Liebe zwischen Tod und Leid - Sidstory von Enrico (Sidestory zur Gefesselt-Reihe) ================================================================================ Kapitel 1: ~Gestrichener Urlaub~ -------------------------------- Nicht einmal einen Tag Fronturlaub ist mir vergönnt und dann das. Diese verdammten vorrückenden Truppen. Wenn wir sie nur schon alle zum Teufel gejagt hätten. Ich bin doch gerade mal eine halbe Stunde zu Hause. Genervt betrachte ich die Nachricht auf meinem Handy. Das kühle Bier stelle ich auf den Stubentisch zurück. In nicht mal fünf Stunden soll ich mich wieder zum Dienst melden. Allein der Weg zurück kostet mich zwei volle Stunden zu Fuß. Mit dem Auto ist es dank der zerstörten Straßen so gut wie unmöglich. So ein Dreck! Ich wollte wenigstens mal für ein Wochenende den Schrecken vergessen. „Was ist los mein Junge?“, fragt mein Vater. Er sitzt mir im Sessel gegenüber. Meine finstere Mine ist ihm nicht verborgen geblieben. „Ich muss wieder zurück!“, sage ich kühl. Mutter bleibt abrupt stehen. Das Tablett das sie in der Hand hält, auf dem sie Kuchen trägt, beginnt in ihren Händen zu zittern. „Aber du bist doch gerade erst angekommen!“, sagt sie. Die Gläser die neben dem Kuchen auf dem Tablett stehen schlagen klangvoll aneinander, die Limonade in ihnen schwappt heraus. „Der Feind rückt weiter vor, er steht schon vor der Stadtgrenze Berlins. Mein Urlaub wurde gestrichen“, sage ich noch immer mit Blick auf mein Handy. „Das können sie doch nicht einfach so machen, oder?“, fragt meine Mutter und sieht zu ihrem Mann. „Tina, lässt du uns bitte allein?“, sagt mein Vater. „Aber!“ Mutter holt schon Luft für einen Einspruch, doch Vater fällt ihr ins Wort: „Bitte geh und schließe die Küchentür!“, sagt er nach Strenge ringend. Sie nickt und geht mit dem Tablett zurück in die Küche, die Tür schließt sie nach sich. Lautes Klirren ist zu hören, wie von zerspringendem Glas. Etwas Schweres fällt gegen die Wand und rutscht an ihr hinab. Leises Schluchzen ist zu hören. Ich lasse das Handy sinken und seufze. Immer wenn ich zurück an die Front muss, bricht Mutter in Tränen aus. Ich bin gewillt aufzustehen und ihr Trost zu spenden, doch der strenge Blick meines Vaters hält mich davon ab. Wenn er mit mir allein sprechen will, ist das noch nie ein gutes Zeichen gewesen. Mutters Weinen übergeht er und beugt sich mit dem Oberkörper weit nach vorn, die Hände faltet er in einander. Während er die Arme mit den Ellenbögen auf die Knie stütz, legt er sich die verkrampften Finger an das Kinn. „Lucca, wie schlimm ist es wirklich dort draußen?“ Ich sehe unter dem Blick meines Vaters hinweg und lande bei seinem linken Bein, das in einer Verschalung liegt, am Sessel lehnt sein Stock. Er ist schon seit vielen Jahren Rentner, nachdem ihm ein Lkw mit seinem Auto erwischt hat. Wenn es hart auf hart kommt, schafft er es nicht mal aus dem Haus. Noch ein Grund mehr, warum wir die Feinde endlich bezwingen müssen. Bis hier her dürfen sie auf keinen Fall vordringen. Gedanklich bin ich schon wieder im Einsatz und überlege, wo wir diese Schweine am effektivsten Treffen könnten. „Lucca! Ich habe dich etwas gefragt!“, sagt mein alter Herr streng. Was soll ich ihm antworten? Die Wahrheit wird ihn und Mutter nur noch mehr beunruhigen. Ich schweige. Mein Vater mustert mich einen Moment durchdringend dann sagt er: „Ich verstehe!“ Er senkt den Blick. „Es ist eine Schande das ihr jungen Männer dort draußen den Kopf hinhalten müsst, während wir Alten hier zu Hause sitzen“, sagt er verbittert. Was für ein absurder Gedanke. Was sollten wir mit einem Haufen Rentnern an der Front anfangen? „Und was würdest du dort draußen tun wollen? Dir eine Zielscheibe auf die Brust malen, um den Feind für einen Moment abzulenken?“ Die Mundwinkel meines Vaters heben sich einen kurzen Moment, dann ist seine Stimme noch strenger: „Sei nicht immer so vorlaut. Das bringt dich noch mal in Schwierigkeiten.“ Ich rolle mit den Augen. Das darf ich mir schon anhören seit ich denken kann und trotzdem kann ich nicht anders. Lieber Angriff als Angst, war schon immer meine beste Waffe. Wir schweigen beide lange, bis es wieder mein Vater ist, der das Wort ergreift. Ein erzwungenes Lächeln liegt in seinem Gesicht, als er sagt: „Lucca bitte verstehe mich nicht falsch. Ich bin unheimlich stolz darauf, wie weit du es in nicht mal einem Jahr in der Armee geschafft hast. Ich meine du bist mit 20 schon Truppenführer und die Uniform steht dir. Dir laufen die Frauen sicher reihenweise hinterher. Miriam muss aufpassen, dass du nicht mit einer anderen wieder heim kommst. Aber…“ Sein Lächeln vergeht, seine Stirn wird von tiefen Falten gefurcht, die Augenbrauen zieht er in die Gesichtsmitte. „… du bist noch so jung. Du hast noch dein ganzes Leben vor dir und solltest nicht in einem so sinnlosen Konflikt dein Leben wegwerfen.“ Worauf will er eigentlich hinaus? Als wenn ich noch eine Wahl hätte. Ich bin längst in dieser Kriegsmaschinerie gefangen. „Erzähl das mal den Staatsoberhäuptern, die den Mist angefangen haben!“ „Eben, die halten ja nicht den Kopf hin. Mir wäre es lieber, du bleibst einfach bei uns. Wir könnten dich bei Nachbar Albert auf der Farm verstecken, bis alles vorbei ist.“ Meinen Vater sehe ich finster an. Ich werde bestimmt nicht feige davon laufen. Schon gar nicht mit dem sicheren Wissen, dass der Feind so nah an meiner Heimatstadt ist. „Dein Ernst? Fahnenflucht? Und das von jemanden der mir mein Leben lang eingeredet hat, wie tapfer man doch als Mann zu sein hat.“ „Vielleicht lag ich da falsch. Manchmal ist es besser einen Moment Feige zu sein, als ein ganzes Leben lang Tod.“ Wieder eine seiner berühmten Weisheiten. „Vergiss es, ich werde mich nicht feige verstecken!“, sage ich stur. Mein Vater beginnt einen Einspruch: „Aber …“ „Nein, ich kämpfe! Nicht für die Regierung oder aus Ehre. Alles was ich will ist verhindern, dass der Feind bis hier her vordringt. Ich will meine Familie beschützen, das war der einzige Grund warum ich mich freiwillig gemeldet habe. Ich will das Danny ohne Angst aufwachsen kann, dass er wieder zur Schule gehen kann und ich will das Mutter und du noch viele schöne Jahre vor euch habt. Ihr könnt sterben wenn ihr Alt und grau seid, nicht jetzt!“ Vater atmet erschwert aus, sein Blick sinkt tief. „Deine Motive ehren dich, aber der Preis ist zu hoch.“ Schnelle Schritte sind im Flur zu hören, ich erkenne meinen kleinen Bruder schon am Schritt. Völlig außer Atem platzt er ins Wohnzimmer und hält sich am Türrahmen fest. Seine Klamotten sind dreckig, selbst im Gesicht hat er Staub und Spinnweben kleben. „Luccaaa!“, ruft er so laut es seine kratzige Stimme noch zulässt. Ich stehe auf und werfe Vater einen flüchtigen Blick zu. Wir nicken uns stumm zu und sind uns einig das Thema zu lassen, so lange Danny dabei ist. Stattdessen breite ich die Arme aus. „Na los, komm schon her, Nervensäge!“ Danny lässt sich nicht lange bitten. Er rennt die letzten Schritte und wirft sich mir in die Arme. In dem Rucksack auf seinem Rücken, schlägt Metall auf Metall. Sicher war er auf der Suche nach Lebensmitteln in zerbombten Häusern unterwegs. Das würde zumindest sein Erscheinungsbild erklären. „Ich bin sofort nach Hause gerannt, als ich gehört habe, dass du schon da bist.