Stichflamme von Coronet (Der Aufstieg des Phönix) ================================================================================ Kapitel 51: Feuer zu Asche -------------------------- Das Ministeriumsfoyer glänzte, als hätte es nie auch nur eine schmutzige Schuhsohle oder Staubflocke gesehen. Von allen Seiten spiegelten sich die Anwesenden in den auf Hochglanz polierten schwarzen Fliesen. Doch obwohl sie dicht an dicht den Brunnen der magischen Geschwister umringten, wirkten sie angesichts all dieser blanken Düsternis nur eines – verloren. Die Decke war so unendlich weit entfernt, dass Minerva sich ins Weltall versetzt vorkam. Ihr war auch genauso kalt, wie es dort zwischen den Sternen sein musste. Fast erwartete sie, ihre Finger unter Eiskristallen verschwinden zu sehen. Immerhin zeigte das Muggelfernsehen den Weltraumtod so. Aber das war natürlich albern. Das Eis in ihren Gliedern stammte von der Müdigkeit einer durchwachten Nacht. Zuerst hatte sie im Glückskessel geholfen, Verwundete zu beruhigen, Tote zu identifizieren sowie Magiespuren des Angriffs aufzuzeichnen, und schließlich hatte sie einmal zurück im Büro ungefragt Elphinstone und Mulciber bei deren Protokoll unterstützt. Das Atrium des Zaubereiministeriums hatte sich derweil selbstverständlich kein Stück verändert. Nur alles andere. Zu ihrer Linken raschelte es. Ertappt schreckte Minerva aus den dunklen Gedanken auf, die der Innengestaltung des Gebäudes an diesem Morgen kein bisschen nachstanden. »Zitronenbonbon?« Albus streckte ihr ein Papiertütchen entgegen, in dem sie einen dicken Klumpen seiner Lieblingssüßigkeit ausmachte. Der schale Geschmack in ihrem Mund schrie ja, die brodelnde Säure in ihrem Magen nein. Und ihre Lippen bildeten einen festen Strich, während sich ihre Nasenflügel aufblähten. »Schon gut.« Die Tüte verschwand wieder in den Tiefen von Albus’ ausladender bordeauxroter Robe. Dafür legte er eine Hand auf ihre Schulter. »Der Sinn für Genuss wird wiederkehren, auch wenn es im Moment unmöglich erscheint. Und vielleicht ist es bisweilen sogar weise, die Bitterkeit des Lebens zu kosten, anstatt sie zu verdrängen ...« Er seufzte leise. Seine Augen mochten auf den unentwegt sprudelnden Brunnen gerichtet sein, doch Minerva sah, dass sein Blick einer anderen Dimension galt. Einer Erinnerung; einem Geist, der auf einmal erschreckend präsent schien. Sie hatte es nie gehört und trotzdem konnte sie sich zum ersten Mal das kalte Lachen vorstellen, das Albus laut eigenen Erzählungen seit Jahren verfolgte. Sie drückte die Hand auf ihrer Schulter kurz und schon blinzelte er sich zurück in die Wirklichkeit. »Du weißt, was gleich passieren wird, nicht?«, murmelte sie. »Es ist eigentlich längst egal, was Eugenia sagt.« »Egal ist ein mächtiges Wort. Ich denke, es ist allem zum Trotz wichtig, wie unsere werte Zaubereiministerin es verkündet.« »Und doch wird nichts weitere Tote verhindern.« »Da magst du recht haben. Worte sind mächtig, aber wirkungslos bei jenen, die ihre Ohren mit Schreien füllen. Diesen Kampf haben wir bereits verloren.« Ein knochiger Dementorenfinger glitt Minervas Rückgrat bei dieser Aussage hinab. Sie dachte an die vom Fluchfeuer entstellte Leiche des Todessers, der den Glückskessel in einen Blutkessel verwandelt hatte. An den wilden Wahn, für immer vom Tod auf sein viel zu junges Gesicht gebannt. An Mulcibers kaum verborgenes Würgen, Moodys gehässige Fassade (die nicht über seine zitternden Finger am Flachmann hinwegtäuschte) und Elphinstones nüchterne Frage, ob sie in dem Toten einen Schüler wiedererkannte ... Minerva schluckte und schluckte und schluckte und wurde den Geschmack von Asche vermischt mit Eisen dennoch nicht los. Elf Jahre lag ihre Rückkehr nach Hogwarts als Lehrerin zurück. Aber sie wusste noch genau, wie angespannt ihre Hände während der Sortierungszeremonie ineinander verschlungen gewesen waren. Voller Aufregung – und Vorfreude – hatte sie verfolgt, wie die ersten Kinder, denen sie die Grundlagen der Verwandlungsmagie beibringen sollte, ihre Häuser fanden. Selwyn, Adam war ein Slytherin geworden und später ihr UTZ-Schüler. Ein beeindruckend guter Treiber noch dazu. Sie hatte ihm zusammen mit Filius das Empfehlungsschreiben für die magische Akademie in Bath ausgestellt. Wieder schluckte sie. Bevor sie Albus doch nach einem Bonbon fragen konnte, schepperte es weiter vorne im Atrium allerdings. Die Türen eines goldenen Fahrstuhls glitten auf. Hinaus kam Eugenia Jenkins, gefolgt von einem rotwangigen Martin Llewyn. Aus den anderen Kabinen ergossen sich die Leiter der Ministeriumsabteilungen und weitere, hochrangige Verantwortliche. Sogar eine Handvoll Kobolde war unter ihnen. Wie eine Kolonie aus Ameisen folgten sie alle der Zaubereiministerin auf ihrem Weg zu einem Podest direkt unterhalb des Brunnens. Die Schar an Reportern verschiedenster Zeitungen, vom lokalen Käseblatt bis hin zum Tagespropheten, schoss eifrig Bilder der Prozession. Minerva konnte Elphinstone und Mulciber in dem Pulk ausmachen, beide scheinbar unbewegt, doch mit ganz unterschiedlichem Ausdruck in den Augen. Wo Mulciber eiserne Härte ausstrahlte, raubte die Resignation in Elphinstones Blick ihr beinahe den Atem. Eugenia selbst hielt das Kinn stolz emporgereckt, jeder Schritt und jede Geste genau bemessen. Ihr blassoranger Umhang war simpel und trotzdem würdevoll, ihr schwarzes Lockenhaar zu einem schlichten Knoten geschlungen. Bis auf ein wenig Lippenstift war sie ungeschminkt. Ein Umstand, der die Erschöpfung in ihrem Gesicht betonte. Ihre magisch verstärkte Stimme hingegen erhob sich klar und wach, als sie ans Rednerpult trat. »Es fühlt sich ironisch an, doch – ich wünsche Ihnen aufrichtig einen guten Morgen, werte Anwesende. Denn das ist etwas, was wir alle mehr denn je brauchen werden.