Die Vertretung und die Folgen von Iwa-chaaan (Wenn Hündchen vor große Herausforderungen gestellt werden) ================================================================================ Kapitel 59: Zurechtweisung des kleinen Bruders ---------------------------------------------- Dienstag, 18.10. Kaiba hatte sich nach dem Treffen mit Joey regelrecht in die Arbeit gestürzt. Das lag nicht daran, dass der Blonde sich so schwer damit tat, Hilfe anzunehmen, sondern daran, dass er Joey in dem Augenblick am liebsten geküsst hätte. Erst danach war ihm bewusst geworden, dass das der Moment gewesen war, wo er vielleicht noch ein bisschen hätte geradebiegen können, doch er hatte sie verstreichen lassen. Dafür war er zu wütend auf den Blonden gewesen, dass er lieber allein litt, als das Geld anzunehmen, um wenigstens eine Last loszuwerden. Und er konnte ihm noch nicht einmal böse sein, denn er jammerte nicht rum, wie grausam das Leben war. Im Gegenteil. Er stellte sich diesen Situationen allein, kämpfte immer weiter und schaffte es immer irgendwie, einen Ausweg zu finden und weiterzugehen. So wie er. Es war ihm abends bei einer Diskussion mit Mokuba klar geworden, dass sie in diesem Punkt gleich tickten. „Mokuba, wir müssen reden“, sagte Seto ruhig, als sie beim Abendessen saßen. Es war Sonntagabend und diese Zeit gehörte grundsätzlich ihnen beiden. Doch der Kleine hatte sein Essen schnell heruntergestürzt und war schon wieder auf dem Weg in sein Zimmer. „Und worüber?“, wollte er wissen und Seto drehte sich zu ihm. „Lass uns ins Wohnzimmer gehen, okay?“ „Ja okay …“ Seto legte das Besteck beiseite und folgte Mokuba, der sich in eine Ecke des Sofas setzte und die Beine anzog. Alles an ihm schrie nach Abwehrhaltung und Seto seufzte innerlich. Er wollte nicht, dass sie gedanklich so weit weg waren. Mokuba war sein Rettungsanker – schon immer gewesen – und er wollte nicht, dass es dem Kurzen so schlecht ging. Sein Glück war auch sein eigenes Glück. „Moki, ich weiß nicht, was ich tun soll. Du kannst doch nicht von mir verlangen, auf Knopfdruck Gefühle für Joey zu entwickeln.“ „Nein, das tu ich auch nicht. Ich dachte nur … Ich dachte, dass da schon welche wären“, murmelte der Kurze, hielt inne und fuhr nach kurzer Pause fort, „Ich bin mir sogar sicher, dass da welche sind! Aber du kannst das nicht einsehen, oder? Du wirktest viel befreiter und entspannter, als Joey hier war. Du hast sogar mal wieder gelacht nach all den Jahren. Das kann man nicht schauspielern, Seto.“ „Ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst, kleiner Bruder, aber … Gozaburo hatte seine Erziehungsmethoden, wie du weißt und er hat mich jahrelang gelehrt, dass Gefühle nur im Weg sind. Wenn ich ein erfolgreicher Geschäftsmann werden wollte, musste ich sie tief in mir einschließen. Die Jahre, die ich dort war, waren sehr prägend für mich und dass ich nicht durchgedreht bin, lag einzig und allein an dir. So eine Erziehung hinterlässt seine Spuren … Ich kann nicht wie Joey einfach über meine Gefühle sprechen. Ich höre dann immer wieder Gozaburos Stimme in meinem Kopf.“ Es war das erste Mal, dass er das aussprach und es fühlte sich so seltsam an. Doch sein kleiner Bruder war der einzige, dem er sich anvertrauen konnte, denn er war ebenfalls dort gewesen und könnte das noch am ehesten nachvollziehen. „Aber du versuchst doch nicht mal, Hilfe anzunehmen!“, erwiderte der Kleine entschieden, doch der Brünette widersprach: „Das ist nicht wahr, Mokuba. Und das weißt du auch. Wenn ich sie verweigert hätte, hätte ich Joey schon viel früher rausgeschmissen.“ „Hast du denn mit ihm gesprochen? Über Gozaburo? Ihm gesagt, was du mir eben gesagt hast? Joey schien doch selbst Probleme mit seinem Vater zu haben, also hätte er dir sicherlich zugehört!“ Seto seufzte leise. Sein kleiner Bruder verstand einfach nicht, dass er nur bei ihm so offen reden konnte, weil sie beide bei Gozaburo gewesen waren. Joey würde das volle Ausmaß nicht verstehen können und das nahm er ihm nicht einmal übel. Außerdem hatte dieser seine eigenen Probleme, da musste er ihn nicht auch noch mit seinen Dingen belästigen. Nein, das war seine Privatangelegenheit. „Du liebst Joey. Aber du bist so auf Gozaburo fixiert und darauf, ihn zu übertrumpfen, dass du dich selbst und die anderen Leute außerhalb ignorierst! Dabei ist Gozaburo tot! Er ist egal! Seto, du musst mit ihm reden. Er wird dich verstehen. Und er wird dir helfen können, weil er selber Probleme mit seinem Vater hat. Stoß ihn nicht weg, Seto. Ich bitte dich. Er liebt dich.