On the Cusp von _Scatach_ (Teil Zwei der BtB-Serie) ================================================================================ Kapitel 14: Happy Birthday, Nara -------------------------------- [[USERFILE=869726]]   Die Wolken zogen ihre mächtigen Türme zueinander und verwandelten den zwielichtigen Himmel in eine breite schwarze Schleuse, die niedrig über Konoha hing und begierig darauf wartete, sich zu öffnen. Donner grollte tief im Bauch der Wolken; hungrig nach einem Sturm.   Und wie immer konnten die Nara Hirsche es spüren.   Den Geschmack und den Geruch von Regen, der in der Luft hing und jeden Atemzug zu einer Anstrengung machte, die schwer in den Lungen verharrte. Doch es trug nur wenig dazu bei, die dämmerungsaktiven Gewohnheiten der Tiere zu stören. Die Hirschkühe sammelten sich in nervösen Reihen und ihre Flanken bebten, während große Augen und lange Wimpern hektisch und weit in das schummrige Licht blinzelten.    Unter den zornigen Himmeln erfüllten das Krachen und Knacken von Geweihen den Nara Wald.    Dichte Ströme aus Dunst explodierten geysirartig aus den Nüstern zweier kämpfender Hirschböcke. Die Natur hatte ihre Arena geschaffen – eine offene Lichtung.    Die beiden Männchen trugen den Kampf mit einem brutalen Angriff und Aufeinanderprallen aus.    Blut floss über das dichte Fell eines Bockes und die glatte Haut war vom Geweih seines größeren Rivalen aufgeschlitzt; ein königlicher Hirsch, der sich mit der vollen Rage seines Zwölfenders auf ihn stürzte.    Rikumaru senkte seinen riesigen Kopf und galoppierte nach vorn.    Die kämpfenden Männchen krachten aufeinander und verhakten sich.    Feste Muskeln bebten und zuckten unter schwitzendem Pelz. Sie stießen vor und zurück, Köpfe hoben sich und fielen herab, bis sich Rikumaru löste, sein Geweih herum schnellen ließ und den jüngeren Bock direkt unterhalb der Kehle erwischte. Er schlug eine Wunde, die das andere Männchen dazu zwang, sich zurück zu ziehen.    Und Rikumaru schwang sein Geweih in einem finalen Schlag wie Sensen durch die Luft.    Die hörnern Zinken rissen sich durch die Flanke seines Rivalen.    Blut spritzte.    Der Bock stürzte in den Schlamm und bellte einen erstickten Schrei hervor.    Der Kampf war vorbei.    Rikumaru unterstrich stampfend seinen brutalen Sieg und das feste Horn seiner Hufe gepaart mit dem mächtigen Schwung seines Geweihs warnte andere Böcke eindringlich, die Weisheit zu überdenken, ihn herauszufordern. Er bäumte sich auf den Hinterläufen auf und die Vorderhufe boxten in Knochen zerbrechenden Tritten durch die Luft. Die Ricken zuckten zusammen und bebten nervös, als Rikumaru ein tiefes dunkles Röhren ausstieß.   Shikaku trat zwischen den Bäumen hervor.    „Rikumaru…“ Leise ließ er den Namen über die Zunge rollen.    Sofort hörte das Treten auf.    Die kraftvollen Beine fielen zurück auf den Boden und zitterten angespannt vor Adrenalin. Der Hirsch schwang seinen Kopf mit bebenden Nüstern und einem angriffsbereiten Körper zu Shikaku herum. Ohne mit der Wimper zu zucken hob der Nara eine Hand; ein subtiles Zeichen, auf das der Hirsch ansprach, indem er seine Schnauze ausstreckte, um gegen die Handfläche des Schattenninjas zu schnuppern und zu schnauben.    Shikaku nickte, legte seine Hand auf die Stirn des Hirsches und schob.    Rikumaru machte kehrt und zog sich zurück.    Kurz sah Shikaku ihm nach und wandte sich dann dem gefallenen Bock zu. Schatten glitten hinter ihm her wie gehorsame Schlangen und wickelten sich um seinen Körper, bevor sie sich in einem Rascheln von Ranken über das Laub ausbreiteten. Sie legten sich um die tretenden Beine des gestürzten Hirsches und hielten das Tier unten.    „Ganz ruhig jetzt.“, beruhigte Shikaku mit einer rauchigen Stimme, die die Ohren des Hirsches zu einer verängstigten Rotation veranlasste.    Er versuchte, den Kopf zu drehen und das Geweih wandte sich drohend dem Nara zu.    Shikakus Lippen zuckten. „Lass das.“   Der Schattenninja ging neben dem keuchenden Tier in die Hocke und ließ seine Hand über das nasse kupferne Fell wandern, das mit Blut und Schweiß getränkt war. Die Augen des Hirsches rollten verzweifelt in den Höhlen und seine Nüstern waren weit und zitterten.    Er brüllte seinen Schmerz heraus.    Shikaku summte beruhigend und strich mit der Hand über den ruinierten Pelz, während er die Situation durch verengte Augen einschätzte. Langsam schüttelte er den Kopf angesichts der heißen nassen Flut, die viel zu schnell durch seine Finger quoll.    Verdammt.   Als er die Hand zurückzog, war sie in rotes Nass getränkt.    Leise seufzend griff er hinter dem Rücken nach seinem Tantō.   Er hasste diesen Teil.     ~※~     Das Blut ließ sich schneller von der Klinge waschen als von Shikakus Fingern.    Er drehte den Wasserhahn auf, spülte die eingeseiften letzten Spuren von Tod von den Fingern und trocknete sie ab.    Es war im Laternenlicht und den Schatten zu einer Gewohnheit geworden, jeden Beweis auszulöschen.    Langsam ließ er den Stoff sinken und machte eine stumme Bestandsaufnahme der Hütte. Sie bestand aus einem einzigen großen Raum, der für verschiedenste Zwecke unterteilt war. Regale standen in einer Reihe mit Kanistern und waren mit Kisten vollgestopft. Der hölzerne Unterstand hatte einst als Teehaus gedient und war in die hohen Gräser am Rand des Nara Waldes eingebettet. Doch letztendlich hatte Shikaku Praktikabilität über den originalen Zweck gestellt und das Teehaus in ein Lager für Veterinärbedarf und Hirschhorn verwandelt.    Drei Hirsche diesen Monat…   Und als wäre dieser Gedanke ein Stichwort, griff Shikaku nach dem blutgetränkten Sack, der zu seinen Füßen lag. Er warf ihn sich über die Schulter und bewegte den Rücken gegen den Stich einer Geweihstange, bevor er zu einer großen Truhe hinüber schritt, die eine ganze Seite des Raumes dominierte.    Das Hirschhorn würde für die Nara Laboratorien zu Pulver gemahlen werden.    Selbst das Fell, die Hufe und die Knochen würden genutzt werden.    Nichts wurde verschwendet.    Doch unglücklicherweise würde es nicht der letzte Tod innerhalb der Herde für diesen Herbst sein. Die Nara gaben zwar ihr Bestes, die Todesfälle während der Brunftzeit so niedrig wie möglich zu halten, aber sie konnten nur sehr wenig tun, ohne der Natur ins Handwerk zu pfuschen. Und manchmal war alles, was man tun konnte, einen leidenden Hirsch zu erlösen oder ihn zusammenzuflicken, wenn sein Leben noch zu retten war.    Etwas kratzte über das Fenster der Hütte.    Shikakus Kopf schnellte herum und er erhaschte an der Peripherie seines Sichtfeldes einen flüchtigen Blick auf schlagende Flügel. Und dann bemerkte er einen Falken, der draußen auf dem Fensterbrett saß und ihn beobachtete. Dieser Vogel war im Nara Wald nicht heimisch, was ihn sofort als den identifizierte, den sein Sohn aufgepeppelt hatte.    Shikaku hob eine Braue und richtete sich langsam auf, während er den Blick erwiderte.   Der Vogel legte den Kopf schief.    Und Shikaku lächelte leicht und warm. „Bleib bei ihm.“   Der Falke ließ ein leises Squawken hören und verschwand, bevor er noch mehr sagen konnte.    Draußen grollte Donner in der Ferne.    Shikaku verstaute das Geweih, schloss die Hütte ab und begab sich auf den Heimweg.      ~❃~         Die Dachtraufe diente als Linie.    Überschreite sie nicht.   Neji hämmerte die Worte in seine Schritte und lief über dasselbe offene Dach, über das er bereits am Morgen gewandert war. Eine klare, konkrete Grenze. Und auf dieser selbst definierten Linie bewegte er sich in meditativem Tempo.    Konzentrier dich.   Er lief diesen Weg nun schon für einige Minuten und sein Blick scannte das gegenüberliegende Ryokan – suchend.    Da.   Sofort blieb Neji stehen.    Sein Dōjutsu nutzend durchbrach er die Dunkelheit, die von dem nahenden Sturm nur noch dichter wurde und fand, was er gesucht hatte. Doch in der Sekunde, als sein Fokus auf die Shogi spielenden Gestalten traf, drängte ihn ein mentaler Befehl, zurück zu weichen.    Lauf fort.   Aber ein einziger Schritt, war alles, was er ertragen konnte.    