Stichflamme von Coronet (Der Aufstieg des Phönix) ================================================================================ Kapitel 46: Im Namen der Magie ------------------------------ Zuerst drangen die Geräusche auf Minerva ein. Es war laut im Gamotssaal. Sehr laut. Fast wie in der Großen Halle zur Mittagszeit. Doch den Gesprächsfetzen fehlte jede Leichtigkeit. Die Freude in den vielen Stimmen war zu schrill, irgendwie ... voller Disharmonie. Und dann schälten sich die Schatten aus dem Licht. Man erwartete sie. Unzählige Menschen drängten sich auf den erhöhten Plätzen des Gamots, die meisten in feiner Abendgarderobe. Alles Leute, neben denen sie erst vor kurzem gesessen hatte. Da war Walburga Black, ein triumphierendes Grinsen im Gesicht, und Druella, deren Augen gehetzt umher huschten ... »Schon irgendwelche Pläne?«, zischte Arrnd Minerva aus dem Mundwinkel zu. Sie wünschte, dem wäre so – doch all ihre Gedanken an Flucht erstickten bei dem Anblick, der sich ihr inmitten der Menge bot. Wo sonst der Platz des Verhandlungsvorsitzenden war, stand Voldemort. Um ihn scharten sich wie die Motten seine vermummten Anhänger – aber auch Rita Kimmkorn, die leichenblass auf dem Sitz der Schriftführerin saß, ihre giftgrüne Feder der einzige Farbfleck in einer See aus Schwarz. Sie zitterte mit ihrem Schreibutensil um die Wette. Doch Voldemort schien das nicht im Mindesten zu kümmern. Er breitete seine Arme aus, als würde er sie alle in seinem Reich willkommen heißen – als wäre er der König, der sie zur Audienz empfing. »Ahhh ... Mrs Jenkins!«, rief er. »Endlich stehen wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüber.« In dramatischem Gestus legte er eine flache Hand an die Brust und deutete doch tatsächlich eine Verbeugung an. Seine Augen, diese unheimlich roten Glutnester, löste er allerdings keine Sekunde von der Gruppe um Minerva. Für einen vergessenen Herzschlag lang glaubte sie gar, dass er nur sie anstarrte. Erst Arrnds Ellenbogen in ihren Rippen riss sie aus der Trance. »Schau dir das an«, murmelte der Kobold, den Kopf gen Boden gesenkt. Sie folgte seinem Blick, sah aber nur schwarzen Stein, blank poliert von den Füßen unzähliger Generationen vor ihnen. Abgesehen von ein paar Rissen in den Blöcken erkannte sie nichts Außergewöhnliches. Arrnd hingegen summte leise. Er wirkte geradezu vergnügt, wie er so den Kopf von einer Seite zur anderen wiegte, eine sanfte Melodie auf den Lippen. »Spürst du die uralte Macht hier unten? Das Archaische? Es ruft nach uns ...« Was immer er meinte, Voldemort ließ ihr keine Zeit, darüber nachzudenken. Auf sein Schnipsen hin schlugen die Türen des Gerichtssaals hinter ihnen zu. Das dumpfe Dröhnen des letzten Auswegs, der sich verschloss, hallte durch das steinerne Rund wie Kirchglocken bei einer Beerdigung. »Ich finde es erfreulich, dass Sie, Mrs Jenkins, und Ihre Begleiter, mir derart entgegenkommen«, sagte Voldemort in die folgende Stille. Pippa schnaubte durch die Nase und rempelte ihren Geiselnehmer an, wofür sie einen Fauststoß in die Magengrube kassierte. Sie verzog das Gesicht, ließ sich aber sonst nichts anmerken. Voldemort betrachtete sie mit mäßigem Interesse, bevor er zu Eugenia zurücksah. »Das erspart uns einige Unannehmlichkeiten. Ich bin sicher, das werden Sie auch bals erkennen. Wollen Sie noch, dass ich mich förmlich vorstelle, oder können wir das in Anbetracht der Situation als erledigt betrachten?« Eugenia streckte das Kinn vor. Minerva meinte, ihren Kiefer knacken zu hören. Nur über ihre Lippen kam kein Laut. »Wohlan, ich begrüße es, wenn wir uns nicht mit falschen Worten der Höflichkeit aufhalten«, erwiderte Voldemort ihr Schweigen. »Dann können wir zu den wichtigen Dingen voranschreiten, Mrs Jenkins – Ihrem Verfahren.« Nun klappte Eugenia doch der Mund auf. Aber es war bloß zu hören, wie sie scharf die Luft einsog, ebenso wie Dädalus. »Sie dachten hoffentlich nicht, dass Sie einfach so von Ihrer Verantwortung entbunden werden?« Fast schon schmunzelnd schüttelte Voldemort den Kopf. »Ich bitte Sie, wir sind doch keine ... Gesetzlosen. Nicht so wie die wilden Muggel, deren Schutz Sie sich verschrieben haben. Natürlich werde ich der geschätzten Ministerin unserer Gemeinschaft nicht einfach den Todesfluch auferlegen. Wir wollen doch, dass alles mit Recht zugeht.« Minerva konnte sich ein Schnauben nicht verkneifen. Der Laut schien etwas in Eugenia wachzurufen, denn sie schüttelte sachte den Kopf. »Sie können sich das Recht drehen, wie Sie wollen, ‚Lord‘ Voldemort, aber Sie werden trotzdem immer wissen, dass Gewalt seine einzige Grundlage ist.« »Nun, ich würde sagen, dass wir die Auslegung des Rechts jenen überlassen, denen es dienen soll. Dafür habe ich schließlich eine Auswahl freier Bürgerinnen und Bürger in dieses Gericht berufen, anstatt der gekauften Richterinnen und Richter, die Sie hier beschäftigen.« Voldemort drehte sich zu den Leuten auf den Rängen um und deutete auch in ihre Richtung eine Art Verbeugung an. »Wie heißt der Urteilsspruch so schön? Gebunden durch Magie, gesprochen im Namen des Volkes!« Im Saal brach ein Gewitter los. Die Bänke erzitterten unter dem Fußstampfen und Klatschen der Menge. Pfiffe hallten von den Steinwänden wider, zusammen mit Rufen. »Nieder mit der Verräterin Jenkins! Freiheit von der Schlammblüterdiktatur! Das Volk wird richten!« »Das Volk?