibtisch sitzen und sich mit Sirius anschweigen, nur unterbrochen von vorwurfsvollen Fragen. Der Junge wollte etwas Spannendes sehen? Das konnte er haben. Ohne sich nach seinem Sohn umzusehen, trat Orion aus dem Büro. Ganz wie erwartet hörte er das hastige Fußgetrappel des Jungen, der sich bemühte, zu ihm aufzuschließen. »Wohin geh’n wir?« »In die Mysteriumsabteilung. Meinen richtigen Arbeitsplatz.« Ausnahmsweise hatte Sirius keine spitze Erwiderung parat. Zielstrebig schritt Orion zum Fahrstuhl, der sie hinunter in das letzte Stockwerk brachte, durchmaß den fensterlosen Flur und betrat die Eingangshalle seiner Abteilung. Glatt polierter schwarzer Stein, bläuliches Fackellicht und zwölf grifflose Türen umgaben sie, aber bei diesem imposanten ersten Eindruck blieb es nicht. In einem schwindelerregenden Wirbel drehten sich die Wände um die beiden Zauberer, bevor sie wieder zur Ruhe kamen, allerdings in veränderter Anordnung, wie Orion nur zu gut wusste. Der Raum verfehlte seine Wirkung nicht. Sirius blieb zwar still, doch in seine Augen trat ein gänzlich anderer Ausdruck. Fortgewischt war die Langeweile. Egal, wie sehr er sich um eine gleichgültige Fassade bemühte, das hier schien er nicht erwartet zu haben. Dieses Spiel beherrschte Orion freilich ebenso gut und so ließ er sich nichts anmerken, als er entschlossen auf eine Tür zuhielt. Er zückte seinen Zauberstab und einem einfachen Gedanken folgend schwang das glatte Holz zurück, um ihm Einlass zu gewähren. Dahinter offenbarte sich Orions liebstes Reich in der ganzen Mysteriumsabteilung, das er seit seinem Aufstieg zum Leiter dieser nur noch viel zu selten zu Gesicht bekam. Auf den ersten Blick wirkte der runde Raum wie ein Trödelmarkt der verschrobensten Kuriositäten. Oberflächlich hätte man meinen können, in irgendeinem winzigen Laden in der hintersten Ecke der Nokturngasse gelandet zu sein. Vermeintlich nichtsnutziger Plunder stapelte sich auf allerlei Tischchen – aber genau das war sein Charme. Alles davon war magisch; verzaubert, verwandelt oder verflucht. Und das Meiste davon war vor allem eines: gefährlich. Gefährlicher als der ‚schwarzmagische‘ Krempel, den solch blasierte Kerle wie Malfoy sammelten. »An deiner Stelle würde ich die Finger von den Sachen lassen, es sei denn du hegst Sehnsucht nach dem Tod«, warnte Orion seinen Sohn unbekümmert. Kurzzeitig blitzten wieder seine Visionen von klebrigen Kinderfingern an seinen liebsten Schätzen auf, aber er rang die Vorstellung nieder. In Sirius gleichmütiger Fassade zeigten sich erste Risse. Mit einem Zucken in den Fingern sah er sich in dem dunklen Gewölbe um. Manch einer der Gegenstände hatte hervorragendes Potential für unvergleichliche Streiche, das schien er zu ahnen. »Was ist das hier, Tante Lucretias Salon?« Beim Gedanken an das vollgestopfte Wohnzimmer seiner älteren Schwester verzog Orion das Gesicht. Dort roch es nach nassem Kniesel und er war mindestens genauso ungern bei ihr zu Besuch wie Sirius. Der Vergleich zu seiner heiligen Arbeitsstätte gefiel ihm nicht. »Das, mein Sohn, ist die Halle des Transzendenten.« »Wohl eher Rumpelkammer«, lachte Sirius, doch sein Blick wanderte nach wie vor neugierig über das magische Sammelsurium. »Begrifflichkeiten«, winkte Orion ab. »Hier verbergen sich einige der bestgeschützten magischen Artefakte, Dinge von unermesslichem Wert, die du dir nicht einmal vorstellen kannst. Alles, woran wir hier forschen, ist die Überschreitung der Grenzen unserer Welt, die ewige Frage, was geschieht, wenn ein Gegenstand transfiguriert wird. Von welchem Ort kommt die Materie, an welchen Ort kehrt sie zurück und welche Auswirkungen hat das auf uns? Es ist eine der grundlegensten Fragen nach der Funktion von Magie überhaupt.