« Einen Augenblick lang sah Eugenia einfach nur in die Menge. Hunderte standen in stiller Erwartung da, obwohl es gerade erst kurz nach halb sechs war. Minerva begriff nicht, woher so viele wussten, dass sich genau hier und jetzt das Schicksal Großbritanniens entschied. Aber sie waren da und Eugenia schenkte ihnen allen einen durchdringenden Blick, bevor sie weitersprach. »Verehrte magische Gemeinschaft, ich richte mich heute an Sie, um die Angriffe der jüngeren Vergangenheit zu adressieren. Des Weiteren möchte ich Ihnen unmissverständliche Klarheit über die Position des Ministeriums verschaffen. Insbesondere die Werte unserer Gesellschaft betreffend. Zu allererst möchte ich mich jedoch bei Ihnen für das bisherige Fehlen einer derart eindeutigen Linie entschuldigen. Wir, das Ministerium, und ich, als Zaubereiministerin, hätten eher agieren müssen. Wir hätten die Situation im Lande eher erkennen müssen. Umso wichtiger ist es nun, dass wir keine Zweifel daran aufkommen lassen, wofür das Ministerium – und schlussendlich das magische Großbritannien – steht.« Die Müdigkeit auf Eugenias Zügen schien zu schmelzen. Egal wie tief die Schatten unter ihren Augen reichten, letztlich war es diese Ehrlichkeit, welche alles überstrahlte. Verschwunden war die Frau, die mit tränenverschleiertem Blick von Flucht fabuliert hatte. Minerva erahnte bloß, was es Eugenia kosten musste, derart beherrscht dazustehen. Ihre Rückendeckung aus Ministeriumsbeamten war höchstens ein Symbol, solange ein Verräter mit ihr dort oben stand. Wenn sie doch nur wüsste, woher das Pergament stammte, von dem die Ministerin ihr erzählt hatte – und das seither verschwunden war, genauso wie all ihre Erinnerungen an dessen Existenz ... »Die Unruhen der vergangenen Monate, Wochen und letztlich Tage haben unserer magischen Gemeinschaft erheblichen Schaden zugefügt«, fuhr Eugenia indes mit fester Stimme fort und wischte die Gedanken an Verlorenes damit in weite Ferne. »Sie haben einer Bewegung unter der Führung von Lord Voldemort Aufwind verschafft, die von sich selber als ‚Todessern’ sprechen. Bereits dieser martialische Name überlässt wenig der Fantasie. Und sollten dennoch Zweifel bestanden haben, so haben eben jene Todesser uns ihr wahres Ansinnen enthüllt, indem sie nicht nur vor zwei Wochen das Ministerium überfielen, sondern in einem Akt der Vergeltung für diesen gescheiterten Putsch gestern Abend unschuldige Menschen im Glückskessel in Kensington ermordeten.« »Verzeihung, Mrs Jenkins«, rief ein Journalist in die winzige Pause hinein, die Eugenia brauchte, um Luft zu holen, »aber steht denn schon fest, wie viele Hexen und Zauberer unter den Opfern sind?« Die Ministerin betrachtete erst ihn, dann die übrigen Reporter mit ihren rauchenden Kameras und gezückten Federkielen streng. »Es ist unerheblich, wie viele Hexen, Zauberer, Squibs oder Muggel unter den Opfern sind«, sagte sie schließlich, lauter als zuvor. »In dieser Nacht sind ausschließlich Menschen gestorben. 23 Leben wurden ausgelöscht, weil sie angeblich der Vorstellung einer reinblütigen magischen Welt entgegenstanden. Und ein weiteres Leben ist verloren, weil der Angreifer unsere Einheiten zu verzweifelten Mitteln zwang.« Fröstelnd vergrub Minerva die Hände in den Ärmeln ihrer Robe. Sie wünschte, Mulciber hätte sie nicht an den Tatort gerufen. Sie wünschte, es wäre Albus gewesen, der ihr im Dunkel der Nacht eine eilige Eule geschickt hätte, nicht umgekehrt. Sie wünschte, Eugenias Worte wären nicht mit Bildern unterlegt. Und dennoch war sie dankbar, dass die Ministerin so klar sprach. »Leider müssen wir uns der Realität stellen, werte Gemeinschaft. Dieser Anschlag war mehr als blinder Zorn. Es ging gezielt darum, die Anführer der Squib-Interessenbewegung zu treffen, die dort im geschützten Rahmen mit Vertretern meiner Regierung verhandelt haben. Aber nicht nur das – es ging ebenso darum, im Zuge dessen möglichst viele unschuldige Besucher des Pubs zu töten. Magisch wie Muggel. Menschen, die sich bloß zur falschen Zeit an diesem Ort aufhielten. Sonst hätte der Angreifer nach dem Auftauchen eines Auroren die Flucht ergriffen. Sein Ziel war zu diesem Zeitpunkt bereits erfüllt. Doch er tat es nicht. Stattdessen demonstrierte er uns, zu welcher Verheerung die Todesser fähig sind. Zu was sie für die Durchsetzung ihrer Pläne bereit sind. Dieser Anschlag ist ein Anschlag auf unser ganzes Land, unser Volk – unseren Frieden.