«, heischte Emmeline aufgebracht. »Ihr seid doch nur ein paar Spinner!« »Mit genug Macht, dich solche Worte bereuen zu lassen«, knurrte Arrnd, ohne den Blick zu heben. Er senkte die Stimme zu einem Wispern und fügte an Minerva gerichtet hinzu: »Dafür haben wir andere Mächte direkt zu unseren Füßen. Und ich wette, daran denkt niemand ...« Seine Augen schossen von links nach rechts und wieder zurück, dass Minerva beinahe schwindelig wurde beim Versuch, ihm zu folgen. Beinahe. Sie biss wieder auf die Innenseite ihrer Wange. Während das Publikum Emmelines Worte verhöhnte, erkannte sie, was Arrnd längst begriffen hatte. Die feinen Linien, die sich rundrum über den Stein zogen, waren keineswegs willkürlich. Aus den verschmutzten Rinnen formten sich Symbole in Überlebensgröße. Runen? Aber welche? Obwohl sie den UTZ-Kurs darin belegt hatte, kamen ihr die Zeichen nur vage bekannt vor. Dort, wo sie keine Schwünge erwartete, waren plötzlich zusätzliche Serifen, an anderen Stellen Linien durchbrochen. Vielleicht sprachen die Runen von Schutz. Oder Trennung. Wahrheit? Die Zeichen hatte von allem etwas. Nur eines schien Minerva eindeutig: die langgezogene, in sich selbst gedrehte Acht, welche direkt an ihren Füßen vorbeiführte. Die eine Schlaufe des Symbols umschloss die kettenbewehrte Anklagebank nur wenige Schritte entfernt, die andere dagegen erstreckte sich rund um die vordere Empore, auf der Voldemort Stellung bezogen hatten. Im Prinzip formte die geschlossene Linie eine gigantische Sanduhr. Eine Reihe kleiner, zehnzackiger Sterne säumte die Brücke zwischen den beiden großen Ovalen, genau dort, wo ein gewaltiger Ring aus Gold Gamotssitze und den offenen Saal voneinander trennte. Das war keine herkömmliche Rune, aber gerade deshalb gab es für Minerva nur eine Erklärung – es musste sich um eine Verbindung handeln, die das Gleichgewicht von Gericht und Angeklagtem versinnbildlichte. Die Bedeutung jener Wechselwirkung war die erste Regel, welche Elphinstone ihr einst beigebracht hatte: Macht verlangte noch größere Verantwortung. Wenn sie der Gerechtigkeit dienen wollten, mussten sie den Respekt gegenüber allen Menschen wahren. Ungeachtet derer Taten. Durch die Einlassungen im Boden schien dieser – heute höchstens bei der Vereidigung gebrauchte – Schwur der Strafverfolgung wahrlich in Stein gemeißelt zu sein. Minerva wollte gerade Arrnd nach seiner Meinung zu dieser Entdeckung fragen, da hob Voldemort eine bleiche Hand und auf einen Schlag schwoll der Tumult im Saal ab. Mit einem zufriedenen Funkeln in den Glutaugen wandte er sich wieder Eugenia zu. »Sie sehen, ich bemühe mich wirklich, Ihnen Gerechtigkeit zuteilwerden zu lassen. Sogar eine unabhängige Protokollantin ist anwesend.« Er deutete auf Rita Kimmkorn. Diese zuckte zusammen, hob aber nicht den Blick von ihrer Feder. Voldemort kümmerte das freilich nicht, er sprach schon weiter. »Weder entscheide ich persönlich Ihr Schicksal, Mrs Jenkins, noch klage ich Sie an. Selbstverständlich übernimmt das ein vereidigter Strafverfolger.« Minerva biss sich fester in die Wange, um nicht überrascht aufzustöhnen. Mit Voldemorts letztem Wort fiel die Galleone bei ihr. Das war also Alstons Rolle in diesem Trollballett! Doch er war nicht hier. Oder? Sie nahm die maskierten Typen in Augenschein. Es war schwer zu sagen, ob er sich unter denen befand. Groß genug erschien ihr keiner. Und irgendwo, tief in ihrem hoffnungsvollen Herzen, glaubte sie an seine Aufrichtigkeit. Selbst wenn die Vernunft sie eine Idiotin schalt. Voldemort indes schien keinerlei Zweifel an der Durchführung seines Plans zu hegen. Er nahm auf dem vordersten Sitz Platz und bedeutete seinen Anhängern sowie Bewunderern, es ihm gleichzutun. Fast schon beiläufig hob er den Zauberstab, den er bis eben gar nicht in der Hand gehalten hatte. Eugenias Fesseln fielen von ihren Handgelenken. »Bitte, nehmen Sie doch Platz«, sagte er und wies auf den Anklagestuhl in der Mitte des Raumes, dessen Ketten bedrohlich rasselten. Llewyn machte einen Schritt vorwärts und erweckte den Anschein, sich Eugenia in den Weg stellen zu wollen, doch sie schüttelte zeitgleich mit Minerva den Kopf. Der Junge senkte das Haupt und ließ sie passieren, auch wenn er genauso wie Dädalus und Emmeline mit den Zähnen knirschte. Stille dehnte sich aus, als Eugenia alleine vortrat. Mit angehaltenem Atem verfolgten die Zuschauer jeden ihrer Schritte zum Schafott. Weniger Aufmerksamkeit wurde dagegen Minerva und ihren Begleiter zuteil. Trotzdem zerrten Notts Spießgesellen sie ebenfalls in die Mitte des Saals, geradewegs in den Runenkreis. In einer Reihe zwang man sie hinter dem Kettenstuhl auf die Knie, zwei Wachen zu jeder Seite. »Was jetzt?«, zischte Arrnd Minerva aus dem Mundwinkel zu. Llewyn neben ihm sah sie ebenso erwartungsvoll an. Ehrlich zuckte sie mit den Schultern. Vielleicht – hoffentlich – hatte Alston einen guten Plan. Solange er überhaupt hier aufschlug. Denn egal, wie sie es drehte und wendete, sie sah keine Möglichkeit für sich und Llewyn, mit nur zwei Zauberstäben anzugreifen und zu gewinnen. Noch nicht. Wenn sie hingegen die Magie der Runen zu ihrem Vorteil erwecken könnte ... Den Kopf erhoben, zog sie hinter dem Rücken ihre Handgelenke auseinander. Das einst dicke Tau darum riss sofort, ehe es sich in Wohlgefallen auflöste. Ihr Herz schlug Minerva bis zum Hals, als Voldemorts Blick über sie glitt. Es war nur der Bruchteil einer Sekunde, den seine roten Augen sie streiften, doch sie hatte das Gefühl, ihr Befreiungsversuch stünde ihr auf der Stirn geschrieben. Dann aber klatschte er nur in die Hände. »Das Volk gegen Eugenia Jenkins, lasst uns beginnen!