See you at the bitter end von rokugatsu-go ================================================================================ Kapitel 13: That's the gift and that's the trick in it ------------------------------------------------------ „That's the gift and that's the trick in it“   Placebo, „Twenty Years“   Wilde klappte sein Handy zu, nachdem sie das Gespräch mit Akutagawa und Chuuya beendet und ihnen die Nachricht geschickt hatten. „Worüber denkst du nach?“, fragte Joyce. „Hmm“, machte Wilde sichtlich in Gedanken versunken, „ich weiß nicht, ob das ausreicht.“ „Wahrscheinlich nicht. Was willst du tun?“ Wilde warf ihm einen ungewohnt ernsten Blick zu. „Lass uns noch einmal mit Fukuzawa reden.“ Naomi zuckte an ihrem Platz neben dem Bett ihres Bruders überrascht zusammen, als die Iren erneut das Zimmer betraten. Fukuzawa hatte es äußerst widerwillig aufgegeben, Kyoka und Atsushi zu folgen. Seine Schulter schmerzte höllisch und es war ausgeschlossen, dass er in dieser Verfassung kämpfen konnte, selbst wenn die Wirkung des Soma sehr langsam, aber immerhin endlich, etwas nachließ. Aufmerksam beobachtete er das Eintreffen der beiden Iren. „Sie machen sich Sorgen um Ihre Mitarbeiter, nicht wahr?“, fragte Joyce, als er dem Chef ins Gesicht sah. „Sie sind nicht einfach nur Mitarbeiter“, antwortete Fukuzawa. „Ja, das merkt man Ihnen an.“ Joyce machte eine kurze, gedankenverlorene Pause. „Sie und Huxley sind sich gewissermaßen ähnlich. Dieser Eifer für einen anderen Menschen alles Nötige zu tun, um ihm zu helfen …. Hätten wir Sie und Ihre Detektei direkt kontaktiert … nein, alles Bedauern nützt nun nichts mehr. Egal, wie untröstlich wir sind, wir haben es versäumt, das Richtige zu tun.“ „Sagen Sie, Herr Fukuzawa“, sagte Wilde plötzlich, „wenn Sie einen Ihrer Detektive losschicken könnten, der am ehesten den Kindern und Herrn Dazai in dieser Lage helfen könnte, welcher von ihnen wäre es?“ Angesichts dieser Frage stutzte Fukuzawa kurz, begann aber dann sogleich, darüber nachzudenken. So wie Wilde ihn dies gefragt hatte, war leicht zu erkennen, dass ein tieferer Sinn hinter der Frage steckte. „Tanizaki“, antwortete er nach einer kurzen Weile bestimmt und ließ seine Augen zu dem jungen Mann links von sich wandern. Naomi blinzelte zuerst ihn erstaunt an, dann das schlafende Gesicht ihres Bruders. „Ah, dieser hübsche junge Mann, ja?“ Wilde schritt zwischen den Betten Fukuzawas und Tanizakis entlang und zog dabei seinen Mantel aus, den er auf dem Fußende von Tanizakis Bett ablegte. Dann legte er eine Hand auf die Stirn des Rothaarigen und alarmierte damit sofort Naomi, die aufspringen wollte, um ihn davon abzuhalten, doch Fukuzawa stoppte sie. „Ich spüre bei den beiden keine Tötungsabsicht“, stellte er fest, ohne Wilde und Joyce aus den Augen zu lassen. Letzterer blickte abwartend und besorgt zu seinem Kameraden. „Und?“, fragte er nach einer Weile. „Wie sieht es aus?“ Wilde zog seine Hand wieder von Tanizakis Stirn zurück. „Er hat allem Anschein nach nicht so viel Soma eingeatmet, es müsste also machbar sein, ihn aufzuwecken. Seine Verletzungen allerdings sind recht schlimm. Es wird schwierig, aber nicht unmöglich.“ „Willst du das wirklich tun?“ Der brünette Ire warf ihm ein trauriges Lächeln zu. „Es ist keine Frage des Wollens. Es ist das, was die Menschlichkeit uns gebietet.