Vom Zauber einer orientlischen Nacht von Encheduanna ================================================================================ Kapitel 4: Die Lösung? ---------------------- In den nächsten Tagen und Wochen versuchte ich mich irgendwie über Wasser zu halten. Einerseits war ich ja froh, endlich von dieser Chefin wegzukommen, andererseits machte mir der Gedanke an die baldige Arbeitslosigkeit Angst. Sie lähmte mich mitunter so sehr, dass ich nicht fähig war, klar zu denken und mich um einen neuen Job zu bemühen. Und wieder geriet ich in einen Zustand, in dem ich mich als Loser, als Versager, als … als … als … zu beschimpfen begann. Wenn ich es nicht endlich lernte, mir nicht immer einzureden, dass ich alles, aber auch alles mies machte. Klar, an meinen jetzigen Job war nicht durch den Beweis meiner fachlichen Kenntnisse gekommen, die hatte ich an keiner Stelle des ohnehin nicht stattfindenden Auswahlverfahrens, unter Beweis stellen müssen. Vielmehr war es so gewesen, dass einer einen kannte, der wieder einen kannte, der mich kannte und der wusste, dass ich eine Stelle gesuchte hatte. Dass es immer so lief, ja, dass die meisten Jobs nur so vergeben wurden, tröstete mich nicht, denn es half mir nicht dabei, mein Selbstbewusstsein aufzubauen. Kurz gesagt: sie hätten jeden genommen. Na ja, bei der Chefin, die selbst die Grundlagen ihres Fachs nicht ganz verinnerlicht hatte … Sie wusste um ihre Schwächen, ich wusste darum und sie wusste, dass ich darum wusste. Der Doktoren- und Professorentitel waren ihr verliehen worden – für außerordentliche Verdienste in der Wissenschaft, so hieß es offiziell in der Laudatio. Sie hatte sich feiern lassen … aber Unsicherheit über ihr eigenes Unvermögen ließ sie an mir aus. Ich fühlte es, ich wusste es und ich war so wütend darüber. Wenn es doch wenigstens mit diesem Hensel geklappt hätte, wenn … Aber das waren wirklich Chimären, die ich vergessen musste. Doch wenn es geklappt hätte, wir jetzt in Kontakt stünden, ich ihn anrufen und ihm mein Leid klagen könnte und er mich dann trösten würde oder sagen würde: Ich komme morgen zu dir… Ach, wieder diese Träume, die zwar schön waren, aber die mir nichts brachten. Also setzte ich mich an den PC, öffnete den Browser und ging auf Jobsuche, wie man so sagt. Was käme denn für mich in Frage – außer der Wissenschaftlichen Tätigkeit? Im Grunde nicht viel und doch alles: ich konnte als Sekretärin arbeiten, das hatte ich bei meiner Chefin bewiesen. Ich konnte Recherchearbeiten durchführen und Literaturlisten zusammenstellen. Zähneknirschend dachte ich die endlose Arbeit, geistestötend, entnervend und immer noch nicht fertig, weil Madame es so und nicht so und dann wieder so und nicht so haben wollte. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie mir extra Steine in den Weg legte, um mich zu behindern und das bestärkte mich in der Annahme, dass ihr eigenes mageres Selbstbewusstsein sie dazu brachte, mich nicht hochkommen zu lassen. Und ich, bockig wie ein kleines Kind, erledigte die Aufgaben nicht mehr. Wirklich: ich war froh von der wegzukommen. Nur jetzt hatte ich eben die Arbeitssuche am Hals und klickte mich durch diverse Seiten. Keine Stelle traf auf mich zu und ich sagte mir, würde ich nicht bald etwas finden, würde ich tatsächlich auf die Sekretärinnen-Angebote zurückgreifen müssen, nur um etwas zu haben, denn ich hatte keine Lust, auf der Straße zu sitzen. Also suchte ich weiter und vergas vollkommen, dass ich noch einige Literaturlisten zu beenden hatte. Ewig lange Listen, die mir meine Chefin eines Morgens mit stechendem Blick auf den Tisch klatschte. „Wann darf ich mit der Fertigstellung rechnen?“, rief sie. Und ich wollte ihr schon antworten: „Sobald ich fertig bin.“ Verkniff mir die Frechheit aber, weil ich ja wusste, dass alles meine Schuld war. Ich hatte es mal wieder verbockt und musste nun die Suppe auslöffeln. Wie gut, dass ich bald von der wegkam. „Bitte entschuldigen Sie, ich mache mich gleich dran.“ „Sie haben doch nur diese eine Aufgabe und sie ist leicht genug gewesen. Ich frage mich, warum Sie selbst das nicht bewerkstelligen.“ So etwas hatte ich mir die ganze Zeit anhören müssen und war ruhig geblieben. Und auch jetzt biss ich mir auf die Unterlippe und versuchte mich zu beruhigen. „Wenn Sie schon das nicht hinbekommen – und das sind die Grundlagen unserer Arbeit als Wissenschaftler …“ Ich muss wohl unbewusst irgendeine Geste gemacht oder meine Mimik geändert haben, denn sie unterbrach sich abrupt, sah mich an und sagte dann: „Sie sind ein ausgesprochen freches Mensch! Sie haben keinerlei Respekt vor mir – ach, ich könnte mich aufregen und Herzüberschläge bekommen. Und dabei … “ Sie baute sich vor mir zu voller Größe auf. „Und dabei habe ich mich noch für Sie eingesetzt. Niemand wollte Sie damals, nur ich!