Rose von tobiiieee ((Yuffies Version)) ================================================================================ Kapitel 2: Tell Me Wh(o You Are) (Yuffies Version) -------------------------------------------------- Es war auch Finsternis, die sie in ihre Träume verfolgte. Sie spürte die Stunden an sich vorbeiziehen, in denen die Dunkelheit sie umschloss. Durch die Schatten tönte eine entfernte Stimme: „Trag ...! Tu ...! Sag ...! Geh ...!“ Die Schwärze umfing sie so undurchdringlich, dass sie nicht sagen konnte, ob sie stand oder lag. Sie wollte gehorchen, wenigstens antworten, doch die Schatten legten sich auf ihre Zunge, auf ihren Atem, wurden zu Wolken aus Finsternis, die sich in ihr ausweiteten, zu ihr wurden, sie zu sich machten ...             Stimmengewirr, Schreie erschreckten sie; ihr Kopf fuhr herum, in all die Richtungen, die in den Schatten ihre Bedeutung verloren, wenn sie nur, wenn sie doch nur einen kurzen Blick erhaschen würde, wenn ihr doch nur jemand sagen würde ...             Angst. Es war Angst in ihrer Brust. Wenn sie jetzt nicht entkam, wer wusste schon, was passieren konnte. Aber wo war der Weg? Ihr war vage, als ob sie ihn einst gekannt hätte, doch die Dunkelheit war nun auch in ihrem Kopf und trennte sie von sich selbst, wenn sie nur wieder ein Gefühl von sich selbst bekam ... von sich ... sie ... sie war ... hier ...             Und auf einmal veränderte sich, was sie sah. Sie kniete auf dem Boden, atmete schwer, allerdings kam sie diesmal auf die Beine und lief, lief, lief, rannte davon, die Wand hinter sich, rannte so schnell, dass sie den Boden unter den Füßen verlor und auf dem Wind selbst reiste, sie sah den Himmel, kristallklar und hellblau, sie drehte sich um sich selbst, unter sich die saftigen grünen Wiesen und Wälder einer Welt, die sie schon lange nicht mehr besuchte, voll von bekannten und aufregend neuen Geräuschen, und am Rand – das Meer, der Ozean – die Weite ...             „Prinzessin!“ Yuffie hörte ein Wispern nah an ihrem Ohr, von einer Stimme, die ihr entfernt bekannt vorkam. Sie atmete langsam aus und spürte die weiche dünne Decke über sich. Vorsichtig öffnete sie ihre Augen und kniff sie sofort wieder zusammen, als das erste, in das sie sah, eine Kerzenflamme war. Sie schaute sich um: Verzierte Papierwände, die eine Landschaft mit viel Himmel zeigten, ihr gegenüber eine Kommode, an der Wand rechts Kimonos und Fächer, neben ihr eine Bedienstete, die sie wecken sollte – ihr Traum hatte sie so weit von ihrem Schlafzimmer davon getragen, dass sie es beinahe nicht wiedererkannt hätte.             Sie blinzelte verschlafen und richtete sich langsam auf, um zu bedeuten, dass sie wach war, auch wenn sie sich in Wahrheit nicht so fühlte. Die Bedienstete nickte, deutete eine Verbeugung an und verschwand mit einem leisen Rascheln aus dem Zimmer.             Yuffie seufzte und sackte in sich zusammen. Ihr war noch nicht danach, wieder aufzustehen. Um ihre Lebensgeister etwas zu wecken, griff sie blind in die kleine Schale, die neben ihrem Schlafplatz auf dem Boden stand, nahm ein paar Blätter daraus und steckte sie sich in den Mund. Sie kaute träge: Beinahe augenblicklich breitete sich ein angenehm frisches Aroma in Mund und Nase aus. Sie atmete tief durch, richtete sich auf, streckte sich und erhob sich ungelenk. Instinktiv ging sie zum Fenster, um es zu öffnen – und stellte fest, dass es schon geöffnet worden war. Draußen war es nur immer noch dunkel.             Noch etwas schlaftrunken schaute Yuffie aus dem Fenster; um den finsteren Wald ins Auge fassen zu können, musste sie den Kopf leicht in den Nacken legen und ihren Blick weit in Richtung des stockdusteren Himmels wandern lassen, an dem die Sterne zu verschwinden begannen. Der Wald begann nicht weit hinter der Mauer und umschloss ihr Zuhause auf drei Seiten; ihr fielen die zahlreichen Geschichten ein, welche Gefahren darin lauerten: rasende, mannshohe Affen, die sie mit ihren scharfen Zähnen zerreißen würden, bösartige Fuchsfeuer, die sie zu einer ruhelosen Toten machen konnten, giftige Monster, klebrige Netze so groß wie ein Haus, riesige Vögel, die sie mit ihrem bunten Gefieder anlocken, aber dann mit spitzem Schnabel zerfleischen und als Beute in ihre Nester hoch über dem Boden mitnehmen würden. Alles in allem war ihr klar: Wenn sie nur einen Fuß in den Wald setzte, würde sie nicht lebend wiederkehren.             