« Kaum dass seine Worte verklangen, schien die Zeit ohne Vorwarnung schneller zu laufen. Es war, als hätte Voldemort einen Lähmfluch gebrochen und nun wurden all die in Schockstarre verbrachten Sekunden in einen einzigen Wimpernschlag gepresst. Eugenia wurde von den schlangengleichen Ketten des Anklagestuhls umwickelt. Emmeline rammte dem abgelenkten Nott ihren Ellenbogen in die Magengrube. Llewyn erschrak so, dass rote Funken aus seinem Zauberstab schossen. Dädalus schlug einem zweiten Mann seine Faust in die Kniekehlen. Pippa wand sich ganz ohne Einsatz von Magie aus ihren Fesseln. Arrnd pustete Llewyns Zauberfunken aus seinem Gesicht. Eines der Glutteilchen landete auf der großen Rune. Die Stelle erstrahlte wie unter Strom gesetzt ... Minerva zückte ihren Zauberstab – Elphinstone betrat den Saal. . . . Sie schnappte nach Luft. Elphinstone war da! Er humpelte durch die Tür oben auf der Empore! Er bezog den Posten des Strafverfolgers! Direkt oberhalb von Voldemort trat er an die Balustrade! Es gab kein Vertun, das war tatsächlich Elphinstone. Von dem verrußten, flachsblonden Haar bis hinunter zum angesengten Umhangsaum. Minerva kannte nur einen Mann, der gleichzeitig so sanft und dabei so resolut auftreten konnte. Auf seiner Brust blühte immer noch ein Blutfleck, Unterarme und Gesicht waren mit frischen Kratzern und Schnitten versehen, doch der Kampfeswille in seinen Augen war ungebrochen. »Nein«, donnerte er, »in diesem Gerichtssaal wird keine Willkür geübt!« Auf einen Schwenk seines Zauberstabs hin fielen die Ketten um Eugenias Gelenke zu Boden. Das Herz in Minervas Brust brüllte wie der Löwe Gryffindors. Triumphierend. Ängstlich. Entschlossen. Elphinstone war zu ihr zurückgekehrt! Aber selbst wenn sie wirklich geschrien hätte, der Ruf wäre im Klang von zig aufgeregten Stimmen untergegangen. Und im Stöhnen Notts, auf dessen Schultern Pippa inzwischen kniete und ihn mit reiner Körperkraft niederrang. Wenig besser erging es Emmelines und Dädalus’ Opfern. Minerva suchte Elphinstones Blick. Es vergingen höchstens ein paar Herzschläge, die sie einander ansahen, doch diese dehnten sich in schiere Unendlichkeit. Als wisse die Zeit, dass sie vielleicht nie mehr haben würden, aber alles brauchten. In Elphinstones Augen sah Minerva das Bedauern hunderter Momente, die einst hätten sein können; die Sehnsucht hunderter Augenblicke, die werden könnten. Und die Bereitschaft, alles im Namen der Gerechtigkeit zu opfern. Auf einen Schlag löste sich der Nebel in ihren Gedanken. »Mr Llewyn«, schrie sie, »Zeit, Ihren inneren Gryffindor zu befreien!« Das ließ sich der Junge nicht zweimal sagen. Während sie dem verzweifelt kämpfenden Nott einen Schockzauber in den Hintern jagte, erwischte er dessen Kumpan. Sofort entrissen Emmeline und Dädalus den Männern ihre Zauberstäbe. Keinen Wimpernschlag später lagen auch die anderen zwei reglos am Boden – und sämtliche Stäbe wieder in den richtigen Händen. Zuletzt lösten sie Arrnds Fesseln. Niemand unternahm Anstalten, sie aufzuhalten. Nicht mal ein müder Gegenfluch störte sie. Dabei waren entlang der Gamotssitze genug Zauberstäbe gezogen worden. Doch dort oben versuchte man einzig, den Störenfried zu erhaschen. Sämtliche Blicke galten der eigenen Mitte. Allen voran Voldemorts. Die Glut in dessen Augen schlug Funken, als er Elphinstone eine Reihe über sich ausmachte. Ein Zischen drang zwischen seinen zusammengekniffenen Lippen hervor. Minerva wusste nicht, ob es ein Fluch oder schlicht Wut war – und zum Glück fand sie es nicht mehr heraus. Denn hinter Elphinstone ergoss sich weitere Unterstützung in den Gerichtssaal. Die Ministeriumsbeamten aus der Nachhut stürmten einer nach dem anderen aus der Tür, die sonst Gamotsmitgliedern vorbehalten war. Und damit nicht genug, auf ihre Fersen folgten Auroren, Polizeibrigadisten, Zivilisten, Ladeninhaber aus der Winkelgasse – Kobolde. Angeführt von Granduk und seinen zwei Kollegen drängten sie sich in einer Welle der Magie vorwärts. »Habt ihr das geahnt?«, rief Minerva Emmeline und Dädalus zu – die umgehend den Kopf schüttelten. »Es trifft sich aber gut mit dem verzweifelten Plan, uns den Weg freizukämpfen!«, antwortete Emmeline. Sie hob den Zauberstab wie ein Schwert in die Luft und stürmte vor. Zuckende Lichter erfüllten den Saal. Rot und Violett blitzte es von den schwarzen Steinwänden wider, als wäre ein Höllengewitter über die Eindringlinge gekommen. Schon fielen die Männer zu beiden Seiten von Elphinstone auf die Knie. Erst überzog glühende Koboldmagie ihre Glieder, dann setzten die menschlichen Unterstützter mit Flüchen nach. Ihre verschiedenen Zaubereien kollidierten in Funkenschauern, die Emmeline und Minervas restliche Begleiter noch mit eigener Magie anheizten. Reihum sackten Voldemorts Anhänger zusammen oder wurden wie Puppen durch die Luft gewirbelt. Mehr als einer riss einen Kameraden mit sich, bevor sie unsanft zu Boden stürzten. »Letzte Chance«, verkündete Elphinstone an Voldemort gewandt. Er stützte sich mit beiden Händen auf das Pult vor sich und sah hinab wie zu dem Flubberwurm, dem eine Zukunft im Zaubertrank angedacht war. »Ergeben Sie sich, andernfalls werden wir unseren Haftbefehl gegen Sie mit allen Mitteln des magischen Rechts vollstrecken.