« Das bis eben allgegenwärtige Surren und Puffen der magischen Kameras schwand, so sehr hingen selbst die Reporter an Eugenias Lippen. Nur die verzauberten Federn bewegten sich nach wie vor in unmenschlicher Hast, um jedes Wort für die Ewigkeit auf Pergament zu bannen. »Lassen Sie mich eines in aller Deutlichkeit sagen: Das Zaubereiministerium verurteilt diese Tat aufs Schärfste. In unserer Mitte darf niemals Platz für derartigen Hass sein. Es bestehen keine Zweifel: Wir werden uns dieser Drohung nicht beugen. Vielmehr appelliere ich in aller Dringlichkeit an Sie – wir müssen gemeinschaftlich, Hand in Hand, dafür sorgen, dass wir diesen Mächten keinen Platz lassen.« Eugenias Blick wanderte über die Menge, bis er Albus fand. Minerva kam sich vor, als stünde sie direkt neben dem Lichtkegel eines Scheinwerfers, so viele Augenpaare folgten der Ministerin. »Nur vereint sind wir stark«, appellierte diese. Trotz des Meeres aus Zuhörern schien es, dass sie nur zu Albus sprach. »Ich weiß, dass das Ministerium Sie in der Vergangenheit mehr als einmal enttäuscht hat. Das können wir nicht mehr ungeschehen machen. Gerade deshalb bitte ich Sie, in aller Demut: Helfen Sie uns, neues Vertrauen zu schaffen. Arbeiten Sie mit uns, stehen Sie an unserer Seite, anstatt es den Todessern gleichzutun und Ihren eigenen Wegen zu folgen. Lassen Sie uns neue Einigkeit finden, dann gewinnen wir unsere Kämpfe gemeinsam.« Bis eben in Reglosigkeit vereint, tauschten die Umstehenden nun zaghafte Blicke. Manche sogen grimmig die Luft ein und strafften die Schultern wie Minerva, andere nickten ihren Nachbarn reserviert zu, so wie Albus der Ministerin. »Ich bin immer offen, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, werte Eugenia«, sagte er so laut, dass es im ganzen Atrium widerhallte, selbst ohne magische Stimmverstärkung. »Für unser aller Wohl sollten wir das sogar, anstatt uns davon ablenken zu lassen, wer dem anderen zu dienen hat.« Eugenia leckte sich die Lippen. Ihre Lider flatterten, doch dann nickte sie. »Richtig, es geht um unser aller Wohl. Da haben Eitelkeit und Stolz keinen Platz. Im Gegenteil, auch diese müssen wir überwinden.« Ein paar Sekunden sahen Albus und Eugenia sich starr an, ehe Albus ein Lächeln zeigte, das er normalerweise für die Erstklässler reservierte. »Besser hätte ich es nicht sagen können.« Nicht nur die Ministerin, auch die meisten Umstehenden schienen sich zu entspannen. Entschlossener als zuvor tuschelten diese leise miteinander oder umklammerten ihre Zauberstäbe fester. Aber da war genauso Angst in einigen umherhuschenden Augen, bleiche Gesichter und zitternde Hände. Die Einheit der magischen Gesellschaft wankte, noch während Eugenia Jenkins sie heraufbeschwor. »Lassen Sie mich Ihnen einen Rat geben«, fuhr sie ungerührt dessen fort und löste ihre Augen von Albus, »betrachten Sie Ihren Blutstatus, wie immer er sein mag, nicht als Garant für Sicherheit. Jeder kann in diesen Zeiten zum Ziel werden. Das beweist die letzte Nacht. Deshalb müssen wir uns gegenseitig schützen. In meinem Ministerium arbeiten genug fähige Hexen und Zauberer, die diese Stärke bereits bewiesen haben, als sie die Bedrohung durch Lord Voldemort vor zwei Wochen zurückschlugen. Und was wir einmal geschafft haben, werden wir wieder vollbringen. Wieder und wieder, so oft es sein muss. Denn im Gegensatz zu den Feinden unserer Verfassung wissen wir, dass unsere Fähigkeiten alleine durch unseren Willen limitiert sind, nicht durch unser Blut.« Kollektives Einatmen folgte den Worten. Albus drückte sacht Minervas Schulter, doch sie nahm die Berührung kaum wahr. Genau wie alle anderen hielt sie den Atem an, als Eugenia Jenkins Voldemort nachahmte und ihre Arme zu beiden Seiten ausstreckte. Die Augen der Ministerin wanderten von rechts nach links, bevor sie verkündete, worauf längst alle gebangt hatten. »Ich bedauere es zutiefst, diese Worte sprechen zu müssen, werte magische Gemeinschaft, doch mit dem heutigen Montag, dem 28. September 1970, verhänge ich in meiner Funktion als britischer Zaubereiministerin den nationalen Kriegsstand.« Minerva senkte die Lider. Da war keine Furcht in ihr. Nur Leere. Sie hatte es gewusst, seit sie das Dunkle Mal am Himmel gesehen hatte. Das Leben zerbrach unter ihren Händen und sie fand sich zur Salzsäule erstarrt. »Die Verfolgung von Lord Voldemort und seinen Todessern hat ab sofort höchste Staatspriorität«, ergänzte Eugenia ihre Bekanntmachung. »Ich kann diesen Umstand nicht beschönigen. Was kommt, wird Opfer fordern. Auf beiden Seiten. Daher appelliere ich noch einmal an Sie – schützen Sie, was Ihnen lieb ist. Stehen Sie einander bei. Wir können das überstehen, wenn wir als Gemeinschaft stark bleiben. Lassen Sie uns nie vergessen, was uns alle verbindet: Unsere Menschlichkeit.