« Schlurfend strich Sirius zwischen den Tischen hindurch, die Hände tief in die Hosentaschen geschoben. Er beugte sich über eine Vitrine, in der Ringe verschiedener Größen auf einem samtenen Kissen lagen. »Sieht trotzdem ein wenig aus wie auf dem Muggelbasar, von dem du heute Morgen gesagt hast, dass wir da nicht hingehen.« »Ein harmloses Äußeres täuscht nur über das Innere hinweg. Jedem dieser Ringe beispielsweise wohnt eine andere magische Kraft inne, viel mächtiger als der Plunder, den sie in der Winkelgasse verkaufen.« »Hm. Was macht der hier, der aussieht wie eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt?« Der Junge schützte immer noch Langweile vor, aber Orion sah, wie er versuchte, alles mit den Augen in sich aufzusaugen. Neugier gewann definitiv die Oberhand. »Jeder, der ihn anliegt, erfährt die Wahrheit über das größte innere Begehren, die eine Sache, die das Herz mehr zu wissen begehrt als alles andere. Zumindest lässt sich das aus den Aufzeichnungen schließen. Wer immer den Ring anlegt, kehrt geistig nie wieder ganz in diese Welt zurück. Welche Erkenntnis auch immer er bringt, sie scheint den menschlichen Verstand zu übersteigen.« Einen Moment schwieg Sirius, dann ließ er ein leises »Cool« hören. Mit dieser Ausdrucksweise konnte Orion zwar nicht viel anfangen, aber wenn man nach den Maßstäben seines Sohnes ging, war das wohl etwas Gutes. »Also ist es das, was du den ganzen Tag treibst? Irgendwas mit komischen alten Gegenständen?« Orion ließ den Zauberstab schnippen und ein flacher kleiner Taschenspiegel kam in seine Hand geflogen. Er reichte ihn an seinen Sohn weiter, der diesen misstrauisch musterte. »Sieh hinein.« Mit zusammengezogenen Augenbrauen besah Sirius sich das runde Spiegelglas – und seine Augen weiteten sich. »Das ist ... dein Arbeitszimmer zuhause?« »Richtig.« Zufrieden betrachtete Orion, wie Sirius den Spiegel in den Händen drehte, von allen Seiten besah und dann wieder verblüfft auf den kleinen Ausschnitt des Zimmers im Grimmauldplatz Nr. 12 sah. »Eine magische Verbindung? Wie bei den Gemälden, die an mehreren Orten hängen? So wie bei’m Bild vom ollen Phineus im Gästezimmer? Hast du das erfunden?« Sirius starrte den Taschenspiegel an, als könne er ihm so alle Geheimnisse entlocken. »Zugegeben eine simple Sache, aber ja, das ist eines meiner kleinen Experimente gewesen. Ein modifizierter Geminio-Zauber, unter anderem. Nur ein kleiner Zeitvertreib, nichts, das es wirklich verdient hätte, der Schweigepflicht zu unterfallen.« »Hm ...«, murmelte Sirius nachdenklich, »praktisch wie ein Telefon.« »Telefon?« Orion fragte sich, was das nun wieder sein sollte. »Eine Erfindung der Muggel. Praktisches Gerät, mit dem man sich über lange Strecken hinweg unterhalten kann. Hatten wir in Muggelkunde.« »Ah«, sagte Orion in Ermanglung des technischen Verständnisses. Die Parallelen zu irgendeiner dämlichen Muggelerfindung schmälerten seine Freude über Sirius Begeisterung angesichts des Zwei-Wege-Spiegels doch ein wenig. »Nun, letztendlich widmet sich die Forschung in der Mysteriumsabteilung einzig der Frage, welche Geheimnisse der Magie wir noch enthüllen können. Erst hier lässt sich wirklich begreifen, welch große Gabe uns mit der Magie zueigen ist, wo der Horizont unserer Fähigkeiten liegt-« »Warum Zauberer angeblich so viel besser sind als Muggel?