“ Wieder so ein Seitenhieb! Aber ich blieb ruhig. „Ich werde die Literaturlisten so schnell wie möglich fertig stellen. Das versichere ich Ihnen, doch in den letzten Tagen war ich mit der Suche nach einer neuen Arbeit befasst.“ „Ach so? Na, das stelle ich mir in Ihrem Fall wirklich als sehr kompliziert vor.“ Bei diesem neuerlichen Seitenhieb sah sie mich mit ihren winzigen Augen an. Offensichtlich wollte sie sehen, wie er gewirkt hatte. Doch ich bemühte mich, mir nichts anmerken zu lassen. „Wenn Sie meinen …“, erwiderte ich ganz ruhig.   „Wo wollen Sie sich denn bewerben?“ Am liebsten hätte ich nicht geantwortet, doch da ich ihren durchdringenden, insektengleichen Blick noch immer auf mich gerichtet wusste, musste ich etwas sagen. „Na ja, ich hatte da so an Sekretariat gedacht. Das, was ich bei Ihnen auch gemacht habe …“ „Aber das können Sie doch gar nicht. Dafür sind Sie doch gar nicht ausgebildet“, fuhr sie fort und sah mich jetzt, wie mir schien, ganz mitleidig an, dann machte sie kehrt und ließ mich sitzen. Und ich, ich war gezwungen, mich um die Literaturlisten zu kümmern. Gegen Mittag erschien sie wieder, baute sich neuerlich vor meinem Tisch auf, diese lange Dürre, und sagte: „Sie, ich hätte etwas für Sie. Aber ich weiß ehrlich nicht, ob ich Ihnen das nach all dem, was Sie sich mir gegenüber geleistet haben, überhaupt weiterreichen sollte. Geschweige denn, dass Sie eine Chance hätten, denn Sie sind ja, wenn ich mich recht erinnere, gar nicht vom Fach.“ Ich sah sie nur an, sagte aber nichts. „Wollen Sie es nun oder nicht?“ „Na ja, ja“, stammelte ich und dachte mir nur: Wenn ich nicht vom Fach bin, dann ist sie es erst recht nicht.   Sogleich legte sie mir einen Zettel vor die Nase. „Aber berufen Sie sich nicht auf mich, sonst …“ Ich hörte nicht mehr, was sonst geschehen würde. Auch wunderte ich mich nicht, dass sie mir hier wohl geholfen hatte, denn das, was auf dem Zettel stand, das verschlug mir die Sprache, ließ mein Gehirn für Sekunden ausgeknockt sein. Ich benötigte einige Zeit, um zu registrieren, was ich da las: Universität Heidelberg, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl Prof. Dr. Ulrich Hensel „Das …“, stammelte ich und spürte, wie mein Herz zu rasen begann. „Bewerben Sie sich, versuchen Sie Ihr Glück, aber große Chancen räume ich Ihnen nicht ein“, sagte meine Noch-Chefin und wieder war sie verschwunden. Ich benötigte einige Minuten, um vollkommen zu verstehen, dass Ulrich Hensel, also der Ulrich Hensel eine Stelle für einen Wissenschaftlichen Mitarbeiter zu vergeben hatte. Eine Stelle … „Vielen Dank, Frau Weiß, ich … ich …“, sagte ich wenig später. „Nehmen Sie es als letzte Chance, die ich Ihnen gebe.“ „Hmmm, ja …“ „Im Grunde will ich Ihnen mit der Kündigung ja nichts Böses. Ich wollte Ihnen damit nur helfen. Verstehen Sie?“ Später, als ich daheim ankam, hatte ich den Schock noch immer nicht überwunden, doch jetzt kam das Grübeln hinzu. Was bezweckte meine Chefin damit, mir dieses Stellenangebot auf den Tisch zu legen? War sie vollkommen irre? Oder wollte sie mich demütigen, mir zeigen, dass ich in diesem Bereich, anders als sie, keinen Fuß auf den Boden bekäme? Es bestand kein Zweifel: da sie wusste, dass ich wusste, was mit ihr los war, befanden wir uns in ständiger Rivalität. Das war es, was sie mir am allermeisten ankreidete und vorwarf. Also war dieses Stellenangebot ganz sicher eine Falle. Ich sollte mich bewerben und sollte auf die Schnauze fliegen. So ihr perfider Plan. Abgesehen davon: wie sollte ich mich Ulrich Hensel gegenüber richtig verhalten? Er konnte sich doch ganz sicher an mich erinnern. An mich und meine blöde Zettel-Attacke. Und nochmals abgesehen davon würden meine Gefühle ihm gegenüber ganz sicher wieder hervorbrechen. Und dann …? Und dann? So dachte ich und war schon drauf und dran, den Zettel wegzuschmeißen, als mein Blick auf die endlose Literaturliste fiel, die da noch immer nicht bearbeitet war. Welche Wahl hatte ich also? Entweder diese Literaturliste beenden und dann in die Arbeitslosigkeit gehen oder dieses Stellenangebot. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)