Seine Knie knickten ein und er sank hinunter in eine geduckte Haltung, sodass er am Rand des Gebäudes hockte; eingebettet in die Schatten unter einem großen Vordach. In anderen Bereichen des Ryokan spielten sich Aktivitäten ab; mit anderen Figuren und anderen Gesichtern – nebenan, darüber, darunter – doch Neji sah nichts davon. Nicht einmal die zarten blinkenden Glühbirnen des Außenbereichs von HOTARU schafften es, ihn auch nur eine Sekunde abzulenken.    Nichts würde das schaffen.    Er war viel zu sehr in jede einzelne Neigung von Shikamarus Profil versunken. Sein Dōjutsu gestattete ihm, mithilfe eines Blickes noch näher zu kommen, bis er sogar sehen konnte, wie der Stoff des Yukata, den der Schattenninja trug, in seinem Ellbogen Falten warf oder sich über seine Brust zog, wenn er seinen Arm etwas weiter über das Spielbrett streckte.    Aber nicht einmal das war nah genug.    Neji ließ zu, dass sein Blick über die Grenze, die er nicht übertreten würde, hinaus griff. Er dehnte und verfeinerte sein Dōjutsu so sehr, dass er selbst die subtilsten Bewegungen der Sehnen in Shikamarus Hand wahrnahm, jedes Mal, wenn sich seine Finger über einem Shogispielstein krümmten. Und Neji nahm sich einen Moment, um diese langen Finger zu mustern, die hart hervorstehenden Knöchel, die leicht schwieligen Kuppen, die in einem unschuldig müßigen Schwung über ein Shogiteil strichen.    Shikamarus Daumen klopfte zweimal kalkulierend.    Neji entging nichts. Doch indem er all das in sich aufsog, begann er, ein Bewegungsmuster zu bemerken, das er bei den wenigen Malen, wenn er mit Shikamaru Shogi gespielt hatte, nie erlebt hatte. Und zwar vermied der Schattenninja jede Gelegenheit, das Spiel zu beenden, oder sich einen Vorteil zu verschaffen.   Seltsam.   Widerwillig sah Neji prüfend zu Asuma hinüber.   Der bärtige Jōnin hielt zwischen seinen Zigarettenzügen inne und warf Shikamaru Blicke zu, die von dem ernsten Ausdruck von Besorgnis erschwert wurden. Das Gewicht von Unruhe in Asumas Miene sorgte dafür, dass Nejis Magen ihm bis in die Kniekehlen sackte.    Was ist passiert?   Die Wirbelsäule des Hyūga richtete sich auf und er rutschte weiter nach vorn, während sich die Muskeln in seinen Schenkeln anspannten; jederzeit bereit dazu, ihn schlagartig vorwärts zu tragen. Und dann wurde ihm klar, was zur Hölle er gerade dachte – oder wie er eigentlich gar nicht mehr nachdachte.    Verdammt sei das alles.   Offenbar waren ihm die Emotionen, die ihn trieben, immer noch viel zu fremd, um sie entschlüsseln zu können; selbst nach zwei Wochen, in denen er versucht hatte, sie zu verarbeiten. Allerdings war das auch leichter zu bewerkstelligen, wenn er fort von der Ursache blieb, die diese Gefühle überhaupt erst in ihm ausgelöst hatte.    Du bist immer noch fort, vorausgesetzt, du hältst Abstand. Bleib weg. Du hast gesagt, dass du das tun würdest.   Unfähig sich zu bewegen, unternahm Neji nichts außer zu starren.    Ohne zu blinzeln musterte er Shikamarus Profil und eine liebevolle Sorge grub sich in seine Augenwinkel. Vielleichtsah der Nara wirklich anders aus als das letzte Mal, als Neji ihn gesehen hatte, aber aus dieser Distanz war das schwer festzustellen. Sogar Nejis Augen waren trotz all ihrer herausragenden Fähigkeit immer noch durch eine subjektive Interpretation dessen, was sie sahen, eingeschränkt.    Verblendet von meinem eigenen Zorn, hast du stets mehr gesehen als ich…   Ein schwaches Lächeln starb an Nejis Mundwinkeln, bevor es seine Lippen vollständig verformen konnte.    Du bist noch immer dieser schwer fassbare Schatten in der Dunkelheit, Nara…   Shikamaru war niemals ohne seine eigenen Masken – in der Vergangenheit hatte der Schattenninja seine Gesichter viel zu subtil und viel zu schnell gewechselt, als dass Neji ihn jemals vollständig hätte erwischen können.    Der Hyūga hatte das nur ein einziges Mal geschafft.    Und was hat das mit dir gemacht, Shikamaru?   Es war wie eine Anklage seines Verstandes an ihn selbst.   Neji schluckte, während seine Augen hinunter zur Hand des Nara wanderten.    Die Erinnerungen an das, was er getan hatte, als er es erst geschafft hatte, Shikamaru ohne Defensiven zu fassen zu bekommen, fraß sich noch immer wie Säure um die Ränder des Herzens des Hyūga. Er konnte sich noch immer an das Echo seiner eigenen Worte entsinnen; seine Stimme vertieft und verdunkelt von einem Zorn, den er schwerlich wiedererkannte.    ‚Es macht dir Spaß, meine Wunden aufzureißen, oder, Nara? Ich denke, es ist an der Zeit, ein paar von deinen aufzureißen.‘   Und das hatte er. Er war mit aller Macht auf Shikamarus Wunde losgegangen und hatte sie aufgerissen. Doch er war nicht geblieben, um den Schaden zu sehen. Er war fort gelaufen, bevor er noch mehr verursachen würde. Und die Wunde des Nara war nur zu einer weiteren Sache der unzähligen, unausgesprochenen, nicht verheilten und unbeachteten Dinge geworden, die wie Asche zwischen ihnen wirbelten.    Wir sind in Flammen aufgegangen, oder nicht?   Mehrere Male. Doch andererseits hatte es auch nie viel gebraucht, um aus der Asche Funken erstehen zu lassen, wenn sie sich nahe waren. Ob es nun Zorn, Verlangen, Lust oder Schmerz war; irgendetwas würde immer anfangen, zwischen ihnen zu brennen.    Es ist immer da…   Nejis Kiefer verkrampfte sich und seine Atmung wurde tiefer, während er zusah, wie sich Shikamarus Finger krümmten und falteten und federleicht über das Shogibrett geisterten.    Neji spürte die Nähe dieser Hand mehr, als dass er sie sah.    Und wenn ich dich sehe…auch wenn ich dich nicht spüren kann…beginnt es immer wieder von neuem…   Die Sehnsucht zog sich über seine Brust und eine heiße Spirale verkrampfte sich in seinem Magen.    Energisch presste er die Lider aufeinander.    Er sah nicht, wie Asuma seine Zigarette ausdrückte. Und er sah nicht, wie Shikamarus Finger zitterten, bevor er einen Zug machte, der das Shogispiel beendete.     ~❃~         Der Himmel grollte und knisterte bereits, als Shikaku auf die Veranda trat und Spritzer von Regen begannen, dunkle Flecken auf den Steinen im Garten zu hinterlassen und Wellen über den flachen Teich zu jagen.    Das entfernte Pfeifen und Röhren der Hirschrufe verstummte.    Und nur wenige Momente später, öffneten sich die Himmel vollständig.    Shikaku starrte vor sich hin und sah zu, wie der Wald jenseits des Gartens untertauchte. Er verschwand hinter einem undurchsichtigen Schleier aus Regen, der wie Glas gegen die Erde peitschte und einen feinen Dunst über den Boden wirbelte.    Die Welt sah aus, als würde sie zerbersten.    Für einen langen nachhallenden Augenblick stand Shikaku einfach nur da, bevor er sich letztendlich drehte, um hinein zu gehen. Doch er hatte nicht erwartet, dass sich die Tür auch wirklich öffnen würde, als er es versuchte, aber das Shoji Paneel glitt ohne Widerstand zur Seite.    Auf der Türschwelle hielt er inne – lauschte.    Die Lichter waren aus, aber Yoshino war zuhause.    Er wusste es sofort und instinktiv.    Leise schob er die Tür hinter sich zu, schloss sie ab und trat sich die Schuhe von den Füßen, bevor er weiter in das Haus schritt, um sich zu der einzigen Lichtquelle zu bewegen, die er ausmachen konnte. Sie erstrahlte weich und körnig unter ihrer Schlafzimmertür.    Shikaku lief mit einem Drehen und Beugen der Hüften, führte mit der rechten Schulter und ließ die andere ein wenig hinter sich fallen. Es war vollkommen automatisch für Nara Männer, in solchen Neigungen zu ‚fließen‘, wenn sie sich bewegten. Für den ignoranten Betrachter sah es einfach nur nach einer faulen Pose oder einem unbeholfenen Herumhängen aus. Doch in Wahrheit beherrschten die Nara Shinobi einen der behändesten Stile von Nagare oder eben ‚Fließen‘ in ihren unbewusstesten Bewegungen.    ‚Achja?‘, hatte Inoichi ihn einmal geneckt. ‚Erzähl das mal einem Hyūga, Shikaku.‘   Shikaku hatte das getan – und es dann bewiesen.    Hizashi hatte ihn zu einer Revanche herausgefordert.    ‚Ich werde dich schlagen, Nara.‘   ‚Bis zum nächsten Mal, Hyūga?‘   Hizashi hatte gelacht. ‚Und jedes Mal danach, Shikaku.‘   Wie schade, dass sie es nie herausgefunden hatten.    