« Selbst über den Kampflärm drang Voldemorts kaltes, hohes Lachen. Er streckte die Arme zu beiden Seiten aus. Seine Robe bauschte sich im Wirbel der vielen Flüche auf. »Oh, bedauere, aber – nein.« Mit einem einzigen Hieb des Zauberstabs befreite er seine Anhänger von Koboldmagie wie Verzauberungen. »Wenn das Ministerium einen Kampf fordert, soll es ihn bekommen!« »Aber wollen das auch Ihre Unterstützer?« Eugenia zitterte am ganzen Leib, doch sie stand wieder auf eigenen Füßen. Das Kinn vorgereckt sah sie zu Walburga Black und all den übrigen Partygästen empor, die sich an ihre Zauberstäbe klammerten. Die Meisten waren so weit zurückgewichen, wie es ihnen die Sitzreihen erlaubten. »Wollen Sie kämpfen und sich eine Zelle in Askaban sichern oder sind Sie vernünftig und gehen jetzt?« Erneut schien die Zeit nur durch ein paar Worte einzufrieren. Niemand regte sich. Maskierte wie Zuschauer, Angreifer wie Verteidiger hielten inne, den Blick auf die Ministerin gerichtet. »Wenn Sie heute den Zauberstab erheben, verlieren Sie alles. Ihren guten Ruf. Ihr Anwesen. Ihre Reichtümer. Ihre Freiheit. Das garantiere ich Ihnen. Nur wenn Sie gehen, können Sie das retten. Ich werde die heutigen Geschehnisse nicht vergessen, aber ich werde vergessen, dass Sie hier waren.« In der folgenden Stille hallte Voldemorts Lachen noch harscher von den Steinwänden wider. Minerva erinnerte die kalten Finger des nahenden Todes entlang ihres Rückgrats, als der Dementor im Anwesen der Lestranges sich auf sie gestürzt hatte. Genau so klang dieser Laut. »Wunderbar gesprochen«, rief Voldemort und bedachte Eugenia mit einem einzelnen Klatschen. Den oberen Rängen zugewandt ergänzte er: »Und wissen Sie was? Ich stimme zu. Gehen Sie. Ich werde Ihnen nicht nachtragen, dass Sie diesen offensichtlichen Lügen Mrs Jenkins’ Glauben schenken. Sie sind schließlich keine Kämpfer. Dafür brauche ich Sie nicht.« Nach wie vor eingefroren standen die Hexen und Zauberer da, Blicke auf ihre Umhangsäume gerichtet. Dann öffneten sich unter leisem Ächzen die Flügeltüren des Gerichtssaals und brachen den Bann. Bevor der Weg ganz frei war, raffte Druella Black ihre Röcke. Ohne einen Blick zu Minerva oder den anderen stürmte sie an ihnen vorbei. Das Klappern ihrer Absätze auf dem Stein riss auch den Rest aus der Starre. Zuerst schloss sich ihr Rita Kimmkorn an, doch mehr und mehr folgten. Manche ebenso hastig, andere – wie Walburga Black – gemessenen Schrittes. Als gäbe es noch ein letztes Quäntchen Würde zu wahren. Ihre Blicke, die alleine dem Ausgang galten, sprachen jedoch Bände. Voldemort verfolgte ihren Abgang reglos, Hände hinter dem Rücken verschränkt. Zurück blieb nur eine Handvoll seiner Gäste, denen er eine kleine Verneigung schenkte. Ebenso wie Elphinstone und der Masse an kampfbereiten Personen rund um ihn. »So denn. Lassen wir Magie diesen Fall entscheiden.« Seine Worte waren kaum verklungen, da brach die wahre Hölle los. Flüche schossen von allen Seiten quer, Koboldmagie brannte sich durch die Luft. Der Geruch angesengter Haare füllte den Saal, sodass Minerva zusammen mit den Erinnerungen an Bellatrix’ Dämonsfeuer Galle die Kehle emporstieg. Sie durfte sich nicht von der Angst überwältigen lassen, nicht jetzt ... Rufe verwoben sich mit den ersten Schmerzschreien. Voldemorts Todesser wurden ihrem Namen gerecht. Nicht nur grüne Todesflüche zersprengten die Menge. Confringo, Crucio und dunklere, unbekannte Flüche schlugen eine tiefe Schneise durch die Unterstützer – ebenso wie Wunden in ihre Körper. Die ersten Kämpfenden stürzten. Reglose Personen rollten die Steintreppen herab, andere wurden von ihnen mitgerissen. Inmitten dieses Chaos stand Voldemort. An ihm bewegte sich nichts außer seiner dunklen Robe, die um seine schlanke Gestalt flatterte wie eine vom Sturm zerrissene Flagge. Obwohl Pippa Minervas Oberarm ergriff; gar daran zerrte, sah diese nicht fort. Im Gegenteil, sie packte den Zauberstab fester und machte einen Schritt vorwärts. Hier gab es nur einen Gegner für sie. Als hätte Voldemort ihren Gedanken gespürt, nahm er einen tiefen Atemzug. Erst dann hob er selber den Stab. Im Gegensatz zu seinen Anhängern wählte er sein Ziel mit Bedacht. Scheinbar in Zeitlupe zielte er. Auf einen flachsblonden Haarschopf. Weiter ließ Minerva es nicht kommen. »Impedimenta!« Dass Voldemort ihren Zauber in letzter Sekunde abwehrte, bewies leider nur, was sie befürchtet hatte – er war ein mächtiger Gegner. Sie presste die Kiefer zusammen, als er zu ihr herumfuhr. »In Northumberland hatte ich nicht die Chance, es zu beenden«, fauchte sie ihm entgegen, »aber das ändert sich jetzt!« Noch während sie sprach, konterte sie Voldemorts ersten Fluch. »Sie sind wahrlich hartnäckig«, erwiderte ihr Gegenspieler und hob seine Augenbrauen. »Wohlan – das gefällt mir. So geben Sie wenigstens eine interessante Gegnerin ab!« »Dann wird Ihnen das hier bestimmt auch gefallen!