Im Moment allerdings rauschte der Wind unschuldig durch die Äste und Yuffie konnte nichts erkennen, was darauf aus war, sie zu packen und zu verschleppen. Die Wache patrouillierte ja auch nicht umsonst auf den Mauern, vor denen auch die Fackeln die Kreaturen des Waldes abschrecken sollten. Da fiel ihr der Fremde aus der Nacht ein. Wobei, im Licht einer dieser Fackeln war sie zu dem beinahe sicheren Schluss gekommen, dass er gar kein Fremder war. Sie kannte ihn, ganz sicher. Nur – woher?             Eine Bewegung auf ihrer linken Seite ließ sie zu ihrer Schlafstätte zurückschauen: Im Halbdunkel war unter der Decke gerade so ein blonder Haarschopf zu erkennen. Yuffie warf die zerkauten Blätter aus dem Fenster, schaute ein letztes Mal auf den sich allmählich heller verfärbenden Himmel und verließ das Zimmer.             Leise schob sie die Tür hinter sich zu. Auf dem Gang warteten schon weitere Bedienstete, die sie unter ihre Fittiche nahmen und ins Bad begleiteten. Sie taten vorsichtige Schritte auf dem Holzboden, um keinen Lärm zu verursachen, und schirmten ihre Kerzen ab, um nicht zu viel Licht durch die Papierwände der Korridore fallen zu lassen. Es ging eine Treppe ins Erdgeschoss hinab und dann einen kurzen Weg über den äußeren Hof zum Badehaus, wo ein Becken mit warmem Wasser in den Boden eingelassen war. Zwei der Frauen, die sich um sie kümmerten, nahmen Yuffie den Morgenrock ab und schrubbten und wuschen alles an ihr, was sie erreichen konnten, ohne die Narbe an ihrer Schulter zu reizen, wohingegen die anderen Frauen Handtücher und ihre Gewänder für diesen Tag herbeibrachten.             Während der Prozedur, die sie stumm ertrug, hatte Yuffie genug Zeit, wie immer zur Ablenkung die Bilder in den Papierfenstern zu betrachten. Es handelte sich dabei um drei wunderschön gearbeitete, farbprächtige Malereien, die eine Geschichte erzählten. Ganz rechts, im Bild eingefasst von rosa und weißen Blüten, waren die grünen Terrassen eines Reisfeldes am Fuße eines Berges zu erkennen. Im mittleren Bild änderte sich die Farbe der Blüten in ein zartes Blau und die Terrassen wechselten sich nun grün und gelb ab. Und ganz links nun war zwischen den Terrassen eine einzelne, prächtig blaue Blume zu erkennen, die inmitten der Felder wuchs.             Yuffie kannte die Geschichte der einsamen, aber tapferen Himmelsblume, die es sich in den Kopf setzte, den Berg zu erobern, obwohl sie dort nichts zu suchen hatte, und sich dort als einzige blaue Pflanze niederließ. In der Tat kannte sie die Erzählung sogar Wort für Wort auswendig, denn ihre Mutter hatte sie ihr immer und immer und immer wieder erzählen müssen. Früher jedenfalls ...             Intensiv gesäubert stieg Yuffie aus dem Bad, ließ sich in ein weiches Handtuch einwickeln und betrachtete skeptisch ihr neuestes Kleidungsstück. Gänzlich vermochte sie seine Pracht nicht zu fassen: Es war ein einzelnes, durchgehendes Stück zum Umwickeln, das rot wie die glühend aufgehende Sonne strahlte, überall mit goldenen Stickereien verziert und am unteren Saum von einem violetten Muster durchbrochen. Ihr Geschmack war es jedenfalls nicht: Es war ... einfach zu viel.               Es dauerte eine ganze Weile, bis sie in derart viel Stoff eingekleidet war, vor allem da es zuvor Schicht für Schicht mehrere Untergewänder anzulegen galt, die ihren Körper für ihr eigentliches Gewand formen sollten, das man ihr abschließend mit einem prächtigen Gürtel um den Körper wand. Als die Schärpe fertig geknotet war, fühlte sie sich förmlich eingeschnürt.             