“ „Gib mir Zeit, kleiner Bruder. Ich kann meine Erziehung nicht in ein paar Tagen vergessen oder ignorieren. Und ich weiß nicht, was ich für ihn empfinde. Das ist nicht so einfach.“ „Doch, das ist es. Rede dich nicht immer raus, wenn es um Gefühle geht, Seto! Ich habe das immer akzeptiert, aber jetzt, wo du so glücklich ausgesehen hast, lasse ich nicht zu, dass du wieder zumachst“, verkündete der Kleine und sprang vom Sofa. Er wuselte zur Tür und drehte sich noch einmal um. Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen sagte er: „Ich hab dich lieb, großer Bruder. Und ich will, dass du glücklich wirst.“ „Ich hab dich auch lieb, kleiner Bruder. Schlaf schön.“ Mokuba verließ das Wohnzimmer, schloss leise die Tür und ließ ihn allein zurück. Er lehnte sich zurück, legte den Kopf auf die Rückenlehne und schloss die Augen. Sofort sah er Joey vor seinem inneren Auge, wie er ihn anlächelte und fühlte, wie die anderen Gedanken davon trieben, wie sich seine angespannten Muskeln lösten und sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Aber war das schon Liebe? Er hatte so etwas noch nie zuvor gefühlt und war sich nicht sicher, ob das, was da in ihm war, wirklich schon groß genug war, um es als dieses große Wort zu bezeichnen. Irgendwie kam es ihm dafür zu lapidar vor, was in seinem Inneren vorging. Nein, Moki irrte sich. Er hatte mittlerweile Respekt für ihn, begehrte seinen Körper, weil er so einzigartig war und fühlte sich wohl bei ihm, aber mehr war da nicht. Und jetzt? Er hatte den Punkt verpasst, um Joey zurückzugewinnen. Er hatte ihn nicht wahrgenommen und jetzt gab es kein Zurück mehr. Ihm war bei dem Gespräch mit seinem kleinen Bruder klar geworden, dass er schon etwas für ihn empfand, auch wenn ihm noch nicht klar war, was genau. Dass er deswegen unentwegt an ihn dachte. Dass er deswegen nachts besser schlafen konnte, wenn er ihn noch leicht roch. Aber er war in diesen Gefühlsdingen nicht so bewandert – man konnte wohl sagen, er war unsicher – und jetzt hatte er den einen verstoßen, den er wollte. Mit dem er nicht nur schlafen wollte, sondern Zeit verbringen. Den einen, der ihn vielleicht wirklich verstehen konnte. Das Klingeln des Geschäftshandys riss ihn aus seinen Emails und reflexartig griff er es vom Tisch, schaute aber nicht auf das Display. Er nahm ab und begrüßte den Anrufer, während er auf ein paar Graphen aus der Verkaufsabteilung schaute. „Hier Seto Kaiba. CEO der Kaiba Corporation.“ „Guten Abend Herr Kaiba. Hier ist Wagner, der Europachef. Ich melde mich wegen des letzten Gesprächs mit ihrer Vertretung Herrn Wheeler. Wir hatten über Markenbotschafter und Influencer gesprochen, die uns helfen, unsere Produkte zu bewerben. Hat er Ihnen davon berichtet?“ „Ja, hat er. Konnten Sie welche finden?“ Er erinnerte sich daran, dass Joey das bei ihm angesprochen hatte und auch in eine seiner Zusammenfassungen geschrieben hatte. Ordentlich, wie der Blondschopf hier gewesen war, hatte er für jeden Arbeitstag eine Zusammenfassung seiner Gespräche und Entscheidungen geschrieben, sauber sortiert nach Themen und Prioritäten, sodass er auch jetzt noch jeden Schritt nachvollziehen konnte. Während seinem Europachef zuhörte, der ihm ein paar Namen und Konditionen erläuterte, öffnete er das betreffende Dokument und las alles noch einmal schnell nach. „Was halten Sie von den Leuten?“ „Der eine Name sagt mir nichts, aber ich werde mal ein wenig nachforschen. Die anderen Drei sind in Ordnung, aber bevor Verträge unterschrieben werden, möchte ich Sie gern persönlich kennenlernen. Da ich Ende des Monats sowieso zu Ihnen fliege, laden Sie die Vier bitte zu Gesprächen ein. Ich möchte mich gern davon überzeugen, dass sie wirklich zu uns passen.“ „Selbstverständlich.“ Er hörte, wie im Hintergrund etwas getippt wurde und Seto lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Sein Blick fiel auf Joeys Personalmappe und noch ehe er sich zurückhalten konnte, fragte er: „Wie sieht es in Europa mit dem Personal aus? Gibt es Knappheiten? Gemeinsam mit ein paar anderen arbeite ich gerade ein neues Konzept aus, um als Arbeitgeber attraktiver zu werden und das wird später natürlich auch auf das Europa HQ zukommen. Daher bräuchte ich eine Liste mit Punkten, die in Europa besonders sind, um sie berücksichtigen zu können.