“ „Gut dass du dich so beeilt hast, sonst hätten wir uns verpasst“, sage ich und drücke ihn. Danny schiebt mich von sich. Mahnend sieht er an mir hinauf. Eine Frage liegt in seinen blauen Augen. „Mein Urlaub ist gerade gestrichen worden. Ich muss gleich wieder los“, sage ich. „Aber du bist doch gerade erst angekommen!“, sagt er wütend. Ich nehme meine Mütze ab und lege sie auf seinen Kopf. Sie ist ihm viel zu groß und sinkt ihm weit über die Augen. „Ich weiß, nervt mich auch. Aber so konnte ich dich wenigstens mal kurz sehen.“ Danny zieht einen Schmollmund. „Du kannst nicht einfach kommen und dann gleich wieder gehen.“ „Ich habe noch zwei Stunden bis ich wieder los muss.“ „Ich wünschte ich wäre schon alt genug. Dann könnte ich mit dir kommen und wir würden diese Mistkerle zusammen abknallen!“, sagt Danny ernst, doch in seinem kindlichen Gesicht will das nicht wirken. Ich muss über ihn schmunzeln und bin im selben Moment froh darüber, dass er erst 13 Jahre alt ist. Was dort draußen geschieht davon soll er nie etwas zu sehen bekommen. Schlimm genug das auch hier schon Bomben gefallen sind und unsere Großeltern dabei ums Leben kamen. Danny nimmt den Rucksack von den Schultern. Er stellt ihn auf den Wohnstubentisch. Aus ihm holt er etliche Dosen heraus und zwei Tüten mit Mehl und Zucker. „Dann musst du aber meine Beute mit mir essen! Das habe ich aus Omas Haus retten können“, sagt er und holt als letztes ein Einmachglas mit Kirschen heraus. „Na da sage ich doch nicht nein!“, sage ich lächelnd. Als wir beide für einen Moment still sind, ist Mutters Schluchzen wieder deutlicher zu hören. Danny sieht von mir zu Vater und wieder zurück, schließlich sagt er: „Ich rede mit ihr!“ Er dreht sich um und geht Richtung Küche. Kurz bevor er sie erreicht, dreht er sich noch einmal um: „Du machst schon mal das Glas auf. Ich hole uns Schüsseln und einen Löffel.“ Danny verschwindet in der Küche. Während ich das Glas öffne und dann auf den Tisch stelle, sieht mein Vater mich wieder ernst an. „Lucca, ich …“ Sein Blick weicht auf. Er bringt den Satz nicht zu Ende, sondern stemmt sich aus seinem Sessel hinauf. Ohne seinen Stock kommt er zu mir gehumpelt und nimmt mich fest in den Arm. Ich umarme ihn ebenfalls. „Ich liebe dich mein Junge. Wenn du da draußen doch die Nerven verlierst und einfach nur weg willst, dann komme nach Hause. Wir finden einen Weg dich zu verstecken.“ Ich atme schwer aus. „Danke Dad!“, sage ich und versuche nicht an die Einsätze an der Front zu denken. Ich weiß jetzt schon, dass ich mir sobald ich dort bin wünschen werde, sein Angebot angenommen zu haben, aber dann könnte ich am Morgen nicht mehr in den Spiegel sehen. Nein, die drei sollen diesen sinnlosen Krieg überleben. Dafür werde ich kämpfen! Zwei Stunden später stehen wir alle vier vor meinem Elternhaus. Mutter hat noch immer Tränen in den Augen und ein Taschentuch in der Hand. Sie kämpft tapfer gegen ihre Sorgen an und zwingt sich ein Lächeln ins Gesicht. Sie nimmt mich fest in den Arm und legt mir einen Kuss auf die Wange. „Pass auf dich auf!“, sagt sie mit brüchiger Stimme. „Das werde ich. Ich bin doch bisher auch immer heil zurückgekommen“, versuche ich ihr Mut zu machen. Sie schafft es nur mit Mühe, sich von mir zu lösen. An ihre Stelle tritt mein Vater. Er lehnt seinen Stock an den Türrahmen und legt mir seine Hand auf die Schulter. Er richtet sich gerade auf, dann sagt er: „Lucca, ich bin sehr stolz auf dich.“ Er nimmt mich noch einmal fest in den Arm und sagt dabei: „Wenn du mal große Angst hast, dann vergiss nicht…“ „Ja ich weiß schon: Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst, sondern zur Tat zu schreiten obwohl ich Angst habe“, sage ich den Spruch auf, der mich schon seit meiner Kindheit begleitet. Vater lächelt zufrieden, dann gibt er mich frei. Mein Blick wandert auf meinen kleinen Bruder, der zwischen unseren Eltern steht. Er trägt noch immer meine Mütze, die sein Gesicht zur Hälfte verbirgt. Ich gehe vor ihm in die Hocke, um ihm besser in die Augen sehen zu können. „Und du passt mir gut auf die beiden auf, ja? Sorge dafür das Vater seine Medizin nimmt und Mutter genug im Kühlschrank hat, damit ihr nicht verhungert.“ „Das mache ich!“, sagt Danny und legt sich stolz die Hand an die Brust, ähnlich wie wir es bei der Armee tun. Ich nehme ihm die Mütze vom Kopf und setze sie mir wieder auf, dann wuschle ich dem Kurzen durch die Haare und erhebe mich. „Ich schreibe euch wenn ich am Stützpunkt angekommen bin!“, sage ich und sehe alle drei und das Haus noch einmal an. Hier draußen auf dem Land stehen die meisten Häuser noch. Mit dem gepflegten Garten und dem intakten Mauerwerk erscheint mir mein zu Hause, als wenn es nie Krieg gegeben hätte und so muss es auch bleiben. Ich nicke meinen Liebsten zu, dann verlasse ich sie. „Mach sie fertig, großer Bruder!“, ruft mir Danny nach. Das werde ich und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Kapitel 2: ~Der Arzt aus dem Lazarett~ -------------------------------------- Diese verdammte Schicht will heute einfach kein Ende nehmen. Kaum hat Leon einen Patienten zusammengeflickt, rollt schon der Nächste in den provisorisch eingerichteten Operationssaal. Heute sind es hauptsächlich Schusswunden und mal wieder waren keine Narkosemedikamente zu bekommen gewesen, auch die Desinfektionsmittel sind bereits verbraucht. Leon muss schon Strohrum nutzen, um überhaupt noch eine sterile Wundbehandlung zu gewährleisten. Die Schreie während der Operation dröhnen ihm in den Ohren. Jeder Einzelne ist ein Ausdruck des Leides eines weiteren Soldaten. Etwas gegen dass er doch eigentlich etwas tun will, aber nur bedingt kann. Es ist immer eine Wohltat wenn der Patient zwischenzeitlich das Bewusstsein verliert und dann auch endlich mal still liegt. So kann er seine Arbeit machen und auch der arme Hund, auf wessen Tisch auch immer, ist kurze Zeit von seiner Qual befreit. Dann ist es nur noch das Stöhnen und Jammern aus dem Lazarettsaal, dass zumindest weit genug weg ist, um es ausblenden zu können. Seine Hände kann Leon kaum noch ruhig halten. In Strömen läuft ihm der Schweiß über Rücken und Brustkorb. Würde seine OP-Schwester ihm nicht ständig die Stirn mit einem Tuch abwischen, er würde direkt in die Wunden der Patienten tropfen. Die ältere Dame sieht genau so erschöpft aus, wie er sich fühlt, doch zum Wohle des Patienten muss es weiter gehen. Während Leon dem ohnmächtigen Mann vor sich die Schusswunde in der Schulter näht, sieht er hinaus zu den Feldbetten in denen die Verwundeten liegen. Die Ablösung auf die er so sehnsüchtig wartet, ist immer noch nicht da. Hoffentlich ist sein Kollege da draußen nicht umgelegt worden. Noch eine Schicht wird er auf keinen Fall durchhalten. Schon gar nicht, wenn er keinen Fehler machen will. Der Schweiß brennt ihm immer wieder in den Augen, das Abtupfen reicht nicht mehr und die Erschöpfung fordert immer mehr Tribut. Die ganze Zeit an einem Fleck stehen, gebeugt über den Tisch, das wird mit jedem Moment unerträglicher. Sein Rücken und seine Beine bringen Leon bald um. Als sein Patient versorgt ist, sieht Leon die OP-Schwester auffordernd an. Sie versteht wortlos und schiebt den Patienten mit einem Sanitäter auf die Trage, gemeinsam bringen sie ihn weg, während bereits ein weiterer Soldat auf seinem Tisch landet. Es bleibt nicht mal die Zeit das Blut des Vorgängers zu entfernen. Leon hat längst den Überblick verloren, wie viele Soldaten heute schon durch seine Hände gewandert sind. Lediglich die Drei, die er