“ Fukuzawas fragender Blick durchbohrte Joyce nun beinahe, dessen Herz bei den Worten des Anderen sichtbar schwerer geworden war. „Ja. Du hast Recht“, antwortete Joyce, Fukuzawa absichtlich ignorierend. „Trotzdem … ich will nicht, dass du-“ „Besitzen Sie eine Heilfähigkeit?“, warf der Chef an Wilde gerichtet ein. „Mmmh, ja, man kann es so nennen“, erklärte dieser geheimnisvoll. „Vereinfacht gesagt, kann ich Verletzungen aufheben, so als seien sie nie geschehen. Bei leichten Verletzungen ist das keine große Sache, aber bei einer wie dieser hier, ist es schwierig, jemanden vollkommen wiederherzustellen. Ich werde sehen, was ich tun kann. Allerdings ist meine Fähigkeit wirklich nicht schön anzusehen.“ Er blickte zu Naomi, die sogleich vehement den Kopf schüttelte. „Ich weiche meinem Bruder nicht von der Seite.“ Dies ließ Wilde sanft schmunzeln. Dann knöpfte er sein Jackett auf und wandte sich energisch an seinen Partner. „Jimmy, sei so lieb und hol schon mal einen Arzt. Das wird wirklich, wirklich unschön.“ Es irritierte Fukuzawa zunehmend, wie sorgenvoll Joyce zu dem Brünetten sah. „Mach ich“, antwortete Joyce todernst, „verblute mir bloß nicht.“ Mit diesen Worten eilte er blitzschnell zur Tür hinaus, während Wilde aus seiner Manteltasche einen Dolch zog, was Fukuzawas Instinkte Alarm schlagen ließ. Was in aller Welt würde jetzt hier geschehen? „Fähigkeit“, sprach Wilde entschlossen und mit einem Lächeln im Gesicht, „The Happy Prince!“ Unter den erschrockenen Blicken Naomis und Fukuzawas rammte sich Wilde den Dolch in den eigenen Bauch.   „Dazai!! Dazai!!!“ Atsushi Schreien und Schluchzen war so heftig, dass er kaum noch Luft bekam. Er war auf alle Viere gesunken und krallte seine Hände vor Verzweiflung und Schmerz in das Gras unter ihm. Ein unerträgliches Leid breitete sich in seinem Brustkorb aus und sein Herz fühlte sich an, als würde es zerrissen werden. Dies konnte nicht sein! Es konnte nicht sein! Wieso hatte er das nicht verhindern können?! Wie hatte er so versagen können?! Dazai war tot und er hatte es nicht verhindern können. „Es … es ist vorbei.“ Neben ihm starrte Barrie auf das grausige, blutige Bild, das sich vor ihnen ausbreitete. Als er endlich zu registrieren anfing, was geschehen war, hellten sich die Augen des jungen Schotten, die zuvor immer von Finsternis und Trauer überwältigt waren, auf und er begann, über sein ganzes Gesicht zu strahlen. „Es ist vorbei! Es ist vorbei!“, rief er freudig aus, während Huxley Kyoka losließ und sich von ihr entfernte. „Es ist endlich vorbei!!“ In genau diesem Augenblick traf der Schlag einer Faust, die aus dem Nichts kam, Barrie mitten ins Gesicht und ließ ihn mit voller Wucht auf die Erde knallen. Im gleichen Moment lösten sich die Kinder auf, die ihre Waffen auf Atsushi gerichtet hatten und der Lärm von der Straße verstummte augenblicklich. Aufgeschreckt hob der silberhaarige Junge seinen Kopf und erstarrte vor Entsetzen. Sein Gehirn konnte die Information, die seine Augen sahen, kaum verarbeiten. Dazai stand dort und richtete den Revolver auf den am Boden liegenden Barrie. „Dazai?“, hauchte Atsushi entgeistert. „Bevor Sie Kyoka auch nur anrühren können, werde ich abgedrückt haben. Das wollen Sie nicht, oder?“ Dazai hatte Huxley, während er diese Warnung aussprach, den Rücken zugedreht, aber dies hielt ihn nicht davon ab, die Gedanken des Älteren zu erraten. „W-was …?