Die Vertretung und die Folgen von Iwa-chaaan (Wenn Hündchen vor große Herausforderungen gestellt werden) ================================================================================ Kapitel 55: Ehrliche Meinung ---------------------------- Samstag, 15.10. Es war Samstagabend und Seto saß mit Yuna in seinem Arbeitszimmer, um noch Bewerbungen durchzugehen. Die Zwei hatten es sich angewöhnt, das gemeinsam an Wochenenden zu erledigen, da sie unter der Woche einfach keine Zeit dafür fanden. Mehrere Stellen in der Buchhaltung, im Marketing, Service und Personal waren unbesetzt, doch passende Mitarbeiter zu finden, war nicht einfach. Beide hatten gewisse Ansprüche, schließlich sollten die zukünftigen Mitarbeiter zum Unternehmen passen und es voranbringen. In seiner Zeit als CEO hatte Kaiba sich zwar abgewöhnt, auf Schulnoten zu schauen, doch Beurteilungen von Praktika oder anderen Stellen waren wichtig, ebenso das beigefügte Foto. Allein an dem Bild konnte er zu 90% sagen, ob jemand passte oder nicht. Und das lag nicht daran, ob der Mensch darauf hässlich war, sondern viel mehr die Mimik, ob die Person gepflegt aussah, welche Haltung auf dem Foto angenommen worden war, welche Kleidung der Mensch dafür ausgewählt hatte. Passte diese auch zur Stelle? Nicht jeder in seiner Firma musste im Anzug erscheinen, doch wenn sich jemand als Verkäufer vorstellte und auf dem Foto trug er ein T-Shirt konnte derjenige vielleicht in der Grafikabteilung arbeiten, aber eben nicht als Verkäufer. Mittlerweile waren sie drei Stunden dabei, die Bewerbungen zu sortieren und sie hatten es beinahe geschafft, als ein Hausmädchen noch Kaffee und Kekse servierte. Kaiba dankte ihr mit einem Nicken und trank einen Schluck. Yuna, die ihm gegenübersaß, tat es ihm gleich und lehnte sich etwas in dem Stuhl zurück. „Ich denke, da sind ein paar gute Kandidaten dabei“, sagte sie und schaute auf den Stapel, den sie einladen würden. Das waren gute zwei Dutzend – eine durchaus gute Ausbeute. „Ich denke auch. Hatte sich der Betriebsrat während meiner Abwesenheit eigentlich das neue Einarbeitungsprogramm angeschaut?“ „Ja. Ich habe das zusammen mit Joey vorgestellt und sie haben dem sofort zugestimmt. Bereits bei diesen Kandidaten hier können wir es anwenden, wenn sie eingestellt werden“, antwortete sie und Seto nickte zufrieden. Auch er lehnte sich zurück, nachdem er einen Keks gegriffen hatte und musterte Yuna. Sie arbeitete bereits seit vielen Jahren für die Firma – ungefähr 15, wenn er sich nicht irrte – und hatte unter Gozaburo eine steile Karriere in der Personalabteilung hingelegt. Sie hatte einen sehr guten Riecher, was Menschen anging und er mochte die Professionalität, mit der sie an die Sachen heranging. Im Gegensatz zu vielen anderen Frauen, die er befördert hatte, fing sie nicht an, sich übermäßig aufzuregen oder unter den Männern drunter wegzuducken. Sie wusste, was sie konnte und wo sie sich zurückhalten musste, und das schätzte er an ihr. „Was hältst du eigentlich von Joey Wheeler?“, fragte er betont desinteressiert, denn in all den Wochen hatten sie kaum miteinander zu tun gehabt, da sich Joey um die Personalbelange gekümmert hatte, damit er sich ungestört um Verkauf und Entwicklung hatte kümmern können. Da sie sich auf der Zielgeraden für mehrere Produkte befanden, war er froh gewesen, sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Yuna schaute ihn einen Moment lang an, schien abzuwägen, was sie sagen konnte und was nicht und Seto gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie sich frei äußern dürfte. „Ich halte ihn für deine perfekte Ergänzung. Er ist nahbarer als du, ist nah an den Mitarbeitern dran gewesen. Mokuba hat mir erzählt, dass er bei seinem ersten Rundgang, um sich vorzustellen, jedem Mitarbeiter angeboten hat, zu ihm zu gehen, falls sie Probleme haben und wie ich hörte, haben das auch drei oder vier in Anspruch genommen und waren mit den Gesprächen sehr zufrieden. Außerdem ist er ein sehr fairer Boss. An seinem ersten Tag in der Firma bin ich zu ihm gegangen, weil Herr Nakamura aus dem Marketing fristlos gekündigt werden sollte.“ „Warum?