« Minerva jagte ihm den nächsten Zauber auf die Brust. Den er natürlich abwehrte. Doch ihr Blick galt ohnehin nicht länger ihm. Sondern Elphinstone. Er stand alleine zwischen den Todessern und kämpfte, als hielte er wieder das Schwert Gryffindors in den Händen. Mit einer Handbewegung stieß er drei von ihnen zurück. Ihr Herz hüpfte. Da gab es noch eine Sache, die sie loswerden musste. Bevor alles endete. »Tha mo chridhe leat«, rief sie ihm über den Schlachtenlärm zu. Überrascht registrierte sie, dass die Spitze ihres Zauberstabs gleißend hell aufglühte. Aus dem Augenwinkel sah sie blaues Licht darauf reagieren. Voldemorts Abwehrzauber gegen einen Fluch, den sie gar nicht wand. Aber das war ihr egal. Sie konzentrierte sich alleine auf Elphinstone, der bei ihrem Ruf herumwirbelte. Auf seine Augen, die selbst über diese Distanz warm und vertraut funkelten. Das Lächeln ergriff ganz automatisch Besitz von ihr. »Phin – Tha mo ghion ort!« Ihre Liebeserklärung provozierte gleich zwei Reaktionen: Zum einen riss Elphinstone die Augen auf – zum anderen schwang Voldemort erneut den Zauberstab. Minerva hätte am liebsten stundenlang zugesehen, wie die Röte in Elphinstones Wangen schoss; sein Herz sichtlich schneller und schneller schlug oder seine Lippen sich zu einer sprachlosen Erwiderung teilten – doch sie ließ seinen Blick los, riss den Stab hoch ... Nur damit Voldemort erneut hinter einem Protegoschild verschwand. In einer anderen Situation hätte sie gelacht. Stattdessen schoss ein Kribbeln durch ihren Zauberstabarm. Das Gefühl erinnerte sie an Ameisen mit glühenden Füßchen, tausende davon. Und es ließ nicht nach, im Gegenteil. Ihr Stab bebte vor unterdrückter Magie, die das Holz von innen heraus zum Glimmen brachte. Was immer das für ein Zauber war, den ihr gälischer Liebesschwur erschuf – sie schleuderte diesen geradewegs auf Voldemort. Dieses Mal beschwor er keinen Schild. Zumindest nicht rechtzeitig. Einen Muggelfluch auf den Lippen wirbelte er zur Seite. Trotzdem traf der Zauber seinen Umhang. Wo er einschlug, breiteten sich weiß glühende Ranken über den Stoff aus. Ihre kleinen Blätter zerschnitten die Wolle und überall entlang des magischen Gewächses explodierten winzige Knospen in leuchtende Blumen. Daraus drang Pollenstaub so dicht wie Themsenebel im Spätherbst. Voldemorts wutverzerrtes Gesicht verschwand in der Wolke. Rasch riskierte Minerva noch einen Blick zu Elphinstone. Neue Todesser nahmen ihn ins Visier. Links und rechts konterte er ihre Flüche, doch ein tiefes Lächeln zierte dabei seine Züge. Er riss einen Schild empor, so kraftvoll, dass es seine Gegner einige Meter zurückschleuderte. Dieses Mal folgte sie dem eindeutig triumphierenden Löwenschrei ihres Herzens. »Incarcerus!«, brüllte sie, den Stab mitten auf die Wolke magischen Pollenstaubs gerichtet. Für einen Augenblick sah es so aus, als hätte sie Voldemort erwischt. Doch dann verzog sich der dichte Nebel und enthüllte einen nunmehr umhanglosen sowie ungefesselten Voldemort. Unter seinem nächsten Fluch musste Minerva sich hindurch ducken. Sie wusste einfach, dass er jeden Schutzzauber durchdringen würde. Alleine der Luftzug warf sie zu Boden und presste die Luft aus ihren Lungen. Kalter Stein schmiegte sich gegen ihre Wange. Für einen Sekundenbruchteil lockte es sie, liegenzubleiben. Doch sie stemmte sich wieder hoch, bereit weiterzukämpfen – Halt! Ihre Finger strichen über eine Vertiefung. Die Rune! Anstatt aufzustehen, konterte sie Voldemorts nächsten Fluch im Knien. Ihr Entwaffnungszauber traf seine schwarze Magie mitten in der Luft. Funken regneten auf sie herab. Wie schon unter Llewyns Zauberfunken glommen die Linien zu ihren Füßen auf. Ganz kurz. Hätte sie geblinzelt, wäre es nicht aufgefallen. »Arrnd«, rief sie über ihre Schulter, »wir brauchen Funken, Feuer – eine Flamme!« »Mhh«, grollte der Kobold. Er sah sich vier Todessern gegenüber, die er zusammen mit Llewyn und Emmeline auf Trab hielt. Trotzdem fand er die Zeit, ihr einen Blick zuzuwerfen. »Ein bisschen magisches Feuer wird allerdings nicht viel nutzen. Wenn sich diese alte Magie verhält wie koboldgearbeitetes Metall, braucht es schon Drachenfeuer, um sie zu beeindrucken.« »Haben wir aber nicht – Reducto!« Minerva löste ein Dutzend Vögel mit rasiermesserscharfen Schnäbel in Nichts auf, die Voldemort aus dunkler Magie beschworen hatte. Wenn nur Fawkes hier wäre ... »Phönix!« Sie japste auf. Ohne wirklich hinzusehen, lenkte sie Voldemort durch einen Schockzauber ab. Mit der linken Hand griff sie in die Tasche ihres Rocks. Angenehm kühl streifte der Vestigiator ihre Finger. Sie ballte die Faust darum. »Drachen sind doch im Prinzip auch nur Dinosaurier, nicht wahr? Und Hühner stammen direkt von den Dinosauriern ab – also sind Phönixe auch irgendwo Drachen.« Arrnd gab ein Geräusch zwischen Glucksen und Schnauben von sich. »Was hast du vor?« »Etwas ziemlich Gryffindorhaftes. Wünsch mir Glück.« Minerva drückte die Faust um den Vestigiator zusammen. Zu ihrer Linken duellierten sich Pippa, Dädalus und Eugenia mit den Angreifern. Allesamt bluteten sie aus verschiedenen Wunden. Zur anderen Seite kämpfte Llewyn mit zusammengebissenen Zähnen. Sein rechter Arm hing schlaff herab – gelähmt, verflucht, sie wusste es nicht. Emmeline schützte ihn, so gut sie konnte, doch der Schweiß stand auch ihr auf der Stirn. Zu Elphinstone sah sie lieber nicht erneut. Es musste so oder so enden. Sie tippte den Vestigiator mit der Zauberstabspitze an. »Separare!