nicht retten konnte, sind ihm noch im Gedächtnis: Einer verblutete an seinem zerbombten Bein. Das Herz eines anderen hat unter den starken Schmerzen der Operation und dem hohen Blutverlust einer Teilamputation aufgehört zu schlagen, sämtliche Reanimationsversuche sind erfolglos geblieben. Doch das Schlimmste war das kleine Mädchen, das ihren Teddy noch im Arm hielt. Ihr Körper war von Splittern einer berstenden Fensterscheibe durchsiebt wurden. Mehrere große Blutgefäße waren betroffen und badeten den zierlichen Körper förmlich in Blut. Sie stand noch so unter Schock, dass sie weder geschrien noch geweint hat. Sie hat ihn einfach nur mit ihren großen blauen Augen angesehen. Er hatte nur einen Blick gebraucht um zu wissen, dass es längst zu spät für sie war. Das Einzige was er noch für sie tun konnte, war ihr ein leises Wiegenlied zu singen und ihr einen schnellen Tod zu verschaffen, in dem er ihr eine der Scherben aus der Oberschenkelarterie zog. Es hat keine Minute gedauert bis ihr Körper den Kampf durch den zusätzlichen Blutverlust und Druckabfall verlor. Mit dem Bild vor Augen, wird er heute Nacht sicher nicht schlafen können. Doch das was ihm gerade auf den OP-Tisch kommt hat auch nicht viel mehr Überlebenschancen. Ein junger Soldat sicher nicht älter als 18 Jahre. In seinem Hals klafft eine tiefe Wunde, dunkles Blut läuft ihm aus dem Mund. Seine Augen sind bereits ins weiße verdreht. Der Junge hat noch sein ganzes Leben vor sich, doch bei den Verletzungen und diesem Zustand ist Leon machtlos. Mit besseren Mitteln, Ausstattung und Medikamenten könnte Leon hier deutlich mehr Leben retten. Doch so müssen sie sparsam sein und das wenige was ihnen geblieben ist, bei denen anwenden, die eine wirkliche Chance haben. Leon schaut zum Eingang des Lazaretts. Wer trifft heute eigentlich die Vorauswahl? Dieser Soldat hätte auch draußen Sterben können und nun kostet er einem anderen lebenswichtige Zeit auf seinem Tisch, der vielleicht eine Chance gehabt hätte. Vor dem Lazarett läuft eine junge Krankenschwester herum und verteilt rote Bänder an jene, die vor dem Zelt Schlange stehen. Sie ist gerade mal den zweiten Tag da. Wer kam auf diese schwachsinnige Idee, sie für die Vorauswahl einzuteilen? Leon fühlt den Puls des jungen Mannes auf seinem Tisch, da ist nichts mehr. Er wendet sich einem der Sanitäter zu. Auch ihn braucht er nur ansehen, dann weiß er bereits Bescheid. Das rote Band wird durch ein schwarzes ersetzt, der Patient von seinem Tisch gehoben und durch den Hinterausgang aus dem Zelt getragen. Leon fährt sich mit dem Handrücken über die Stirn. Das es Hochsommer ist, macht diese Arbeit nicht leichter, doch wenigstens gab es heute noch keinen Fliegerangriff, auch Schüsse hat er heute noch nicht hören müssen. Vielleicht kommen sie ja mal ohne durch den Tag, dann besteht vielleicht der Hauch einer Chance, dass die Flut der Verletzten endet und er mal nach denen sehen kann, die er wieder zusammenflicken konnte. Auch selbst mal durchatmen und sich setzten zu können wäre eine Wohltat, doch heute will der Zustrom der Verletzten einfach nicht enden. Während der nächste Patient auf seinen Tisch gehoben wird, nähern sich ihm von hinten Schritte, jemand tippt ihm auf die Schulter. Als Leon sich umdreht, kann er nur die Augen des Mannes erkennen. Sein Mund wird von einer OP-Maske und seine Haare von einer Haube bedeckt. Das Blut auf seinem weißen Kittel ist alt und verwaschen. Längst werden die Teile nicht mehr richtig sauber. Sie beide nicken sich zu. Leon macht seinem Kollegen Platz. Der beißende Geruch nach Alkohol kommt ihm dabei in die Nase. Rico hat es schon lange nicht mehr hinbekommen nüchtern seinen Dienst anzutreten. Aber wer kann es ihm verübeln. Leon ist jetzt auch danach sich die Kante zu geben, oder noch besser sich jemand für eine schnelle Nummer zu suchen. Während die Schwestern ihm nachsehen und nur widerwillig mit seinem Kollegen weiter arbeiten wollen, zieht Leon sich den Kittel aus, reißt sich die Haube und die Maske vom Kopf und wirft alles in den Korb für die Schmutzwäsche. Zügig verlässt er das Zelt, mit seinen heftigen Gerüchen, den ohrenbetäubenden Schreien und den schrecklichen Bildern. Der beste Moment am Tag ist der, wenn er die acht Stunden frei noch vor sich hat. Dann muss er den Tod und das Leid, das er nur noch selten lindern kann, endlich nicht mehr sehen. Als Leon ins Freie tritt empfängt ihn eine leichte Brise. Seinen Blick richtet er in den wolkenlosen Himmel und atmet tief durch. Es könnte so ein schöner Sommertag sein, an dem man am liebsten am Strand liegen will. Doch je weiter Leons Blick sich senkt, umso schrecklicher wird der Anblick. Die meisten Häuser der Stadt liegen in Schutt und Asche. Stromleitungen sind umgestürzt, die Kabel liegen blank auf den Straßen, hier und da sprühen Funken. Der Asphalt ist von den Erschütterungen der Bomben aufgerissen worden, Fahrzeuge kommen hier schon lange nicht mehr durch. Allenfalls Fahrräder. Kein Wunder dass es ihnen längst an allem mangelt. Wenn die Lage so bleibt, werden sie bald mit blanken Händen operieren müssen. Damit dürften die Überlebenschancen der Patienten noch einmal deutlich sinken. Leon schüttelt sich den Gedanken aus dem Kopf. Er hat jetzt frei, den Arzt lässt er im Lazarett zurück. Auf seinem Weg zu den Suppenküchen kommt Leon an der langen Schlange der Verletzten vorbei. Sie zieht sich zwei Häuserblöcke entlang. Die meisten werden sicher noch stehen, wenn er in der Nacht die nächste Schicht antritt. Er muss seinen Blick abwenden, um Gedanklich nicht schon wieder durchzugehen, was er tun müsste, um das Leben dieser Menschen zu retten. Er hat jetzt frei und muss sich ausruhen. Sonst werden in der nächsten Schicht noch mehr Patienten unter seinen Händen wegsterben. Er biegt in eine Seitenstraße ab, weg von dem Leid der Menschen, durch zerstörte Straßenzüge und über Trümmerteile. Seine Gedanken landen wieder bei dem kleinen Mädchen und dem Moment, als der Lebensfunke in ihren Augen erlosch. Was für eine grausame Scheiße dieser Krieg doch ist. Die verantwortlichen Politiker und Industriellen, die daran verdienen, die gehören hier her. Mitten rein in den Bombenhagel. Düsenjets jagen über der Stadt hinweg. Der Lärm ihrer Triebwerke lässt Leon zusammen fahren. Er drückt sich an das Mauerwerk eines Hauses und sieht in den Himmel. Dunkle Punkte fallen aus dem Bauch der Flugzeuge. Leon hält den Atem an, er greift sich ans Herz und schließt die Augen. Sein ganzer Körper macht sich steif. Pfeifende Geräusche zischen durch die Luft, dann gibt es einen lauten Knall. Der Boden unter seinen Füßen beginnt zu beben, das Mauerwerk vibriert. Ein starker Wind zieht an seiner Kleidung und trägt eine unglaubliche Hitze mit sich. Nur zögerlich wagt Leon die Augen wieder zu öffnen. Zwei Straßenzüge weiter vor ihm klafft ein tiefes Loch im Asphalt. Die Häuser dort brechen in sich zusammen, Flammen steigen aus dem Krater auf und breiten sich über den Wegen und an den Häusern hinauf aus. Schrille Schreie sind zu hören. Menschen laufen in wilder Flucht davon. Leons Körper zwingt ihn wieder zu atmen, hektisch und stoßweise. Die Hitze der Flammen wird immer intensiver, Schweiß sammelt sich auf seiner Haut. Langsamen Schrittes zwingt Leon sich Rückwärts zu gehen, weg von dem schrecklichen Anblick, weg von der Hitze. Als er den ersten Schock überwunden hat, schafft er es endlich sich umzudrehen und schneller zu gehen. Dabei stößt er gegen ein Hindernis. Ein junger Mann versperrt ihm den Weg. Seine tiefblauen Augen sind weit aufgerissen und starren vor sich hin. In ihnen spiegeln sich die Flammen. Stock steif ist seine Haltung, seine Finger krampfhaft an den Brustkorb gepresst. Er macht keine Anstalten sich zu bewegen oder zu reagieren. Sieht nach einem mächtigen Schock aus. Die Hitze des Feuers wird immer unerträglicher, bald werden sie auch bis hier her reichen. Leon packt den jungen Mann an den Oberarmen. „Weg hier!