“ Atsushi verstand immer noch nicht, was nun los war, bis er ein grünliches Flimmern in der Luft bemerkte und die Illusion von Dazais Leiche sich in Luft auflöste. Dahinter kamen in der geöffneten Schiebetüre des Hauses Joyce und Tanizaki zum Vorschein. Ersterer stützte den Rothaarigen ab, der nach wie vor sehr blass aussah und vor Erschöpfung keuchte. „Pul-pulverschnee …“ Erneute Tränen rannten Atsushis Wangen herab, während der Rest seiner Mimik ein von Unglauben getränktes Lächeln annahm.„Pulverschnee!“ „Nein!“, rief Barrie so verzweifelt aus, das es herzzerreißend war. „Nein! Das kann doch nicht … … ich … es war doch vorbei ...“ Seine Lippen zitterten und seine Augen füllten sich mit Tränen. „Wir geben auf.“ Mit wackligen Schritten und erhobenen Händen näherte sich Huxley und blieb stehen, als er in Dazais Blickfeld kam. „Bitte ... lassen Sie ihn am Leben.“ Die Stimme des Briten klang schmerzerfüllt und nachdem er dies gesagt hatte, hustete er qualvoll. „Wir geben nicht auf! Wir können nicht aufgeben!“, entgegnete Barrie mit wachsender Verzweiflung. „Sie wollten ihn retten, nicht wahr?“ Dazais Blick wandte sich Huxley zu, während er weiter die Pistole auf Barrie richtete. „Sie wollten ihn retten, indem sie durch meinen Tod seine Seele von der Dunkelheit befreien, die sich seit dieser Nacht damals auf ihn gelegt hat. Deswegen haben Sie auch mit dem Plan weitergemacht, obwohl die Umstände sich geändert hatten.“ Huxley wischte sich das beim Husten ausgeworfene Blut weg und versuchte, tief Luft zu holen. „Ich hatte es ihm versprochen. Und dieses Versprechen … ist alles, was ihn … am Leben gehalten hat. Ich dachte … ich dachte, wenn ich den Dämon der Vergangenheit töte, der sich seines Herzens bemächtigt hat, dann ...“, er lächelte ein trauriges Lächeln, „kann er endlich ... frei sein.“ Sprachlos sah Atsushi zu den drei Männern. Dies alles war nur geschehen, um ein Leben zu retten. Trotzdem … es legitimierte nicht, was die zwei Briten getan hatten. „Es … tut mir … leid“, fuhr Huxley wehmütig und deutlich gequält fort, „es tut mir leid ... dass ich dich … nicht retten konnte.“ Er hustete schon wieder, dieses Mal noch heftiger als zuvor, sodass er sich dabei vor Schmerzen krümmte und auf die Knie sank, als hätte jegliche Kraft gerade seinen Körper verlassen. „Aldous!!“, schrie Barrie entsetzt und sprang ungeachtet der Waffe, die auf ihn gerichtet war, auf und lief zu seinem Kameraden. Dazai ließ ihn. „Nein! Was ist mit dir? Du musst durchhalten! Hörst du?!“ Barrie hockte sich vor Angst zitternd vor ihn und nahm ihn verzweifelnd in den Arm. Huxley atmete kaum noch. „Was ...“ Atsushi blickte irritiert zu Dazai, „was ist mit ihm?“ Dazai ließ den Revolver in seiner Hand sinken. „Ich kann nur mutmaßen, aber wahrscheinlich hat seine eigene Fähigkeit ihn langsam vergiftet. Bei einer Fähigkeit mit einer so mächtigen Wirkung gibt es meistens irgendeinen Haken. Er wusste, dass dies bald passieren würde, deswegen hat er eben darauf gedrängt, mich heute zu erledigen.“ Er sah zu Joyce, als würde er darauf warten, ob dieser seine Theorie bestätigte. Der Ire schluckte schwer, während er zu der Szene schaute, die sich vor seinen kummervollen Augen abspielte. Er nickte schwach. „Huxley hat mir dies mal im Vertrauen erzählt. Er wusste schon lange, dass das Soma ihn irgendwann umbringen würde. Ich hätte nur nicht gedacht, dass es sobald geschehen würde. Wahrscheinlich haben ihm die vielen Freisetzungen heute den Rest gegeben.