« Das Gold knirschte leise ... doch nichts geschah. Um ein Haar erwischte sie Voldemorts nächster Angriff. Gerade rechtzeitig rollte Minerva zur Seite. Wo sie eben gekniet hatte, stieg stinkender Dampf vom Stein auf. Schnatzgroße Löcher fraßen sich vor ihren Augen in den Boden. Die restliche Säure verteilte sich in den eingearbeiteten Runen. Minerva dachte nicht weiter nach, sondern warf den Vestigiator in die ätzende Flüssigkeit. Es zischte. Tatsächlich verformte das Metall sich langsam, schmolz in sich zusammen wie Eis im Sommer. Darunter kam ein Kern aus Glas zum Vorschein – und darin wiederum funkelte in allen Farben der Sonne Fawkes’ Phönixstaub. Nur barst das Behältnis nicht. »Verflucht –« Sie sprang auf. »Geht zurück und lenkt ihn ab!«, rief sie Arrnd zu, während sie den Zauberstab gen Decke streckte. Sie hatte keine Ahnung, was sie eigentlich tat, aber ihr Plan funktionierte besser. Arrnd – und Llewyn – folgten ihren Worten und nahmen Voldemort von beiden Seiten in die Zange. Koboldmagie und Zauberspruch verbanden sich zu einer gewaltigen Explosion. Jetzt oder nie. Minerva streckte sich, der Zauberstab eine Verlängerung ihres hocherhobenen Armes. Alle Luft in ihren Lungen entlud sich in einem einzigen, langen Schrei. »Fulgeo!« Der heraufbeschworene Blitz füllte ihre Ohren mit seinem Knistern. Er raste geradewegs auf ihre emporgereckte Hand zu und bevor die pure Magie ihre Finger erreichte, schoss bereits Hitze durch jeden Nerv darin. Ihre Haare lösten sich aus dem Knoten im Nacken. Wie von einem geisterhaften Wind bewegt, wehten sie um ihr Gesicht. Doch all diese Gefühle schwanden ins Nichts, sobald Zauberstab und Blitz sich trafen. Plötzlich bebten sämtliche Zellen ihres Körpers vor Energie. Bis in die Haarspitzen hinein fühlte sie jede Faser, jeden Muskelstrang überdeutlich. Alle Empfindungen, zu denen die menschlichen Sinne fähig waren, entdeckte sie neu. Prickeln raste über ihre Haut wie sprudelndes Wasser. Auf ihrer Zunge lag der Geschmack von Kupfer – als hätte sie an einem Zaubertrankkessel geleckt. Widerwärtig. Das Schlimmste aber war ihr Kopf, der von Summen erfüllt wurde. Auch nur einen Gedanken aus der Vielzahl an Eindrücken herauszufiltern, war wie Wasser mit den Händen zu schöpfen. Aussichtslos. Ein Keuchen kam über ihre Lippen. In ihren Ohren klang es nach Donnergrollen. Mit aller Kraft senkte Minerva den Arm und lenkte die Blitzenergie auf den Boden. Im gleichen Atemzug zertrat sie die Überreste des Vestigiators. Knirschend zerbarst das Kristallglas. Die Scherben bohrten sich in ihre nackte Fußsohle und ein scharfes Stechen raste herauf in ihre Mitte. Der Schmerz verwob sich mit all der anderen Pein dort zu einer heißen Kugel. Aber nichts davon zählte. Sie hatte es geschafft – der Blitz verschlang den Phönixstaub. Direkt vor ihren Augen verbrannte die Luft in einer gewaltigen, goldenen Stichflamme. Bis unter die weit entfernte Decke schlug das Feuer aus. Es versengte Minervas Haarspitzen und riss im gleichen Moment den Angstschrei von ihren Lippen. Unerbittlich breitete der Brand sich aus. Von dort, wo sie den Blitz beschworen hatte, rasten die Flammen die ganze, verschlungene Rune entlang. Nur Herzschläge später umschloss sie eine goldene Feuermauer. Alleine stand Minerva in der unteren Schlaufe des Sanduhrsymbols. Von außerhalb hörte sie die gedämpften Schreie ihrer Begleiter, aber all das spielte hier drinnen keine Rolle mehr. Es zählten nur noch Voldemort, der sich oberhalb von ihr ebenfalls als Einziger in diesem brennenden Gefängnis wiederfand. Selbst durch das gold-orange Flackern sah Minerva den Zorn in seinen Augen, der von innen brannte. »Was hast du getan?« Wenn sie ehrlich war, hatte sie keine Ahnung. Trotzdem hob sie das Kinn. »Du wolltest doch, dass die Magie ihr Urteil fällt. Also lass es uns nach ihren Regeln austragen!« »Das war ein Fehler!« Voldemorts wächserne Züge schmolzen im Flammenschein endgültig. Da war keine Menschlichkeit mehr in seinem Gesicht, als er seinen Zauberstab wieder hob. Er schien direkt dem Dämonsfeuer entsprungen. »Avada Kedavra –« Dröhnen erfüllte den Saal. Minerva blinzelte. Der Todesfluch war einfach verschwunden, bevor er auch nur Gestalt angenommen hatte. Bloß ein Funkenschauer erinnerte an den grünen Blitz. Dafür schlugen die goldenen Flammen in Voldemorts Richtung aus. »Scheint, als wenn die Magie keine fiesen Tricks mag«, brüllte Minerva. »Wie schade aber auch, dass wir uns hier auf einem Grund der Gerechtigkeit befinden!« Das Feuer um sie her war zwar warm und rief hässliche Erinnerungen an ihre Haut wach, die Blasen warf, doch gleichzeitig erfüllte es sie mit einem wohligen Gefühl. Sie wusste einfach, dass sie sicher war. Ganz im Gegensatz zu Voldemort offenbar. Der wich vor dem brennenden Ring im Boden zurück und seine Flüche waren nurmehr wüste Ausrufe. Dennoch hielt ihn das nicht davon ab, erneut den Zauberstab zu erheben. Anstatt ihn gegen sie zu wenden, beschrieb er einen Kreis in der Luft. Über seinem Kopf bildete sich ein Wirbel, der langsam zu Boden sank. Stück für Stück sog der Strom die Flammen ein. Wie zuvor stand Voldemort im Auge eines Sturms, nur dass es dieses Mal Feuer war, das um ihn kreiste. »Das hier –« Er sah Minerva geradewegs an – »ist erst der Anfang eures Endes.« Mit diesen Worten warf er etwas Glitzerndes in den entflammten Malstrom. Verwirrt sah Minerva ihn an. Dann färbte sich das Gold grün. Sie formte noch einen Fluch, doch Voldemort war bereits in das Feuer getreten. An seiner Stelle blieb nur schwaches Glimmen. Er war einfach ... verschwunden. Davon gefloht wie ein ... »Feigling!