Liebe zwischen Tod und Leid - Sidstory von Enrico (Sidestory zur Gefesselt-Reihe) ================================================================================ Kapitel 1: ~Gestrichener Urlaub~ -------------------------------- Nicht einmal einen Tag Fronturlaub ist mir vergönnt und dann das. Diese verdammten vorrückenden Truppen. Wenn wir sie nur schon alle zum Teufel gejagt hätten. Ich bin doch gerade mal eine halbe Stunde zu Hause. Genervt betrachte ich die Nachricht auf meinem Handy. Das kühle Bier stelle ich auf den Stubentisch zurück. In nicht mal fünf Stunden soll ich mich wieder zum Dienst melden. Allein der Weg zurück kostet mich zwei volle Stunden zu Fuß. Mit dem Auto ist es dank der zerstörten Straßen so gut wie unmöglich. So ein Dreck! Ich wollte wenigstens mal für ein Wochenende den Schrecken vergessen. „Was ist los mein Junge?“, fragt mein Vater. Er sitzt mir im Sessel gegenüber. Meine finstere Mine ist ihm nicht verborgen geblieben. „Ich muss wieder zurück!“, sage ich kühl. Mutter bleibt abrupt stehen. Das Tablett das sie in der Hand hält, auf dem sie Kuchen trägt, beginnt in ihren Händen zu zittern. „Aber du bist doch gerade erst angekommen!“, sagt sie. Die Gläser die neben dem Kuchen auf dem Tablett stehen schlagen klangvoll aneinander, die Limonade in ihnen schwappt heraus. „Der Feind rückt weiter vor, er steht schon vor der Stadtgrenze Berlins. Mein Urlaub wurde gestrichen“, sage ich noch immer mit Blick auf mein Handy. „Das können sie doch nicht einfach so machen, oder?“, fragt meine Mutter und sieht zu ihrem Mann. „Tina, lässt du uns bitte allein?“, sagt mein Vater. „Aber!“ Mutter holt schon Luft für einen Einspruch, doch Vater fällt ihr ins Wort: „Bitte geh und schließe die Küchentür!“, sagt er nach Strenge ringend. Sie nickt und geht mit dem Tablett zurück in die Küche, die Tür schließt sie nach sich. Lautes Klirren ist zu hören, wie von zerspringendem Glas. Etwas Schweres fällt gegen die Wand und rutscht an ihr hinab. Leises Schluchzen ist zu hören. Ich lasse das Handy sinken und seufze. Immer wenn ich zurück an die Front muss, bricht Mutter in Tränen aus. Ich bin gewillt aufzustehen und ihr Trost zu spenden, doch der strenge Blick meines Vaters hält mich davon ab. Wenn er mit mir allein sprechen will, ist das noch nie ein gutes Zeichen gewesen. Mutters Weinen übergeht er und beugt sich mit dem Oberkörper weit nach vorn, die Hände faltet er in einander. Während er die Arme mit den Ellenbögen auf die Knie stütz, legt er sich die verkrampften Finger an das Kinn. „Lucca, wie schlimm ist es wirklich dort draußen?“ Ich sehe unter dem Blick meines Vaters hinweg und lande bei seinem linken Bein, das in einer Verschalung liegt, am Sessel lehnt sein Stock. Er ist schon seit vielen Jahren Rentner, nachdem ihm ein Lkw mit seinem Auto erwischt hat. Wenn es hart auf hart kommt, schafft er es nicht mal aus dem Haus. Noch ein Grund mehr, warum wir die Feinde endlich bezwingen müssen. Bis hier her dürfen sie auf keinen Fall vordringen. Gedanklich bin ich schon wieder im Einsatz und überlege, wo wir diese Schweine am effektivsten Treffen könnten. „Lucca! Ich habe dich etwas gefragt!“, sagt mein alter Herr streng. Was soll ich ihm antworten? Die Wahrheit wird ihn und Mutter nur noch mehr beunruhigen. Ich schweige. Mein Vater mustert mich einen Moment durchdringend dann sagt er: „Ich verstehe!“ Er senkt den Blick. „Es ist eine Schande das ihr jungen Männer dort draußen den Kopf hinhalten müsst, während wir Alten hier zu Hause sitzen“, sagt er verbittert. Was für ein absurder Gedanke. Was sollten wir mit einem Haufen Rentnern an der Front anfangen? „Und was würdest du dort draußen tun wollen? Dir eine Zielscheibe auf die Brust malen, um den Feind für einen Moment abzulenken?“ Die Mundwinkel meines Vaters heben sich einen kurzen Moment, dann ist seine Stimme noch strenger: „Sei nicht immer so vorlaut. Das bringt dich noch mal in Schwierigkeiten.