“ Bittere Tränen strömten über Barries Gesicht, als er dies hörte und seine Hände sich in die Haare und in die Jacke des Älteren krallten. Huxley hatte aufgehört zu atmen. „Ich … niemand hat mir gesagt, dass es so schlimm … warum …? Das ist nicht … wahr … was soll ich denn jetzt nur machen?“ Eine erdrückende Grabesstille legte sich über den Garten und die Umgebung, als Barries Tränen versiegten und er sachte den toten Körper seines Freundes auf dem Boden ablegte. „Alles nur, damit ich frei sein kann?“ Der junge Schotte verblieb in seiner knienden Position auf dem Boden. „Wenn man es nicht schafft, ein Leben zu retten“, sagte Joyce und verstärkte vor Kummer seinen Griff um Tanizaki, fast so, als müsste er sich an ihm festhalten und nicht andersherum, „wie soll man dann die ganze Welt retten? Seine Worte, nicht meine. Auch wenn da etwas sehr Wahres dran ist.“ „Ja“, erwiderte Barrie nach einem kurzen Schweigen und seine Augen nicht von Huxley nehmend, „ja, das ist wahr.“ Kaum hatte er diesen Satz zu Ende gesprochen, zog Barrie geschwind sein Kurzschwert und stieß es sich mit der gleichen Geschwindigkeit durch seinen Bauch hindurch. Joyce und Tanizaki erstarrten vor Entsetzen, während Atsushi - obwohl sie eben noch Feinde gewesen waren – bestürzt aufschrie und an Dazai vorbei zu dem Schotten rannte. Alles, was er noch tun konnte, war Barrie aufzufangen, als dieser nach vorn kippte. Der junge Schotte spuckte Blut und sein Körper wurde einige qualvolle Male von heftigen Krämpfen geschüttelt, ehe jegliches Leben ihn verließ. Dazai blickte auf die Waffe, die er immer noch in einer Hand hielt, sicherte sie wieder und warf sie ins Gras. Dann richtete er seinen Blick von dem Revolver zu Barrie, den Atsushi sorgsam und mutlos auf dem Boden niederlegte. Plötzlich begannen aus dem Körper des Toten unzählige, hellstrahlende Lichter in Form kleiner Kugeln zu entweichen, die gen Himmel stiegen und sich dort oben im Nachthimmel auflösten. „Die Lost Boys?“, fragte Atsushi, während seine Augen den Lichtern folgten. Dazai sah ebenso empor. „Ja. Sie werden in die Freiheit entlassen.“ „Herr Joyce?“, fragte Tanizaki bedächtig und der Ire schüttelte schwach den Kopf. „Es geht schon“, antwortete er mit zitternder Stimme. „Ich bin nur froh, dass Wilde das nicht mit ansehen musste. Ihn würde das sehr mitnehmen.“ Voller Mitleid betrachtete Tanizaki die Tränen, die dem Iren übers Gesicht liefen. „Musste es so enden?“ Atsushi wandte sich Dazai zu, der immer noch in den erleuchteten Nachthimmel sah. „Huxley hatte Recht mit dem, was er sagte. Es musste enden. Und jetzt ist es vorbei. Es ist wirklich vorbei.“ „Gehen wir“, ertönte von jenseits des Gartens Chuuyas Stimme und Atsushi erschrak beinahe. Er hatte fast vergessen, dass er und Akutagawa noch da waren. Hatten sie etwa gewartet, bis alles beendet war? „Wir sind übrigens auch nie hier gewesen“, ergänzte Chuuya mit einem drohenden Unterton. „Deswegen werde ich es auch ignorieren, falls je irgendein dahergelaufener Spinner mich darauf ansprechen sollte!“ „Das gleiche gilt für dich, Menschentiger!“ Atsushi konnte ein hauchzartes Schmunzeln in Dazais immer noch emporblickendem Gesicht ausmachen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)