Danach wurde sie in einen anschließenden Raum gebracht, in dem ein Bronzespiegel an der Wand hing, vor dem wiederum ein kleines Sitzkissen lag. Yuffie ließ sich seufzend darauf nieder, richtete ihren Blick starr auf den Spiegel und betrachtete sich selbst dabei, wie sie erst gründlich gekämmt wurde, ehe man ihr Haar aufwändig mit zahlreichen Utensilien frisierte. Ihre Miene blieb dabei ausdruckslos. Sie dachte an das Gesicht des Fremden, den sie doch kannte. Woher? Er war aus dem Lager, in das sie nie einen Fuß gesetzt hatte. Dort konnten sie sich also nicht begegnet sein. Und wenn sie ihm jemals einfach so über den Weg gelaufen wäre wie in der Nacht zuvor, hätte sie sich daran erinnern müssen. Er musste irgendwann einmal irgendwo am Rande aufgetaucht sein, wo sie ihn zwar bemerkt, ihm aber nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Auf ihrer Hochzeit vielleicht, sie konnte sich immerhin unmöglich an jeden Gast erinnern.             Aber irgendwie konnte sie die beiden Erinnerungen nicht zusammenbringen.             Und er hatte auf diese seltsame Weise „nicht hierfür“ gesagt – wofür dann?             Zum Schluss wurde noch Schmuck in ihrem Haar platziert, man parfümierte sie, trug eine dünne Schicht heller Farbe auf ihr Gesicht auf, ölte ihre Wimpern und bemalte ihre Lippen hellrosa. Noch während sie auf dem Kissen vor dem Badspiegel kniete und die Routine über sich ergehen ließ, traten die ersten Boten des Tages an sie heran, überbrachten Nachrichten, stellten Fragen, nahmen Anweisungen entgegen und trugen ihr Wort mit sich wieder davon. Als Yuffies Erscheinungsbild Form angenommen hatte, dämmerte es bereits.             Nun hängte ihr die Bedienstete, die sie zuvor geweckt hatte, die Kette mit dem Familienwappen um: Auf dem Amulett waren ein Phoenix und ein Drache zu erkennen, die um eine Lotosblüte kreisten. Yuffie fragte sich häufig, ob die beiden die Blume beschützten oder ob sie sich darum stritten.             Sie seufzte, dankte allen, die sie hergerichtet hatten, und schickte sie schließlich hinaus. Ihr war danach, das Gesicht in den Händen zu vergraben, doch sie wagte es nicht, die Farbe zu verwischen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als starr auf ihrem Kissen zu verharren und im Inneren zu schmelzen, zu zerfließen, bis sie nicht mehr existierte, in ihrem Innern aufzuheulen, zu schreien, bis es nach außen gekehrt wäre, sich im Innern vorzustellen, wie sie ihr Gesicht abrieb, sich die Haare raufte, die schrecklichen eleganten Kleider von sich riss und davonlief. Sie sah diese grässliche Frau im Spiegel, wunderschön, mit ihrem Familienwappen und in ihren Kleidern. Sie war perfekt. Sie atmete ein, schloss die Augen. So lange, wie es dauern würde, würde sie weitermachen. Nicht für sich. Aber für alle andern um sich herum. Und vielleicht würde sie sich selbst im Laufe des vorbestimmten Weges finden.             Als Yuffie die Augen wieder öffnete, leuchtete vor dem Fenster der Sonnenaufgang, der sie von ihrem Kissen herunterholte: Sie erhob sich vorsichtig in ihrem schweren, steifen Gewand und verließ das Badehaus, um den Hof wieder zu durchqueren und das Familienfrühstück im Erdgeschoss aufzusuchen. Sie trat durch eine Tür ein, die der gegenüberlag, durch die sie hinausgegangen war, wandte sich nach rechts und kam durch eine aufgeschobene Tür direkt in den Raum, in dem ihre Familie die Mahlzeiten einzunehmen pflegte. Ihr Blick fiel als erstes auf ihren Vater, der am ihr näheren Ende eines länglichen Tisches saß, mit dem Rücken zu ihr. An der langen Seite rechts davon saß ihr Mann, blond und weiß gekleidet nach deren Art. Er unterhielt ihre kleinen Brüder auf der gegenüberliegenden Seite, die die ersten waren, die sie in der Tür bemerkten.             „Yuffie!“, riefen sie einstimmig. Alle Köpfe drehten sich in ihre Richtung.             „Na, ihr beiden?“, begrüßte Yuffie sie, während sie langsam den Raum betrat.             „Yuffie“, sagte auch ihr Vater, ruhiger allerdings, auf seine Weise liebevoll. Yuffie schritt auf ihn zu, beugte sich leicht herab und deutete einen Kuss auf seine Stirn an.             „Guten Morgen, Vater“, sagte sie. Er lächelte selig.             