Energisch schüttelte Shikaku den Gedanken ab. Seine Finger strichen über die Schlafzimmertür und drückten sie mit einem beabsichtigten Knarzen auf, sodass sich Licht in den Korridor ergoss. Keine Reaktion. Er trat etwas nach vorne, um im Türrahmen stehen zu bleiben und lehnte sich gegen das Holz.    Yoshino wandte sich ihm nicht zu.    Sie stand beim Fenster und war in die goldenen Schattierungen der Lampe getaucht. Ihr Haar hing ihr gelöst von dem üblichen Band in einem glänzenden Strom über die Kurve ihres Rückens. Sie sagte nichts, aber er wusste, dass sie ihn gehört hatte.    Sekunden verstrichen.    In schimmernden Bahnen prasselte der Regen gegen das Glas.    Etwas blitzte in Yoshinos Händen auf. Ein sauberes, glänzendes Rechteck. Es war ein Foto, das sie mit dem festen Griff ihrer Finger eingerahmt hatte. Unter dichten Wimpern beobachtete Shikaku sie – und wartete. Yoshino spürte deutlich, wie sein Blick über sie wanderte und schüttelte den Kopf. Ihr Haar schwang über ihren Rücken und wie eine Welle, die durch den Raum wogte, konnte Shikaku sofort den Duft von Farnen und Lilien riechen.    „Yoshino.“, rief er.    Seine Stimme schliff durch die Luft, ließ sie erschauern und löste eine Gänsehaut auf ihren Armen aus. Doch sie sah ihn immer noch nicht an; ihre großen dunklen Augen waren auf das Bild fixiert.    „Ich habe die Tür offen gelassen.“, sagte sie mit sehr leiser Stimme.    Aufmerksam beobachtete Shikaku, wie sie mit dem Daumen über das Foto strich und die Kante ihres Nagels ein Detail des Bildes nachzeichnete. Stirnrunzelnd sog sie heftig die Unterlippe zwischen die Zähne.    „Hast du abgesperrt?“, fragte sie.    Er antwortete nicht. Stattdessen trat er zu ihr und durchquerte den Raum mit einem Wispern von Bewegungen, das ihre Haut erneut prickeln ließ. Sie spürte die Nähe, bevor sie sich berühren konnten und trat einen raschen Schritt nach links, um das zu vermeiden, was vermutlich ein Umfassen seiner Arme gewesen wäre, oder vielleicht auch seiner Schatten.    Sie zog eine Schublade auf und wollte das Bild verschwinden lassen.    Doch Shikakus Berührung ließ sie erstarren.    Seine Finger strichen über ihren Unterarm und paralysierten ihre Bewegungen, als befände sie sich in einem Schattenbesitz. Seine langen rauen Glieder folgten den Venen ihres Handgelenkes. Und vollkommen ohne ihr Zutun bewegte sich ihre Hand und zeigte das Bild.    Es war ein Foto, das sie vor vielen Jahren gemacht hatte; eines von Vater und Sohn.    Das Bild hatte sie bei einem Sonnenuntergang eingefangen. Shikaku lag auf dem Bauch im Heu für die Hirsche und hielt seinen neun Monate alten Sohn aufrecht, während Shikamaru döste; bereits in den frühen Stadien der Beherrschung der Kunst, im aufrechten Sitzen einzuschlafen.    Shikaku lächelte und ließ seine Augen über das Bild seines Sohnes wandern.   Die Erinnerung verblieb klar wie ein Schnappschuss in seinem Geist.    Er entsann sich, dass er den Rücken seines Kindes mit beiden Händen gestützt hatte; paranoid, dass wenn er seinen Griff lockern würde, Shikamaru nach hinten fallen würde. Auf dem Bild war Shikakus Mund in einem Murmeln geöffnet, während er mit liebevoller Zuneigung seinen schläfrigen Sohn betrachtete.    Er erinnerte sich auch noch ganz genau daran, was er damals gesagt hatte.    Shikakus Augen schlossen sich langsam und eine unmerkliche Spannung zupfte an seinen Brauen.    „Hast du die Tür abgesperrt?“, fragte Yoshino erneut.   Er sagte nichts.    Yoshino versteifte sich, als sich seine Finger um ihr Handgelenk schlossen, während sein Daumen Kreise über ihren Handballen zeichnete und sich die Fläche entlang drückte, bis er die Kante des Fotos erreichte und es aus ihrem Griff löste.    Es fiel hinunter auf die Kommode.    „Du musst sie absperren.“, trug sie ihm mit einer leisen, aber harschen Stimme auf.    Shikakus Daumen rollte über ihre Nägel und seine Finger geisterten über Knöchel und die blasse Haut ihres Handrückens. Als seine Lippen über die Kante ihres Kiefers strichen, spürte er, wie sie erschauerte.    Und dann wurde sie vollkommen regungslos.    Na endlich.   Shikakus Lider hoben sich eine Nanosekunde, bevor sie zu ihm herum schnellte.    Rasch fing er die Hand ab, die nach seinem Gesicht schlug und wehrte den Hieb gerade so vor einem Treffer ab.    Er konnte die Wärme ihrer Hand gegen seine Wange spüren – doch es war nichts im Vergleich zu der Hitze in ihren Augen. Yoshinos dunkle Seen blitzten auf und ihr Gesicht war zur Hälfte in Licht und Schatten getaucht. Gold und Schwarz sanken in die Mulden ihrer Konturen und unterstrichen die Wildheit in ihren Zügen.    Shikaku betrachtete diesen grausamen, erschreckend schönen Anblick durch abgeschirmte Augen.    Seit zwei Wochen wartete er auf diesen brutalen Ausbruch.    „Sag es mir.“, murmelte er, drückte seinen Daumen gegen die Adern ihres Handgelenks und spürte den rapiden Pulsschlag. „Das willst du schon seit Wochen.“   Yoshinos Finger krümmten sich zu Klauen und Nägel strichen seine linke Wange entlang ohne zu kratzen. Sie ritzte an unsichtbaren Wunden, die zu den Narben passten, die er auf der anderen Seite seines Gesichtes trug.    „Sag du es mir, Shikaku!“, erwiderte sie, während Mahagonisträhnen um ihre Lippen schwangen. „Sag mir, dass du ihn niemals so siehst.“   Shikaku blinzelte langsam und zog den Kopf zurück.    „So…“, echote er mit einer Stimme wie Nebel; auseinander gezerrt und ertränkt von dem zornigen Keuchen von Yoshinos Atem.    Sie klatschte ihre freie Hand auf das Foto und presste es wie eine kostbare Blume zwischen ihrer Haut und dem polierten Holz der Kommode.   Shikaku hob eine Braue. „Wie?“   Parfumflaschen klapperten, als ihre Hand erneut niederfuhr – hart.    „So!“   Shikaku warf dem Foto nicht einmal einen Seitenblick zu. „Nein. Das tue ich nicht.“   Die Augen seiner Frau wurden rund und ein feuchter Schleier legte sich über sie. „Das tust du nicht…“   „Ich kann nicht.“, murmelte Shikaku.    Ein fassungsloses Lachen verfing sich in Yoshinos Kehle. Heftig presste sie die Lippen aufeinander, um den Ton zu ersticken, während sie ungläubig den Kopf schüttelte.    Sie riss ihr Handgelenk frei und wollte schon wieder zuschlagen – tat es aber nicht. „Sag es mir, Shikaku.“   „Du weißt, was ich sehe.“   „Erinnere mich.“ Weiche Lippen zogen sich straff, aber ihre Stimme bebte. „Erinnere mich daran, was du gesehen hast, als er von dieser Mission zurück gekommen ist. Erinnere mich daran, was du gesehen hast, als wir nach Hause gekommen sind, um ihn verletzt und blutend in seinem Zimmer zu finden! Was hast du verflucht nochmal gesehen? Denn ich habe dieses Kind gesehen!“ Energisch ruckte sie mit dem Kinn in Richtung des Fotos, hielt die Augen aber auf ihn gerichtet. „Mein Kind! Deinen SOHN, Shikaku!“   Shikakus Kopf neigte sich warnend.    Doch Yoshino ließ sich nicht unterkriegen. Das tat sie nie.    „Erinnere mich.“, spie sie aus. „Falls du zulässt, dich selbst zu entsinnen.“   Shikakus Kiefer verkrampfte sich und das Licht der Lampe traf hart auf die Ränder seiner Narben, um sie in Gold zu tauchen – wie straff gespannten Stacheldraht. Doch die Linien, die sich in seine Augenwinkel schnitten, waren noch schärfer.    „Wag es nicht, mich so anzuschauen.“, fauchte Yoshino und ihre eigene Miene war fuchsteufelswild und ihre Zähne gebleckt. „Da draußen kann ich ihn nicht beschützen! Da draußen zwinge ich mich dazu, mich daran zu erinnern, dass er ein Shinobi ist, aber HIER ist er mein SOHN! UNSER SOHN!“   Ruckartig hob sie die Hand, ballte sie zur Faust und hämmerte sie hart genug gegen Shikakus Brust, dass sie spüren konnte, wie sich die Muskeln um ein angespanntes Ausatmen zusammenzogen. Sie hoffte, der Schlag würde sein Herz mit der doppelten Wucht treffen; hoffte, dass er etwas in ihm löste, das die Schatten aus seinem beständigen Blick vertreiben würde.    Doch Shikaku wich nicht zurück, rührte sich nicht, blinzelte nicht.    Er blickte einfach nur mit diesen dunklen unergründlichen Augen auf sie hinunter; seine Wimpern senkten sich so weit, dass er gerade noch etwas sehen konnte, ohne selbst gesehen zu werden.    Aber Yoshino hielt sich für ihn nicht zurück.    