«, brüllte sie. Als Abschied schwebten allerdings nur seine letzten Worte durch den Gerichtssaal: »Ihr werdet mich fürchten lernen.« Bevor Minerva erfasst hatte, was geschah, vergrößerte sich der flohgrüne Flammenwirbel. Er traf auf den äußeren Kreis aus Phönixfeuer. Für einen Moment rangen die verschiedenfarbigen Flammen miteinander. Grün umschlang schlangengleich das Gold, das nicht nachgeben wollte – aber das war ohnehin egal. Die ersten Todesser liefen bereits darauf zu und streckten sich nach dem Flohgrün. Sie sollten in ihrer Hoffnung recht behalten. Unter lautem Rauschen verschwanden sie genauso wie ihr Anführer. Daraufhin gab es kein Halten mehr. Wo eben noch Kämpfe gefochten wurden, rannte man nun. Binnen Sekunden waren Voldemorts Anhänger fort. Ein paar todesmutige Auroren stürzten ihnen hinterher, Pippa an ihrer Spitze – doch mit dem letzten, verschwundenen Todesser erstarb auch das zweifarbige Phönixfeuer. Die Kälte dahinter traf Minerva unvorbereitet. Sie holte tief Luft und hörte trotzdem nur Donnergrollen. Plötzlich war wieder so viel Schmerz in ihren Gliedern. Wie nach dem Cruciatus ... und er wuchs. Wo war Elphinstone ...? Da waren so viele Leute auf den Rängen oben ... Verwirrung in den Gesichtern, erhobene Zauberstäbe, die langsam herabsanken ... Und da, das Lächeln, das sie so liebte! Elphinstone war staubig und verschwitzt, sein Hemd angesengt, aber er stand. Redete, bewegte sich, sah sie, winkte ... Endlich sank ihr Zauberstabarm nach unten. Es war vorbei ... Ihr Blick glitt durch das Chaos am Boden. Eugenia stützte sich keuchend auf Dädalus, eine Hand an ihre Seite gepresst. Arrnd kniete neben Emmeline. Gemeinsam mit jemand Unbekanntem murmelte er einige Heilzauber. Einzig Llewyn lief auf sie zu. Er rief etwas, das sie unter dem Dröhnen ihres eigenen Atems nicht verstand. Sie sah nur, dass ein Lachen auf seinen Lippen lag. Und dann ging weit über ihm, auf der Empore, ein Licht auf. Ein bisschen wie der Mond ... nur so eigenartig violett ... Verwundert sah Minerva zu dem Fleck, der immer heller wurde, schneller wuchs ... Das war ein Zauber – nein, ein Fluch! Gleich vier Auroren stürzten sich auf den Urheber im Festumhang. Doch das nützte alles nichts. Der grelle Lichtblitz kam auf sie zu und Llewyn trat ihm nichtsahnend direkt in den Weg. Minerva stieß den Zauberstab vorwärts. Mit aufgerissenen Augen fiel der Junge vornüber. Geschockt, nicht getroffen. Erleichtert atmete sie aus. Sie merkte nicht einmal, wie der fremde Fluch stattdessen sie traf, obwohl sie ihn aus dem Augenwinkel kommen sah, ein Gespinst aus lauter kleinen Lichtfäden, die ihre Brust umschlangen ... Selbst als sie um Atem rang und neuerliches Donnergrollen aus ihrer Kehle entschlüpfte, war ihr ganz leicht zu Mute ... Ihre Beine gaben nach wie Streichhölzer. Eigentlich hätte der Boden hart sein müssen, sie erinnerte schließlich, dass er aus Stein war – nur erschien er in diesem Moment watteweich. Und dann zog eine unsichtbare Macht ihre Augenlider herab ... Aber das war in Ordnung, flüsterte ihr eine leise Stimme zu. Sie hatte es geschafft. Alle ihre Begleiter lebten. Ein letzter Atemzug hallte wie Gewitter in ihren Ohren wider, bevor die Lichter unter der Decke zu immer fernerem Sternenfunkeln schwanden und was blieb, war . . . Dunkelheit. . . . Laute Dunkelheit. . . . Schreie. Fluchzischen. Das Knallen gescheiterter Disapparationen. Noch mehr Schreie der unglücklichen Zersplinterten. Schuhquietschen und Getrampel; raschelnde Roben und das Klappern entwaffneter Zauberstäbe, als die zurückgebliebenen Gäste Voldemorts überwältigt wurden. Aber vor allem ... »Minerva!« Ein Schrei, der die Dunkelheit zurückdrängte. Nicht jene vor ihren Lidern, doch die in ihrer Brust, welche sich mit Zähnen und eisigen Klauen in sie grub und nach dem Flämmchen ihres Lebens langte ... »Minerva!« Etwas, an das sie sich klammern konnte. Hoffnung, die half Atemzug um Atemzug zu nehmen. Noch ein bisschen länger tapfer zu sein ... »MINERVA!« Elphinstone. Der Einzige, aus dessen Mund ihr Name so herzzerreißend klang. »Nein! Min –« Ein Paar Hände umfasste ihre Wangen. Bebende Finger strichen darüber, ehe sie den Weg unter ihre Schultern und Hinterkopf fanden. Sacht wurde sie angehoben. Schon lag sie in der Umarmung des Mannes, der sie so sehr liebte, dass es schmerzte. Den sie ebenso unfassbar liebte. Und dem sie dies noch viel öfter sagen wollte. Die wichtigsten Erkenntnisse kamen einfach immer im falschen Augenblick. »Kopf runter!«, brüllte plötzlich eine zweite, tiefere Stimme. Auch diese kannte sie so gut ... Alston war also doch gekommen. Nur woher? Wann ... »Protego!«, bellte er und sie schmeckte das Aufeinanderprallen von Magie förmlich. »Elphinstone, was ist mit ihr?« »Ich – ich ... ich weiß nicht ...« Sie schaffte es nicht, die Augen zu öffnen oder einen Finger zu rühren, obwohl sie Elphinstone ansehen wollte, ihm sagen wollte, dass alles gut werden würde; dass sie ihm dankbar war. Sie wollte seine Hand festhalten und lächeln, aber ihr Körper gehorchte nicht. »Oh, nein, nein ... Minerva, bitte ...« Elphinstone strich erneut über ihre Wange. Seine Stimme verlor zusehends an Kraft, jetzt wo er sie hielt. Mehr noch, sie zitterte mindestens ebenso sehr wie seine Arme, während um sie her die Flüche zischten. Wie aus weiter Ferne hörte sie Alston gegen die letzten verbliebenen Gäste von Voldemort kämpfen. Aber das war nicht, was zählte. Es gab nur noch Elphinstones Stimme für sie. »Nein, Min, bitte ...