Zuletzt wandte sie sich Rufus zu. „Du siehst hübsch aus“, sagte er ohne Umschweife. „Ohne mich zu sehr loben zu wollen, das mit dem Rot war eine großartige Idee.“             Yuffie sah an sich herunter. „Vielen Dank für das Kompliment“, sagte sie, mehr aus Höflichkeit als aus Freude. „Und für das Gewand.“             Rufus winkte ab. „War mir ein Vergnügen, wenn‘s dir gefällt.“ Er streckte ihr hilfsbereit eine Hand entgegen, auf die sie sich dankbar stützte, während sie sich neben ihm zu Boden sinken ließ und ihren Platz am Tisch einnahm. Verspielt grinste sie sodann Karui und Teiso zu, die ihr mit Grimassen antworteten. Yuffie lachte, ehe ihr bewusst wurde, dass der Platz zwischen ihnen noch frei war – ebenso der Platz am anderen Ende des Tisches, zu dem Yuffies Augen ganz automatisch wanderten. Sie fragte sich – wie jeden Morgen –, ob er wohl verlassen bleiben würde ...             Als sie den leeren Platz ihrer Mutter nachdenklich beobachtete, bemerkte sie aus den Augenwinkeln, wie Rufus eine Hand hob, wohl in der Absicht, über ihr Haar zu streichen. Sie zuckte zurück. „Nicht!“, sagte sie. „Die Frisur!“             Rufus nahm seine Hand zurück und tat ganz unschuldig. „Ist ja gut“, sagte er. „Dafür bist du heute so schnell aus dem Bett? Ich dachte, ich steh früh auf ...“             „Es gibt heute viel zu tun“, sagte Yuffie erklärend.             „Allerdings“, pflichtete Godo ihr bei. Sie wandten sich ihm zu. „Wir haben heute als allererstes einen Streitfall zu schlichten, wir können es uns also nicht leisten zu trödeln.“ Er betrachtete Yuffie liebevoll. „Unsere Gäste verdienen es, dass wir uns bestens herrichten. Ich für meinen Teil liebe es, ihnen meine schöne Tochter zu zeigen.“             Yuffie schlug kurz die Augen nieder; viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf: dass sie nicht nur schön war; dass sie eigentlich überhaupt nicht schön war; dass sie sich in den Gewändern, die sie tragen sollte, nicht wohlfühlte, und sich auch eine simplere Garderobe vorstellen konnte, wie sie sie noch wenige Jahre zuvor getragen hatte. Das Familienwappen schwer auf dem Herzen, sprach sie davon allerdings nichts aus; stattdessen wandte sie mit schnell pochendem Herzen den Blick nach links zurück zum Eingang, als sie Schritte auf dem Korridor hörte. Ihr Onkel erschien in der Türöffnung – Yuffie wartete gespannt, mit angehaltenem Atem, die Augen weit vor Spannung, was geschehen würde – doch sie sah schnell, dass er allein war. Yuffie sackte in ihrer stillen Enttäuschung beinahe unmerklich zusammen. Mit ausdruckslosem Blick folgte sie Tseng, der die versammelte Familie begrüßte und sich auf seinem Platz zwischen den Zwillingen niederließ, wobei er niemandem so recht in die Augen sah. Auch Yuffie senkte ihren Blick nun auf die Stäbchen, die vor ihr lagen. Der Platz ihrem Vater gegenüber blieb häufig leer, dennoch konnte sie sich nicht einer allmorgendlichen geringen Hoffnung erwehren, dass es diesmal vielleicht anders ...             Ihr Vater eröffnete das Frühstück und auch Yuffie griff zögernd nach ihren Stäbchen. Hunger hatte sie kaum, doch zumindest ein wenig Reis würde sie wohl aus reiner Höflichkeit essen müssen, und zumindest eine kleine Kelle Suppe. In Gedanken war sie bei einer längst vergangenen Zeit, da Tseng – streng genommen nicht wirklich ihr Onkel, aber der Einfachheit halber hatte sie ihn als Kind so genannt und dann nie damit aufgehört – morgens nicht allein erschienen war, sondern – so blass, zittrig und schwach sie meist gewesen sein mochte – in Begleitung ihrer Mutter, die es zumindest schaffte, morgens für ein paar Stunden aufzustehen. Yuffie ahnte mittlerweile, wie unfassbar viel Kraft es sie jedes Mal gekostet hatte – Kraft, die sie nach all den Jahren wohl einfach nicht mehr aufbringen konnte. Es waren damals andere Zeiten gewesen – damals, vor ... –             Und mit einem Blick auf Tsengs Gesicht, die Stäbchen auf halbem Weg zum Mund, als ein Bildersturm in ihrem Kopf explodierte, fiel es ihr schlagartig ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)