“ „Er hatte 9000 Yen aus der Abteilungskasse gestohlen. Die Kameras hatten es aufgezeichnet und der Sicherheitsdienst hatte mich darüber informiert. Da du über so etwas immer informiert werden wolltest, habe ich das mit Joey genauso gehalten, auch wenn ich ihn zu dem Zeitpunkt noch nicht kannte. Nun, jedenfalls hatte ich Mokuba und ihm davon berichtet und er bestand darauf, erst mit Herrn Nakamura zu sprechen, bevor ich ihm kündige und er hatte ein Vier Augen Gespräch mit ihm. Danach bat er Roland, die Informationen zu überprüfen. Am Ende stellte sich heraus, dass sich die Frau von Herrn Nakamura getrennt hatte, weil sie eine Affäre hatte, doch nun musste er für die drei Kinder Unterhalt zahlen und zusammen mit der riesigen Wohnung, die Herr Nakamura mit seiner Familie bewohnt hatte, konnte er sich nicht einmal mehr Essen und Trinken leisten und von dem gestohlenen Geld hatte er sich Lebensmittel gekauft. Joey bestrafte ihn mit Wegfall des Weihnachtsgeldes und des Urlaubsgeldes nächstes Jahr. Außerdem bat er mich, ihm bei der Wohnungssuche zu helfen, weshalb ich unseren Makler angesprochen habe. Mittlerweile konnte eine Wohnung gefunden werden, die er in zwei Monaten beziehen kann. Einen Nachmieter für die alte Wohnung haben wir auch und insofern ist der Fall gut ausgegangen und Herr Nakamura für immer dankbar, dass er nicht gefeuert wurde. Auch die restliche Belegschaft hat das sehr positiv aufgenommen.“ Das hatte Wheeler getan? Einen Dieb weiterhin in seinem Unternehmen arbeiten lassen? Er wusste noch nicht, was er davon halten sollte. „Gibt es noch weitere Punkte, warum du ihn für meine „perfekte“ Ergänzung hältst?“, bohrte Seto nach und musste an das Firmenjubiläum denken, als Herr Nakamura in der Tat sehr dankbar auf Joey zugegangen war und sie sich kurz unterhalten hatten. Generell war die Stimmung in der Firma besser geworden, das war ihm nicht entgangen. „Ja. Besonders die Grafikabteilung schätzt ihn sehr, da er bei der Korrektur der Bilder nicht nur die Kritikpunkte aufführte, sondern auch die Dinge, die ihm besonders gut gefielen. Sie waren daraufhin viel motivierter, was auch anhand des Stundenkontos nachvollzogen werden kann. Um die Änderungen rechtzeitig fertig zu bekommen und eine Verzögerung zu verhindern, haben alle Überstunden gemacht. In Meetings hört Joey meist erst zu, bevor er eine kurze Zusammenfassung von pro und kontra macht und das Gespräch dann effektiv auf die strittigen Punkt bringt. Einige empfinden es als anstrengend, dass er so lange manche Dinge ausdiskutiert, aber Joey möchte sichergehen, dass jede Alternative ordentlich durchleuchtet wurde, bevor er sein Einverständnis für einen Weg gibt. Außerdem weiß er sich genau wie du gegen die anderen durchzusetzen, wenn er es für richtig erachtet, wägt Kritik aber ab und lehnt sie nicht direkt ab. Er ist sehr umsichtig und während ich dich in der Entwicklung, Buchhaltung und Verkauf sehe, sehe ich ihn im Service, Marketing und Personal. Ihr könntet gemeinsam sehr viel erreichen.“ Während er noch weiter Kekse aß, lauschte er ihr aufmerksam und fragte sich, wann ihm jemand aus der Firma so ehrlich gesagt hatte, dass er kein guter Chef für die Mitarbeiter war, denn das hatte er zwischen den Zeilen deutlich verstanden. Jedoch war er nicht wütend auf sie, denn ihm war bewusst, dass er seine Firma mit ähnlich harter Hand wie Gozaburo führte. Nicht ganz so extrem, aber ob es ihm gefiel oder nicht, war er ein Kind seiner Erziehung. Da konnte er sich noch so sehr gegen sträuben, aber es war einfach eine Tatsache. Trotzdem war es erfrischend, mal wieder eine ehrliche Meinung zu hören und keine freundlich verpackte, wo er nicht richtig einschätzen konnte, was Wahrheit war und was in die Kategorie in-den-Arsch-kriechen gehörte. „Ich danke dir für deine ehrliche Einschätzung. Allerdings ist dieses Kapitel abgeschlossen. Joey ist raus und wird auch nicht mehr zurückkommen“, informierte er sie und sie nickte langsam. „Ja, das habe ich mir schon bei der Verabschiedung gestern Abend gedacht. Darf ich fragen, was passiert ist?