“ Ich rolle mit den Augen. Das darf ich mir schon anhören seit ich denken kann und trotzdem kann ich nicht anders. Lieber Angriff als Angst, war schon immer meine beste Waffe. Wir schweigen beide lange, bis es wieder mein Vater ist, der das Wort ergreift. Ein erzwungenes Lächeln liegt in seinem Gesicht, als er sagt: „Lucca bitte verstehe mich nicht falsch. Ich bin unheimlich stolz darauf, wie weit du es in nicht mal einem Jahr in der Armee geschafft hast. Ich meine du bist mit 20 schon Truppenführer und die Uniform steht dir. Dir laufen die Frauen sicher reihenweise hinterher. Miriam muss aufpassen, dass du nicht mit einer anderen wieder heim kommst. Aber…“ Sein Lächeln vergeht, seine Stirn wird von tiefen Falten gefurcht, die Augenbrauen zieht er in die Gesichtsmitte. „… du bist noch so jung. Du hast noch dein ganzes Leben vor dir und solltest nicht in einem so sinnlosen Konflikt dein Leben wegwerfen.“ Worauf will er eigentlich hinaus? Als wenn ich noch eine Wahl hätte. Ich bin längst in dieser Kriegsmaschinerie gefangen. „Erzähl das mal den Staatsoberhäuptern, die den Mist angefangen haben!“ „Eben, die halten ja nicht den Kopf hin. Mir wäre es lieber, du bleibst einfach bei uns. Wir könnten dich bei Nachbar Albert auf der Farm verstecken, bis alles vorbei ist.“ Meinen Vater sehe ich finster an. Ich werde bestimmt nicht feige davon laufen. Schon gar nicht mit dem sicheren Wissen, dass der Feind so nah an meiner Heimatstadt ist. „Dein Ernst? Fahnenflucht? Und das von jemanden der mir mein Leben lang eingeredet hat, wie tapfer man doch als Mann zu sein hat.“ „Vielleicht lag ich da falsch. Manchmal ist es besser einen Moment Feige zu sein, als ein ganzes Leben lang Tod.“ Wieder eine seiner berühmten Weisheiten. „Vergiss es, ich werde mich nicht feige verstecken!“, sage ich stur. Mein Vater beginnt einen Einspruch: „Aber …“ „Nein, ich kämpfe! Nicht für die Regierung oder aus Ehre. Alles was ich will ist verhindern, dass der Feind bis hier her vordringt. Ich will meine Familie beschützen, das war der einzige Grund warum ich mich freiwillig gemeldet habe. Ich will das Danny ohne Angst aufwachsen kann, dass er wieder zur Schule gehen kann und ich will das Mutter und du noch viele schöne Jahre vor euch habt. Ihr könnt sterben wenn ihr Alt und grau seid, nicht jetzt!“ Vater atmet erschwert aus, sein Blick sinkt tief. „Deine Motive ehren dich, aber der Preis ist zu hoch.“ Schnelle Schritte sind im Flur zu hören, ich erkenne meinen kleinen Bruder schon am Schritt. Völlig außer Atem platzt er ins Wohnzimmer und hält sich am Türrahmen fest. Seine Klamotten sind dreckig, selbst im Gesicht hat er Staub und Spinnweben kleben. „Luccaaa!“, ruft er so laut es seine kratzige Stimme noch zulässt. Ich stehe auf und werfe Vater einen flüchtigen Blick zu. Wir nicken uns stumm zu und sind uns einig das Thema zu lassen, so lange Danny dabei ist. Stattdessen breite ich die Arme aus. „Na los, komm schon her, Nervensäge!“ Danny lässt sich nicht lange bitten. Er rennt die letzten Schritte und wirft sich mir in die Arme. In dem Rucksack auf seinem Rücken, schlägt Metall auf Metall. Sicher war er auf der Suche nach Lebensmitteln in zerbombten Häusern unterwegs. Das würde zumindest sein Erscheinungsbild erklären. „Ich bin sofort nach Hause gerannt, als ich gehört habe, dass du schon da bist.“ „Gut dass du dich so beeilt hast, sonst hätten wir uns verpasst“, sage ich und drücke ihn. Danny schiebt mich von sich. Mahnend sieht er an mir hinauf. Eine Frage liegt in seinen blauen Augen. „Mein Urlaub ist gerade gestrichen worden. Ich muss gleich wieder los“, sage ich. „Aber du bist doch gerade erst angekommen!“, sagt er wütend. Ich nehme meine Mütze ab und lege sie auf seinen Kopf. Sie ist ihm viel zu groß und sinkt ihm weit über die Augen. „Ich weiß, nervt mich auch. Aber so konnte ich dich wenigstens mal kurz sehen.“ Danny zieht einen Schmollmund. „Du kannst nicht einfach kommen und dann gleich wieder gehen.“ „Ich habe noch zwei Stunden bis ich wieder los muss.“ „Ich wünschte ich wäre schon alt genug. Dann könnte ich mit dir kommen und wir würden diese Mistkerle zusammen abknallen!