“, sagt er streng. Noch immer rührt der Kerl sich nicht, also holt Leon weit aus. Er schlägt dem Mann ins Gesicht. Die starren Augen richten sich auf ihn, sein Blick wird gläsern, er legt sich die Hand an die getroffene Wange. „Weg hier!“, wiederholt Leon. Der junge Kerl nickt flüchtig, gemeinsam laufen sie weiter, weg von der Hitze, den Schreien und dem Lärm, der einstürzenden Häuser. Über Trümmer und durch enge Straßenzüge, aufgerissenen Asphalt und vorbei an herabhängenden Stromkabeln. Erst als die Hitze der Flammen nicht mehr zu spüren ist und sie einen Stadtteil mit intakten Häusern erreichen, werden sie beide langsamer. Im Schutze einer Mauer halten sie inne und schauen in die Straße zurück, aus der sie gekommen sind. Rauchschwaden steigen von dort auf. Rot glüht es zwischen den Ruinen und Mauerresten hindurch. „Hey man ... danke!“, sagt der junge Kerl nach Atem ringend, in seinen blonden Haaren steht der Schweiß, er läuft ihm ins Gesicht. Die Mütze nimmt er vom Kopf und fächert sich kühlende Luft damit zu. Seine Uniform ist die eines Truppenführers, die drei Streifen an seinem Oberarm zeigen es deutlich. „Eigentlich ... eigentlich müsste ich mich ja langsam an den Scheiß gewöhnt haben ... aber wenn sie so knapp vor einem einschlagen, ist das immer wieder heftig“, sagt er. Leon lächelt aufmunternd und klopft dem Soldaten auf den Oberarm. „War keine große Sache, ich habe auch einen Moment gebraucht wieder klar denken zu können.“ Kapitel 3: ~Der Schwule von Trupp 1~ ------------------------------------ Noch einen Moment lang versuchen wir wieder zu Atem zu kommen und ich kann nicht anders als ihn dankbar ansehen. Während hinter ihm immer mehr Rauch gen Himmel steigt, wird mir erst wirklich bewusst, wie knapp wir gerade dem Tod entkommen sind. Irgendwie muss ich mich dafür revanchieren. „Wo wolltest du eigentlich hin? Vielleicht liegt es ja auf meinem Weg“, frage ich. Geleitschutz kann man in dieser Stadt immer brauchen und auch wenn ich lediglich eine Pistole dabei habe, ist es sicher besser als ganz allein unterwegs zu sein. Seit Berlin in Schutt und Asche liegt, ziehen immer mehr Banden umher die Plündern und auch vor Überfällen nicht zurückschrecken. „Ich wollte zur Schule an der Wallstraße und mal Duschen. Ich stand jetzt fast 12 Stunden im OP und brauch eine Erfrischung.“ „Du bist Arzt? Mein Beileid!“, entfährt es mir. Der Fremde schmunzelt und verstaut die Hände in den Taschen seiner Hose. „Aber wenn du zu Schule willst, wie willst du da rein kommen? Da sind die Soldaten meines Trupps untergebracht. Ich habe da noch nie einen vom Lazarett gesehen, ich glaube nicht das sie dich da rein lassen“, sage ich und setze mich langsam in Bewegung. Die Schule ist nicht weit weg und ich muss sowieso dort hin, um mich zurückzumelden und neue Befehle entgegen zu nehmen. Der Fremde folgt mir, ein schelmisches Grinsen liegt auf seinen Mundwinkeln als er sagt: „Ich kenne da einen Soldaten, zum Duschen schmuggelt der mich sicher gern mit rein.“ Ich betrachte ihn prüfend und habe sofort einen Kammeraden im Sinn. Volker, der jede Gelegenheit ausnutzt, um sich entweder selbst einen von der Palme zu wedeln, oder sich in der Stadt flachlegen zu lassen. Seine Sexsucht habe ich zwar mit Sport ganz gut in den Griff bekommen, aber ich bin mir sicher, wenn sich ihm eine Gelegenheit bietet wird er sie nutzen. Aber Moment, heißt das dann nicht auch, dass mein Retter ebenfalls etwas für Männer übrig hat? Sein seltsames Lächeln und die Bemerkung eben, lassen zumindest die Vermutung aufkommen. Ganz toll, noch so einer, dabei reichen mir die Ausschweifungen von Volker in meinem Umfeld. Dabei sieht mein Retter doch echt gut aus. Die kurzen blonden Haare, die schönen eisblauen Augen. Gut gebaut ist er auch und dann noch Arzt. Auf den müssten die Frauen doch fliegen. Hat er da nicht die Richtige für sich finden können? „Was ist?“, fragt er, während ich ihn eingehend betrachte. Ich muss mich zwingen den Blick wieder abzuwenden. „Ach nichts, schon gut. Wie heißt du überhaupt?“, versuche ich einen Themenwechsel. „Leon Burkhard“, sagt er. „Lucca Wolfenstein“, stelle ich mich vor. „Wolfenstein? Den Namen habe ich schon mal gehört“, sagt er. „Ernsthaft?“, frage ich. Ich hoffe inständig in einem guten Zusammenhang. Wenn meine Vorgesetzen und der General ihn aussprechen, dann entweder genervt oder wütend, manchmal auch beides in Kombination. „Du bist doch dieser neue Truppenführer von Trupp eins und drillst deine Leute ganz schön.“ Ein Schmunzeln legt sich auf seine Lippen, als er weiter spricht dreht er sich mir zu und lächelt seltsam: „Ich sollte dir vielleicht danken. Seit du die Saubande unter dir hast, sieht Volker jedes Mal wenn ich ihn besuche heißer aus.“ Ich lege den Kopf schief und betrachte ihn fragend. Was er da andeutet, ist das wirklich das was ich schon vermutet habe? „Allerdings könntest du ihm zwischen drin ruhig mal eine Pause gönnen, damit ich auch noch was von ihm habe und er nicht nach einer Runde schon schlapp macht, weil er vom Training zu erschöpft ist.“ Oh man, so genau will ich das gar nicht wissen! Ich verziehe angewidert das Gesicht. „Hör mal was meine Jungs privat machen, geht mir am Arsch vorbei und du scheinst ja auch gerade Pause zu haben, aber so lange sie im Dienst sind, halte dich von ihnen fern! Ich brauche sie das draußen voll einsatzbereit und nicht mit den Gedanken bei irgendeiner perversen Nummer.“ Leon zieht die Augenbrauen tief ins Gesicht und hebt den Kopf stolz. „Jetzt zieh den Stock mal wieder aus deinem Arsch. Ihr seid sowieso nur Kanonenfutter, also lasse deinen Jungs auch mal etwas Spaß. Vielleicht ist es das letzte Mal in ihrem Leben, dass sie welchen haben.“ Er beschleunigt seine Schritte und verlässt den direkten Weg zur Schule. Ich sehe ihm genervt nach und rufe ihm hinterher: „Hey, ich dachte du wolltest zur Schule?“ Er bleibt stehen und sieht zu mir zurück. „Ja wollte ich, aber durch den Haupteingang werde ich ja wohl nicht rein kommen. Oder willst du mich etwa mit reinnehmen?“ Ich betrachte ihn ernst und frage: „Wirst du dort meine Männer belästigen?“ Er grinst breit: „Erst mal nur einen!“, sagt er. Ich schaue grimmig. „Dann sieh zu, wie du allein reinkommst!“ Leon lacht und sagt grinsend: „Mach dir darüber mal keine Sorgen, Volker hat Übung darin!