« Ein einzelner Zauberer weit hinten hob seine Hände zum Applaus. Zunächst zögerlich breitete sich der Beifall durch die Reihen der Anwesenden aus, doch schließlich schwappte er unaufhaltsam wie eine Flutwelle durch das Atrium. Auf dem Podest nahm Eugenia Jenkins einen tiefen Atemzug. »Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre Aufmerksamkeit – für Ihr Verständnis.« Sie neigte leicht den Kopf und wandte sich an die Reporter, deren Hände bereits zahlreich in die Luft gewandert waren. Hagelgleich prasselten ihre Fragen auf die Ministerin ein. »Was bedeutet der Kriegsstand für Auroren und Strafverfolgung? Welche Mittel stehen den Beamten jetzt zur Verfügung, um die Bedrohung schnellstmöglich zu beseitigen? Womöglich strafbewährte Flüche? Wird der Todesfluch legal sein?« »Nein.« Entschieden schüttelte Eugenia den Kopf. »Der Gebrauch schwarzer Magie ist nach wie vor keine Option. Auch weiterhin müssen sich alle Angestellten vor einem Ausschuss verantworten, sollte bei ihnen Gebrauch derartiger Magie festgestellt werden. Der Einsatz des Imperius-Fluchs ist nur in engen Grenzen zu vertreten, wie zuvor. Die Verwendung des Todesfluchs hingegen ist indiskutabel. Wir wollen diesen Krieg nicht mit den Mitteln der Gegenseite gewinnen, sondern unser Recht, vor allem aber auch unsere Moral bewahren.« Das entlockte Albus ein Zucken. Es war nur eine winzig kleine Regung – womöglich wäre sie Minerva entgangen, wenn nicht seine Hand auf ihrer Schulter gelegen hätte. Doch so sah sie ihn an und bemerkte, wie sich etwas in seinem Blick verhärtete, mehr als zuvor bei dem kleinen Kräftemessen mit der Ministerin. Aus dem sanften Wasserblau seiner Augen wurde kalter Saphir, scharf genug sich daran zu schneiden. Sie verkniff sich ihre Frage lieber. Eugenia schien ebenfalls unglücklich über die gemischten Reaktionen des Publikums, denn sie schlang die Hände auf ihrem Rednerpult fest ineinander, während sie so etwas wie einen beruhigenden Ausdruck auf ihr Gesicht zwang. »Nichtsdestotrotz ergeben sich natürlich zahlreiche Notverordnungen, die nun in Kraft treten. Verkürzte Voraussetzungen für Verdachtsfestnahmen, verstärkte Handlungsprärogative der Auroren bei der aktiven Verfolgung, zusätzliche Befugnisse für unsere Strafverfolger, herabgesetzte Voraussetzungen für ein Urteil im Eilverfahren vor dem Gamot – Sie sehen also, wir gewinnen enorm an Handlungsfähigkeit, ganz ohne sämtliche unserer Prinzipien zu verraten.« »Reicht das denn? Wie gehen wir sicher, dass keine Anhänger Lord Voldemorts das Ministerium unterwandert haben? Irgendwer muss ja geholfen haben, den Angriff vor zwei Wochen überhaupt möglich zu machen!« Jetzt schluckte Eugenia zum ersten Mal sichtbar. Minerva spannte sich gemeinsam mit ihr an. »Nun«, sagte die Ministerin barsch, »wir haben in der Zwischenzeit Maßnahmen ergriffen, um das Personal zu überprüfen. Ich kann Ihnen garantieren, dass alle, die heute hinter mir stehen, mit diversen Erkennungszaubern auf das Dunkle Mal überprüft, sowie unter der Zuhilfenahme von Veritaserum zu ihrer Gesinnung befragt wurden – freiwillig. Und ich versichere Ihnen, wir haben keinen Spion auf Führungsebene gefunden.« Irritiert schüttelte Minerva den Kopf. »Das kann nicht sein«, zischte sie Albus mit unterdrückter Stimme zu. Der legte sein Haupt nachdenklich schief. »Oh, von der Unwahrheit dieser Aussage bin ich überzeugt. Die Frage ist nur, wie es möglich war, die Ministerin derart zu täuschen. Natürlich kann man Veritaserum mit genügend Training widerstehen, aber wie verbirgt man ein so mächtiges Fluchmal auf dem Unterarm, wie es offenbar alle von Toms Anhängern tragen?« Auf der Suche nach einer Antwort sah Minerva in seine Augen, die sie über den Rand seiner Halbmondbrille hinweg anfunkelten. Die Härte darin war Wissbegierde gewichen. »Schätze, das müssen wir herausfinden ... wenn es das Ministerium nicht tut.« Albus erwiderte nichts, doch sie erkannte die Zustimmung in seinem Blick. Eugenia war allerdings gar nicht fertig mit der Beantwortung ihrer Frage. »Das restliche Personal wird noch heute in einem ähnlichen Verfahren geprüft«, erklärte sie, »das von unseren erfahrenen Strafverfolgern Alston Mulciber und Bartemius Crouch überwacht wird.« In Albus’ Augen erlosch das Funkeln wieder. »Nun, das ist bedauerlich ...« Fragend zog Minerva eine Augenbraue hoch. »Mrs Jenkins strengt sich wirklich an, aber angesichts all dieser Entscheidungen komme ich einfach nicht zu dem Schluss, dass dem Ministerium mein uneingeschränktes Vertrauen zusteht. Oder empfindest du das anders?« »Ich ...« Minerva sah der Ministerin zu, wie sie Mulciber aufs Podium zitierte, damit er die Fragen über das Verfahren beantworten konnte, ohne dabei kritische Details zu verraten. Ein Seufzen hing in ihrer Brust fest, als hätte sie eine heiße Kartoffel im Ganzen verschluckt. Auch ein Räuspern brachte keine Linderung. »Mit Vernunft betrachtet hast du wahrscheinlich recht«, gab sie schließlich zu. »Aber mein Herz ... will hoffen.« »Vielleicht bist du einmal mehr weiser als ich.