« Sirius ließ den Taschenspiegel sinken und verschränkte die Arme vor der Brust. Da war er wieder, dieser provozierende, wissende Ausdruck in seinen dunklen Augen, der Orion fühlen ließ, als wäre sein Sohn in einer ganz anderen Welt aufgewachsen, einer, die er selber nicht sehen konnte. Irritiert musterte Orion den sturköpfigen Jungen. »Warum wir anders sind, ja, auch das. Das liegt eben in der Natur der Magie, die nicht jedem dient.« Er zuckte mit den Schultern. »Allerdings ist das nicht wirklich von Bedeutung für das Verständnis unserer Möglichkeiten, die Welt allein Kraft unserer Magie zu verändern-« »Mutter wird nicht müde, zu betonen wie ‚minderwertig‘ die Muggel sind. Scheint mir ja doch irgendwie wichtig, wenn deshalb ein ganzer Krieg geführt wird.« Orion stierte auf den ausgefransten Saum von Sirius Muggelhose und seufzte innerlich. Für sein junges Alter zeigte er überraschend viel Interesse an magie-politischen Themen, die selbst Orion als Erwachsener liebend gerne ignorierte. »Ein Krieg, der uns nicht berührt«, stellte er fest. »Wir sind keine Muggel und brauchen uns nicht mit ihnen herumschlagen. Stattdessen können wir uns ganz der Erforschung unserer Magie widmen, die Grenzen des Möglichen verschieben ... und ein Teil dessen beginnt eben hier.« Sirius schien der Blick auf seine unpassende Beinkleidung nicht entgangen zu sein, denn er grinste selbstzufrieden. »Ich bin vielleicht kein Muggel, aber sie haben eindeutig den besseren Modegeschmack. Also mir läge mehr daran, mich mit ihnen zu befreunden, anstatt sie zu ... versklaven.« »Vermutlich wäre den Muggeln nicht viel an deiner Freundschaft gelegen.« Abrupt wandte Orion sich ab und schritt zu einem unscheinbaren Holzschränkchen in der Ecke. Nach kurzer Suche wurde er fündig. Der gläserne Zylinder in seiner Hand war etwas staubig, aber ansonsten intakt. Angelaufene Metallbänder mit eingravierten Runen wanden sich um das Kristallglas, in dessen Innerem ein bläuliches Pulver glomm, ähnlich fein wie Flohpulver. »Ist dir bewusst, was Ende des Jahres 1940 in London geschehen ist?« Verwundert über den Themenwechsel, hob Sirius ahnungslos die Schultern. »Die Muggel haben ihren Krieg zu uns gebracht. Sie kamen in der Nacht, immer wieder und haben die Stadt mit Bomben übersät. Sie kamen, um zu töten. Egal wen, Hauptsache möglichst viele.« Orion setzte den staubigen Glaszylinder vor sich auf einem Tisch ab. »Bereits eine einzige Bombe löst eine Feuersbrunst aus, die es mit dem Dämonsfeuer aufnehmen kann.« Sirius sagte nichts, beobachtete nur. Seine Miene war eingefroren, die Arme immer noch verschränkt. »Glaub nicht, dass sich das geändert hat. Manche von uns mögen in ihrer selbstherrlichen Einfalt denken die Muggel seien ihnen von Natur aus untertan, dabei laufen sie einem Irrtum nach. Muggel sind vor allem eines – gefährlich.« Mit einem Stupser durch Orions Zauberstab erwachte das Innere des Glaszylinders zum Leben. Der blaue Staub beschrieb eine Spirale innerhalb seines Gefängnisses, ein stetes Auf und Ab. Ein heller Strahl reinen Lichts erhob sich aus dem oberen Ende des Glases, bis hinauf zur Gewölbedecke, von wo aus es wie Regen in einem weiten Kreis zurück zum Boden fiel. »Das ist die leidige Konsequenz all dessen, was die Muggel mit ihrem Krieg bewirkt haben. Eine magische Erfindung, die allein dem Schutz vor ihren Bomben dient. Sonst hätten sie auch uns das Leben kosten können, jederzeit. Ich glaube nicht, dass die Muggel dein Mitleid brauchen. Sie haben längst genug Möglichkeiten gefunden, sich und jedes andere Lebewesen zu vernichten, auf qualvollem Wege, und sie werden nicht zögern, es einzusetzen.