“ „Die kriegen Sie innerhalb der nächsten 2 Wochen. Und ich denke, eine Reform des Personalwesens ist sinnvoll, da unsere Strukturen – um ehrlich zu sein – etwas veraltet sind. Daher begrüße ich den Schritt sehr und werde Sie da bestmöglich unterstützen. Gibt es schon erste Ideen, wenn ich fragen darf?“ Kaiba verkniff sich, ihm zu sagen, dass er alles fragen dürfte, aber keine Antwort erwarten sollte. Kurz schloss er die Augen, rieb sich über das Gesicht und hatte sofort das Hündchen vor Augen. Sein freches, herausforderndes Grinsen strahlte ihm entgegen und dann noch seine Worte: „Kaiba, sei kein Idiot. Lass mich dir beweisen, dass das die Firma weiterbringen wird. Darum geht es doch schließlich.“ Er hatte recht. Es ging um das Unternehmen, also sollte er jetzt kidisch antworten, sondern grobe Eckpunkte vorstellen. In so einem informellen Rahmen war das eine gute Möglichkeit, damit sich Herr Wagner bis zum Meeting Ende des Monats schon einmal ein paar Gedanken machen konnte. „Ja, die gibt es. Joey hat sich mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt und ein Konzept vorgelegt, dass ich derzeit noch durcharbeite. Unter anderem geht es darum, eine Gleitzeit einzuführen, bzw. im Kundendienst ein Schichtsystem. Die Mitarbeiter sollen freier darüber entscheiden können, wie mit ihren Überstunden umgegangen wird – natürlich in enger Absprache mit dem Abteilungsleiter. Desweiteren werden wir in Zukunft sämtliche Arbeitsprozesse verschriftlichen, damit sie für jeden einsehbar sind und Dokumentationen für die verschiedenen Programme erstellen. Zuguterletzt spiele ich mit dem Gedanken, ob es sinnvoll ist, den Abteilungen ein Budget für firmenfinanzierte Ausflüge zu gewähren. Da muss ich aber noch die Zahlen anschauen. Sie können sich ja noch Gedanken machen, welche Knackpunkte Sie für Europa sehen.“ „Natürlich, das mach ich. Aber das klingt sehr vielversprechend. Da hat Herr Wheeler ganze Arbeit geleistet.“ „Ja, das hat er. Also ich muss weitermachen. Wir sehen uns dann in zwei Wochen.“ „Natürlich, einen schönen Abend noch.“ Kaiba erwiderte den Gruß und legte dann seufzend auf. „Da hat er wohl ganze Arbeit geleistet, ja …“, wiederholte er murmelnd und starrte einen Moment lang in Nichts. Ein Blick auf die Uhr im Laptop verriet ihm, dass er schon lange hätte zu Hause sein sollen. Also packte er seine Sachen zusammen, schaltete den Laptop aus und verließ das Büro. Er fuhr in seinem privaten Fahrstuhl bis in die Tiefgarage, stellte mit einem kurzen Blick fest, dass sie bis auf sein Auto komplett leer war und stieg in seinen Wagen. Langsam rollte er über das Firmengelände und ordnete sich in den Verkehr ein. Zwar war bereits kurz nach 23 Uhr, doch es war überraschend voll für diese Uhrzeit. Nur schleppend kam er vorwärts und genervt seufzte er auf, als eine Ampel vor ihm auf rot sprang. Also wartete er darauf, dass grün wurde, als es plötzlich blitzte und irritiert schaute er sich um. Auf dem Fußgängerweg stand ein älterer Mann mit einer Kamera und grinste ihn kurz an, als er gut gelaunt davon schlenderte. Na toll, wieder ein Paparazzo. Damit war ihm eine Meldung in der Klatschpresse mal wieder sicher. Es war so anstrengend. Und so nervig. Kaum, dass es endlich grün wurde, beschleunigte Seto und fuhr davon. Mittlerweile konnte er wieder ganz gut allein im Wagen sitzen und dachte nicht sofort an den Unfall, aber ein flaues Gefühl im Wagen war nach wie vor da. Das würde auch noch eine Zeit so bleiben, hatte ihm der Hausarzt erklärt und Kaiba schnaubte. Immerhin kümmerte sich Yuuto mit der Rechtsabteilung darum, dass der Typ und sein unverantwortlicher Vorgesetzter bekamen, was sie verdient hatten. Zuhause angekommen, schaute er kurz bei seinem kleinen Bruder rein, der bereits schlief und gab ihm noch ein kurzes Küsschen auf die Stirn. Moki brabbelte irgendetwas sabbernd und schmunzelnd ließ er ihn in Ruhe weiterschlafen. In seinem Zimmer duschte Seto kurz und legte sich dann direkt ins Bett. Es war Mitternacht und morgen musste er wieder fit sein. Auch wenn sein Körper nach noch mehr Ruhe verlangte, würde er ihm diesen Gefallen nicht tun können. Da Joey nicht mehr da war, musste er es allein schaffen. Und das würde er auch. Vor dem Unfall war das schließlich auch nie ein Problem gewesen. 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