« Ähnlich gelassen wie Arrnd im Gerichtssaal wippte Albus auf den Füßen vor und zurück. Es fehlte nur noch das leise Summen auf den Lippen. Derweil gab Mulciber vorne den Reportern höchstens einsilbige Antworten. Schließlich wurde es einem der Zauberer zu bunt. Während seine Kollegin noch weitere Nachfragen formulierte, brüllte er – magisch verstärkt – dazwischen. »Und was ist mit den Kobolden? Warum sind die überhaupt hier? Hat auch jemand deren Gesinnung überprüft? Ich habe gehört, Lord Voldemort hat ihnen die tollsten Versprechungen gemacht!« Raunen ging durch das Atrium. Vereinzelt reckte man die Hälse nach der kleinen Gruppe neben dem Brunnen. Statt Eugenia oder Mulciber antwortete direkt ein Kobold mit schlohweißem Haar dem Reporter. »Mag sein, dass Lord Voldemort Dinge versprochen hat, die manchem von uns gefielen«, schnarrte er mit funkelnden Augen. »Aber dann wurden wir ebenso Opfer eines Angriffs wie ihr. Niemand schändet ungestraft Gringotts! Wir haben dem Ministerium unsere Unterstützung zugesagt – es sei denn, es möchte noch jemand unseren Stolz in Frage stellen?« Der junge Mann senkte den Zauberstab von seiner Kehle. Plötzlich ganz blass, schüttelte er den Kopf. »Weise.« Der Koboldsprecher bleckte seine spitzen Zähne. »Dann werden wir diesen Krieg ausnahmsweise an eurer Seite austragen.« Falls irgendjemand Zweifel gehabt hatte, einem historischen Moment beizuwohnen, spätestens jetzt mussten diese fortgewischt sein. Kobolde und Menschen in einem Krieg vereint, das hatte es nie zuvor gegeben. Minerva dachte an Arrnd, der sie tatsächlich kurz vor der Entlassung im St. Mungo besucht hatte. Mehr als ein paar Worte hatten sie nicht gewechselt, doch das war genug gewesen. Wenn ein Kobold einem sagte, dass er deinen Mut bewunderte, glich das einem Ritterschlag. Aber selbst das reichte nicht, um jetzt die Leere in ihrem Inneren zu füllen. Ein Krieg mit Verbündeten blieb ein Krieg.   Als wüsste die Magie von der Schwere des bevorstehenden Tages, schien beim Frühstück in der Großen Halle von Hogwarts wenig später eine kräftige, gold-orangene Herbstsonne von der Decke – obwohl die Ländereien von Wind und Regen heimgesucht wurden. Minerva fühlte sich wie auf einer einsamen Insel mitten im Auge eines Sturms. In all ihren Jahren hier hatte das Schloss nie solchen Eigensinn bewiesen. Sie wusste nicht, ob es tröstlich oder unheimlich war. Den Kindern schien es jedenfalls zu helfen. Nach dem anfänglichen Schock über Albus’ morgendliche Ansprache – und die damit einhergehende Verkündung des Krieges – schafften sie es immerhin noch, ein wenig Lärm zu machen. Nicht so mächtig wie sonst, wenn sie lachten, sich gegenseitig ärgerten oder versuchten, die Hausaufgaben von jemandem zu kopieren ... aber zumindest ihre Stimmen blieben kräftig. Immer wieder hörte Minerva diesen einen, nahezu magischen Satz: »Hogwarts ist der sicherste Ort auf Erden.« Eine Aussage, die sie in jeder ihrer Unterrichtsstunden bekräftigte. »Sie sind hier in Sicherheit. Professor Dumbledore wird nicht zulassen, dass Ihnen etwas passiert. Ich weiß, die Situation ist beängstigend. Zögern Sie daher nicht, eine Lehrkraft anzusprechen, wenn Sie das Gefühl haben, Hilfe zu brauchen. Unser aller Tür steht Ihnen selbstverständlich jederzeit offen.« Egal ob Erstklässler oder UTZ-Schüler vor ihr saßen, ein ums andere Mal wiederholte sie diese Worte, bis sie sich beinahe in ihrem Mund verknoteten. Sie wünschte, es gäbe mehr zu sagen. Irgendwas tatsächlich Tröstliches. Stattdessen lehnte sie nur an ihrem Pult und stellte sich den besorgten Fragen der Kinder. So hatte sie sich ihre Rückkehr in das Schloss – ihr Zuhause – wahrlich nicht vorgestellt. Kein einziger Zauberstab wurde geschwungen, keine Hausaufgabe verteilt. Nicht ein müder Hauspunkt gewonnen oder verloren. Dafür sprach sie immer wieder davon, warum Voldemort nach der Macht strebte. Weshalb er falschlag. Wie er zurückgeschlagen worden war (auch wenn sie ihre Rolle dabei lieber untertrieb). Was nun auf sie wartete. Welche Folgen der Krieg für Hogwarts hatte. Sie konnte nur hoffen, dass irgendwas davon ihren Schülern half. Selber war sie höchstens ausgelaugt, als am Ende des Tages die Tür hinter dem letzten Gryffindor zufiel. Da kam ihr Albus gerade recht, der fragte, ob sie nicht Elphinstone für ein Treffen mit ihm und einigen seiner Bekannten an diesem Abend gewinnen könnte. Natürlich sollte es ein weiteres Mal um den Krieg gehen, doch Minerva war jeder Vorwand recht, Elphinstone derart bald wiederzusehen. Selten hatte sie sich so gefreut, ihr Klassenzimmer und ganz Hogwarts wieder zu verlassen. Das Abendessen zuvor schmeckte nach nichts, obwohl es ihre liebsten Röstkartoffeln gab. Angestrengt schlang sie ein paar Bissen herunter, ein Auge immer auf den Haustischen. Doch heute gab es keine explodierenden Furunkeltränke oder andere Häuserrivalitäten. Noch bevor alle Trödler auf dem Weg in ihre Schlafsäle waren, sprang sie auf und entschuldigte sich bei ihren Kollegen, die tapfer ausharrten. Pomona schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln, aber da war sie schon durch die Türen geschlüpft. Der Weg hinunter nach Hogsmeade zog sich wie Endlostoffee. Gleichzeitig kam es Minerva so vor, dass sie nur einmal blinzelte, ehe sie im