Sie funkelte ihn durch ihre großen Mandelaugen an, die mit zornigen Tränen und Verurteilung schimmerten. Die Qual in ihrem Blick zog Shikaku einen Schritt nach vorn. Sofort wich Yoshino zurück und schlang sich die Arme um den Oberkörper, als würde sie eine kalte Brise abwehren…den Schmerz abwehren. Götter, aber es schmerzte sie.    Es schmerzte sie wegen des Leids, das Shikaku so energisch hinter den Schatten seiner Augen verbarg.    Es schmerzte sie wegen der Entscheidung, die er vor langer Zeit getroffen hatte, die Qual vor ihrem gemeinsamen Sohn zu verbergen.   Es schmerzte sie wegen der Entscheidung, die er jetzt gerade traf, diese Qual auch vor ihr zu verbergen.    Und es schmerzte sie mehr als alles davon, weil sie wusste, warum er es verbergen musste.    Er tat es jeden einzelnen Tag; nur um die Tage überstehen zu können, wenn sie es nicht auch noch verbergen konnte.    Shikamaru war viel zu intelligent und scharfsinnig, als dass er es nicht bemerken würde, wenn ihnen ein Ausrutscher passieren würde. Ein solcher Ausrutscher würde zu viel zu vielen Fragen führen; zu einem viel zu großen Bedauern und viel zu viel Reue. Viel zu viel, um es jemals wieder zurücknehmen zu können. Viel zu viel, um es jemals wieder gut machen zu können.    „Das hier ist sein Zuhause…“ Sie presste Lider aufeinander, um sich davon abzuhalten, Shikaku anzusehen; um sich davon abzuhalten, zu ihm zu gehen und nach ihm zu greifen. „Ich sollte dafür sorgen, dass er hier sicher ist. Gott, niemals…er sollte hier niemals Angst haben müssen.“   Shikaku bedachte sie mit einem langen, verschlossenen Blick. „Ich weiß.“   „Nein, Shikaku, du kannst es nicht wissen. Du bist nicht seine Mutter.“   Shikaku rollte hinter den Zähnen die Zunge ein. Vor Jahren hätte er sich vermutlich lange genug von seinem passiv-aggressiven Wesen gelöst, um diesen Worten in eine Auseinandersetzung zu folgen und – wenn er gedrängt wurde – sogar noch weiter bis zu der Art herzzerreißender Konfrontation, von der er wusste, dass sie sie wollte.    Doch das würde sie nur auseinander treiben.    Oder entzweien.    Im besten Fall würde sie schreien und er würde sie einfach nur niederstarren oder es aussitzen; bewaffnet mit einem Arsenal an Geduld. Im schlimmsten Fall würden die Grenzen seiner Geduld vielleicht bis jenseits des klar definierten Punktes ausgedehnt werden, der ein gefährliches Ende markierte.   Nein.    Niemals wieder wollte er seine Fähigkeit auf die Probe stellen, das zu kontrollieren, was passierte, wenn er zuließ, dass er über diesen Punkt hinaus getrieben wurde. In der Vergangenheit war es beinahe zu einer Einbahnstraße geworden. Und die Rückkehr von diesem Teil seines Selbst hatte ihm Narben eingebracht, die weitaus tiefer und dauerhafter waren als die auf seinem Gesicht.    Niemals wieder.   „Ich bin seine Mutter.“, wiederholte Yoshino, allerdings etwas sanfter diesmal. „Vergiss, dich an irgendetwas anderes zu erinnern, Shikaku, aber wage es nicht, das zu vergessen. Ich bin seine Mutter.“   „Vor siebzehn Jahren und während 39 Stunden, in denen du diesen Punkt auf biologische Weise bewiesen hast, hast du fünf Knochen in meiner Hand gebrochen.“ Shikaku krümmte einen Finger, um mit dem Knöchel auf der Suche nach einem Lächeln über ihren Mund zu streicheln. „Ich glaube nicht, dass ich diese Tatsache so leicht vergessen könnte, Yoshino.“   Vermutlich hätte Yoshino gelächelt, doch es schwankte und verließ ihre Lippen viel zu schnell, als dass er sich dessen sicher gewesen wäre. Langsam schloss er die Distanz zwischen ihnen und sie ließ eine Hand über seine Brust wandern, um den schwarzen Stoff seines Rollkragenoberteils zu packen und ihre Finger hinein zu krümmen – als wollte sie sein Herz drücken.    „Jeden Tag frage ich mich, ob wir es richtig gemacht haben…“, wisperte sie und wand sein Shirt in ihrer Faust, bis sich das Gewebe zu einem Knoten verdrehte. „Ob ich es richtig gemacht habe…“   „Yoshino…“   „Ich dränge ihn zu sehr. Bis zu dem Punkt, an dem ich ihn fort aus meinen Armen treibe, wenn doch alles, was ich…“, sie brach mit einem bebenden Wispern ab. „Wenn doch alles, was ich will ist, ihn wieder halten zu können…“   Nach diesen Worten streckte Shikaku seine Hände nach ihr aus und zog sie an sich. Sein Schatten verschluckte den ihren, als sie sich in den Kreis seiner Arme begab und ihren offenen Mund gegen die Sehnen seines Halses presste, während sie lange und bebend seufzte.    „Jeden Tag macht es mir so eine Angst…“   Shikakus Kehle hüpfte gegen ihre Lippen, als er schluckte; das einzige Zeichen, dass er auf ihr Geständnis reagierte. Diese Worte von seiner Frau waren unbekannte, fremdartige Klänge. Vorsichtig legte er eine Hand an ihren Hinterkopf und streichelte die seidene Mähne.    „Es macht dir Angst?“   „Ich glaube nicht, dass er jemals wieder zulassen wird, dass ich ihn halte, Shikaku…und was mir noch mehr Angst macht als das, ist das Wissen, dass wenn er es jemals wieder zulassen würde…ich glaube nicht, dass ich ihn dann wieder loslassen könnte…“ Sie verschluckte sich an einem wässrigen Atem und schüttelte den Kopf.    Shikakus Augen wurden weich, bevor sie sich schlossen.    „Dann lass das hier stattdessen los. Weine und lass es raus.“, hauchte er in ihr Haar.    Er spürte, wie sich ihre Hände über seinen Rücken krallten und ihre Finger gruben sich so hart in seine Schulterblätter, dass er jeden einzelnen ihrer Nägel fühlen konnte, die sich in sein Fleisch bissen. Und er konnte die Aufforderung in dieser Umklammerung spüren; wie sie verzweifelt von ihm wollte, mit ihr zu fallen. Das rauszulassen, was sie nicht allein durchleiden wollte. Und tatsächlich gruben sich ihre Nägel noch tiefer.    „Ich brauche es, dass du es rauslässt, Shikaku…“, wisperte sie.    Er lehnte sich gerade genug zurück, um mit rauen Handflächen über ihre Wangen zu streichen und ihren Kopf nach oben zu dirigieren, während er versuchte, ihren Blick einzufangen. „Du weißt, warum ich das nicht tun kann.“   Und wenn das heisere Kratzen seiner Stimme nicht genug gewesen wäre, dann drängte sie das zärtliche Streicheln seiner Lippen über ihre Wange dazu, sich ihm zuzuwenden – drängte sie dazu, zuzulassen, dass sich die Tränen aufbauten. Ihre Wimpern hoben sich zitterten und funkelten; dunkle Seen starrten zu ihm auf.    „Du lässt mich dabei ganz allein…“   Shikakus Brauen zuckten, doch er schaffte es, den Ausdruck zu kontrollieren, der sich in seine Augen zu schleichen drohte. Yoshinos Verletzlichkeit hatte ihn tiefer getroffen, als es ihr Zorn jemals könnte. Langsam ließ er seine Finger über ihre gerötete feuchte Wange wandern und schob sie um ihren Hals zu dem babyfeinen Haar an ihrem Nacken.    „Du bist dabei niemals allein.“   „Shikak-“   Er senkte den Kopf und küsste sie; brachte sie zum Schweigen und verführte ihren Mund dazu, weich zu werden und auf die Liebkosung anzusprechen. Sie öffnete sich ihm mit einem nachgebenden Keuchen und hob die Hände, um die vernarbte Seite seines Gesichtes zu umfassen.    Er küsste sie härter, zog sie näher und drückte sie an sich.   Ohne sich zu wehren schmolz Yoshino zu einer exquisiten Sanftheit, von der niemand glauben würde, dass sie dazu fähig war. Es war dieselbe Sanftheit, die sie genutzt hatte, um Shikaku vor einer Finsternis zu retten, von der niemand glauben würde, dass er dazu fähig war; viele Jahre zuvor.     ~❃~         ‚Äußerst beeindruckend. Wer hat dir beigebracht zu spielen?‘   ‚Mein Sensei.‘   ‚Und hat er dir auch beigebracht, auf solch eine Weise zu denken?‘   ‚Auf welche Weise?‘   ‚Wie ein König statt wie ein Bauer.‘   ‚Das ist nur Taktik.‘   ‚Ja und du hast gerade meinen besten Taktiker geschlagen, der vierzig Jahre älter ist als du.‘   ‚Ich spiele einfach nur das Spiel.‘ ‚Um zu gewinnen.‘   ‚Das ist Sinn und Zweck des Spiels, oder nicht?‘   ‚Absolut, Shikamaru. Doch bedauerlicherweise mangelt es den meisten Köpfen an der Fähigkeit, sich synchron mit dem Spiel des Großen Ganzen zu bewegen. Aber offensichtlich bist du nicht wie die meisten Köpfe, nicht wahr?