« Ein raues Schluchzen entwich ihm. Der schottische Akzent, der sonst eher die Hintergrundmelodie in seinen Worten bildete, schlug mit voller Macht durch. »Bleib. Bleib bei mir. Hörst du mich? Damnaich! Ich brauche dich! Ohne dich bin ich doch hoffnungslos verloren.« Seine Stirn berührte ihre, als er sich über ihr zusammenkrümmte und sie in seiner Verzweiflung eng an sich presste. Tränen benetzten ihr Gesicht. »Ich liebe dich doch so sehr ... Und du hast gerufen, dass du mich liebst ... Das – Ich ... oh Minerva ...« Es war verrückt, dass sie sich mit jedem seiner Worte stärker fühlte. Vielleicht hatte Albus recht, wenn er erzählte, dass Liebe die merkwürdigsten Dinge bewerkstelligte. Der Versuch, Elphinstones Namen wenigstens zu flüstern, gelang trotzdem nicht. Nur ein raues Husten kam über ihre Lippen. Immerhin ließ ihn das innehalten. »Oh Merlin, du lebst«, hauchte er. »Oh Minerva! Ich dachte schon, ich hätte dich verloren!« Sie wurde höher gehoben und ihr Kopf rutschte an seine Brust. Er hielt sie immer noch so fest, als könne sie gleich zerfallen, aber es war ihr recht. In der Hinsicht traute sie ihrem Körper nicht. »Keine Sorge, ich krieg dich hier heil raus.« Elphinstone lachte zittrig auf. »Du solltest sehen, wie Mulciber gerade kämpft. Der wischt den Boden mit diesen lächerlichen Idioten. Braucht meine Hilfe gar nicht. Nicht, dass ich dich je loslassen könnte.« Seine Stimme verdrehte die englischen Worte zusehends mehr und der Klang ihrer Heimat hatte Minerva noch nie derart glücklich gemacht. Sie hustete erneut, worauf Elphinstone mit weiteren Brocken Gälisch reagierte. »Fuirich«, flehte er sie an zu bleiben. »Ich bin bei dir, hörst du mich? Bald wird alles gut. Und wenn ich dich durch ganz London zu Archie trage, damit er dich heilt.« Schon wieder entkam ihm ein Lachen. »A Riochd, ich weiß selber nicht, was ich gerade sage. Ich liebe dich einfach so. Tut mir leid, ich kann nicht aufhören, es zu erwähnen. Verflucht, ich habe noch nie so Angst gehabt. Vermutlich habe ich immer noch wahnsinnig viel Angst, dass dein Mut heute dein Leben fordert. Oh Min ... Wusstest du, dass Teufelsschlingen sich ans Sonnenlicht anpassen können, wenn sie ihm nur lange genug ausgesetzt sind? Sie können über Jahre hinweg eine gewisse Toleranz aufbauen. Allerdings verlieren sie dabei ihre bemerkenswerten Selbstheilungsfähigkeiten –« »Hoch mit ihr, Elphinstone!«, unterbrach Alston seinen Sermon. »Die Heiler kommen sicher im Atrium an. Je eher du sie hier wegbringst, desto besser!« »Ich – ja!« Ein Ruck ging durch Minerva und sie stöhnte. »Es tut mir so leid«, flüsterte Elphinstone. »Aber bald wird es besser gehen. Bleib einfach bei mir ja? Mal sehen, was kann ich dir noch erzählen ... Oh! Wusstest du, dass die Blüten der Springbohne giftig sind? Aus ihnen kann man herrliche Farben gewinnen, aber man muss höllisch aufpassen, egal wie schön sie aussehen. Dafür wirkt das Pfeilkraut sehr gefährlich, ist es aber gar nicht. Einmal im Jahr blüht es, genau zur Sonnenwende. Wunderhübsche Blüten. Das würde ich dir gerne mal zeigen. Ich weiß, du hast nichts übrig für Pflanzen, aber ... vielleicht würde es dir ja doch gefallen.« Minerva nahm sich fest vor, ihm später zu sagen, dass sie alles über Blumen und andere Gewächse hören wollte, solange er sie ihr zeigte. Dafür verzieh sie ihm sogar das leichte Schaukeln, als er sie die Treppen ins Atrium empor trug. Gleichwohl ihr Blitze vor der Innenseite der Augenlider explodierten und der Feuerball aus ihrem Magen sich in Form brennender Säure ihre Kehle hinauf fraß. »Wenn es dich glücklich macht, würde ich aber auch auf einem Besen mit dir fliegen«, sprach Elphinstone weiter. »Ich kenne da nämlich ein Kraut, das soll gegen Höhenangst helfen und ich hatte noch nie die Chance, es auszuprobieren. Dabei wäre das die Gelegenheit. Aber dazu musst du jetzt tapfer bleiben, okay?« »Mh«, murmelte sie kraftlos in sein Selbstgespräch hineine. Zu mehr reichte es nicht. Doch er hörte es und drückte sie fester. »Taing dhan Àigh! Den Gründern sei Dank! Wir sind auch schon fast da. Nur noch eine Treppe. Und glaub mir, ich habe noch genug Pflanzenfakten für den ganzen Weg bis ins St. Mungo. Hoffentlich hasst du mich nicht dafür. Aber egal. Hauptsache, du bleibst wach. Konzentriere dich einfach auf meine Stimme, ja? Also, lass mich nachdenken ... wusstest du, dass auch die Muggel Diptam kennen und nutzen? Sie nennen es nur anders!« Elphinstones zusammenhanglose Geschichten über Pflanzen und Kräuter trugen sie den ganzen Weg hindurch. Es half, dass Minerva tatsächlich kaum etwas davon wusste. Sie klammerte sich an seine Stimme, als würde es später einen Test geben, den sie bestehen müsste. Selbst nachdem Archie und seine Kollegen sie übernahmen, brach er nicht ab – und sie hörte zu. Ihr war egal, welche Zauber die Heiler auf sie wirkten, denn nichts half so sehr wie die Geschichte eines mutigen – und reichlich dämlichen – Zauberers, der einst eine ganze Venemosa Tentacula verzehrt hatte, sodass seine Haut sich für immer pink färbte. Erst als ihr jemand einen Trank einflößte, der langsam all ihre Glieder betäubte, verlor sich Elphinstones Stimme im Nebel. Was allerdings bis zuletzt blieb, war das Gefühl von seiner Hand auf ihrer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)