Hinterzimmer des Eberkopfs stand und den Kamin bestieg. Und ein weiteres Blinzeln später landete sie im Tropfenden Kessel. Der Lärm erschlug sie fast. Ein riesiger Pulk an Hexen und Zauberern war um die Tische in der Mitte versammelt. Alle sprachen sie über den Krieg, Voldemort, Todesser ... Eilends trat Minerva in den Hinterhof und disapparierte nach Mayfair. Eigentlich peilte sie den Eingang von Elphinstones Wohnhaus an, wenn der direkte Sprung in seinen Kamin schon nicht in Frage kam. Auf ein unfreiwilliges (und unangenehmes) Festhängen im Flohnetzwerk konnte sie nämlich gut verzichten, falls er noch unterwegs war. Doch bevor das Engegefühl des Apparierens schwand, wusste sie schon, dass sie mit etwas zu wenig Elan und zu viel Müdigkeit in die Bewegung gegangen war. Anstatt auf den Sims vor Elphinstones Haustür brachte ihr Fehltritt sie zwei Häuser weiter. Zum Glück war es bereits dunkel, sodass niemand sie sah – besonders nicht ihre Verwandlung in Katzengestalt. Auf allen vieren huschte sie durch den Nieselregen davon. Sie hoffe inständig, dass Elphinstone überhaupt nach Hause kommen und nicht im Büro übernachten würde. Wer wusste schließlich, welche Ausmaße das Chaos im Ministerium inzwischen angenommen hatte? Bei ihrem Abschied hatte er zwar versprochen, dass er sich nicht gleich wieder übernehmen würde (und den Wachmachtränken abzuschwören), aber das war vor der Rede der Ministerin gewesen. Bevor der Krieg Gewissheit geworden war. Nur die Energie, welche ihr die vorangegangene Woche verliehen hatte, trug Minerva jetzt noch über das kalte Pflaster. Sie wollte am liebsten zurück in das Bett unter dem Pflanzenbaldachin, in Elphinstones Arme – Abrupt stoppte sie, eine Pfote in der Luft. Selbst durch den dichten Regen erkannte sie das Pulsieren einer menschlichen Aura vor dem Eingang zu Elphinstones Wohnhaus. Jemand wartete – und es war nicht ihr herbeigesehntes Himmelblau, das sie sah. Trotzdem kannte sie diesen Lichtschimmer. Fünf, sechs Herzschläge lang stand Minerva einfach nur da und starrte auf den gelben Fleck in der dunklen Regennacht. Dagegen wirkten die entfernten Straßenlaternen in ihrer Katzensicht schwach, vom Mond ganz zu schweigen. Ihr Atem beschleunigte sich. Nein, es gab kein Vertun. Die Aura war von zartem Zitronengelb an den Rändern, in ihrer Mitte hingegen leuchtete sie mit einem sommerlichen Rapsfeld um die Wette. Genau wie in ihrer Erinnerung. Wie sehr die fröhliche Farbe doch zu ihrem Besitzer passte, auch nach all den Jahren ... Aber das konnte nicht sein! Er konnte nicht hier sein – Plötzlich zog sich die Aura ruckartig zusammen, als hätte sie Schluckauf. Für einen Moment strahlte sie hell wie eine Glühbirne kurz vor dem Durchbrennen, dann verlor sie ebenso schnell wieder an Leuchtkraft. Ohne einen weiteren Gedanken an das Unmögliche zu verschwenden, verwandelte Minerva sich zurück. »... Dougal?« Die Gestalt im Hauseingang wirbelte zu ihr herum. Sie brauchte keine katzenhafte Nachtsicht, um die Überraschung auf dem Gesicht zu erkennen, das sich für immer in ihre Erinnerungen gebrannt hatte. Er war es wirklich. »Oh ...« Auf der Suche nach Halt fanden Minervas Finger nur ihr Schlüsselbein und gruben sich tief in die Haut darüber. »Was ...« »Minerva. Du bist hier ...? Ich habe dich gar nicht kommen sehen ...« Ihre Füße hatten sich nicht entschieden, ob sie auf ihn zustürmen sollten oder mit dem Boden verwachsen wollten, da nahm Dougal ihr schon die Entscheidung ab. In wenigen großen Schritten stand er vor ihr, nah genug, dass sie sein Aftershave roch. Und etwas anderes in seinem Atem, geradezu Übelkeit erregend süßlich – »Du bist hier«, murmelte Dougal noch einmal, eindringlicher. Schon streckte er seine Finger nach ihrem Kinn aus, hob es leicht an ... »Ah – stopp, Dougal ...« Regen lief Minerva in die Augen. Trotzdem wollte sie nicht blinzeln. Erstarrt presste sie die Hand fester an ihre Brust. Das hier war nicht richtig. Dougal war pitschnass. Sein für gewöhnlich lockiges Haar klebte ihm flach an den Schläfen. Aber all das schien ihm egal, denn er ... lächelte. So wie früher. Als sie noch ... Minerva schüttelte den Kopf. »Wie lange stehst du bitte schon im Regen?« »Ich ... keine Ahnung –« Ein grässliches Gefühl schlug seine Klauen in ihr Herz. »Weißt du überhaupt, wo du bist?« Offensichtlich verwirrt legte Dougal die Stirn in Falten. Kurz, nur für einen Sekundenbruchteil, glitt sein Blick an ihr vorbei. »London ...« »Und hier? Diese Straße? Dieses Haus?« »Ist egal. Ich bin dort, wo ich sein muss. Und jetzt bist du sogar bei mir.« Auf einmal packte Dougal ihre Oberarme. »Lass mich los«, hauchte Minerva. »Bitte ...« Ihre Stimme vibrierte in einem Ton, den sie lange nicht mehr so intensiv bei sich wahrgenommen hatte. Angst. »Wieso denn?« Dougal starrte sie unbewegt an. »Freust du dich nicht, mich zu sehen? Du hast mich doch auch vermisst, das weiß ich genau!« Sie presste die Lippen aufeinander. Hätte sie seine Aura nicht gesehen, sie würde nicht glauben, dass er wirklich vor ihr stand. Ungeachtet ihrer ausbleibenden Antwort strahlte Dougal sie unvermittelt wieder an. »Es ist alles gut, Minnie. Ich bin hier, weil ich dieses Mal um dich kämpfen werde. Ich liebe dich schließlich immer noch!