“, sagt Danny ernst, doch in seinem kindlichen Gesicht will das nicht wirken. Ich muss über ihn schmunzeln und bin im selben Moment froh darüber, dass er erst 13 Jahre alt ist. Was dort draußen geschieht davon soll er nie etwas zu sehen bekommen. Schlimm genug das auch hier schon Bomben gefallen sind und unsere Großeltern dabei ums Leben kamen. Danny nimmt den Rucksack von den Schultern. Er stellt ihn auf den Wohnstubentisch. Aus ihm holt er etliche Dosen heraus und zwei Tüten mit Mehl und Zucker. „Dann musst du aber meine Beute mit mir essen! Das habe ich aus Omas Haus retten können“, sagt er und holt als letztes ein Einmachglas mit Kirschen heraus. „Na da sage ich doch nicht nein!“, sage ich lächelnd. Als wir beide für einen Moment still sind, ist Mutters Schluchzen wieder deutlicher zu hören. Danny sieht von mir zu Vater und wieder zurück, schließlich sagt er: „Ich rede mit ihr!“ Er dreht sich um und geht Richtung Küche. Kurz bevor er sie erreicht, dreht er sich noch einmal um: „Du machst schon mal das Glas auf. Ich hole uns Schüsseln und einen Löffel.“ Danny verschwindet in der Küche. Während ich das Glas öffne und dann auf den Tisch stelle, sieht mein Vater mich wieder ernst an. „Lucca, ich …“ Sein Blick weicht auf. Er bringt den Satz nicht zu Ende, sondern stemmt sich aus seinem Sessel hinauf. Ohne seinen Stock kommt er zu mir gehumpelt und nimmt mich fest in den Arm. Ich umarme ihn ebenfalls. „Ich liebe dich mein Junge. Wenn du da draußen doch die Nerven verlierst und einfach nur weg willst, dann komme nach Hause. Wir finden einen Weg dich zu verstecken.“ Ich atme schwer aus. „Danke Dad!“, sage ich und versuche nicht an die Einsätze an der Front zu denken. Ich weiß jetzt schon, dass ich mir sobald ich dort bin wünschen werde, sein Angebot angenommen zu haben, aber dann könnte ich am Morgen nicht mehr in den Spiegel sehen. Nein, die drei sollen diesen sinnlosen Krieg überleben. Dafür werde ich kämpfen! Zwei Stunden später stehen wir alle vier vor meinem Elternhaus. Mutter hat noch immer Tränen in den Augen und ein Taschentuch in der Hand. Sie kämpft tapfer gegen ihre Sorgen an und zwingt sich ein Lächeln ins Gesicht. Sie nimmt mich fest in den Arm und legt mir einen Kuss auf die Wange. „Pass auf dich auf!“, sagt sie mit brüchiger Stimme. „Das werde ich. Ich bin doch bisher auch immer heil zurückgekommen“, versuche ich ihr Mut zu machen. Sie schafft es nur mit Mühe, sich von mir zu lösen. An ihre Stelle tritt mein Vater. Er lehnt seinen Stock an den Türrahmen und legt mir seine Hand auf die Schulter. Er richtet sich gerade auf, dann sagt er: „Lucca, ich bin sehr stolz auf dich.“ Er nimmt mich noch einmal fest in den Arm und sagt dabei: „Wenn du mal große Angst hast, dann vergiss nicht…“ „Ja ich weiß schon: Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst, sondern zur Tat zu schreiten obwohl ich Angst habe“, sage ich den Spruch auf, der mich schon seit meiner Kindheit begleitet. Vater lächelt zufrieden, dann gibt er mich frei. Mein Blick wandert auf meinen kleinen Bruder, der zwischen unseren Eltern steht. Er trägt noch immer meine Mütze, die sein Gesicht zur Hälfte verbirgt. Ich gehe vor ihm in die Hocke, um ihm besser in die Augen sehen zu können. „Und du passt mir gut auf die beiden auf, ja? Sorge dafür das Vater seine Medizin nimmt und Mutter genug im Kühlschrank hat, damit ihr nicht verhungert.“ „Das mache ich!“, sagt Danny und legt sich stolz die Hand an die Brust, ähnlich wie wir es bei der Armee tun. Ich nehme ihm die Mütze vom Kopf und setze sie mir wieder auf, dann wuschle ich dem Kurzen durch die Haare und erhebe mich. „Ich schreibe euch wenn ich am Stützpunkt angekommen bin!“, sage ich und sehe alle drei und das Haus noch einmal an. Hier draußen auf dem Land stehen die meisten Häuser noch. Mit dem gepflegten Garten und dem intakten Mauerwerk erscheint mir mein zu Hause, als wenn es nie Krieg gegeben hätte und so muss es auch bleiben. Ich nicke meinen Liebsten zu, dann verlasse ich sie. „Mach sie fertig, großer Bruder!“, ruft mir Danny nach. Das werde ich und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)