« Das Licht aus dem Schutzschild warf schimmernde Schatten auf Sirius Gesicht, das doch so viel von Orions Zügen trug und ihm gleichzeitig so fremd geworden war. »Ist es nicht das gleiche mit schwarzer Magie?«, fragte der Junge schließlich ungewöhnlich leise. Orion seufzte. Im blauen Leuchten der Schutzvorrichtung aus vergangener Zeit fragte er sich, wann es eigentlich so schwer geworden war, mit seinem eigenen Sohn zu reden. Seit wann sie in unterschiedlichen Sphären lebten. Früher einmal, da war er noch klein, vielleicht gerade fünf, da hatte es für Sirius nichts Faszinierenderes gegeben, als sich heimlich in das Arbeitszimmer seines Vaters zu stehlen und über die magischen Experimente zu staunen. Er hatte sich immer darüber geärgert, doch jetzt vermisste Orion diese Zeit. »Du hast es nicht erlebt«, wiegelte er das Gespräch ab. »Also rede nicht von Dingen, die du nicht verstehst.« Erinnerungen an den Krieg stiegen in ihm auf, lange verdrängte Gefühle und Kopfschmerz meldeten sich mit neuer Intensität zurück. Sirius dankte es ihm mit einer Wortkargheit, die bis zum Ende des Tages und damit seines unfreiwilligen Ausfluges, andauerte. Zu Walburgas großer Freude schlich er stumm auf sein Zimmer. Die verbliebene Zeit seiner Sommerferien ward er nur sporadisch zu den Mahlzeiten gesehen, anderweitig hielt er sich fern. Orion war es nur recht und ein ums andere Mal schloss er sich nach der Rückkehr aus dem Ministerium in seinem Arbeitszimmer ein, um sich neuen Zaubern zu widmen.   Der böse Brief aus Hogwarts kam an einem späten Abend Anfang September, pünktlich wie ungebetene Verwandte, die nur einmal im Jahr zum Weihnachtsfest auftauchen und die man möglichst schnell wieder loswerden will. Wahrscheinlich war es Schicksal, dass Orion das Schreiben ausnahmsweise vor Walburga in die Hände fiel. Eventuell war es aber auch Absicht, dass der Hauself ausgerechnet ihm den Brief brachte. Wer wusste schon, was in seinem verqueren Gehirn vor sich ging. Orion musste nicht einmal lesen, um anhand des Gewichts zu erahnen, dass ihn eine langwierige Beschreibung eines ausgefallenen Streichs erwartete, garniert mit einigen höflich-unhöflichen Vorhaltungen seitens der Gryffindor-Hauslehrerin. Die Frau mochte fachlich versiert sein – Sirius zeigte zumindest ein vernünftiges Verständnis der Transfigurationsgrundlagen –, aber sie war ebenso steif wie ein alter Reisigbesen. Vielleicht lockten ihre Worte gerade deshalb ein selten gesehenes Lächeln auf Orions Lippen. Oder aber weil sie sich nicht erklären konnte, wie Sirius und seine Freunde ihren Streich so präzise hatten durchführen können, während sie doch an völlig unterschiedlichen Orten des Schlosses waren. Eines musste Orion seinem Sohn lassen, in Sachen Erfindungsreichtum kam er ganz nach ihm. Der Ausflug in die Mysteriumsabteilung hatte höchstens das Gegenteil von Walburgas Hoffnungen bewirkt und in Sirius viel eher den Anreiz geweckt, alle bisher dagewesenen Streiche noch zu übertreffen. Ein eigener Zwei-Wege-Spiegel war erst der Anfang. Mit dessen Hilfe war es Sirius zweifellos gelungen, Hogwarts eine ... heiße Nacht zu bescheren. Orion Black war beeindruckt. Zumindest im Geheimen. Auch wenn es sonst nicht viel gab, auf das er sich mit dem Jungen verständigen konnte – die magische Experimentierlust lieferte wohl doch den Beweis, dass sie Vater und Sohn waren. Und da die Woche bereits genug Ausnahmen gebracht hatte, beschloss er, eine weitere zu machen und dieses Schreiben sang- und klanglos verschwinden zu lassen. Kein Heuler der Welt würde Sirius Black von seinen Plänen abbringen, so viel hatte er verstanden. Wie der Vater, so der Sohn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)