“ „Wir haben uns gestritten“, entgegnete er knapp und trank den restlichen Kaffee aus. Selbst wenn er es irgendwo wollte, konnte er nicht offen reden. Etwas in ihm sperrte sich, mit ihr über den Abend zu reden oder darüber, dass Mokuba sich das erste Mal nicht von ihm umarmen ließ. Es frustrierte ihn, aber er konnte einfach nicht seine Gefühle ausdrücken. Es war, als wäre die Tür abgeschlossen und er fand den Schlüssel nicht, um sie aufzuschließen. Yuna schien das zu verstehen, denn sie beugte sich vor und griff nach einer weiteren Bewerbung. Sie wusste, dass das Thema abgeschlossen war, denn sie konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit und dafür war Seto ihr dankbar, auch wenn er es nicht aussprach. Zwei Stunden später hatte sich Seto allein ins Wohnzimmer gesetzt und schaute sich die Nachrichten an. Neben allerlei Politik, die überall vor die Hunde zu gehen schien, gab es auch einen Bericht über die Firmenfeier und wieder einmal stellte Kaiba fest, was für ein hervorragender Schauspieler Joey war. Obwohl er wahrscheinlich den Tränen nah war, gab er den verliebten und glücklichen Freund vor, der dem Schicksal dankte, dass es ihm wieder gut ging und in die Kameras strahlte. Noch immer spukten ihm die Worte von Mokuba und Yuna durch den Kopf. Der Blondschopf hatte sein Leben in den paar Wochen komplett umgedreht, ohne dass er etwas hätte daran verhindern können. Wobei … Eigentlich war es Mokuba gewesen, mit dieser Verkupplungslüge, die alles ins Rollen gebracht hatte. Und der Brünette war sich ja bewusst, dass er sich in Joeys Nähe wohl gefühlt hatte. Dass es angenehm gewesen war, dass da noch jemand an seiner Seite stand und er sich mit dem ganzen Kram nicht allein beschäftigen musste, doch kaum gestand er sich das ein, tauchte sofort Gozaburo vor seinem inneren Auge auf und alles zog sich in ihm zusammen. „Du bist schwach, Seto!“, sagte die Stimme einfach nur und Seto senkte den Kopf und legte eine Hand in den Nacken. Er war nicht schwach! Seit fast zwei Jahren führte er die Kaiba Corporation, hatte sie in kürzester Zeit umgebaut und erfolgreich gemacht. Und es war sein alleiniger Verdienst. Weil er wusste, wie man eine Firma zu leiten hatte. Weil er streng, aber gerecht war. Weil er Verhandlungen zu seinen Gunsten führen konnte. Weil er fleißig war und alles hintenanstellte. Selbst Mokuba musste zurückstecken. Weil er wollte, dass die Firma lief. Weil sie seinen kleinen Bruder und ihn absichern sollte. Weil er die Macht brauchte, um sich Gozaburo überlegen zu fühlen. Weil er ihm beweisen wollte, dass er besser war. Trocken lachte Kaiba auf und exte das Scotch Glas. War er so zerstört, dass er jetzt schon besser sein wollte als ein Toter? Wie erbärmlich war er eigentlich? Warum konnte er sich nicht von Gozaburo lösen? Was sollte das denn? Der Sack war tot und das war das Beste, was ihm passieren konnte. Also warum war er so fixiert darauf? Er konnte ihm eh nicht mehr sagen, dass er längst gewonnen hatte! Frustriert und wütend auf sich selbst stand Kaiba ruckartig auf, griff das Glas und schmetterte es gegen die nächste Wand, wo es zerschellte und die Scherben verteilt auf dem Boden landeten. Keuchend stand er da und starrte sie an. Ein paar reflektierten das Licht der Deckenlampe, andere lagen dunkel da, als würde das Licht sie nicht erhellen können. „Ja, die erste Liebe ist immer etwas Besonderes. Davon bin ich überzeugt“, riss Joey ihn aus seinen Gedanken und ihr Gegenüber nickte eifrig. „Ja, junger Freund, so sehe ich das auch. Sie musste damals mit ihren Eltern umziehen, weil ihr Vater ein Jobangebot im Ausland erhalten hatte. Gott, ich war am Boden zerstört und für Monate nicht mehr zu gebrauchen. Ich hatte das Gefühl, mein Herz wäre in 1.000 Scherben zersprungen und es würde nie wieder zusammenwachsen. Fast hätte ich meinen Schulabschluss deswegen in den Sand gesetzt. Es war wirklich schrecklich. Aber es ging weiter und ich fand während meiner Uni Zeit meine Ehefrau.“ Ob Joeys Herz nach seiner Abfuhr wieder zusammenwachsen würde? Und was war mit ihm selbst? Fühlte sich so der Herzschmerz an? Ihm war nicht klar, wie er die Zeichen seines Körpers deuten sollte, doch ihm war schon bewusst, dass er sich nicht gut fühlte. Dass seine letzte Nacht wahrscheinlich nur gut gewesen war, weil da noch immer der leichte Geruch des Hündchens gewesen war. Doch er würde darüber hinwegkommen. Die Arbeit würde ihm dabei helfen und in ein paar Wochen war alles wie immer. Darauf musste er sich konzentrieren. Das würde auch Joey helfen, da war er sich sicher. Würde sich sein Hündchen dann nach jemand anderem umschauen? Hatte Seto verloren? Und … wollte er überhaupt gewinnen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)