‘   Das Shogistück glitt durch seine Finger, traf auf das Spielbrett und zerschmetterte es. Reihen und Spalten explodierten und Quadrate flogen in alle Richtungen, teilten sich und kollidierten mit einem kosmischen Knall, bevor sie sich zerstreuten, in die Luft flogen und sich zu Universen von Möglichkeiten multiplizierten.    Er konnte sie nicht alle voraussehen.    Stop…   Aber es hörte nicht auf, sondern es beschleunigte sich nur noch mehr. Vervielfachte sich zu schnell und zu zu vielen; zu viele Figuren, zu viele frakturierte Teile regneten herab, trafen wie Hagel auf sein Hirn, wieder und wieder und…   STOP!   Er versuchte, die Hände zu heben, um seinen Schädel zu umklammern, aber seiner Bewegungen wurden schleppend und seine Glieder zogen sich durch die Luft, als wäre es Wasser. Dampf füllte seine Lungen, brannte auf seinem Gesicht und Schweiß begann sich auf seiner Haut zu bilden und perlte davon ab; tauchte seinen Körper unter und zerrte ihn in heiße Wasser.    Das Onsen.    Nein…   All die Quadrate des frakturierten Spielbrettes schwebten an der Oberfläche, Shogi Bauern versanken, Könige schwammen, Türme, Springer und Läufer wirbelten.    Wirbelten wie eine Zunge, die in die Mulde seiner Kehle eintauchte.    ‚Du schmeckst immer noch wie Feuer…‘   Neji?   Ein dunkler Kopf hob sich und Haar glitt von der Kopfhaut, als die Gestalt Nejis Haut abwarf und ihr wellige schwarze Strähnen wuchsen. Hyūga-blasse Seen schwärzten sich zu Schlitzen; kalt und scharf wie Feuerstein – scharf wie das Feixen, das einen Mund verdrehte, der schäumte mit Blut, Speichel, Gift…   ‚Das Spiel beginnt, Junge.‘   NEIN!   Mit dunklen Augen, die weit und wild waren, wurde Shikamaru ruckartig aus dem Schlaf gerissen.    Heftig schlug er um sich, traf aber überhaupt nichts.    Nichts…   Nach Luft schnappend zuckte Shikamaru auf dem Futon nach vorn und packte die Laken.    Regen hämmerte gegen die Fenster, wurde in Strömen reflektiert und bemalte seine Haut und den Futon mit Rinnsalen. Sein Körper war feucht von Schweiß, der ihn jeder Wärme beraubte und seinen Yukata durchtränkte.    Er sog scharf die Luft durch die Nase ein und atmete sie mit einem Beben aus.    Beruhige dich.   Als Donner das Glas erschütterte, machte er einen leichten Satz, während das Grollen brutal über den Himmel rollte. Klang und Sicht durchdrangen seinen Kopf wie gellende Schüsse.    Traum…Erinnerungen…Traum…ein Traum.   Shikamaru schloss die Augen und ließ sich auf den Rücken sinken, während er sich mit einer Hand durchs Gesicht fuhr und sich beinahe die Haut vom Fleisch schälte. Stumpfe Nägel gruben sich in seine Kopfhaut und er konzentrierte sich darauf, jedes Aufflackern des Albtraumes in ein einziges Standbild zu packen.    Verschwinde…bitte…verschwinde…   Energisch fokussierte er sich darauf, dieses Standbild schrumpfen zu lassen, ihm die Farbe und Definition zu entziehen, bis seine mentale Leinwand selig leer und blank war.    Atme…   Mit einem Beben ließ er die Hand sinken und blinzelte hinauf zu dem Regen, der sich an der Decke spiegelte. Er lauschte, wie das Wasser gegen das Glas peitschte und wie kleine Steine auf die Veranda hämmerte.    Sein Herz verlangsamte sein zorniges Pochen gegen sein Brustbein.    Das Atmen wurde leichter; leicht genug, dass er die Luft anhalten und sie langsam entlassen konnte, während er die Sekunden zählte. Fokussieren, einatmen, halten, ausatmen, den Prozess wiederholen. Und er machte auf diese Weise weiter, bis er sich genug beruhigt hatte, um seine Aufmerksamkeit auf die feuchte Kälte seines Körpers richten zu können.    Es brachte ihn dazu, sich zu bewegen.    Er rollte sich aus dem Bett und orientierte sich langsam in der Dunkelheit. Flackern von Licht illuminierte einen Pfad aus dem Schlafzimmer heraus und Shikamaru berührte jede Säule, während er durch das zentrale Zimmer der Suite strich.    Hier herrschten die Schatten und verschluckten die Atmosphäre.    Er machte sich keine Mühe, nach dem Lichtschalter zu suchen; fühlte sich wohl in der Finsternis.    Die Shojitüren hatte er offen gelassen, nachdem Asuma gegangen war, sodass die großen weiten Fenster offenbart wurden. Der Panoramablick auf die Gärten verlor sich im Regen. Es war nur noch eine samtige Kulisse, die von dem Schimmer einer endlosen Flut unterbrochen wurde.    Shikamaru schritt hinüber zum Fenster und suchte nach einer Ablenkung.    Er starrte hinaus in die bebende Undurchsichtigkeit und senkte seine Stirn gegen das kalte Glas. Sein Atem geisterte über die Scheibe; wurde zu Nebel, verschwand, wurde zu Nebel, verschwand. Und letztendlich glitt seine Aufmerksamkeit zum angrenzenden Raum, der sich bis auf die Veranda hinaus erstreckte.    Hn.   Ino hatte keinen Witz gemacht.    ‚Und bevor du ausflippst, Shikamaru; du hast auch ein privates Bad im Freien auf deinem Zimmer.‘   Tatsächlich umfasste die Suite auch ein Rotenburo. Ein eingefasstes Freilichtbad, das als Mini-Onsen für die Gäste diente, die es nicht so sehr mochten, öffentlich zu baden. Geschützt von einer großen Markise, Glaswänden und ein paar Shoji Paneelen, die Privatsphäre versprachen, würde dieser Raum an einem klaren Tag einen fantastischen Blick auf das Privatgrundstück von HOTARU bieten.    Nicht, dass der Schattenninja ernsthaft darüber nachdachte, ins Wasser zu tauchen.    Nicht an einem klaren Tag und auch nicht an einem beschissenen…   Shikamaru drehte sich ein Stück und runzelte angesichts der Anspannung in seinem Körper die Stirn.    Und trotz aller Widerstände kroch der übermächtige Drang, sich zu reinigen über seine Haut und legte sich dicker als der kalte Schweiß um ihn, in dem er aufgewacht war. Nur ließ ihn die Vorstellung davon, sich in warmes Wasser sinken zu lassen, unglücklicherweise eiskalt zurück. Eine heiße Dusche; jederzeit. Aber ruhige dampfende Wasser waren für seine Psyche, als würde er in kaltes Wasser geworfen werden, völlig egal, wie seicht oder sicher die Badewanne oder das Onsen auch war.    Er realisierte nicht, dass er die Fäuste geballt hatte, bis sich die Nägel in seine Handflächen bissen.    Komm drüber weg.   Das hatte er doch geschafft. Oder? Während er auf das große Bad stierte, erinnerte er sich an das letzte Mal, als er sich in solch warme und reinigende Wasser hatte sinken lassen. Es war in dem Tempel gewesen, als sie von Hanegakure zurück gekehrt waren.    Jo, aber da haben mich keine Fetzen der Vergangenheit in den Wahnsinn getrieben…   Nein, stattdessen hatte er nur eine Todesangst um Neji gehabt. Und vollkommen automatisch übertrug er den Gedanken an den Hyūga von der Vergangenheit in die Gegenwart; hielt ihn schwer in seinem Verstand und spürte, wie er immer tiefer in seine Brust sank.    Scheiße, wann fängt es endlich an, leichter zu werden? Nur ein winziges bisschen leichter…   Shikamarus Stirn legte sich in Falten und Kummer zerrte an seinen Augenwinkeln, bis er sie schließen musste. Verdammt, was er nicht alles dafür geben würde, traumlos schlafen zu können. Sein Körper brauchte das so oder so. Was sein Verstand brauchte, war eine Ablenkung oder Distanzierung; idealerweise beides.    Das Shogispiel mit Asuma hatte ihm einen gewissen Frieden gebracht, der dann sofort brutal von einer Erwähnung von etwas zerschmettert worden war, von dem Shikamaru keinerlei Ahnung hatte, wie er darauf reagieren oder antworten sollte. Er war nicht dazu in der Lage gewesen.    ‚Es tut mir leid.‘   Er schüttelte den Kopf gegen das Glas und klopfte mit den Fäusten gegen die Scheiben.    Das Gewicht von Asumas Worten verstärkte nur die Schuldgefühle, die so schwer in seiner Brust saßen; die darin hin und her rieben, bis er spürte, wie sie wie ein gemeißelter Stein in seinen Magen sackten.    Er hatte versucht, sich weiterhin auf das Spiel zu konzentrieren; versucht, unerreichbar zu erscheinen.    Eine schwache Tarnung.   Asuma hatte sie rasch durchschaut; so wie er es immer tat und immer getan hatte.    Doch der Sarutobi hatte das Schauspiel akzeptiert; die Fassade, die Shikamaru versuchte aufrecht zu erhalten, indem er so getan hatte, er könnte die Partie weiter führen, als wäre nichts passiert. Asuma akzeptierte den Bullshit, die Lügen, die Vermeidung. Und wie immer war es genau diese Akzeptanz von Asuma, die dafür sorgte, dass der Vorhang nach unten fiel. Als er gespürt hatte, wie die Defensiven seines Schülers bröckelten, hatte Asuma seine Zigarette ausgedrückt. Doch dann hatte Shikamaru das Spiel beendet – und jede Chance auf eine Unterhaltung, oder ein Geständnis.   