“ Er winkt mir dann verschwindet er in einer Seitenstraße. Ich sehe ihm Kopfschüttelnd hinterher. War das Letzte etwa auch wieder eine anzügliche Anspielung? Der scheint nichts als Sex im Kopf zu haben. Ob der bei seinen Patienten auch so drauf ist? Na hoffentlich werde ich mal nie von ihm wieder zusammengeflickt. Nein, ganz blöde Vorstellung Lucca, vergiss das schnell wieder. Ich zwinge mich zum Weitergehen, doch meine Gedanken bekomme ich nicht abgestellt. Bin ich wirklich zu streng mit meinen Männern? Sollte ich ihnen mehr Freiheiten lassen? Bei dem Sauhaufen muss ich durchgreifen, immerhin sind einige von ihnen bald doppelt so alt wie ich. Die haben sowieso schon ihre Schwierigkeiten mich als Truppenführer ernst zu nehmen. Ach verdammt, was kümmert mich eigentlich das dumme Geschwätz eines Arztes? Als wenn der Ahnung davon hat, wie es an der Front zugeht. Ich versuche mir die Gedanken an den Kerl aus dem Kopf zu schütteln und betrete die Schule. Auf direktem Wege halte ich auf das Büro meines Vorgesetzten zu, um mich bei ihm zurückzumelden. Als ich es erreiche bewegen sich Schritte durch den Raum hinter der Tür. Die Stimme des Generals ist überdeutlich zu hören: „Das ist doch kein Schlachtplan, das ist eine Katastrophe. Auf welcher Militärakademie haben sie bitte Studiert Mexwell?“ Was macht der General denn außerhalb seines Bunkers? Seit wann trifft sich die Führungsspitze denn hier? Scheint so als hätte Leutnant Mexwell heute die undankbare Aufgabe, dem großen Chef die Lage vor Ort zu erklären. Die arme Sau! Ich schmunzle in mich hinein, dann klopfe ich an. Ein unheilvoll klingendes: „Herein!“, ertönt. Wenn der General schon am Morgen so drauf ist, freue ich mich jetzt schon auf seine dummen Befehle. Wenn er meine Männer heute wieder sinnlos durch die Gegend scheucht, flippe ich aus. Ich öffne die Tür und trete ein. Die Mütze nehme ich vom Kopf und klemme sie mir unter die Achsel, dann lege ich die Hand an die Brust und nehme Haltung an. „Truppenführer Wolfenstein meldet sich zurück zum Dienst!“, sage ich und reiche dem Mann hinter dem Schreibtisch meinen Urlaubsschein. Der Blick des Generals trifft sich mit meinem, dann geht er an die Uhr an der Wand. „Reichlich spät! Warum hat das so lange gedauert?“ Ich schaue ernst zurück. Ich bin in nicht mal 3 Stunden wieder hier gewesen und das ohne Fahrzeug und bei den Kämpfen die um Berlin herum toben. Wollen die mich eigentlich verarschen? Mein Blick wandert zurück auf den General, als ich sage: „Bei allem Respekt Sir, aber wann waren sie das letzte Mal vor der Tür? Auf dem Weg hier her wäre ich fast bei einem Luftangriff drauf gegangen. Wo steckt eigentlich unsere Luftabwehr? Pennen die Jungs von Trupp 4 noch?“ Der General verzieht das Gesicht zu einer diabolischen Fratze. „Zügeln Sie ihre Wortwahl und sehen Sie lieber zu, dass sie zu ihren Männern kommen und sie Einsatzbereit machen!“, schnauzt er angriffslustig. Ich rolle mit den Augen. Wie ich es liebe wenn er so gar nicht auf das eingeht, was da draußen läuft. Dass wir schon wieder mit dem Rücken zur Wand stehen, sieht doch ein Blinder mit Krückstock und die feinen Herren stehen hier rum mit ihrer Kaffeetasse in der Hand. Dafür dass es angeblich so dringend ist, sind sie alle noch verdammt entspannt. Ich atme tief durch, um nicht mehr zu sagen als gut für mich wäre, dann nicke ich lediglich und wende mich zum Gehen. Als ich meine Hand auf die Klinke lege, holt der General hinter mir tief Luft. „Ach und Truppenführer Wolfenstein! Gehen sie duschen!“, sagt er. Als ich mich nach ihm umdrehe rümpft er die Nase. Ich schaue ihn schief an. Es ist meine Pflicht mich sofort zu melden, wenn ich das Lager betrete. Das ich auf dem Weg im Bombenhagel fast drauf gegangen wäre und die Hitze des Feuers und der Flucht mich haben schwitzen lassen ist nicht meine Schuld. Aber so ein Problem kann nur jemand haben, der lange nicht mehr da draußen auf den Straßen war. „Wirklich? Wir haben noch die Zeit das ich unter die Dusche kann? Dann kann es ja nicht so schlimm um uns stehen.“ Ich setze meine Mütze wieder auf und wende mich der Tür zu. „Wenn das so ist frage ich mich, warum Sie meinen Fronturlaub gestrichen haben, dagegen werde ich Beschwerde einlegen. Guten Tag die Herrn!“, sage ich und verlasse das Büro. …~*~… Wütend schaut der General dem Jungspund nach. Nicht nur das er die Dreistigkeit besitzt hier mit dem Geruch nach Rauch und Schweiß herein zu kommen, er hat auch noch die große Klappe und stellt seine Entscheidungen in Frage. Schon allein dafür gehörte ihm der Urlaub gestrichen. Seit der Kerl nach dem Tod des letzten Truppenführers von Trupp eins zum Nachfolger ernannt wurde, geht er ihm schon auf die Nerven. Selbst einfachsten Befehlen leistet er nur folge, wenn er meint einen Sinn dahinter zu sehen. Als wenn einer in so einem niederen Dienstgrad, die höheren Ziele verstehen könnte, die er anstrebt. „Er ist eindeutig zu jung für diesen Posten!“, sagt der General zum gefühlt hundertsten Mal in diesem Monat. Wenn ihnen nicht langsam die Männer ausgehen würden, er hätte ihn längst wieder zum einfachen Soldaten degradiert. „Mag sein, aber er hat Trupp 1 unter Kontrolle gebracht und ihr wisst das neben Volker Müller noch einige andere Strategen darunter sind“, sagt Leutnant Maxwell. „Ist mir egal, er muckt zu viel auf“, der Blick des Generals geht zum Major „Versetze Trupp Eins heute Abend an die Front im Westen. Soll er sich dort mal in der Todeszone beweisen.“ „Aber sollte die Mission nicht ein erfahrener Trupp übernehmen?“, entgegnet der Major. „Trupp Eins können wir entbehren, die anderen nicht“, sagt der General und lächelt dabei. …~*~… Ich gehe durch die Flure der Schule zum Schlafsaal meines Trupps. Auf den notdürftig aufgestellten Feldbetten, sitzen einige von ihnen und pflegen ihre Waffen. Andere sind damit beschäftigt sich aus ihrer Uniform zu schälen. Zwei von ihnen haben neue Verbände. Rene unser ältester mit 56 Jahren, trägt einen um den Oberarm, über den er gerade den Ärmel seines Shirts zieht. Seine dürre Erscheinung geht darin verloren, während sein Schnauzbart angespannt wackelt. Aaron unser Jüngster mit 19 Jahren, hat eine Mullbinde um die Stirn gebunden. Die roten Haare stehen ihm zerzaust vom Kopf ab. Er entledigt sich gerade seines Oberteils und entblößt dabei seinen sportlich trainierten Körper. Ich zwinge mich wegzusehen und schaue mich weiter um. Bis auf Volker scheinen alle da zu sein und es ist auch noch alles an ihnen dran, das beruhigt mich. Trotzdem sage ich laut, als ich eintrete: „Schafft ihr es nicht mal einen halben Tag klar zu kommen, ohne dass einer von euch eine neue Schramme hat?“ Alle Blicke richten sich auf mich. Die Jungs die sitzen, richten sich augenblicklich auf und nehmen Haltung an. Die, die stehen erstarren. Sie alle legen sich die Hand zur Faust geballt an die Brust. „Ja schon gut, rührt euch!“, sage ich und stemme den Arm in die Seite. Dieser förmliche Mist nervt mich noch immer. Die Haltung der Männer entspannt sich. Sie setzen sich wieder, halten aber Blickkontakt mit mir. Aaron ist der erste der etwas sagt: „Was macht ihr schon wieder hier?“, fragt er und bemüht sich dabei um das höffliche sie. Dabei haben wir bereits unsere Ausbildungszeit zusammen durchlaufen und unzählige Kämpfe zusammen überlebt, doch seit ich aufgestiegen bin, sind wir schon mehr als einmal verwarnt wurden, den freundschaftlichen Ton zu lassen. „Die Schweine haben mir meinen Urlaub gestrichen und wir sollen uns Einsatzbereit machen“, sage ich und schaue einmal in der Runde herum. Alle sehen müde und unmotiviert aus. „Aber wir kommen doch gerade von einem Einsatz!“, sagt Rene und greift sich dabei an den verwundeten Arm. Noch ein Grund mehr warum ich den General auf den Tod nicht leiden kann. Er verheizt schon wieder meine Leute. Entschuldigend blicke ich in die Runde. „Was soll ich euch sagen? So lautet der Befehl des Generals. Aber seht es positiv, immerhin müsst ihr nicht mit Sven in die nächste Schlacht.