« Ihr Atem setzte für einen Herzschlag aus. Dann entkam ihr ein Geräusch zwischen Schnauben und Schniefen. »Nein.« Erneut schüttelte sie den Kopf. »Tust du nicht. Du liebst deine Frau. Deine Tochter. Euer zweites Kind, das noch nicht einmal geboren ist!« Die Leere in Dougals Augen bei Erwähnung seiner Familie erschauderte sie bis ins Mark. Das war nicht er, der handelte. Jemand hatte ihm das hier angetan. Magie hatte ihn so verdreht. Nur welche? Die Puzzleteile passten nicht zusammen. Was sollte es bringen, ihm wieder Gefühle für sie einzupflanzen? Und weshalb war er dann in Mayfair? Es half nichts, irgendwie musste sie mehr herausfinden. »Wie bist du hergekommen?«, fragte sie nachdrücklich, auch wenn sie ihn am liebsten geschüttelt hätte. Doch sie brachte es nicht über sich, ihn ihrerseits anzufassen. Kaum merklich zuckten die Muskeln in Dougals Gesicht. »Ich ...«, sagte er gedehnt. Sein Blick ging geradewegs durch sie. Das erinnerte sie an den Imperius-Fluch, wenn er an seine Grenzen stieß. Oder mit einer unerwarteten Situation konfrontiert wurde ... Nur für einen winzigen Augenblick sah sie den Regentropfen zu, die sich in Dougals langen Wimpern fingen. Wie damals seine Tränen, als sie – »Warum bist du hier?«, bohrte sie erneut nach. »Das – das ... kann ich dir nicht sagen.« »Du musst!« »Wieso?« Dougal legte seinen Kopf schief. »Reicht es nicht, dass ich dich liebe? Wir können wieder zusammen sein! Ich werde alles andere dafür tun!« Endlich fand Minerva die Überwindung, seine Hände von sich zu schieben. Zumindest versuchte sie es, denn sein Griff war eisern. Sie musste ihn an den Gelenken packen und ihre Daumen gegen die Schlagader drücken, ehe er losließ. Jeder andere hätte sich über den Schmerz beschwert, doch Dougal blinzelte nicht einmal. »Wenn du mich liebst, musst du mir die Wahrheit sagen«, beschwor sie ihn. »Sonst ... wird mir etwas Schlimmes passieren. Bitte. Hilf mir!« »Aber ...« Auf einmal keuchte Dougal, als hätte er mit Verspätung ihren Kniff gespürt. Er verzog die Lippen. »Nein – ich kann nicht ... ich darf ... nicht ...« Zwei Finger an die Stirn gedrückt, stolperte er einen Schritt rückwärts. »Tu mir das nicht an ... lass uns einfach glücklich sein ...« Mit zitternder Hand tastete Minerva nach ihrem Zauberstab. Dougal bemerkte gar nicht, wie sie ihn im Aufschlag ihres Jackenärmels verbarg. Besorgt sah sie über ihre Schulter, ob sich womöglich von hinten ein Angreifer näherte, der nur auf diesen Moment ihrer Schwäche gewartet hatte. Doch da war niemand, ihr Aufspürzauber bestätigte es. Nicht, dass sie dies erleichterte. Im Gegenteil, nun stiegen mehr Fragen in ihr auf. Sie wandte sich wieder dem wimmernden Dougal zu. »Du willst von mir geliebt werden?«, fragte sie in einer Strenge, für die sie sich im gleichen Atemzug hasste. Überhaupt hasste sie die Frage. »Schön. Das geht nur, wenn du mir sagst, warum du hier bist! Wenn du das tust, wird alles gut. Ich verspreche es dir!« »Minerva ... bitte ...« Ein Ausdruck trat in Dougals Augen, den sie nie wieder hatte sehen wollen. Tränen sammelten sich, seine Lippen zitterten, er schüttelte sachte den Kopf – es fehlte nur der Brillantring, den sie in seine Hand legte. Ich werde dich nicht heiraten. Aber immer nur dich lieben ... »Tu es, Dougal. Für mich. Es ist ganz einfach.« »Nein ...« Seine Brust hob und senkte sich heftig. »Nein! Bitte verlang das nicht, es muss doch einen anderen Weg geben ...« Es kostete Minerva alle Kraft, dieses Mal nicht von ihm fortzugehen, sondern die Hände an seine Wangen zu legen. Viel zu oft hatte sie sich danach verzehrt, es noch einmal tun zu dürfen. Und jetzt ... erfüllte bittere Asche ihren Mund bei dem Gefühl seiner Haut unter ihren Fingerspitzen. »Ich wünschte«, flüsterte sie. »Aber du musst es mir sagen. Bitte!« Er wand sich wie ein Flubberwurm vor dem Zaubertrank. Schweiß trat auf sein Gesicht und als er keuchte, roch sie wieder diese klebrige Süße in seinem Atem. Was, wenn ... In einem spontanen Impuls drückte sie ihre Stirn an seine. Sie konnte die winzigen, goldenen Sprenkel in seinen braunen Augen erkennen und jeder davon trug eine gut verdrängte Erinnerung an ihre gemeinsame Zeit. Kitzelndes Gras unter ihren Fußsohlen und seine Küsse in ihrem Nacken. Ein unendlicher Sommer im Schatten einer großen Eiche, der Geschmack von Erdbeeren auf ihren Lippen, seine Wärme auf ihrer Haut – und das Ende auf einem ungepflügten Acker, ihr Verrat an dieser Liebe. »Es tut mir so leid, dass ich damals einfach gegangen bin«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Aber ich weiß, dass du stark bist. Du hast es überwunden. Und du bist auch jetzt stark! Kämpf gegen das Verbot, Dougal. Bitte! Sieh mich an! Ich weiß, dass du da drin bist. Dein wahres Ich, das mich nicht länger liebt!« Seine Lider flatterten schmetterlingsgleich. »Es ... tut weh ...« »Ich weiß. Oh, ich weiß.