Er konnte sich einfach nicht dorthin begeben.    Weil es nicht mehr real ist. Es passiert nicht jetzt. Es ist beendet.    Also warum zur Hölle suchte es ihn dann noch heim? Jetzt? Nach zwei Jahren, während denen es begraben geblieben war?   Ich werde es wieder dorthin zurück zerren…ich habe es schon mal getan.   Langsam hob er die Lider und starrte seine Reflexion an; sah nur für den Bruchteil einer Sekunde den Teil seines Selbst, den er in die bodenlosen Tiefen seiner Seele verbannt hatte – eingehüllt in die Fesseln seiner dunkelsten Schatten.    Ja, er hatte es schon einmal getan.    Und ich werde es wieder tun.         ~❃~         Neji hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Er hätte es tun sollen. Rückwärts, nicht vorwärts.    Überschreite nicht die Linie.   Die Worte pulsierten durch Nejis Hirn und hielten ihn wie festgefroren direkt hinter dem Sims, während er beobachtete, wie die feste Linie erbebte, zerbrach und Regen in einem Sprühen ausspie.    ‚Ich glaube, dass die einzige Linie, auf der du dich bewegst, die zwischen Masochist und Sadist ist.‘   Auf einem inneren Grat des Zwiespaltes balancierend, musste sich Neji fragen, ob da nicht eine gewisse Wahrheit in Shikamarus Worten lag. Sie passten zu allen Arten komplizierten Kontextes im Inneren des Hyūga, doch vielleicht hatte das auch etwas mit seiner Schwelle des Schmerzes zu tun – oder einem tief sitzenden Glauben, dass er diesen Schmerz nicht länger fühlen konnte.    Die größte Lüge, von der ich jemals zugelassen habe, sie zu glauben…   Es war eine arrogante Annahme von Selbstkontrolle, die ihn beinahe das Leben gekostet hatte.  Und es überraschte ihn nicht, festzustellen, dass es ihn erneut teuer zu stehen kam.    Und obwohl ich das weiß, stehe ich hier und bezahle für eine Verfehlung, die ich mir nicht leisten kann…   Vielleicht spielten sich auch mehrere Sünden in dem ab, was er tat. Und wenn man bedachte, wie lange er Shikamaru nun schon beobachtete, konnte er vermutlich ‚voyeuristischer Stalker‘ zu seiner Liste der Laster hinzufügen. Es musste einfach etwas maßgeblich Masochistisches in all dem gelegen haben. Sich selbst so nah an die Ursache von etwas zu begeben, dass ihm ebenso viel Kummer wie Frieden gebracht hatte, war…wahnsinnig…   Wahnsinnig genug, um auch noch die letzte Chance zu riskieren, ANBU beizutreten. Was denke ich mir bloß dabei? Jetzt den Fokus zu verlieren, ist das Letzte, was ich brauche.    Nejis Brauen zogen sich zusammen und unterbrachen seine mentale Tirade, bevor sie wirklich anfangen konnte.    Bedürfnis…   Seltsam, wie dieses Wort in seinem Verstand parallel zu Notwendigkeit verlief, nur um sich in einen heftigen lotrechten Winkel zu begeben, kaum dass es mit Shikamaru in Kontakt kam.    Es gab keine logische Erklärung dafür.    Und es würde auch nie eine geben.    Du hast die grundlegende Zusammensetzung meines Wesens verändert…   Neji lächelte leicht, während seine Mondsteinhaften Seen über die Entfernung hinweg weiterhin auf die invertierte Gestalt des Schattenninjas gerichtet waren. Umgeben von einem Schleier aus Dampf hatte Shikamaru den Kopf nach hinten gegen die Kante des Bades gelegt, in das er vor etwa einer halben Stunde geglitten war. Seine Augen waren geschlossen und sein Haar fiel frei von seiner hohen Bindung nach unten. Er hatte sich nicht sehr viel bewegt, was, wie Neji annahm, nicht wirklich ungewöhnlich für den Nara war.    Er sollte da drin besser nicht einschlafen…   Der Hyūga neigte den Kopf, während seine Byakugansicht wie ein Messer durch den Nebel schnitt.    Bedächtig zeichnete er jede Kontur von Shikamarus graustichigem Gesicht nach und hielt den Blick seines Byakugan dabei energisch über der Wasseroberfläche. Er überzeugte sich selbst davon, dass es ein reiner Versuch von Rechtschaffenheit war – er wollte nicht zugeben, dass Rechtschaffenheit viel weniger damit zu tun hatte als der Drang danach, irgendwie seine Impulse unter Kontrolle zu halten.    Und dieses Bedürfnis.   Mit Shikamaru hatte das Wort ‚Bedürfnis‘ eine vollkommen andere Bedeutung angenommen. Und Neji hatte diese Bedeutung an einem Ort außerhalb seines Verstandes erschaffen.    ‚Das hier ist keine Kopfsache…‘   Das konnte Neji nicht leugnen. Und er hatte vor Wochen aufgehört, es zu versuchen. Denn wann immer er ‚Nara‘ zu der ordentlichen Gleichung von „Bedürfnis + Notwendigkeit“ hinzufügte, wurde etwas davon abgezogen und eine andere Sache multipliziert. Die Formel veränderte sich so unerklärlich, dass sie einfach nicht mehr in Nejis Logik passte – was die Gleichung hinaus aus seinem Kopf und hinein in sein Herz trieb.    Der dumpfe Schmerz verkrampfte sich in seiner Brust.    Er hatte nicht die Kraft, diesen Teil seines Selbst auf der Suche nach einem Hinweis zu analysieren, von dem er wusste, dass er ihn nicht finden würde. Shikamaru mochte dort verwurzelt sein, aber es war nicht der einzige Ort, an dem er ihn fühlte.    Du bist in meinen Venen; immer noch…nach allem…   Doch ganz anders als das Brodifacoum, das immer noch durch in floss, wusste er, dass er Shikamaru niemals aus seinem Netzwerk bekommen würde. Er hatte bereits akzeptiert, dass dieser kummervolle Schmerz etwas war, von dem er lernen musste, damit zu leben.    Ich hätte ohne ihn nicht überlebt…   Und hier war der sadistische Sinn für Ironie des Schicksals. Er war geheilt, aber um die Menschlichkeit zu bewahren, die Shikamaru in ihn gemeißelt hatte, würde er immer eine Wunde in seinem Herzen tragen.    Die Zeit wird die Narbe verhärten…   Und er gestattete sich, das auch wirklich zu glauben und ließ beinahe zu, über all die Möglichkeiten nachzudenken, wie er es versuchen und den Prozess beschleunigen könnte.    Doch dieser Gedankengang startete nie.    Denn alles in ihm stoppte abrupt zusammen mit seinem Herzen, als Shikamarus Kopf unter dem Wasser verschwand.     ~❃~         Das Wasser pulsierte um ihn herum, als wäre es empfindungsfähig.    Untergetaucht ließ Shikamaru die Basis seines Schädels den Boden des Beckens berühren.    Sein Körper summte von der Hitze, die ihn wie eine zweite Haut einhüllte. Kleine Blasen entkamen seiner Nase, die gegen das Kitzeln der dichten seidenen Strähnen seines Haares zuckte. Er konnte spüren, wie die dunklen Locken umher drifteten; in der Schwebe gehalten von wässrigen Fingern.    Seine eigenen Finger krümmten sich hart gegen den Boden des Beckens.   Und es geht los…   Er fokussierte sich vollkommen darauf, unter Wasser zu bleiben – noch nicht bereit dazu, jetzt schon wieder aufzutauchen.    Noch nicht.   Er hielt seine Augen geschlossen und das Nass war wie siedendes Öl gegen seine Lider. Doch seine Lungen begannen heißer zu brennen als seine Haut. Die Grate seines Bauches zogen sich nach innen, die Muskeln zuckten und seine Brust wölbte sich verzweifelt nach Luft.    Energisch blieb er weiterhin unter Wasser.    Die Hitze durchtränkte seine Haut, ging aber nicht tief genug, um sein Blut zu versengen oder seine Knochen zu verbrennen. Nur eine Sache, eine einzige Person, hatte das jemals geschafft. Ein Aufflammen von Opalaugen in seinem Geist und die Erinnerung wurde auf einem Dunst davon getragen der so dicht war wie der Dampf, der schnell von der Oberfläche empor stieg .    Doch er erhob sich nicht mit ihm.    Noch nicht…   Er beugte die Wirbelsäule, um sich davon abzuhalten, in die Aufrichtung zu zucken und nach Luft zu suchen.    Noch nicht!   Wie eine widerliche Mutation in seiner Brust hätte er schwören können, dass seine Lungen schrumpften und anschwollen und sich mit etwas anderem als Luft füllten. Er spürte, wie sich Panik in seiner Kehle aufbaute und seine Wirbelsäule anspannte. Mit aller Macht zwang er seinen Körper dazu, sich nicht zu verkrampfen, nicht um sich zu treten oder zu zucken.   Er suchte nach etwas jenseits der Panik.    Etwas, das tief begraben war.    Er versuchte, dieses ‚etwas‘ zu packen.    Fast.   