“ Der Truppenführer der mich vertreten sollte, ist nicht nur langsam zu Fuß, sondern auch noch überängstlich und ein schlechter Schütze. Die Jungs haben mir vor meinem Aufbruch die Ohren vollgeheult mit ihm klarkommen zu müssen. Ich hoffe sie damit etwas aufzumuntern, doch ihre Blicke sinken zu Boden, Trauer und Schrecken liegt in ihren Augen. Ich will sie gerade fragen was passiert ist, als Aaron sagt: „Sven hat es heute erwischt. Tretmine.“ „Verdammt!“, entfährt es mir. Ich muss einen tiefen Atemzug nehmen, während mir unzählige ähnliche Tode in den Kopf schießen. Der Anblick ist immer grauenhaft. Jetzt tun mir meine negativen Gedanken an Sven schon fast leid. Mal abgesehen von seinen Schwächen als Soldat, war er ein liebenswerter Kerl der immer viel gelacht hat. Wie wir alle war er einfach nicht für so einen Wahnsinn gemacht. Einen Moment schweigen wir alle, dann kommt mir der Befehl des Generals wieder in den Sinn. „Es hilft alles nichts. Sehen wir lieber zu, das wir diesen sinnlosen Krieg beenden, damit die die noch übrig sind, endlich wieder nach Hause können.“ Die Männer nicken, jeder scheint mir für einen Moment mit den Gedanken daheim bei seinen Liebsten zu sein, dann zwingen sie sich wieder in ihre Uniformen. Mein Blick geht noch einmal umher. Noch immer fehlt von Volker jede Spur. Nur mal kurz auf dem Klo scheint er nicht zu sein. „Weiß einer von euch wo Volker steckt?“, frage ich. „Er hat vorhin einen Anruf bekommen. Der hat sich mächtig gefreut und ist dann auf und davon“, sagt einer der Männer. Rene bekommt ein breites Grinsen im Gesicht: „Es hatte bestimmt einer seiner Lover endlich mal wieder Zeit für ihn.“ „Leon…“, murmle ich leise. Das kann ich jetzt so gar nicht brauchen. Volker ist immer unkonzentriert, wenn er sich vergnügt hat. Auch seine Kraft lässt danach zu wünschen übrig und dabei ist er einer der stärksten Kerle die Trupp eins zu bieten hat. Ich kann unmöglich auf ihn verzichten. „Ich kann mir schon denken wo er steckt“, murre ich und gehe auf die Tür ganz hinten links zu. „Ich werde ihn holen, macht ihr euch solange fertig und sorgt dafür, dass Volkers Waffen und Klamotten auch bereit sind.“ „Ja Sir!“, rufen sie mir in einem Chor hinterher. Als ich die Dusche erreiche ist das laufen von Wasser zu hören. Wasserdampf liegt in der Luft, angefüllt von stöhnenden Lauten. Oh man, dass hat mir gerade noch gefehlt. Volker und seinen Lover stören zu müssen, nervt mich gewaltig. Ich habe ja noch nicht genug Bilder von dem Kerl mit seinen Ausschweifungen im Kopf, die ich nicht mehr loswerde. Wieso kann er seiner Sucht nicht außerhalb seiner Dienstzeit nachgehen? Dann müssten wir das wenigstens nicht sehen. Als ich um die geflieste Wand gehe, die die offene Dusche vom Rest des Raumes trennt, bin ich innerlich auf alles gefasst, doch das Bild das sich mir bietet, übertrifft es trotzdem: Volker ist bis auf zwei weiße Socken nackt. Aus dem Duschkopf über ihm läuft Wasser über den Muskulösen Körper, seine Hände sind mit schwarzem Stoff an die Armatur der Dusche gebunden. Mit etwas Fantasie kann man erahnen, dass es wohl sein Shirt ist, das nun als Fesseln dient. Bei dem durchtrainierten Kerl der das Hemd einfach zerreißen könnte, sieht das fast lächerlich aus, ihn so zu sehn. Sein linkes Bein wird von dem großen Mann hinter ihm gehoben. In schnellen geschmeidigen Stößen, dringt der Kerl in seinen Hintern ein und entlockt Volker dabei immer neue stöhnende Laute. Leons blonde Haare liegen ihm nun glatt auf dem Kopf. Auch über seinen trainierten Körper fließt das Wasser. Seine Muskeln spannen die Haut und zeichnen sich deutlich bei jeder seiner Bewegungen ab. Sein lüsterner Blick wandert immer wieder den Körper Volkers ab, während er mit ihm zu einer Einheit zu verschmelzen scheint. Volker kommt seinen schnellen Stößen entgegen und räkelt sich in seinem Schritt, als wenn es kein größeres Vergnügen geben würde. Bei dem Anblick muss ich mich zusammenreißen, nicht gänzlich die Beherrschung zu verlieren. Wütend sehe ich die Beiden an und bleibe schließlich bei Leon hängen. Meine ganze Wut richte ich auf ihn, als ich ihn anschreie: „Habe ich dir nicht gesagt, dass du dich von meinen Männern fernhalten sollst, wenn sie im Dienst sind?“ Die Blicke der Beiden richten sich auf mich, einen Moment lang schauen sie erschrocken, dann betrachtet Leon mich genervt. Er atmet hörbar aus. Volker sieht mich einen Moment entschuldigend an, schließlich sinkt sein Blick tief. „Truppenführer? Ihr… ihr seid schon zurück… ich also … ich… es tut mir leid!“, stammelt er und hebt sein Bein aus Leons Hand. Eilig beginnt er damit das Shirt um seine Handgelenke zu lösen. Leon betrachtet mich genervt, sein Glied verlässt den Hintern Volkers. Meine Aufmerksamkeit richte ich auf den Soldaten und sage streng: „Du kannst heil froh sein, dass wir einen Einsatzbefehl haben, sonst könntest du die Nacht auf dem Sportplatz verbringen. Los verschwinde, macht dich fertig!“ Mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger deute ich zur Tür. Volker schafft es seine Fesseln zu lösen. Das nasse Shirt nimmt er an sich, dann duckt er sich und schleicht an mir vorbei. Eilig sammelt er den Rest seiner Klamotten ein, die sich in der ganzen Dusche verteilen, dann verschwindet er. Leon schüttelt mit dem Kopf, er stemmt den rechten Arm in die Seite. Mit aller Mühe zwinge ich mich ihn weiterhin finster zu mustern und den Blick auf sein erregtes Glied zu meiden. Trotzdem fängt es immer wieder meine Aufmerksamkeit ein. „Bist du jetzt zufrieden mit dir? Wenn er bei eurem nächsten Einsatz drauf geht, hast du ihm gerade seinen vielleicht letzten schönen Moment versaut!“, sagt Leon und hält auf mich zu. Verbissen sehe ich ihm ins Gesicht. „Verschwinde, bevor ich mich vergesse!“, sage ich laut und viel aggressiver, als ich es eigentlich will. Leon geht an mir vorbei und nimmt sich einen Wäscheberg von einem der Spinde, dann verlässt er ebenfalls den Raum. Als die Tür nach ihm zufällt, lege ich mir die Hand ans Herz und balle sie zur Faust. Ich kann so oft durchatmen wie ich will, mein Herz schlägt noch immer wie wild in meiner Brust. Verflucht noch mal sah das geil aus, wie er ihn da genommen hat. Ohne Klamotten sieht dieser verdammte Arzt noch viel heißer aus und bewegen kann er sich auch noch. Spätestens jetzt werde ich wirklich eine Dusche brauchen. Am besten eiskalt, bis ich in meiner Lendengegend nichts mehr spüren kann. Kapitel 4: ~Himmelfahrtskommando~ --------------------------------- Unser Einsatz führt uns direkt an die Kampffront, allerdings in einen Teil der Stadt, an dem wir sonst nicht stationiert sind. Für gewöhnlich kämpfen hier erfahrenere Truppenführer. Das allein macht mich schon stutzig. Bisher haben wir die Gebiete gesichert, die noch in unserer Hand lagen, nun sollen wir einen Stadtteil zurückerobern. Noch dazu allein zu zehnt. Ein Trupp der das Gelände und die Lage vor Ort im Blick hat wurde uns nicht zur Seite gestellt. Mir wurde lediglich ein Gebiet genannt um das wir uns zu kümmern haben, mit dem Auftrag ‚säubern‘ und ‚sichern‘. Das stinkt zum Himmel, zumal uns dieser Stadtteil überhaupt nichts nützt. Hier liegt bereits alles in Schutt und Asche. Mein Bauchgefühl rebelliert so stark, das mir kotzübel ist. Als wir die gesicherte Zone verlassen und uns in dieses Niemandsland wagen, ziehen über uns Düsenjets des Feindes hinweg. Wir ducken uns alle Reflexartig in den Schatten eines in Trümmern liegenden Hauses, in der Hoffnung nicht gesehen worden zu sein. In der Ferne sind Feuergefechte zu hören. Hitze schlägt uns von einem brennenden Haus auf der anderen Straßenseite entgegen und verstärkt den fauligen Geruch, der von den Leichen toter Soldaten am Wegesrand aufsteigt. Ich wende mich davon ab, damit sich dieser Anblick nicht zu tief in mein Unterbewusstsein einfressen kann und mir nicht zu deutlich in den Sinn kommt, dass wir gleich ebenso da liegen könnten, wie diese armen Schweine. „Wie lauten unsere Befehle, Sir?