« Ein trauriges Lächeln zupfte an ihren Lippen. »Aber es hört auf, wenn du es geschafft hast. Stell es dir vor wie ein Pflaster, das du abreißen musst. Je schneller, desto eher ist der Schmerz vorbei.« Dougal schluckte schwer, bevor er kaum merklich nickte. »So ist es gut.« Ihr Zauberstab bohrte sie tief in Minervas Handfläche, während sie seine Wangen fester umfasste. »Und jetzt denk an deine Familie! Denk an deine Tochter! Sie braucht dich. Sie braucht dich mehr als ich. Sie ist noch so klein ...« Die Verwirrung in Dougals Augen flackerte, dann verlosch sie wie eine Kerze ohne Sauerstoff. »Mia ...«, stöhnte er gequält. »Genau! Ihr Name ist Mia. Sie ist sechs Jahre alt und dein ganzer Stolz.« »Ja ...« »Siehst du sie vor dir?« »Ich ... ja ...« »Dann lass sie nicht los. Halt sie fest. Sie braucht ihren Vater!« »Aber ich ... ich weiß nicht warum, aber ich will dich –« »Minerva! Ich bin gerade erst angeko- ... Was ist hier los?« Beim Klang dieser dritten Stimme ging ein Ruck durch Dougals gesamten Körper. Er riss die Lider weit auf. Im selben Moment stieß er Minerva von sich. Sie landete mit dem Hintern voraus am Boden. »Dougal –« Etwas Silbernes blitzte im Laternenschein auf. Ein Messer – nein, ein Dolch. »Dougal!« »Ich bringe es zu Ende.« Seine Stimme war plötzlich viel dunkler. Schwer. Wie eine Decke, die selbst Feuer erstickte. »Das Flüstern sagt, ich muss es tun!« »Es lügt!« »Niemals.« Schwere Atemstöße schüttelten Dougal, als wäre er zehn Runden um den Schwarzen See gerannt. »Es ist das beste für dich. Für uns! Damit wir zusammen sein können –« Er wirbelte zum Hauseingang herum – in dem Elphinstone stand, die Augen überrascht aufgerissen. »Nein!« Minerva war egal, ob die Muggel aus den Fenstern guckten. Ob sie sahen, wie sie noch am Boden den Zauberstab hob. Ihr war alles egal. »Stupor!« Doch Dougal bewegte sich zu schnell. Der Zauber traf nur die Hausmauer direkt über seiner Schulter. Stein spritzte durch den Regen. »Au!« Erneut fuhr Dougal herum. »Warum?« Er fuchtelte mit dem Dolch umher. »Du kannst ihn doch nicht wirklich mehr lieben als mich!« Wie gebannt sah sie auf die Klinge in seiner Faust. Auf die Runen im Silber, den schwarzen Griff ... Ihr Zauberstab bebte. Sie kannte diese Waffe. Und bevor sie es sich besser überlegen konnte, drückte sie sich vom Gehweg hoch und stürzte vorwärts. Mit beiden Händen packte sie das kalte Metall. »Dougal –« Ihre Worte erstarben in einem Keuchen. »Ahhh ...« »Nein – Minerva!« Sie wusste nicht, wer geschrien hatte. Aber auch das war egal. Selbst als Dougal den Dolch fortziehen wollte, ließ sie nicht los. Sie packte die Klinge nur fester. »Sieh nur ... was du getan hast ...«, stieß sie hervor. Entgegen jeglicher Vernunft drückte sie ihre Hände um das beißende Silber zusammen. »Ist es wirklich das, was du willst, Dougal?« Der Dolch zitterte und mit aller Kraft zog sie ihn hoch, bis er kaum Millimeter von ihrer Brust entfernt war. »Dann töte mich zuerst.« Binnen Sekundenbruchteilen glitten tausende Gefühle über Dougals Gesicht. Wut. Verwirrung. Überraschung, Entsetzen – Panik. »Oh Gott –« Ehe er den Satz beenden konnte, erschlafften all seine Muskeln. Minerva schrie, als die Klinge dem Gewicht seines Körpers gen Boden folgte und ihrem Griff entrissen wurde. Schwer atmend starrte sie auf ihre Hände. Wie Regentropfen perlte das Rot von ihnen auf den reglosen Dougal ... »Minerva!« Dieses Mal war es eindeutig Elphinstone, der nach ihr rief. Sie sah in den leeren Hauseingang – und fand ihn schließlich kniend neben Dougal. Er hielt dessen Oberkörper in beiden Armen, den Zauberstab immer noch in der Hand. »Bist du wahnsinnig?« Ihr Mund klappte auf. Kein Ton kam heraus. Dafür verschwamm die Sicht vor ihren Augen. Ihr Blut wurde zu einer farblosen Schliere, das Laternenlicht verblasste zusehends ... Sie wankte leicht. Als sie schon dachte, sie würde es Dougal gleichtun, legte sich etwas Warmes um ihre Schultern. »Ist ja gut«, murmelte Elphinstone. »Ich halte dich. Gib mir deine Hände –« Magie strich kribbelnd von ihren Fingerspitzen bis hoch zu ihrem Unterarm. Der schreckliche Schmerz schwand zu einem Pochen, bevor sie ihn überhaupt richtig realisiert hatte. Nur das Blut blieb. »Phin –« »Mir geht es gut. Nicht ein Kratzer.« Sie blinzelte gegen den Schock an. »Wir müssen weg von hier«, sagte sie heiser. »Hogwarts – Albus wollte, dass ich dich informiere ... deshalb bin ich hier, er will ein Treffen abhalten – Aber wir müssen Dougal helfen!« »Dann nehmen wir ihn mit«, entschied Elphinstone kurzerhand. Er hörte nicht auf ihren Protest, sondern bückte sich erneut zu dem Bewusstlosen. Nach einem gemurmelten Schwebezauber schob er sich Dougals Arm über die Schultern, während er sie an seine andere Seite zog. Das Letzte, was Minerva von Mayfair sah, war ihr Blut, das sich am Rinnstein sammelte. Dann drückte der enge Schlauch des Apparierens alle Gedanken fort. Nur einer begleitete sich durch die Leere von Raum und Zeit – wie passend, dass es ein regengrauer Montag war, an dem die Welt in Aschenstaub zerfiel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)