Und dann packte etwas seine Arme.    Was zum!   Panik explodierte in jeder seiner Zellen und zerfetzte seine Kontrolle, sodass eine Woge aus Blasen aus seiner Nase getrieben wurde. Angst kochte säuregleich in seiner Kehle. Er versuchte, um sich zu schlagen, versuchte, um sich zu treten. Und dann veränderte sich der Griff und wurde fester, als wäre er von einer Urgewalt gepackt worden; ein Tsunami aus Stärke, der seinen Körper nach oben riss.    LASS MICH LOS!   Mit einem abgehackten bellenden Husten durchbrach er die Oberfläche; desorientiert, bebend, nach Luft schnappend und sich daran verschluckend. Wasser wogte in heißen Wellen um ihn herum. Shikamarus Augen flogen auf, doch er konnte nichts durch den Dunst sehen, oder durch den Nebel, der seinen Kopf mit Erinnerungen füllte.    FUCK!   Alles, was er spüren konnte, war der Griff von Fingern, die sich hart genug in seine Arme gruben, um seine Panik zu pulverisieren und etwas anderes zu wecken, das tief in seinem Geist vergraben war.    Eine Sturzflut aus Gewalt explodierte durch ihn.    Das Braun von Shikamarus Iriden begann, um die Ränder herum schwarz zu brennen.    Durch den Dampf spürte er den Druck von etwas Festem. Knurrend durchbrach der Schattenninja die Umklammerung seines Bizepses mit einer geübten Drehung und einem Abwärtsstoß seiner Ellbogen, während er sich in derselben Bewegung nach vorn stürzte.    Seine Schulter krachte in die seines Gegners; ein heftiger Aufprall von Muskeln und Knochen.    Wasser schwappte über die Ränder des Beckens.    Erneut versuchte Shikamaru, in die Offensive zu gehen, aber seine Stirn traf hart auf Stahl.    Seine Zähne prallten schmerzhaft aufeinander und Weiß schoss durch sein Sichtfeld.    Eine Hand schnellte nach oben, vergrub sich in der nassen Schwärze seiner Haare und zog seinen Kopf nach hinten, bis sein Gesicht direkt auf Höhe von dem seines Angreifers war.    Atem, der heißer war als der Dampf, schlug gegen seinen Mund.    „Hör auf, Nara!“   Die tiefe Stimme explodierte in seinem Kopf und fegte den Nebel schlagartig aus seinem Verstand.    Shikamaru erstarrte.   Sein Inneres verwandelte sich in Wasser und jagte Wellen des Schocks durch jeden Muskel.    Ausgeschlossen…   Seine Augen wurden unglaublich groß und starrten in geistweiße Iriden, die ihn ansahen; sie brannten wie zwei Opale, eingefasst in ein Gesicht, das noch viel kunstvoller gestaltet war als dieser Stein.    Neji…   Shikamaru blinzelte und sein Atem verfing sich hart in seiner Kehle.    Wie…?   Sein Verstand wühlte wie wild in seinem Schädel herum, unfähig auch nur einen einzigen kohärenten Gedanken fassen zu können. Er starrte einfach nur auf das Phantom, das vor ihm in Dampf ein- und wieder hinausglitt; hohe Wangenknochen und ein starker Kiefer eingerahmt von mokkafarbenen Strähnen. Die nassen Haare hingen schärfer als Klingen herab.    Shikamaru blinzelte erneut. „Neji…“   Die Muskeln in Nejis Gesicht zuckten und seine Augen schlossen sich krampfhaft. Und dann fielen seine Finger zu Shikamarus Nacken und packten ihn hart; zwangen den Schattenninja, aufgrund des Druckes zu zischen.    „Was zur Hölle machst du da, Shikamaru!“   Der wohlklingende Ton dieser Stimme traf Shikamaru wie ein Hammer zwischen die Augen und stieß seinen Kopf ein Stück nach hinten.    Seine geschockte Miene bekam Risse und fiel von seinem Gesicht.    Ruckartig bewegte er sich von Neji fort und sandte eine Woge aus Wasser aus, die heftig zwischen ihnen spritzte und sie auseinander trieb. Die plötzliche Bewegung verstärkte ein verzögertes Pochen in seinem Kopf.    Ugh…   Schwindel schwamm durch ihn und seine Stirn verknotete sich vor Schmerzen.    „Shit.“, wisperte Shikamaru und presste sich gegen das hinterste Ende des Beckens. „Schon wieder dieses Schädelhirntrauma…“   Neji starrte ihn an und seine mondgleichen Augen waren dabei verstörend intensiv.    Und so erschreckend real…   Genauso wild, wie sie es in Shikamarus Träumen gewesen waren…   Der Nara schluckte und versuchte irgendwie, seine Kehle zu bewegen. Er schaffte es nicht. Die heftigen Empfindungen, die in seinem Blut abgefeuert wurden, trafen ihn mental vollkommen unvorbereitet und schlossen sein Hirn kurz.    Ist das hier real? Es kann nicht real sein…   „Shikamaru?“   Der Schattenninja wandte den Blick ab und nahm einen angespannten Atemzug.    Gott verdammt, diese Stimme – und was sie mit ihm machte.   Kopfschüttelnd gab sich Shikamaru alle Mühe, seinen verstreuten Verstand wieder zusammen zu kratzen, während er gleichzeitig versuchte, sich daran zu erinnern zu atmen.    Atme.   Schmerz schoss durch seinen Schädel. Und er klammerte sich daran; es war etwas Konkretes und nichts so Verrücktes und Verwirrendes wie dieser unmögliche Moment, der sich gerade abspielte. Mit bebenden Fingern fuhr er sich über die Brauen und presste das Gesicht verziehend gegen seine Stirn.    Na eine Sache ist glasklar – der Schmerz ist real…   Er überprüfte seinen Handballen nach Blut.    „Was zur Hölle machst du, Neji?“, krächzte er.   Opalaugen weiteten sich fassungslos. „Was ich…? Was bitteschön zur Hölle hast du gemacht, Nara?!“   Shikamaru schmunzelte leicht, obwohl er sich vom Schock oder dem Schlag gegen seinen Kopf schwindelig fühlte – vielleicht auch wegen beidem. „Jetzt im Moment höre ich ein Echo. Sieht aber nicht danach aus, als würde einer von uns diese Frage beantworten, oder?“   Neji schnaubte spottend und der dickköpfige Klang war zu gleichen Teilen schwer angefressen und ebenso sehr schicklich. So kontrolliert, so herablassend – so vollkommen Hyūga.   Shikamarus Herz pochte.    Zitternd schloss er die Augen und fuhr mit einer Hand durch seinen abgehackten Haarschnitt, während er dabei gleichzeitig durchtränkte Strähnen aus seinem Gesicht wischte und seine Stirn rieb.    Unter dem Schirm seiner Hand ließ er seinen Blick so unauffällig wie möglich über Neji wandern.    Das kann nicht real sein…   Er betrachtete die durchnässten Roben, die an den starken Schultern des Hyūga klebten und schwer nach unten hingen. Nasses Gewebe umriss jeden Muskel, schmiegte sich gegen jede einzelne kraftvolle Kontur.    Und dann beging Shikamaru den Fehler, seine Augen höher zu heben.    Ihre Blicke trafen sich.    Beide sogen scharf die Luft ein und ihre Körper spannten sich ruckartig gegen die unmittelbare Anziehung zum jeweils anderen an.    Fuck. Abstand. Jetzt.   Rasch sah Shikamaru zur Seite weg und legte einen langen Arm über den Rand des Beckens, um nach einem Handtuch zu tasten. Er stählte sich gegen die Rampenlichtempfindung, die Nejis Augen bei ihm verursachten, als sie jeder seiner Bewegungen folgten.    Diese ganze Situation fühlte sich unwirklich an; wie eine bizarre Beschwörung in seinem Verstand.    Vielleicht hatte er mit seinem kleinen Trick seinem Hirn ein wenig zu viel Sauerstoff entzogen.    Doch dann hörte er, wie sich Neji bewegte.    Wasser schlug gegen seine Brust und Dampf waberte davon, was es dem Schattenninja gestattete, aus dem Augenwinkel auf den Hyūga zu spähen. Neji erhob sich wie in Zeitlupe aus dem Wasser – geradezu verstörend langsam – als würde er von etwas Schwererem als dem Gewicht seiner durchtränkten Roben nach unten gezogen werden.    Er sah lächerlich, amüsant und erschreckend gefährlich aus; alles zur selben Zeit.    Und für den kürzesten Augenblick erinnerte sich Shikamaru an den Tag, an dem Neji versucht hatte, ihm einen Denkzettel zu verpassen, nur um bis auf die Knochen durchnässt zu werden und das dank einer manipulierten Falle, die einen riesigen Eimer mit Wasser beinhaltete.    Das hier ist nicht wirklich dasselbe…   Shikamarus Finger strichen über das Handtuch.    Er drehte sich um, um einen festen Griff am Beckenrand zu erhalten – und erstarrte. Sein Blick traf auf die kläglichen Überreste einer Shojitür. Holz und Glas lagen überall und in Scherben, Splittern und Fetzen auf dem Boden verteilt. Verspätet bemerkte er auch, dass Wind und Regen in den Raum peitschen und pfiffen, den Dampf fort stahlen und die Luft abkühlten.    Schätze mal, dass das erklärt, wie er hier rein gekommen ist.   