“, will Rene von mir wissen, der direkt hinter mir steht. „Säubern und Sichern!“, sage ich wahrheitsgemäß. Wir sehen uns alle in der Straße und näheren Umgebung um. Die Gefechte, die wir anhand der aufleuchtenden Munition sehen können, sind so zahlreich, dass es zwar davon zeugt das hier irgendwo auch noch Leute von uns sein müssen, sonst gäbe es ja keinen Grund, um zu schießen, aber auch das es zu viele sind, um jeden davon zu beenden. Zumal wir immer wieder mit ansehen müssen, wie in der Ferne Soldaten in unseren Tarnfarben fallen, während der Feind sich zusammenschließt und den nächsten Trupp von uns angreift. „Na schön, und wie lauten Eure Befehle?“, will Aaron von mir wissen. Seine Worte bringen den Rest meines Trupps dazu, mich ebenfalls fragend anzusehen. Sie wissen längst, dass ich einen Scheiß auf die Befehle von oben gebe und wenn das Einsatzgebiet so aussieht wie hier, erst recht. „Aufklärung und überleben!“, antworte ich also. Erst einmal brauchen wir einen Überblick über das, was uns hier erwartet. Immerhin hat man uns hier nur reingeworfen, ohne Informationen, also sehe ich mich suchend um. Ein zerbombtes Hochhaus ist ganz in unserer Nähe. Die Feuerleiter scheint mir noch intakt zu sein und über den ersten Stock kommen wir ungesehen ins Gebäude. Bis zur vierten Etage sieht es sicher aus, erst darüber ist alles eingestürzt. Es ist das höchste noch stehende Haus hier in der Nähe und so weit ich das durch die glaslosen Fenster erkennen kann, ist der Feind dorthin noch nicht vorgedrungen. Die Zwei Soldaten, die ich sehen kann, tragen unsere Farben. So deute ich mit meinem Gewehr im Anschlag auf dieses Haus. „Wir gehen da rein, und besprechen uns mit unseren Leuten dort. Ich will erst mal einen Überblick haben, bevor wir das Gefecht suchen.“ Bei diesem Plan beruhigt sich mein Bauch zumindest so weit, dass ich mein Mittagessen bei mir behalte, also ist das ein gutes Zeichen. „Und Euer Bauchgefühl, Sir?“, fragt Volker. Ich atme einmal tief durch. Das sie mittlerweile auch darauf vertrauen, ist wohl den etlichen Gefechten geschuldet, in denen es uns gerettet hat. So sage ich: „Ich muss nicht mehr kotzen, also kämpfen wir uns erst mal bis dahin durch und sehen dann weiter!“ „Ja, Sir!“, sagen sie gemeinsam, dann gehe ich vor. Wir nutzen jede sich uns bietende Deckung, um möglichst lange Feindkontakt zu vermeiden, doch auf der Kreuzung vor unserem Ziel kommen zwei feindliche Soldaten entlang und sehen sich suchend um. Sie tragen Headsets und scheinen Befehle zu empfangen. Ich bleibe stehen und winke Aaron zu mir. Er ist unser bester Schütze und ich will so wenig aufsehen wie möglich auf uns lenken, weiß ich doch nicht, wo sich hier der Feind befindet und ob er zusieht. Gemeinsam könnten wir die beiden sicher mit je einem Schuss ausschalten, allerdings geben wir mit der Schussrichtung auch unsere Position preis. Ich überlege noch, als Aaron bereits neben mich tritt und durch meine Blickrichtung das Problem bereits gefunden hat, was mich hat stehen bleiben lassen. Aaron hebt bereits sein Gewehr, doch ich lege ihm meine Hand auf die Schulter und deute mit einem Kopfschwenk nach oben. Genau über den beiden schwebt wie ein Damoklesschwert, eine kaputte Stromleitung die immer wieder Funken sprüht, die lediglich noch von einem darunter liegenden Kabel gehalten wird. Die Klamotten der Soldaten sind nass, als wenn sie den Regen vor einer Stunde voll mitgenommen hätten. Die werden wir auch anders los. Aaron folgt erneut meinem Blick, mehr brauchen wir beide nicht, denn auf seinen Lippen bildet sich ein wissendes Lächeln. Er hebt den Lauf der Waffe und nimmt stattdessen das haltende Kabel ins Visier. Ich hingegen lege auf die Soldaten an. Sollte der Plan schief gehen, will ich sie ausschalten können. Als ich zumindest einen von beiden im Visier habe, sage ich leise: „Jetzt!“ Aaron schießt und trifft wie fast immer ins Schwarze. Das Kabel wird von der Kugel durchtrennt und gibt die Stromleitung frei, die herabfällt und die beiden Soldaten im Rücken trifft. Ihre Körper beginnen unkontrolliert zu zucken, erstickende Laute kommen aus ihrer Richtung, dann brechen sie in sich zusammen, reglos bleiben sie am Boden liegen. Ich senke meine Waffe und behalte die Umgebung im Auge. Es kommen keine weiteren Soldaten nach, die nach ihren Kammeraden sehen. Von außen muss es wie ein bedauerlicher Unfall gewirkt haben. Auch der Schuss scheint von niemandem gehört worden zu sein. „Sehr gut!“, lobe ich Aaron, dann richte ich meinen Blick wieder auf unser Ziel. „Weiter!“ Wir schleichen uns durch die Schatten, bis wir die toten Soldaten erreichen. Die Kabel sind weit genug entfernt zum Liegen gekommen, so folge ich einer Eingebung und klaue einem von ihnen das Headset. Ich lege mein eigenes in meinen Nacken und setze das fremde auf. Zu wissen was der Feind vor hat, kann nicht schaden, vielleicht kann ich ein paar Funksprüche mithören. Das Mikrophon schalte ich auf Stumm, dann folge ich meinen Leuten, die bereits über die Feuerleiter das Gebäude betreten haben. Ich kann einige verschlüsselte Botschaften mithören, die ich dank der Codeworte nicht verstehe, doch die Befehlsstruktur ist die Selbe wie unsere. Es klingt als würden sie sich irgendwo sammeln wollen. Während ich zu meinen Kammeraden klettere, höre ich weiter mit und versuche daraus schlau zu werden. Solange diese Leitung hier noch läuft, muss ich das für uns nutzen. Wenn sie erst mal merken, dass keine Antwort mehr kommt, werden sie sie sicher kappen. Über das Treppenhaus gelangen wir auf die Etage, auf der ich zuvor unsere Soldaten gesehen habe. Doch bevor wir diese Ebene betreten, gehe ich wieder vor, um zu sehen, wo sich unsere Kammeraden verschanzt haben und eine Möglichkeit zu finden auf uns aufmerksam zu machen, ohne den Feind zu uns zu locken und ohne von unseren Leuten eine Kugel zu kassieren. So wie mir die Lage hier erscheint, schießen die sicher auf alles was sich bewegt. In dem verwüsteten Büroraum, der hinter der offenen Tür liegt, scheint nichts mehr an seinem Platz zu stehen. Stühle und Tische liegen kreuz und quer verteilt. Dazwischen befinden sich einige leblose Körper, alle samt in unseren Uniformen. Darunter auch der Truppenführer dieses Trupps. Ich kenne den Kerl nicht, aber es gruselt mich, den erschossen hier zu sehen, also wende ich mich schnell wieder ab. Mein Blick schweift weiter umher. Von den zwei Soldaten, die ich gesehen habe, ist nur noch einer unverletzt. Der Kerl dürfte nicht älter als 16 höchstens 17 sein. Die verheizen mittlerweile wirklich jeden Mann, der eine Waffe halten kann. Er lehnt an der Wand uns direkt gegenüber und hält seinen Kammeraden in den Armen. Blut quillt aus einer Schusswunde in Arm und Oberkörper, die er krampfhaft zu hält. Doch es reicht nicht die Blutung zu stoppen. Der Kerl wiegt sich und seinen verwundeten Kammeraden selbst vor und zurück und heult dabei wie ein Kleinkind, doch kein Laut kommt ihm über die Lippen. Eine Waffe kann ich bei ihm nicht ausmachen. Ich atme tief durch, dann gebe ich meinen Leuten mit einem Handzeichen zu verstehen, dass sie warten sollen. Wenn sich einer eine Kugel einfängt, dann bin ich das. Also gehe ich offen hinein und lasse meine Waffe gesenkt, als Zeichen keine Gefahr zu sein. Sofort richten sich die Augen des Soldaten auf mich. Er sucht den Boden um sich herum ab, während er zittert wie Espenlaub. „Nicht, wir gehören zu euch!“, sage ich schnell. Die Anspannung weicht aus dem Körper des Soldaten, als er meine Uniform erkennt. „Truppenführer Wolfenstein!“, stelle ich mich kurz vor. Er nickt, seine Tränen versiegen. „Verstärkung?“, bringt er gerade so über die bebenden Lippen. Ich atme angespannt aus. Ich glaube nicht das den Jungs hier irgendwer zur Hilfe geschickt wird, wir sollten ja auch nicht hier sein, doch um den Jungen zu beruhigen nicke ich. Während meine Männer nun hereinkommen und mit der Waffe im Anschlag den Raum sichern und dann nachsehen ob noch jemand am Leben ist, tue ich dasselbe mit dem Mann im Arm des jungen Soldaten. Ich fühle nach dessen Puls, aber da ist nichts mehr. „Wie ist dein Name?“, frage ich den jungen Soldaten. „Timo“, antwortet er mit brüchiger Stimme, dann sieht er zu meinen Männern. „Es… sie… keiner lebt mehr!“, sagt er. „Wie sieht die Lage hier aus? Warum seid ihr hier oben gewesen?“, will ich wissen. „Ich… ich weiß es nicht. Unser Truppenführer… er hat nicht viel gesprochen, schon gar nicht mit mir.“ Ich seufze. Das hilft uns nicht weiter. Aber zumindest sind wir nun in einer Position das Gelände überblicken zu können. „Darf… also darf ich bei euch bleiben?“, will Timo hoffnungsvoll wissen und sieht mich an, als wenn ich sein Messias wäre. Er hat bis eben sicher schon mit dem Leben abgeschlossen gehabt. „Willkommen im Trupp eins“, sage ich, dann sehe ich mich nach meinen Kammeraden um. Rene sichert mit Aaron die einzige Tür im Großraumbüro. Der Rest hockt am Boden hinter Möbeln, um kein Ziel abzugeben. Immerhin ist die ganze Fensterfront offen. „Volker tausche mit Rene, Rene und Aaron zu mir!“, rufe ich meine beiden Scharfschützen zu mir. Die kann ich hier noch am besten gebrauchen und Volker ist unser stärkster Nahkämpfer, der macht sich an der Tür einfach besser. „Kann… kann ich helfen?“, will Timo wissen und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. „Bist du treffsicher?“, frage ich. „Nun ich musste treffen lernen. So gut wie ein Scharfschütze bin ich nicht, aber ich schaffe immerhin gute Bodytreffer. Ansonsten verreiße ich leider oft. Alles bis 30 Meter treffe ich recht sicher, darüber bin ich nur mit einem Maschinengewehr gut.“ Der Rückstoß der Waffe setzt dem kleinen Kerl sicher zu, so ist es kein Wunder, dass er den Lauf dabei nicht treffsicher halten kann. Aber wenigstens ist er ehrlich und versucht vor mir nicht zu prallen. Ich muss mich auf die Fähigkeiten meiner Männer verlassen können, so reagiere ich auf Lügen mehr als empfindlich. „Sir! Das müsst ihr euch ansehen“, ruft Aaron mir zu. Er und Rene haben sich flach auf den Boden gelegt. Sie halten ihre Gewehre im Anschlag und sehen durch das Suchfernrohr. Beide wirken angespannt, scheinen aber noch kein Ziel ausgemacht zu haben, denn ihre Zeigefinger liegen locker um den Abzug. Ich robbe in der Hocke zu ihnen und lege mich neben Aaron, als ich sie erreiche. Mein Gewehr richte ich ebenfalls aus, dann klappe ich das Visier des Fernrohrs hoch. Als ich hindurchsehe, weiß ich jedoch noch nicht, was die Aufmerksamkeit der Beiden geweckt hat. „Ende der Straße, auf dem Sportplatz der Schule!“, sagt Rene. Ich folge dem Straßenverlauf und kann die beschriebene Stelle finden. Etliche Soldaten des Feindes haben sich dort versammelt. Ihre Truppenführer scheinen sich zu beraten, schließlich bellen sie ein paar Befehle, dann machen sich alle auf den Weg. Ich fahre routiniert die nähere Umgebung ab. Doch dort ist niemand von uns mehr der noch einsatzfähig scheint. „Was könnte ihr Ziel sein…“, murmle ich und sehe mich weiter um. Wenn die sich zusammentun, haben sie sicher mehr als nur die Eroberung dieses Stadtteils vor. Davon mal abgesehen scheint es ihnen bereits gelungen zu sein. Ich habe noch kein mögliches Ziel entdeckt, da sagt Aaron: „Zirka 1000 Meter Luftlinie liegt eines unserer Lazarette.“ „Nicht ihr Ernst!“, knurre ich. Tatsächlich bewegen sich die Soldaten genau in diese Richtung. Viel mehr als das gibt es dort auch nicht, das sich lohnen würde. „Ein paar von denen sind verletzt, aber ich bezweifle das sie höflich um erste Hilfe bitten werden“, gibt Rene zu bedenken. „Eure Befehle Sir?“, fragt Aaron. Ich wäge einen Moment lang ab und sondiere dabei die Umgebung. Dabei kann ich lediglich tote Kammeraden finden oder welche die es nicht mehr lange machen werden. Unserem ursprünglichen Befehl zu folgen und dieses Gebiet mit nur elf Männern zurückzuerobern erscheint mir sinnlos. Das Lazarett hingegen ist von drei Trupps gesichert. Wenn wir uns mit denen zusammentun, könnten wir zumindest verhindern, dass der Feind auch noch dort einfällt. „Wir schließen uns mit den Jungs beim Lazarett zusammen und halten sie auf“, entscheide ich. „Yes! Endlich mal wieder eine anständige Aufgabe!“, freut Aaron sich. Ich rolle mit den Augen und setze mir wieder mein eigenes Headset auf. Das Mikro lege ich an meine Stimmbänder. Unser neues Ziel und die Bewegung des Feindes gebe ich an den Kommandanten weiter: „Alpha Foxtrott zero zero - Hier Echo Tango one. Kommen.“ Nach einem kurzen Rauschen kann ich unseren Kommandanten hören: „Alpha Foxtrott zero zero, hört. Kommen.“ „ET1 wird Position verlassen und zu Wegmarke Yankee five wechseln. Kommen.“ „ET1 - Negativ. Folgen sie ihrem Einsatzbefehl. Kommen.“ „Alpha Foxtrott zero zero, Verlegung ist bereits begonnen. Geben Sie Yankee five bescheid, dass wir kommen. Kommen.“ „ET1, Das wird noch ein Nachspiel für sie haben!“ „Alpha Foxtrott zero zero, nur zu. Ende.“ Es wird stumm in meinen Kopfhörern. Das blöde Gesicht des Kommandanten kann ich direkt vor mir sehen. Die Strafe dafür kenne ich bereits. Eine gemütliche Zelle und mal einen Tag Ruhe vor diesem Wahnsinn hier. Das ist nicht das Schlechteste. Wobei ich wohl von Glück reden kann, das der Krieg im Moment so viele Opfer fordert, dass ich schnell wieder gebraucht werde, sonst würde ich wohl für immer weggesperrt werden. „Schön und gut, dass wir uns heldenhaft fürs Lazarett einsetzen, aber wie wollt ihr die aufhalten? Zahlenmäßig sind sie uns weit überlegen“, fragt Rene. Das ist wirklich ein Problem. Selbst mit unseren Jungs am Lazarett wird das ein Himmelfahrtskommando. „Wir sollten uns deutlich schneller bewegen können als die und wir kennen uns hier besser aus. Ihr beide seid in Berlin aufgewachsen, nutzen wir eure Schleichwege und Abkürzungen. Versuchen wir sie zu überholen und eine Sprengfalle aufzubauen, bevor sie die Spree da hinten überqueren können. Notfalls jagen wir sie mit der ganzen Brücke in die Luft“, schlage ich vor und robbe von der zerstörten Fensterfront zurück. Wenn mein Plan noch funktionieren soll, dann müssen wir sofort aufbrechen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)