Mitten in der Drehung hielt Shikamaru inne und wandte sich wieder um.    Neji stand wie ein gekreuzigter Mann mit den Armen nach außen gestreckt da und die triefenden Ärmel seiner Robe waren ausgebreitet wie tropfende Flügel. Sein Gesichtsausdruck war finster, während er stocksteif in der Mitte des großen Bades stand; fassungslos, aufgebracht und unglaublich angepisst hinter einer stählernen Miene.   Er sandte die Anspannung geradezu in Wellen aus.    Shikamaru bedachte ihn mit einem schiefen Blick. „Meine Güte, das war vielleicht dramatisch.“   „Halt die Klappe, Nara.“   „Ich dachte eigentlich, ich hätte dir gesagt, dass du dich nicht mit riesigen Sprüngen in kalte Wasser stürzen sollst.“   „Götter, ich könnte dich umbringen.“, biss Neji zurück und stierte zu ihm hinunter. „Obwohl du das ja scheinbar schon bedacht hast.“   „Bitte was?“ Shikamaru verzog das Gesicht; amüsiert, verängstigt, zornig und zu viele andere Emotionen, um sie bewusst verarbeiten zu können, ohne dass sein Kopf erneut zu pochen anfing.    „Tz!“, knurrte Neji und watete zum anderen Ende des Beckens. „Hast du wenigstens eine Nachricht hinterlassen, Nara? Das ist doch deine Art, bevor du etwas phänomenal Dummes anstellst, oder?“   „Was? Wie mich selbst zu ertränken? Machst du Witze?“   „Lache ich etwa?“, fragte Neji mit diesem eisigen Tonfall, den er in der Vergangenheit an Shikamaru gerichtet hatte.    Gott, aber die Vergangenheit hatte heute einen ganz großen Tag und einen Heidenspaß mit seinem Kopf. Und jetzt wollte sie auch noch mit seinem Herzen spielen?   Stop…   Shikamaru zwang sich dazu, nicht zu reagieren und machte sich daran, die Szene zu verlassen, statt dem Drama noch mehr Nahrung zu geben. In einer fließenden Bewegung richtete er sich auf, drehte seinen Rücken Neji zu und schlang sich gleichzeitig das Handtuch um die Hüften, während scharfe Strähnen seines Haares nach vorn fielen, um sein Gesicht zu verschleiern.    Es hätte sich unangenehm anfühlen sollen.    Aber das war nicht der Fall.    Es fühlte sich nur abstrakt und surreal an, als würde er aus weiter Ferne zusehen, was sich hier abspielte. Er fühlte sich körperlos und irgendwie losgelöst von der Realität. Und noch immer war er sich nicht sicher, ob es wirklich die Realität war; er würde es seinem Verstand durchaus zutrauen, ihn in seiner Erschöpfung völlig hochzunehmen.    Gott, ich habe den Verstand verloren…   Er musste etwas in seinem Kopf verloren haben, denn auf keinen Fall war es möglich, dass er Neji gerade außerhalbdavon vorgefunden hatte. Diese Möglichkeit bestand nur in seinen Träumen – wortwörtlich.   Naja technisch gesehen, hat er mich gefunden…   Dieser rationale innere Dialog fühlte sich sicher an und hielt die Barriere aufrecht. Auch das Bad half dabei und selbst der Dampf und der Wind, die zwischen ihnen wogten, machten die Distanz klar und definiert.    Er musste nicht hinüber sehen.    Es war sicherer, es nicht zu tun.    Es war klüger, es nicht zu tun.    Und dann – wie ein Süchtiger nach Schmerzen – sah Shikamaru zu Neji und wie zwei Klingen, die aneinander abprallten, trafen sich ihre Blicke heftig; schlugen einen gleichartigen Funken in ihrer beider Augen.    Der Kontakt hielt und die Distanz löste sich mit einem einzigen Blick auf.    Keiner der Shinobi sagte etwas.    Die Stille hielt sich für einen langen Moment und nur der laut rollende Sturm sprach.    Und er konnte es versuchen, so sehr er wollte; Shikamaru konnte seine Augen nicht fort reißen. Er sog alles in sich auf wie ein Schwamm, unfähig, die Bedeutung seines derzeitigen Schockzustandes zu verarbeiten. Vollkommen unterbewusst speicherte er jedes Detail ab; wie das hässliche Hämatom an Nejis Kiefer, die veränderter Art und Weise, wie er sich selbst aufrecht hielt und wie etwas in seinen Augen anders zu sein schien. Sie waren ruhiger; selbst in ihrem Zorn.    Nicht so wie in meinen Träumen…   Vierzehn Nächte lang war er wachgelegen und hatte sich schmerzhaft danach gesehnt, das zu sehen, was ihn jetzt anblickte. Danach gesehnt, das zu sehen, was sein Verstand ihm nur in einem grausam vergänglichen Spuk gewährt hatte. Doch die Träume waren nichts im Vergleich zur Realität – und nicht einmal das hatte ihn bisher ins Innerste getroffen.   Er konnte Neji sehen.    Aber es fühlte sich nicht real an.    Das kann es auch nicht sein.   Bis zur Hirnlosigkeit geschockt suchte Shikamaru nach etwas – irgendetwas – das er sagen könnte.    „Ich habe nicht versucht, mich umzubringen.“, brachte er schließlich hervor und verzog sofort das Gesicht wegen dieses Gedankens und wie unglaublich dämlich sich diese Worte anhörten.    So verfickt dämlich.   Neji hob eine Braue und spähte vielsagend zwischen Shikamaru und dem Becken hin und her.    Der Schattenninja schnaubte.    „Ich mag die Dinge ja vielleicht gerne langsam angehen lassen, aber ich mache eine Ausnahme, wenn es darum geht, so zu sterben.“, murrte Shikamaru trocken und trieb seine Wut in Sarkasmus. „Ertränken? Viel zu lästig.“   Doch Nejis Gesichtsausdruck veränderte sich nicht.    Shikamarus finstere Miene schnitt sich noch tiefer. „Du glaubst wirklich, ich wäre blöd genug, sowas in Betracht zu ziehen?“   Neji hielt seine Hände an die Taille gestemmt und tropfte über den gesamten Boden, während er intensiv – suchend – auf Shikamarus Gesicht starrte. „Bist du das?“   „Was?“ Shikamarus Kiefer klappte nach unten und eine Hand packte den Knoten des Handtuchs um seine Hüfte, während die andere sein Haar aus seinen Augen fern hielt. „Zoll mir etwas verdammte Anerkennung Hyūga. Ich durchdenke immer noch jeden Mist, bevor ich etwas mache.“   Nejis Brauen zogen sich nach unten, doch sein verletzter Kiefer hob sich ein Stück.    Eine weitere so vertraute Geste.    Sofort war Shikamarus Zorn wie weggefegt und seine Lippen formten sich zu dem Hauch eines Schmunzelns.    „Dasselbe kann man übrigens nicht von dir behaupten.“, sagte der Schattenninja gedehnt. „Meinen Kopf zu stanzen…“ Er zögerte und seine Stimme wurde leiser, „…schon wieder.“   Nejis Züge wurden weicher; nur ein winziges bisschen. „Wenn du dich dann besser fühlst: ich plane es immer noch nicht.“, murmelte er. „Obwohl ich nicht enttäusche, oder?“   Noch mehr vertraute Worte, die noch mehr vertraute Gefühle nach oben zerrten.    Gefühle, die Shikamaru zu vergessen versucht hatte.    Fuck, ich kann das nicht…   Energisch zertrümmerte er den Kummer in seiner Brust und zwang sich zu einem Grinsen, während er den Kopf in Richtung der ruinierten Shojitür neigte. „Dramatisch wie immer, Hyūga. Ich sollte wirklich nicht überrascht sein.“   Nejis Lippen kräuselten sich und pressten sich zusammen, um ein Schmunzeln niederzukämpfen. Doch er konnte es nicht aus seinen Augen fern halten. „Ich schätze mal, dass eine Überraschung angebracht ist, auch wenn sie ungeplant und dramatisch war.“   „Angebracht?“, echote Shikamaru und hörte sich dabei heiser an. „Wie kommst du darauf?“   Nejis Gesicht verzog sich amüsiert und das warme neckende Glühen in seinen Elfenbeinaugen traf Shikamaru heftig. Mit einem erschauernden Beben verließ die Luft die Lungen des Schattenninjas.    Lass das nicht real sein…   Der kummervolle Schmerz zog sich von seiner Brust direkt bis hinauf in seine Kehle.    Ich ertrage das nicht nochmal…   Und welchen Atem auch immer er versucht hatte zu finden; er ging ihm verloren in der Sekunde, als Neji lächelte.    „Alles Gute zum Geburtstag, Nara.“    ___________________________ Hach ja, endlich treffen die beiden wieder aufeinander. Mich würde ja SEHR interessieren, wie euch das Wiedersehen gefallen hat!! ;) Habt ihr es auch in etwa so vorgestellt, oder euch etwas ganz anderes erhofft/vorgestellt? ;)  Und ja, ich glaube, dieses Kapitel hat wieder einige neue Fragen - vermutlich vor allem in Bezug auf Shikaku könnte ich mir vorstellen - aufgeworfen?! ;)  Ich hoffe, ich habe Yoshino und Shikaku als Eltern hier ganz gut rüber gebracht ^^  Über ein paar Meinungen würde ich mich auf jeden Fall wieder SEHR freuen!  Vielen vielen Dank wie immer für eure Unterstützung, meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen!! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)